Posts Tagged ‘Traditionelle Chinesische Medizin’

Alter, naive Medizin! (Teil 3)

16. Juni 2021

Eine Akupunktur-Studie nach der anderen hat gezeigt, daß es ziemlich gleichgültig ist, wo man die Nadeln setzt. Die angeblichen „Meridiane“ können sowieso keine realen energetischen „Kanäle“ sein, da sie je nach Akupunktur-Schule anders definiert und erst in den letzten Jahrzehnten (ähnlich der chinesischen Sprache) willkürlich vereinheitlicht wurden. Kenner wie der Sinologe und Medizinhistoriker Paul Unschuld wissen, daß es innerhalb und außerhalb Chinas eine Unzahl von Akupunktur-Traditionen gibt. Oder mit anderen Worten: die Akupunktur-Punkte sind vollkommen willkürlich gewählt.

2009 wurde in den Archives of Internal Medicine eine Studie veröffentlicht, die zeigte, daß drei unterschiedliche Arten von Akupunktur sehr viel effektiver gegen Kreuzschmerzen wirken als die gängige Behandlung. Eine der drei Akupunktur-Anwendungen war jedoch nur eine vorgetäuschte Akupunktur mit Zahnstochern! Im Anschluß haben dann Studien und Metastudien von Andrew J. Vickers (Memorial Sloan-Kettering Cancer Center, New York) et al. bei chronischen Schmerzen eine Besserungsrate gefunden, die für kunstgerechte Akupunktur ein wenig höher lag als bei Scheinakkupunktur. Eine Metanalyse von insgesamt 17 922 individuellen Patientendaten aus randominsiert-kontrollierten Studien konnte nachweisen, daß es einen zwar kleinen, aber signifikanten Effekt bei der Behandlung von chronischen Rücken-, Schulter, Kniegelenks- und Kopfschmerzen gibt. Siehe auch hier.

Das kann man aber auch rein biochemisch erklären. Sie dazu die Studie von Maiken Nedergaard (University of Rochester Medical Center) et al.: Labormäusen, die an einer entzündeten Pfote litten, wurden fachgerecht mit einer Nadel akupunktiert, das beinhaltet, daß die Nadel alle fünf Minuten gedreht wurde, was die Wirkung noch verstärken soll. Die Tiere reagierten weniger schmerzempfindlich auf Reize an der entzündeten Pfote, gleichzeitig stieg in der Gewebsflüssigkeit der Gehalte des Schmerzhemmers Adenosin um das 24-Fache an. Ein ähnliches Ergebnis hatte man, wenn man die Nadel einfach in das entzündete Gewebe steckte.

Ich verweise auch auf die bereits 2004 veröffentlichten „Gerac Studien“ (German acupuncture trials). Diese bisher größte Akupunktur-Studie hat erwiesen, daß es vollkommen schnurz ist, wo die Nadeln gesetzt werden, der (Placebo-) Effekt ist immer der gleiche.

Offenbar veranlaßt die winzige durch die Nadel hervorgerufene Gewebeverletzung, verstärkt durch das Drehen der Nadel, die Ausschüttung des Adenosins. Die Moleküle dieses Signalstoffs docken dann an spezielle Rezeptoren an, die auf schmerzleitenden Nervenfasern sitzen, und dämpfen dadurch den Schmerz.

Daß tatsächlich Adenosin wirkursächlich für den Erfolg der Akupunktur ist, zeigten die Wissenschaftler, indem sie das Akupunktieren in Kombination mit dem Wirkstoff Deoxycoformycin testeten, der den Abbau des Signalmoleküls im Gewebe bremst. Der Adenosingehalt im Gewebe verdreifachte sich, wodurch entsprechend die schmerzlindernde Wirkung der Akupunkturbehandlung verstärkt wurde.

Hier ein interessanter Kommentar von Andrew L. Avins, M.D., M.P.H., (Kaiser-Permanente, Northern California Division of Research, Oakland):

Die Beziehung zwischen der konventionellen allopathischen medizinischen Versorgung und der Welt der komplementären und alternativen Medizin bleibt vieldeutig.

