Archive for 18. Oktober 2023

Ein orgonomischer Blick auf die moderne Psychotherapie und Psychiatrie

18. Oktober 2023

In der modernen Psychiatrie ist der Begriff „Charakter“, der in der Orgonomie so zentral ist, ein Tabu. Bereits Reich hatte Probleme den geisteswissenschaftlich vorbelasteten Begriff „Charakter“ durchzusetzen (Charakteranalyse, KiWI TB, S. 198). Außerdem gehört es zur Natur der institutionalisierten Psychiatrie, daß sie sich nur mit der Oberfläche beschäftigt, d.h. mit den hervorstechenden Symptomen und nach diesen die Patienten einteilt. Demgegenüber hat die Reichsche Diagnose des Charakters nur bedingt etwas mit den präsentierten Symptomen zu tun. Zum Beispiel ist eine Patientin mit Waschzwang mit einiger Wahrscheinlichkeit kein Zwangscharakter, sondern ein hysterischer Charakter, der die prägenitale (anale) zwanghafte Hygiene dazu benutzt, um vor der zwar libidinös besetzten aber mit Angst verbundenen Genitalität hysterie-typisch „wegzulaufen“.

Der Kernimpuls spaltet sich in einen destruktiven Impuls und einen abwehrenden Impuls auf, wobei der letztere in einen Ersatzimpuls (neurotisches Symptom) sozusagen überschießen kann. Die Psychiatrie kapriziert sich auf diesen weit sichtbaren Ersatzimpuls und macht daran laienhaft alles fest, während die Charakteranalyse ihre Diagnose auf den tief verborgenen abwehrenden Impuls gründet. Eine Hysterikerin kann sich beispielsweise in Persönlichkeiten aufspalten, eine „multiple Persönlichkeit“ aufweisen. Für die Orgonomie ist das keine Grundlage einer Charakterdiagnose. Sie richtet den Blick vielmehr auf das Wegrennen (abwehrender Impuls) vor der Genitalität (abgewehrter Impuls). Wie dramatisch und facettenreich sich dieses Wegrennen nun nach außen hin gestalten mag, ist von sekundärer Bedeutung, da es sich ebensogut in einer narzißtischen Persönlichkeitsstörung („ich bin ein Star!“), in Depressionen („ich kann nicht, ich habe Migräne!“), in nerviger Kindlichkeit, in masochistischen Anwandlungen oder sonstwie zeigen kann. Die vollständig verpeilten Psychiater kleben dann jeweils ihre Etiketten dran und merken nicht, daß sie es mit ein und derselben Charakterneurose zu tun haben. Manchmal steht auf diesen Etiketten sogar das exakte Gegenteil des zugrundeliegenden Charakters, da in diesen Fällen die Ersatzimpulse die gleiche Richtung aufweisen wie der abgewehrte Impuls.

In der Freudschen Psychoanalyse werden, so Reich, die Einzelsymptome

ausdrücklich als Fremdkörper in einem sonst gesunden psychischen Organismus betrachtet. (…) ein Stück der Persönlichkeit, hieß es, hat die Gesamtentwicklung zur Erwachsenheit nicht mitgemacht und ist auf einer frühen kindlichen Entwicklungsstufe der Sexualität zurückgeblieben. (…) Dieses Stück gerät nun in Konflikt mit dem übrigen Ich, durch das es in Verdrängung gehalten wird. Meine (…) Charakterlehre behauptet dagegen, daß es neurotische Symptome ohne eine Erkrankung des Gesamtcharakters nicht gibt. (Die Funktion des Orgasmus, Fischer TB, S. 35f)

Mit ihrem Gerede von diversen „Störungen“ ist die Psychiatrie 2023 noch im gleichen Zustand, den Reich 1923 überwunden hat!

Es ist noch schlimmer, denn das Elend mit der heutigen Psychiatrie ist, daß sie nun auch noch zwei Dinge hoffnungslos durcheinanderbringt: 1. Charakterstörungen, wie sie klassisch Elsworth F. Baker umrissen hat, und 2. die eigentlichen Persönlichkeitsstörungen. Es ist aber entscheidend, das auseinanderzuhalten, denn Charakterstörungen sind eine Funktion der biopsychischen mittleren Schicht, Persönlichkeitsstörungen eine der sozialen Fassade. Dazu gehören Störungen des Selbstbildes und der Beziehung zu anderen Menschen, also „narzißtische““ Störungen. Das wird in der modernen Literatur teilweise gut beschrieben, wenn nur nicht immer wieder Elemente hineingemengt würden, die nicht zur Persönlichkeit (Fassade), sondern zum Charakter (mittlere Schicht) gehören.

Im allgemeinen kann man sagen, daß Persönlichkeitsstörungen sozial auffällig und störend sind, d.h. die moderne Psychiatrie benutzt durchweg letztendlich willkürlich gesetzte soziale Normen (die wiederum nichts anderes als charakterneurotische Normen sind), um die Persönlichkeitsstörungen zu definieren. Gesund ist dann das, was sich in die Gesellschaft einpaßt. Alles, was nicht hineinpaßt, wird als „Persönlichkeitsstörung“ abqualifiziert. Das Über-Ich wird also von der „unpolitischen“ Psychiatrie unterstützt statt unterminiert. Beispielsweise gilt heute das als normal, insbesondere alles, was sich um „Gender“ dreht, was vor noch wenigen Jahren als hochpathologisch eingeschätzt wurde – und umgekehrt, etwa „toxische Männlichkeit“.

Helfen, d.h. objektive, also wissenschaftliche Maßstäbe bieten, kann hier nur die Orgonomie, für die Persönlichkeitsstörungen überall dort auftreten, wo die Fassade nicht mehr in der Lage ist, mit den aus der mittleren Schicht durchbrechenden neurotischen Symptomen fertigzuwerden.

Die mittlere Schicht (bzw. „sekundäre Schicht“) wird mit den Strebungen aus dem Kern fertig (Charakter), die Fassade mit den Strebungen aus der mittleren Schicht (Persönlichkeit). Beispielsweise kann das Unvermögen sekundäre Strebungen zu beherrschen zu einer multiplen Persönlichkeit führen. Die Fassade zersplittert förmlich in diverse Segmente.

Das, was die moderne Psychiatrie, als Therapie anbietet, sind entweder Medikamente, die die Energieproduktion eindämmen (Panzerung wird durch Biochemie hergestellt), oder Gesprächs- und Verhaltenstheapien, die „den Charakter stärken“ (die Symptome werden buchstäblich zurück in den Körper gedrückt, wo sie dann somatisieren – aber das ist dann das Problem des Hausarztes). Außerhalb der Orgonomie gibt es keine Wissenschaft im allgemeinen und keine Psychiatrie im besonderen.