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Fickende Gehirne

28. Mai 2014

Reich beschreibt, wie ihn 1919, beim ersten Kontakt mit der Psychoanalyse, deren Umgang mit der Sexualität abstieß.

Die Art, wie das Thema (…) behandelt wurde, klang mir sonderbar, naturfremd. Ich spürte eine Ablehnung in mir. (…) Ich hatte das Geschlechtliche anders erlebt, als ich es damals vorgetragen bekam. Das Sexuelle hatte in diesen ersten Vorträgen etwas Bizarres, Fremdartiges an sich. Eine natürliche Sexualität schien es nicht zu geben. Das Unbewußte war erfüllt von perversen Trieben allein. Die psychoanalytische Lehre leugnete zum Beispiel die Existenz einer primären vaginalen Erotik des kleinen Mädchens und ließ die weibliche Sexualität aus komplizierten Zusammensetzungen anderer Triebe hervorgehen. (Die Funktion des Orgasmus, Fischer TB, S. 26f)

Fast ein Jahrhundert später sind die Fronten noch immer dieselben. Nichts hat sich verändert. Man lese nur den Band Der „Fall“ Wilhelm Reich, mit dem Suhrkamp Reich zu dessen hundertstem Geburtstag „ehrte“. Unter anderen Tat sich Ulrike Körbitz vom „Grazer Arbeitskreis für Psychoanalyse“ hervor. Hier die Einladung zu ihrem Vortrag „Ohne Mord kein Vergnügen – Psychoanalytische Gedanken zum Orgasmus bei der Frau“:

Wie können wir uns aus Perspektive moderner psychoanalytischer und sexualwissenschaftlicher Konzepte dem Geschehen rund um den Orgasmus bei der Frau annähern? Für dieses „Abenteuer im Kopf“ wird die phasenweise heftig geführte Debatte über die hierfür „richtigeren“ körpergeographischen Orte – Klitoris oder Vagina – eine höchstens historische Rolle spielen; ebenso die der Orgasmusfähigkeit häufig zugeordneten Paradigmen einer gesunden, reifen, heterosexuell ausgerichteten Genitalität. Mein Vortrag führt statt dessen zu der Frage: Wer mordet hier wen oder was? Klärungen auf Basis von Indizien einer „erotischen Kette“ (A. Green) werden versucht und hoffentlich in der Diskussion gemeinsam vorangetrieben.

Siehe dazu das Martyrium von Marilyn Monroe, die von ihrem Psychoanalytiker Ralph Greenson, einem Schüler von Otto Fenichel, systematisch zerstört wurde. 2003 hat der Autor Mathew Smith erstmals die Tonbänder veröffentlicht, die Marilyn Monroe kurz vor ihrem Tod für Greenson besprach: „Ich hatte nie einen Orgasmus. Ich erinnere mich, wie Sie zu mir sagten: Ein Orgasmus passiert im Kopf, nicht im Becken.“ Das „Sexsymbol“ schlechthin und der verkopfte Psychiater….

In der März 2009-Ausgabe von Info Neurologie & Psychiatrie erschien ein kurzes Interview über „Erotik im Kernspin“. Was sagt die funktionelle Magnetresonanztomographie über „das Hirn beim Sex“? Interessant an dem Interview mit Prof. Dr. med. Michael Forsting vom Universitätsklinikum Essen ist zweierlei. Erstens druckt die Redaktion in der Printausgabe am Rande als Blickfänger ein Zitat, das gar nicht im Interview auftaucht: „Lust und Erregung finden nicht im Becken, sondern zwischen den Ohren statt.“ Zweitens kann Prof. Forsting die entscheidende Frage, was sich nämlich während des Orgasmus im Hirn abspielt, nur mit Verweis auf eine niederländische Studie beantworten. Mit Hilfe der Positronen-Emissions-Tomographie wurde festgestellt, „daß das zentrale Merkmal des Orgasmus die Verminderung der kortikalen Aktivität – präfrontaler Kortex/linker Temporallappen – ist. Diese ist verantwortlich für die Enthemmung – den sogenannten Kontrollverlust und die Auflösung bzw. Aufweichung der Körpergrenzen.“

Mit anderen Worten: während des Orgasmus werden die „oberen“ Funktionen des Hirns abgeschaltet! Von wegen: „Lust findet im Kopf statt“!

Und auch in anderer Hinsicht findet Reichs Orgasmustheorie Bestätigung. Prof. Forsting verweist auf die Daten anderer Arbeitsgruppen, die gezeigt hätten, „daß die zerebrale Aktivierung bei Frauen während eines vaginal induzierten Orgasmus intensiver ist als bei klitoral induziertem Orgasmus“.