Im Endeffekt suchen unsere Patienten unsere Hilfe, um sich besser zu fühlen und um länger und angenehmer zu leben. Es wäre optimal, den Wirkmechanismus zu verstehen, was die Möglichkeit für die Entwicklung von mehr und besseren Interventionen mit sich brächte. Die letztendlich Frage ist jedoch: funktioniert diese Intervention (oder vollständiger, überwiegen ihre Vorteile die Risiken und rechtfertigen ihre Kosten)?

Zumindest im Fall der Akupunktur haben Vickers et al. einige robuste Nachweise dafür geliefert, daß Akupunktur bescheidene Vorteile bietet im Vergleich zur üblichen Versorgung von Patienten mit chronischen Schmerzen unterschiedlichster Ursachen. Vielleicht wäre es zu diesem Zeitpunkt eine produktive Strategie, unseren Patienten Vorteile welcher Art auch immer zu verschaffen, während wir damit fortfahren sorgfältiger allen Heilungsmechanismen nachzugehen.

Ganz langsam löst sich der Panzer der Schulmedizin auf. Wenn den „Heilungsmechanismen“ wirklich sorgfältig nachgegangen wird, wird man schließlich auf die Orgonenergie stoßen. Man betrachte in diesem Zusammenhang die Geschichte des Mediziners Gabriel Stux.

Von energetischer Warte ist im Lichte dieser Forschungsergebnisse zur Akupunktur folgendes zu sagen:

Adenosin verhindert die Ausschüttung des „Streßhormons“ Noradrenalin, erzeugt eine Weitung der Blutgefäße, eine Verringerung der Herzfrequenz und ein Absinken des Blutdrucks, führt also zu einer allgemeinen Entspannung des Körpers. Oder mit anderen Worten: Adenosin wirkt vagoton, also so, als würde der Körper mit Orgonenergie bestrahlt werden.

Die Wirkungsweise der Akupunktur ist demnach denkbar einfach, was die schier unglaublich vielen Ärzte nicht gerne hören werden, die viel in aufwendige Fortbildungen investiert haben und mit dem Akupunktur-Firlefanz kräftig Geld verdienen. Das ist mittlerweile eine Millionenindustrie.

Ich bezweifle nicht, daß Akupunktur etwas mit der organismischen Orgonenergie zu tun hat, jedoch sind „Meridiane“ (in denen die Orgonenergie angeblich fließt) und spezielle Nadeln nichts weiter als mechano-mystischer Hokuspokus. Das ganze erinnert an „Reichianische“ Therapien mit ihren lächerlich ausgefeilten Körperhaltungen und Körperübungen und all dem Firlefanz mit dem „Energie in Bewegung gebracht“ werden soll. Mit Orgontherapie hat das alles herzlich wenig zu tun. Sie wissen nicht, was sie tun!

Alter, naive Medizin! (Teil 2)

13. Juni 2021

Es gibt einige Möchtegern-Orgontherapeuten, aber auch authentische Orgonomen, die in den letzten 25 Jahren sich der „Geistheilung“ zugewandt haben. Es sind durchweg Leute, die in der Vergangenheit durch ihre „spirituellen“ Interessen aufgefallen sind. Ich selbst wurde durch Zufall und ungewollt vor vielen Jahren zum Patienten eines solchen „orgonomischen Geistheilers“. Die Sitzung hat vielleicht 3 oder 4 Minuten gedauert, war nicht gerade von gegenseitiger Sympathie getragen und ich habe mich sogar innerlich gegen „diesen Humbug“ aufgelehnt, – aber trotzdem hat die Therapie gewirkt. Tatsächlich machte es „Knack“ in meinem Kopf und etwas Flüssigkeit lief aus meinen sinusitis-geschädigten verstopften Stirnhöhlen ab. Der Effekt war wohl nicht dauerhaft, aber ich kann aus eigener Erfahrung sagen, daß „Geistheilung“ nicht schlichtweg Unsinn ist.

