Posts Tagged ‘Mutismus’

Eine Charakteranalyse von KINDER DER ZUKUNFT

11. Februar 2018

Ich habe kritisiert, daß und wie die Herausgeber der amerikanischen Originalausgabe von 1983, Children of the Future mit der Zusammenstellung von Reich-Texten ein Buch „von“ Wilhelm Rech kreiert haben. Aber es ist nun mal da und je mehr ich mich hineinlese, desto mehr lerne ich es schätzen. Man nehme etwa das Kapitel „Fallangst bei einem drei Wochen alten Säugling“, dessen Bedeutung, etwa was die Beschreibung des „oralen Orgasmus“ von Babys betrifft, kaum überschätzt werden kann, das aber ungelesen und unbeachtet, und als Abschnitt eines längeren Kapitels auch praktisch unsichtbar, am Ende des dicken und nur schwerverdaulichen Buches Der Krebs sein Dasein fristet. Um so trauriger ist es, daß es jetzt in einer lieblosen (man nehme nur die redundante Fußnote des Übersetzers S. 112) und teilweise grob falschen Rückübersetzung (sic!) präsentiert wird.

Da heißt es, Mechanisten würden soweit gehen einen Plan auszuarbeiten, „wie viele Entwicklungsschritte ein Kind jeden Tag machen muß“ (S. 118). Dabei ist in den beiden Ursprungstexten nur von „steps“ bzw. „Schritten“ die Rede. „…stuttering, mutism, etc. are consequances of poor orgonotic functioning of the mouth and neck organs“, wenn die Mutter während des Stillens keinen orgonotischen Kontakt mit dem Säugling aufnehmen kann. Beim Übersetzer wird daraus: „…Stottern, Taubstummheit usw. sind Folgen mangelhaften Funktionierens der Mund- und Nackenorgane“ (S. 111). Ohne „orgonotisch“ macht das gar keinen Sinn: die Organe funktionieren nicht, weil sie nicht funktionieren… Im Original ist es „Mutismus“ und „orgonotisch schlecht funktionierende Mund- und Halsorgane“. Gott habe Erbarmen! Die Kinder werden doch nicht taub! Mutismus ist nicht „Taubstummheit“, sondern – Mutismus! Bitte bei Wikipedia nachschlagen! Wie um Himmels Willen soll ich sowas kommentieren, ohne ausfällig zu werden?!

Wie ungeschickt kann man sich eigentlich ausdrücken? Fußnote des Übersetzers S. 121: „Die vorgeburtlichen Einflüsse sind heutzutage zu einem wichtigen Bereich der Säuglingsforschung geworden. Zu Reichs Lebzeiten war dieser Zeitraum noch vollständig unerforscht.“ Warum nicht einfach: „Zu Reichs Lebzeiten waren sie noch vollständig unerforscht“?! Und so im ganzen Buch: es hat dank des Übersetzers etwas zutiefst Ungelenkes und Kontaktloses. Man könnte glatt sagen, daß das Buch „gepanzert“ ist und damit ein Widerspruch in sich selbst ist. Das fällt mir insbesondere ins Auge, weil angesichts dieser Texte meine Bewunderung und Liebe für Reich noch weiter gewachsen sind, – wenn das denn überhaupt noch steigerungsfähig gewesen wäre.

Man nehme nur folgenden – ja, Schwachsinn: „Die psychoanalytische Erklärung einer ‚Instinktangst‘, die in solchen Fällen meist zitiert wird, hilft uns auch nicht weiter. Denn dabei stellt sich die Frage: Welcher ‚Ich-Instinkt‘ soll hier verdreht worden sein?“ In Der Krebs stand: „Die psychoanalytische Erklärung der ‚Triebangst‘, die in einem solchen Fall vorgebracht wird, ist unbefriedigend: Welcher Art Trieb wurde abgewehrt?“ By the way frage ich mich, wo der amerikanische Übersetzer eigentlich den „ego instinct“ her hat: „The psychoanalytic explanation of ‚instinct anxiety‘ usually offered in such cases is not satisfactory. For the question would then be: What kind of ego instinct was being warded off?” Es geht bei Reich um die Abwehr der Sexualtriebe, nicht der Selbsterhaltungstriebe. Das macht doch alles überhaupt keinen Sinn, was Reich da von seinen beiden Übersetzern in den Mund gelegt wird!

