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Freud, Retter der Kultur

23. Dezember 2014

Wenn man vom Libido-Konzept selbst absieht, ist die wichtigste Vorstellung, die Reich aus der Psychoanalyse übernommen hat, die, daß die Libido auf prägenitale Stufen bzw. Objekte (insbesondere das gegengeschlechtliche Elternteil) fixiert bleibt und deshalb nicht entladen werden kann.

Diese Vorstellung hat er dahin modifiziert, daß die genitale Sexualität die besagten infantilen Fixierungen entschärfen kann, indem ihnen die Energie entzogen wird, und daß umgekehrt durch Störung der genitalen Abfuhr an sich harmlose Erfahrungen in der Kindheit (etwa inzestuöser Natur) im nachhinein pathogen werden können, weil sie mit Energie aufgeladen werden.

Unglaublicherweise will die Psychoanalyse die genitale Befriedigung aber eindämmen und durch „Sublimierung“ ersetzen, die, wie Reich hervorhebt, jedoch von der uneingeschränkten genitalen Befriedigung abhängt. Nur wer genital befriedigt ist, kann prägenitale Strebungen sublimieren. Man kann also mit Karl Kraus sagen, daß die Psychoanalyse die Krankheit ist, deren Heilung sie vorgibt.

In Die Traumdeutung (Fischer TB, 1961, S. 470f) beschreibt Freud seinen therapeutischen Ansatz wie folgt: Unbewußte Wünsche blieben immer rege.

Sie stellen Wege dar, die immer gangbar sind, so oft ein Erregungsquantum sich ihrer bedient. Es ist sogar eine hervorragende Besonderheit unbewußter Vorgänge, daß sie unzerstörbar bleiben. Im Unbewußten ist nichts zu Ende zu bringen, ist nichts vergangen oder vergessen. Man bekommt hiervon den stärksten Eindruck beim Studium der Neurosen, speziell der Hysterie. Der unbewußte Gedankenweg, der zur Entladung im Anfall führt, ist sofort wieder gangbar, wenn sich genug Erregung angesammelt hat. Die Kränkung, die vor dreißig Jahren vorgefallen ist, wirkt, nach dem sie sich den Zugang zu den unbewußten Affektquellen verschafft hat, alle die dreißig Jahre wie eine frische. So oft ihre Erinnerung angerührt wird, lebt sie wieder auf und zeigt sich mit der Erregung besetzt, die sich in einem Anfall motorische Abfuhr verschafft. Gerade hier hat die Psychotherapie einzugreifen. Ihre Aufgabe ist es, für die unbewußten Vorgänge eine Erledigung und ein Vergessen zu schaffen. Was wir nämlich geneigt sind, für selbstverständlich zu halten und für einen primären Einfluß der Zeit auf die seelischen Erinnerungsreste erklären, das Ablassen der Erinnerung und die Affektschwäche der nicht mehr rezenten Eindrücke, das sind in Wirklichkeit sekundäre Veränderungen, die durch mühevolle Arbeit zustande kommen. Es ist das Vorbewußte, welches diese Arbeit leistet, und die Psychotherapie kann keinen anderen Weg einschlagen, als das Ubw der Herrschaft des Vbw zu unterwerden.

Nach Reich ist das Verdrängte, das Unbewußte („Ubw“) identisch mit der Muskelpanzerung. Genauer gesagt: die innere Erregung wird chronisch so umgeleitet, daß es zu automatischen („unbewußten“) Verhaltens- und Denkmustern kommt. Reichs Ansatz beinhaltet die Auflösung dieser Panzerung, so daß der Körper wieder situationsangemessen reagieren kann. Bei Freud geht es ganz im Gegenteil darum, die „Herrschaft des Vorbewußten (Vbw)“ aufzurichten, d.h. die vorbewußte (also jeder Zeit bewußtseinsfähige, ansonsten aber automatisch ablaufende) Kontrolle zu verschärfen – den Menschen noch mehr zu verpanzern.

Freud schreibt weiter:

Für den einzelnen unbewußten Erregungsvorgang gibt es also zwei Ausgänge. Entweder er bleibt sich selbst überlassen, dann bricht er endlich irgendwo durch und schafft seine Erregung für dies eine Mal einen Abfluß in die Motilität, oder er unterliegt der Beeinflussung des Vorbewußten, und seine Erregung wird durch dasselbe gebunden anstatt abgeführt.

Durch die systematische Beseitigung der Panzerung wollte Reich die „orgastische Potenz“ herstellen, d.h. die geregelte Abfuhr der vegetativen Energie in Arbeit und Sexualität. Freud ging es darum, diese „störenden“ Energien besser zu binden, d.h. die orgastische Impotenz zu vertiefen.