Zunächst die Frage, was man genau unter „Geistheilung“ versteht. In meinem Fall behauptete der Heiler, das Orgonenergie-Feld des Menschen hätte verschiedene Schichten und er würde diese unterschiedlichen Schichten manipulieren. Das entspricht in etwa der Methode von Franz Anton Mesmer, mit der ich keinerlei Probleme habe und die gut reproduzierbar ist (siehe Ein Querschnitt durch das Schaffen Jerome Edens). Eine ganz andere Geschichte sind Fernheilungen, die Rolle der Intention („Geist beherrscht Materie“) oder gar das Herabrufen von Geistwesen (der Heiler als Kanal geistiger „Heilenergien“, etc.). Einfache, d.h. energetische, Erklärungen, beispielsweise „Mesmerismus“, werden, wie auch in meinem oben beschriebenen Fall, nicht akzeptiert und auf „geistigen“ (mystischen) Theorien beharrt.

Selbst wenn man eingesteht, daß es „geistige“ Phänomene gibt, sind dies durchweg überraschende Einzelereignisse, die sich nicht wiederholen lassen. Bestimmte Aspekte des Lebendigen unterliegen nicht unserer Verfügungsgewalt, obwohl Einzelfälle vollkommen unerklärlich bleiben.

2004 haben Donn Young vom Comprehensive Cancer Center und Erinn Hade vom Center for Biostatistics der Ohio State University im Journal of the American Medical Association eine statistische Studie über das „Timing“ von über 300 000 Krebstodesfällen in Ohio zwischen 1989 und 2000 veröffentlicht. Die beiden Forscher konnten nachweisen, daß Krebskranke nicht in der Lage sind, ihren Todeszeitpunkt so hinauszuzögern, daß sie an Familienfeierlichkeiten noch teilnehmen können.

Der britische Psychologe Richard Wiseman von der Universität of Hertfordshire hat 2009 mit Hilfe des Netzwerks „Twitter“ anhand von 7000 Teilnehmern gezeigt, daß Remote Viewing nicht funktioniert, obwohl 38% der Teilnehmer an solche Phänomene glaubten und 16% sogar von sich behaupteten, über derartige Fähigkeiten zu verfügen.

An vier Tagen suchte Wiseman einen jeweils anderen geheimen Ort auf. Die Teilnehmer sollten ihm über Twitter diesen Ort beschreiben. Danach ließ er ihnen Bilder von fünf Orten zukommen, darunter eines vom Ort, wo er sich gegenwärtig befand.

In allen vier Versuchen wählte die Mehrheit ein falsches Bild aus. Sobald die Teilnehmer den tatsächlichen Ort kannten, sahen 31 Prozent von denen, die ans Paranormale glaubten, allerdings eine starke Übereinstimmung zwischen ihren Gedanken und dem richtigen Bild. Demgegenüber sahen nur zwölf Prozent der Skeptiker eine solche Übereinstimmung. Diese Art des Denkens würde Menschen dazu führen, Zusammenhänge zu sehen, die es in Wirklichkeit nicht gibt, folgert Wiseman aus seinen Ergebnissen.

Das Grundproblem der „Geistheilung“ und anderer derartiger Prozeduren, etwa Remote Viewing, liegt darin begründet, daß solche Phänomene, wie erwähnt, nicht oder nur in einem sehr geringen Maße steuerbar und beherrschbar sind. Es ist sozusagen das funktionelle Gegenteil des Mechanismus, bei dem alles vorhersehbar und absolut verläßlich wie in einem Uhrwerk abläuft. Wenn versucht wird, paranormale Fähigkeiten in Nachäffung des Mechanismus zu „kult-ivieren“, beruht das auf einem grundsätzlichen Mißverständnis.

Jede Schule, ja jeder „Guru“, der „östlichen Weisheitslehren“ vertritt ein anderes System, mit dem „subtile Energien“ reguliert werden sollen. Ein Beispiel ist „Tantra“ (siehe Die Massenpsychologie des Buddhismus).

