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Lore Rubin Reich: ERINNERUNGEN AN EINE CHAOTISCHE WELT

26. März 2020

Dieses Buch ist eine Übersetzung des unveröffentlichten Originalmanuskripts. Obwohl die Autorin diese Übersetzung ausdrücklich lobt (S. 9), ist sie holprig und voller Fehler. Sätze wie: „Es gab kein Bedürfnis nach einer Revolution und auch kein Verlangen danach“ (S. 218). Es gab keinen Bedarf! Fast alle unterschätzen, wie schwer das Übersetzen vom Englischen ins Deutsche ist. Außerdem sollte der Übersetzer sich im Sujet auskennen. Wie kann man etwa von „Kamerad Thomas“ sprechen, statt „Genosse Thomas“! Und dann Reichs Tochter Lore selbst: wie, äh, aaarghhhh muß man sein, um Reichs Theorie damit zu „erklären“, daß nur der Orgasmus Neurosen auflösen könne (S. 30)?! Das macht ebensoviel Sinn, als behauptete man, nur Geschlechtsverkehr könne erektive Impotenz heilen oder nur das Gehen einen Querschnittgelähmten. Oder etwa zu schreiben: „Ich bin mir sicher, daß er seine Patienten dazu brachte, ihre Hemmungen soweit fallen zu lassen, daß sie vor ihm einen Orgasmus hatten“ (S. 155). Sic! Aus dem ganzen spricht einfach nur Böswilligkeit und Verachtung! Und dann sich fragen, warum Reich so „aggressiv“ gewesen sei!

Trotzdem verlohnt es „Mein Leben als Tochter von Annie Reich und Wilhelm Reich“ zu lesen, einfach weil es die Reich-Biographie plastischer macht. Da wäre die graue Kindheit der beiden Reich-Töchter und die Knappheit der Mittel, die es zum Problem machte eine vernünftige Hauskraft/Kindermädchen anzustellen. Die Familie war imgrunde arm, weil Reich nur genausoviel zur Familienkasse beitrug wie Annie, die als Mutter und psychoanalytische Anfängerin nur wenig verdiente. Wo erfährt man sonst, daß Annie sieben Abtreibungen hatte oder daß Lore dem armen Reich aufgedrängt wurde, um die Ehe zu einer Zeit zu retten, als Reich „politisch“ aktiv wurde. Entsprechend betrachtete er Lore stets als Annies Kind. Die ungemütlichen Wohnverhältnisse, da, wie damals bei Psychoanalytikern üblich, zuhause gearbeitet wurde; Reichs aufbrausendes und manchmal verstörendes Temperament; dazu das Kontrastprogramm: der dickliche und kleine Genosse Thomas als „Hausfrau“ (S. 140); bis hin zur Beschreibung von Reichs Beerdigung, bei der die Familie an den Rand gedrängt wurde. Lore hatte große Probleme im trüben November zum abgelegenen Orgonon zu gelangen, nur um auf der Beerdigung zu erfahren, daß gleich drei ihrer Kollegen an der psychiatrischen Klinik, in der sie zu der Zeit tätig war, führende Orgonomen waren und einen Flug nach Orgonon organisiert hatten. Sie hatten sich ihr nie zu erkennen gegeben und ignorierten sie auch auf der Beerdigung demonstrativ (S. 247f).

Die ganze Dynamik von Reichs erster Ehe wird in einer Szene deutlich, die gleichzeitig das definitive Ende der Beziehung zwischen Annie und Wilhelm beschreibt. Reich floh nach dem Reichstagsbrand sofort mit seiner Frau Richtung Österreich und zwar als Bergtouristen getarnt, um Grenzkontrollen zu entgehen. „Meine Mutter berichtete, daß mein Vater voller Angst war. Auf einmal verspürte sie eine enorme Verachtung ihm und seiner Angst gegenüber. In diesem Moment konnte sie sich endlich von der Knechtschaft, in der er sie gefangenhielt, befreien. Deswegen konnte sie umkehren und ihn auf dem Berggipfel alleine lassen. Sie kehrte nach Berlin zurück und organisierte den Umzug der Möbel aus der Wohnung“ (S. 38). Offensichtlich war bei einer Hysterikerin die Übertragung zerbrochen, als sich der angebetete Held selbst „hysterisch“ benahm.

Oder wie inflationär und laienhaft der Begriff „verrückt“ von Psychoanalytikern benutzt wurde, um das Renommee „abtrünniger“ Psychoanalytiker nachhaltig zu zerstören. Nicht nur Reich war Opfer dieser Taktik, sondern auch Rado, Rank, Jung, Adler, Tausk, Ferenczi, Melanie Klein und deren Tochter Melitta Schmiedeberg (S. 67). „Mein Vater war ein naiver und vertrauensvoller Mann“, der die psychotherapeutische Behandlung seiner Tochter Eva zwei Frauen überließ, nämlich Berta Bornstein und Anna Freud, welche Bornstein supervidierte, „die voller Haß ihm gegenüber waren“ (S. 77). Beide lebten „ihre Neurose wie bösartige Geister unter dem Deckmantel der psychoanalytischen Rechtschaffenheit aus“ (S. 80).

Lores Buch bietet einige Ergänzungen zu Der Rote Faden etwa, daß viele fanatische Trotzkisten später Neokonservative wurden. Lore selbst war von den späten 1940er bis zu den frühen 1960er Jahren in einer Trotzkistischen „Partei“ (Sekte!) aktiv. Oder etwa, wenn sie beschreibt, unter welcher Daueranspannung ihr Schwiegervater Genosse Thomas litt: „Eines Tages sah er in unserem Wohnhaus einen Psychoanalytiker in Begleitung eines Agenten der sowjetischen Geheimpolizei, den Thomas kannte. Aus Angst entdeckt zu werden, eilte er zurück in den Aufzug; er war schockiert von diesem Vorfall“ (S. 140). Dieser Vorfall habe, so Lore, auch gezeigt, welchen Zuspruch Stalins KP noch in den USA genoß. So hätten auch Psychoanalytiker Umgang mit der KP gepflegt, trotz all der Greueltaten.

Sie beschreibt die kommunistische Unterwanderung Amerikas sehr gut: Während sie in Europa nur Menschen getroffen hatte, die von der KP desillusioniert waren, traf sie in Amerika viele Erwachsene, die Kommunisten waren. New York sei voller genauso idealistischer wie ignoranter Leute gewesen, die die UdSSR verherrlichten. „Jahrelang, sogar nach dem Krieg, bis Mitte der 1950er Jahre, folgten diese Leute der kommunistischen Parteilinie ohne zu wissen, daß diese von Moskau aus diktiert wurde, marschierten in Maiparaden und hielten sich für ‚die Guten‘.“ Sie hielten sich stets an die jeweilige Linie der Partei, selbst wenn die, wie zu Anfang des Krieges, die Unterstützung Hitlers vorsah. „Heute sind Menschen der Meinung, daß man damals ‚unter jedem Bett einen Kommunisten sah‘ und verleugnen, wie groß die Anhängerschaft, zumindest in New York, war. Natürlich waren diese Menschen keine Spitzel, da sie diese Überzeugungen offen zur Schau stellten. Stattdessen übten sie enormen Druck auf die öffentliche Meinung, die Kunst und die Medien aus“ (S. 145f).

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