Manches schmerzt, als würde jemand mit den Fingernägeln auf der Kreidetafel kratzen: „Vor der ersten [Fallangst-] Attacke ließ sich das Kind fröhlich von jedem Fremden nehmen“ (S. 115). Reich hatte geschrieben: „Das Kind pflegte vor dem ersten Anfall gern zu jedem Fremden auf den Arm zu gehen.“ So auch wörtliche ins Englische übersetzt („happily go into the arms of every stranger“), aber nein, der deutsche Übersetzer muß abartige Assoziationen im Unbewußten von mißtrauischen Lesern lostreten! Ich würde darauf nicht hinweisen, wenn das nur vereinzelt auftrete, aber diese Tendenz, alles in ein sadistisch-perverses Licht zu tauchen, prägt die Übersetzung!

Jetzt, wo ich genauer hinschaue, frage ich mich eh, ob das Buch nicht eher von Anton Salat, dem Übersetzer, als von Wilhelm Reich stammt. Erstmal ist das ja, wie gesagt, eh kein Buch von Wilhelm Reich, sondern eins von Mary Boyd Higgins und Chester M. Raphael, die selbstherrlich eine Sammlung von Reich-Manuskripten zu einem Buch kompiliert haben, das so tut, als wäre es ein so von Wilhelm Reich geplantes Projekt. Das sieht man etwa daran, daß bisher im Buch immer von „Orgonomie“ und „orgonomisch“ die Rede war, weil die Texte 1949/50 geschrieben wurden. Dem folgt unvermittelt ein „Kapitel“, das einige Jahre vorher geschrieben wurde, als Reich noch von „Sexualökonomie“ und „sexualökonomisch“ sprach. Das führt zu einer wahrhaftigen Katastrophe, denn der Text spricht angesichts der Abwehr von beginnenden Biopathien von der Notwendigkeit einer „sexualökonomischen Erziehung des Neugeborenen“ (S. 116). In Der Krebs, aus der dieses „Kapitel“ herausgerissen wurde, klingt das im Zusammenhang vollkommen harmlos. In Kinder der Zukunft, wo man in Fortführung der vorangegangenen Texte doch „orgonomische Erziehung des Neugeborenen“ erwartet, klingt das nach – SEX!

Das haben Higgins und Raphael durch ihre dilettantische Herausgeberschaft zu verantworten, die allen akademischen Standards spottet. Darauf ist nun eine schlechte deutsche (Rück-) Übersetzung aufgepropft, die man teilweise schon gar nicht mehr als Übersetzung bezeichnen kann, nicht mal als „Nachdichtung“, denn sie hat manchmal kaum noch etwas mit dem originalen Reich-Text zu tun. Also: es ist von der Notwenigkeit einer sexualökonomischen Erziehung für Säuglinge die Rede. Nächster Satz: „Soweit ich dies überblicke, gibt es, trotz aller wichtigen sozialen Maßnahmen auf dieses Ziel hin, keinen anderen Weg“ (S. 116) Ein sinnloser, wirrer Satz! Aber Reich hat ohnehin etwas volkommen anderes geschrieben: „Soweit ich sehen kann, gibt es keinen anderen Weg. Wir wissen, welch strenge sozialen Konsequenzen dies hat.“

Reich: „Der Säugling tritt begreiflich gar nicht oder nur schwer aus sich heraus, wenn ihm aus der Umgebung keine lebendige Wärme, sondern nur starre Erziehungsregeln und unechtes Verhalten entgegenkommen.“

Amerikanische Übersetzung: „The infant will quite understandably not emerge from himself – or will do so only with the greatest difficulty – if only inflexible rules and ungenuine behavior are extended to him rather than living warmth.

Salats Rückübersetzung: „Es ist doch leichtverständlich, daß kein Kind sich von sich aus zurückziehen wird – oder wenn, dann nur unter den allergrößten Schwierigkeiten – außer wenn es dauernd starre Regeln und unnatürliches Verhalten anstelle von lebendiger Wärme ausgesetzt ist“ (S. 116).

In dem Kapitel fällt auf S. 118f ein bemerkenswerter, in unserem Zusammenhang sehr erhellender Satz Reichs, über Charakterstruktur und Schreibstil, den ich hier nach dem Original aus Der Krebs zitiere:

Ich meine, es sollte (und es wird einmal) üblich werden, eine Aussage ebenso von der charakterlichen Struktur des Aussagenden her zu beurteilen, wie man sie heute nur von der Eleganz des Stils her zu beurteilen pflegt (…).

Orgontherapie: Die Anwendung des funktionellen Denkens in der medizinischen Praxis (Teil XVI: Kinder und Jugendliche) (Teil 3)

24. Juni 2014

DIE ZEITSCHRIFT FÜR ORGONOMIE

Charles Konia: Orgontherapie: Die Anwendung des funktionellen Denkens in der medizinischen Praxis (Teil XVI: Kinder und Jugendliche) (Teil 3)

acologo