Wenden wir uns dem Übersichtsartikel „Kommandozentrale Gehirn: Wo die Liebe wohnt“ in der Frankfurter Rundschau über die (2009) letzten Forschungsergebnisse in Sachen Liebe und Sexualität zu:

Bisher hätten Hirnforscher zum Thema Liebe wenig sagen können, da es nicht einfach ist, Versuchspersonen in einen entsprechenden Zustand zu versetzen. Immerhin meinen sie zu wissen, daß Emotionen im Gehirn entstehen und danach Veränderungen im Körper erzeugen. Der Ulmer Hirnforscher Manfred Spitzer:

Wir spüren die Liebe im Herzen, trotzdem spielt sie sich im Gehirn ab. Das Gehirn ist das Organ der Liebe.

Die Londoner Forscher Andreas Bartels und Semir Zeki fanden bei MRT-Untersuchungen (Magnetresonanz-Tomographie) von Verliebten, daß nur vier engbegrenzte Hirnareale das Gefühl der Liebe „hervorrufen“. Der „vordere cinguläre Kortex“ und der „Insellappen“ dienen dem Erkennen eigener und fremder Emotionen und der Verarbeitung von Sinneseindrücken. Für die erotischen Elemente des Verliebtseins seien der „Nucleus caudatus“ und der „Putamen“ verantwortlich.

Entsprechend meint die New Yorker Anthropologin Helen Fisher, die etlichen Verliebten mit Hilfe der MRT „in den Kopf geschaut hat“:

Die romantische Liebe ist eine Sucht erzeugende Droge.

Man könne, so Spitzer, romantische Liebe medikamentös mit Dopamin-Antagonisten ähnlich bekämpfen wie eine Manie oder eine Sucht. Aber natürlich sei Liebe keine Krankheit. Spitzer:

Wir können opiumsüchtig werden, weil unser Gehirn selbst opiumähnliche Stoffe herstellt und nicht umgekehrt.

Seit etwa fünf Jahren wisse man, daß Lernen und Liebe mit den gleichen Hirnarealen und mit der Ausschüttung von Dopamin verbunden sind. Spitzer:

Verliebtheit, Lernen und Glück sind sozusagen verschiedene Seiten des gleichen Funktionszusammenhangs.

Hormonell steht bei Liebe und Sexualität das Testosteron im Mittelpunkt. Es regelt nicht nur bei Männern, sondern auch bei Frauen das sexuelle Verlangen.

Erst seit kurzem weiß man, daß umgekehrt Sex auch den Testosteronspiegel erhöht.

Die biologische Basis für die längerfristige Bindung insbesondere des Mannes an die Frau sei Oxytocin, daß auch für die Mutter-Kind-Bindung sorgt. Es werde infolge von Zärtlichkeit und beim Geschlechtsakt ausgeschüttet. Deshalb habe Sex, so Spitzer, nicht nur eine reproduktive Funktion, sondern auch eine soziale Funktion: es schafft die Voraussetzung für den Familienzusammenhalt.

Soweit das, was „die moderne Naturwissenschaft“ zum Thema zu sagen hat. Auffallend ist die Fixierung auf das Gehirn. Der Körper erscheint nur als eine Art Anhängsel des Gehirns. Die Empfindungen der sich bewegenden Orgonenergie im Körper wird zur bloßen Illusion. Kein Wunder, daß diesen Leuten die eigentliche Funktion des Orgasmus unzugänglich bleibt.

For the record: Wir spüren Liebe im Herzen, weil der Solar plexus das energetische Zentrum des Organismus ist. Das Gehirn ist nur ein Koordinationsorgan.

Die Einzelergebnisse der modernen Forschung, insbesondere die Verbindung von Lernen und Liebe (d.h. die Offenheit für neue Erfahrungen), sowie die Bedeutung regelmäßigen Geschlechtsverkehrs für die hormonelle Ausgeglichenheit, sind natürlich sehr wichtig und bestätigen Reichs Orgasmustheorie, aber ohne Reichs Forschungsansatz hängen diese Forschungsergebnisse zusammenhanglos in der Luft.

Warum wird beispielsweise nicht erwähnt, daß der schulische Erfolg untrennbar mit einem erfüllten Liebesleben zusammenhängt. Man mag auf pickelige Streber verweisen, die es akademisch weit gebracht haben, aber genau sie sind für die mechano-mystische sterile Wissenschaft verantwortlich! Liebe, Arbeit und Wissen sind die Quellen unseres Leben, sie sollten es auch regieren!

Es ist beängstigend, daß Reich mit seiner Arbeit über „die elektrische Funktion von Sexualität und Angst“ uns heutigen weit voraus ist. Es ist, als wäre die Arbeit nicht 1937 erschienen, sondern würde im Jahre 2037 auf uns warten.

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