Bedrohlich wird es, wenn „Reichianer“ dieses östliche Chaos mit ihren westlichen Mißverständnissen verschlimmern und ihre „Patienten“ mit Traditioneller Chinesischer Medizin („TDM“) oder Ayurveda malträtieren. Das wird dann als „Erweiterung“ der Orgonomie verkauft. Untergründig wird dem „Patienten“ ein raunendes „Die Weisheit der Jahrtausende blickt auf dich herab!“ vermittelt. Daß dieser anti-aufklärerische Mist ausgerechnet mit dem Namen „Wilhelm Reich“ verbunden wird…

Beispielsweise bot im Juni 2006 die in Berlin ansässige „Wilhelm Reich Gesellschaft“ ein Seminar über „Tantrische Geheimtechniken der Gralsblutlinie“ (sic!) an – und das alles unter dem Namen des Autors der Massenpsychologie des Faschismus. Wie Max Liebermann angesichts der SA-Aufmärsche nach der „Machtergreifung“ sagte: „Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte.“

Reich und die moderne Psychiatrie

28. Oktober 2014

In der Medizin, im Wissenschaftsbetrieb und in den populärwissenschaftlichen Medien ist Reich heute kaum mehr als eine belächelte Kuriosität.

2005 fand sich in der wöchentlichen Standeszeitschrift Deutsches Ärzteblatt (S. A1459) eine Notiz „Sexualität und Medizin – Orgasmusreflex“, die aus einem längeren Zitat aus Reichs Die Funktion des Orgasmus (1942) über den Orgasmusreflex besteht: eine einheitliche Gesamtkörperzuckung, zuckender Plasmahaufen, Orgasmusforschung führte zum biologischen Kern der seelischen Erkrankungen, der Orgasmusreflex findet sich bei allen Lebewesen, bei Einzellern in Gestalt von Plasmazuckungen. Das Deutsche Ärzteblatt kommentiert:

Hier wird auf das Paradigma der Amöbe angespielt. – Reich (1897-1957) war 1922 bis 1930 am psychoanalytischen Ambulatorium in Wien tätig, ab 1928 Mitglied der Kommunistischen Partei; 1933 Ausschluß aus der Psychoanalytischen Vereinigung und aus der KP, im Exil ab 1934, von 1939 bis zu seinem Tod in den USA; Wegbereiter der späteren Gestalt- bzw. Körpertherapie. Seine Definition des „Orgasmusreflexes“ offenbart ein strikt biologistisches Menschenbild.

Das findet sich unter der Rubrik „Medizingeschichte(n) – ausgewählt und kommentiert von H. Schott“ neben einem zweiten kurzen Artikel, „Ärzte als Patienten – Schlaflosigkeit“. Er behandelt als medizinhistorische Kuriosität ein Zitat des Arztes Giralomo Cardano aus dem Jahre 1643.

Das populärwissenschaftlichen Magazins P.M. machte vor einigen Jahren mit der Überschrift auf „Das Geheimnis der kosmischen Lebensenergie“. Im ersten Absatz wird der „umstrittene österreichische Psychologe Wilhelm Reich“ abgehandelt:

Wie er vom nicht nur genialen, sondern auch „höflichen“ Einstein in Princeton empfangen wurde, nachdem er kurz zuvor aus der Psychoanalytischen Vereinigung wegen seiner „spleenigen Ideen“ ausgeschlossen wurde. Einstein habe Reich leider bescheinigen müssen, daß der „Lichtschein“, durch den das Orgon sich manifestieren würde, eine rein subjektive Empfindung sei.

Reich nahm sich später das Leben, immer noch fest davon überzeugt, mit Orgon die „Lebensenergie des Kosmos“ sichtbar gemacht zu haben.

Reichs Tragik sei gewesen, daß er ganz dicht dran war, an dem was die meisten Menschen auf der Welt als Tatsache betrachten. Der Rest des Artikels handelt dann von „Prana“, Schamanismus und der chinesischen Medizin. Ich kann nicht beurteilen, ob das eine ähnliche Scheiße ist, wie die substanzlosen Phantasien, die der Autor Karsten Flohr über Reich zusammengeschmiert hat. Für so einen Mist 3,50 EUR auszugeben… Allein schon das mit dem Selbstmord ist eine ungeheuerliche Frechheit! Typischer Qualitätsjournalismus!