Man muß Psychoanalytiker und ihre „erfolgreich therapierten“ Patienten persönlich kennengelernt haben, um zu sehen, daß das alles mehr als bloße Theorie ist.

Konkret geschieht die psychoanalytische „Bindung“ der Energie durch Verstärkung der Kopfpanzerung („Intellektualisierung“). Ganz ähnlich ist es um das angebliche Gegenteil der Psychoanalyse bestellt, die kognitiv-behaviorale Therapie.

Schon früh hatte Reich erkannt, daß nicht etwa der Neurotiker mit seinen auffallenden Symptomen der wirklich Kranke ist, sondern der „Charakterneurotiker“, Homo normalis, der sich reibungslos in diese kranke Gesellschaft einpaßt. Psychotherapeuten sollen die Neurotiker wieder auf Linie bringen.

Im Grunde ist das die Aufgabe unserer gesamten Kultur: all die Feuilletons, schlauen Bücher und Diskussionsrunden. Deshalb ist es auch so abwegig, „Intellektuelle“ von der Orgonomie überzeugen zu wollen. Bestenfalls ist sie ihnen „zu banal“.

Eine der effektivsten Techniken, um bei Menschen eine Panzerung des okularen Segments hervorzurufen, ist die Verunsicherung. Wir alle kennen das Gefühl des Weggehens in den Augen, wenn wir von verwirrten Menschen unvermittelt etwa gefragt werden: „Waren sie schon mal alt?“ „Hatten Sie nicht eben eine Decke in der Hand?“ Insbesondere aber, wenn sie absurde Deutungen von alltäglichen Erscheinungen und Vorkommnissen geben. Man stößt irritiert aus: „Leute, ihr bringt mich ganz durcheinander“ und schüttelt spontan den Kopf, so als wolle man die künstlich induzierte Augenpanzerung wieder abschütteln. Wieviel schlimmer muß das sein, wenn derartiger Schwachsinn einem mit der Autorität des Arztes aufgezwungen wird! Genau dies geschieht bei den fast durchweg absurden Deutungen der Psychoanalyse. Man denke nur an die Erinnerungen des „Wolfsmanns“.

Bei Reich war dies radikal anders, denn in der Charakteranalyse und Orgontherapie wird eben dem Patienten nicht gesagt, wogegen sich seine Abwehr richtet, vielmehr ist es Aufgabe des Patienten selbst zu ergründen, was sich hinter seiner Angst verbirgt. Die Psychoanalyse ist ein destruktiver Kult, der verboten gehört!

Die ganze Pestilenz der Psychoanalyse wird durch folgendes Zitat aus dem Jahre 1926 deutlich, als Freud in Die Frage der Laienanalyse schrieb:

Die sexuellen Regungen des Kindes finden ihren hauptsächlichsten Ausdruck in der Selbstbefriedigung durch Reizung der eigenen Genitalien, in Wirklichkeit des männlichen Anteils derselben. Die außerordentliche Verbreitung dieser kindlichen „Unart“ war den Erwachsenen immer bekannt, diese selbst wurde als schwere Sünde betrachtet und strenge verfolgt. Wie man diese Beobachtung von den unsittlichen Neigungen der Kinder – denn die Kinder tun dies, wie sie selbst sagen, weil es ihnen Vergnügen macht – mit der Theorie von ihrer angeborenen Reinheit und Unsinnlichkeit vereinigen konnte, danach fragen Sie mich nicht. Dieses Rätsel lassen Sie sich von der Gegenseite aufklären. Für uns stellt sich ein wichtigeres Problem her.

Soweit, so lebenspositiv vernünftig, doch dann fährt der ach so aufgeklärte Freud fort:

Wie soll man sich gegen die Sexualbetätigung der frühen Kindheit verhalten? Man kennt die Verantwortlichkeit, die man durch ihre Unterdrückung auf sich nimmt, und getraut sich doch nicht, sie uneingeschränkt gewähren zu lassen. Bei Völkern niedriger Kultur und in den unteren Schichten der Kulturvölker scheint die Sexualität der Kinder freigegeben zu sein. Damit ist wahrscheinlich ein starker Schutz gegen die spätere Erkrankung an individuellen Neurosen erzielt worden, aber nicht auch gleichzeitig eine außerordentliche Einbuße an der Eignung zu kulturellen Leistungen? Manches spricht dafür, daß wir hier vor einer neuen Scylla und Charybdis stehen.

Für Freud ging die Kultur stets vor!

freudpestilenz