Immerhin gibt es hier und da Ausnahmen. So beschäftigte sich 2004 Dr. Ulfried Geuter (FU Berlin) im Organ des Berufsverbandes Deutscher Psychologen (Report-Psychologie 2/2004) mit der Geschichte der körperorientierten Psychotherapie. Er mahnte:

Die Körperpsychotherapie muß die Verbindung zur Forschung suchen. Wilhelm Reich hat dies getan, da er seine Gedanken aufgrund von experimentellen und klinischen Forschungen als bessere Theorie in der Psychoanalyse verankern wollte. Es ist sicher kein Zufall, daß ausgerechnet zur Wirkung des Orgonakkumulators eine Doppelblindstudie vorliegt, die wahrscheinlich den Kriterien des Wissenschaftlichen Beirats genügen würde; ihr zufolge erhöht sich im Akkumulator die Körperkerntemperatur (Müschenich & Gebauer, 1996).

Hier bezieht sich Geuter auf ein kurzes Referat in DeMeos Orgonakkumulator-Handbuch. Das Original von 1987, Der Reichsche Orgonakkumulator, war ursprünglich die Diplomarbeit von Dr. med. Dipl.-Psych. Stefan Müschenich.

Es sei auch auf Dr. Müschenichs umfangreiche Doktorarbeit von 1995 verwiesen, die weit umfassender ist, als ihr Titel Der Gesundheitsbegriff im Werk des Arztes Wilhelm Reich anzudeuten scheint.

Reichs „Charakterlehre“ sagt aus, „daß es neurotische Symptome ohne eine Erkrankung des Gesamtcharakters nicht gibt. Symptome sind nur Gipfel auf dem Bergrücken, der den neurotischen Charakter darstellt“ (Funktion des Orgasmus, Fischer TB, S. 36). Vor Reich galt, daß „das neurotische Einzelsymptom (…) ausdrücklich als Fremdkörper in einem sonst gesunden psychischen Organismus betrachtet (wurde)“ (ebd., S. 35).

Mit dem gängigen Diagnoseschlüssel ICD-10:F hat sich die Situation sogar zugespitzt, da jede psychische Auffälligkeit als isolierte Erkrankung betrachtet wird. Im Idealfall ist sie auf Störungen der „Gehirnchemie“ zurückzuführen und kann entsprechend mit Pillen „geheilt“ werden. Diese Sichtweise ist sehr attraktiv, weil sie das Stigma von psychischen Erkrankungen nimmt. Wer etwa unter einer Sozialphobie leidet, braucht sich genausowenig zu schämen, wie jemand, der einen Gallenstein hat. Es ist etwas Isoliertes, das nichts mit dem eigenen Wesen bzw. dem „Charakter“ zu tun hat.

Gewisserweise ist diese Betrachtungsweise sogar richtig, denn unter der Voraussetzung, daß der Charakterpanzer nicht zu rigide ist, kann den einzelnen „isolierten“ Symptomen die Energie entzogen werden. Das ist eine der zentralen Aussagen von Reichs Sexualökonomie: „Der Gesunde hat praktisch keine Moral mehr in sich, aber auch keine Impulse, die eine moralische Hemmung erfordern würden. Die Beherrschung etwa noch vorhandener asozialer Impulse gelingt mit Leichtigkeit unter der Bedingung der Befriedigung des genitalen Grundbedürfnisses“ (Die sexuelle Revolution, Fischer TB, S. 30).

Jeder kann in Streßsituationen paranoid werden, sich in Zwangshandlungen verfangen, Phobien entwickeln, depressiv werden, etc. Ändert sich jedoch die Situation, kann „die Energie wieder frei fließen“, lösen sich diese Symptome in nichts auf. Panzerung ist dadurch definiert, daß die Symptome auch unter den besten Bedingungen anhalten und sich vielleicht sogar verschlimmern. Menschen verhalten sich „neurotisch“. Beispielsweise entspannen sie sich nicht etwa in einer angenehmen und freundlichen Umgebung, sondern werden noch mißtrauischer, noch depressiver, noch ängstlicher, etc. Der Energiepegel steigt und entsprechend wird die „Reaktionsbasis“ aufgeladen.

Reich ging es darum, diese „Reaktionsbasis“, beispielsweise eine chronische Augenpanzerung, aufzulösen. Erst dann lassen sich sozusagen „Restsymptome“ isoliert betrachten. Ein „genitaler Charakter“, d.h. ein „gesunder psychischer Organismus“, ist demnach kein perfektes Wesen, sondern schlicht jemand ohne chronische Panzerung, bzw. jemand, der so ist, wie es heutzutage von jedem Patienten behauptet wird: seine Symptome sind isolierte, imgrunde bedeutungslose Gegebenheiten. Das heilende „Agens“ ist die orgastische Plasmazuckung.

Nachdem Reich jahrzehntelang in der Psychiatrie als unnennbare Unperson galt, findet sich heutzutage in der Lehrbuch-Bibel der Psychiater, dem „Berger“, folgendes über Reich:

Bereits ein Jahrzehnt vor den Arbeiten Fenichels hatte Wilhelm Reich (1933 [Charakteranalyse]) einen weit umfassenderen Begriff der Abwehr formuliert. Sein Begriff des „Charakterpanzers“ beschreibt das Ergebnis eines länger währenden Bewältigungsprozesses psychosexueller Frustrationen auf kognitiver, emotionaler sowie motorischer Ebene. Das heißt, der gesamte psycho-motorische Mechanismus eines Individuums steht im Dienste der Trieb- und Bedürfnisabwehr. Dieses „Falsche-Selbst“ wird als ich-synton wahrgenommen. In Krisensituationen führen jedoch die hohe Anstrengung und der Energieverbrauch, der zur Aufrechterhaltung dieses Charakterpanzers benötigt wird, potentiell zur Dekompensation des psychischen sowie des physischen Apparates. Damit öffnete W. Reich nicht nur das Feld der Psychosomatik, sondern auch der körpereinbeziehenden Psychotherapien. (Mathias Berger (Hrsg.): Psychische Erkrankungen – Klinik und Therapie, München – Jena: Urban & Fischer, 2004, S. 887)

wr7Durchaus zwiespältig werden meine Gefühle jedoch angesichts anderer „Rehabilitationsmaßnahmen“ in Sachen Reich. Etwa der Gedenktafel, die seit 2007 an Reichs Wohnhaus in Berlin-Wilmersdorf in der Schlangenbader Straße 87 prangt. Einerseits ist es immer gut, wenn die Haupttaktik der Emotionellen Pest gegen Reich (nämlich ihn vergessen zu machen) hintertrieben wird – aber diese Tafel ist ausdrücklich eine von 18, die von den Nationalsozialisten verfolgte Psychoanalytiker ehren soll. Kann es einen größeren Albtraum geben, als posthum von Leuten „großzügig“ vereinnahmt zu werden, die… Reich wird – vergeben!

In seinem Standardwerk über Persönlichkeitsstörungen (5. Auflage, Weinheim 2001) erwähnt Peter Fiedler Reichs Ausschluß aus der Psychoanalyse. Vor allem jene Psychoanalytiker seien mit Freud in Konflikt geraten, „die den kulturellen und sozialen Faktoren eine größere Bedeutung beimaßen als den von Freud und seinen Anhängern herausgestellten biologischen Faktoren.“ (S. 79) Und weiter:

Eine ausführliche Dokumentation der Ausgrenzungsgeschichte in der Psychoanalyse findet sich u.a. bei Peter Gay (1987), der jedoch wie die meisten Biographen Sigmund Freuds die besonders unrühmlichen und bedrückenden Vorgänge um den Ausschluß von Wilhelm Reich völlig ignoriert. Daß dies bis in die Gegenwart hinein immer noch passiert, ist unglaublich (…).

In der Tat: eine Sauerei, die einen fassungslos macht! Fassungslos macht einen aber auch die Naivität von Fiedler, der nahelegt, daß sich hinter Reichs Ausgrenzung technische Differenzen zwischen Reichs „topographischer Auffassung“ und der „strukturtheoretischen Innovation seiner psychoanalytischen Kollegen“ verbergen und daß Reich schließlich auch „wegen seines dezidiert politischen Engagements nurmehr wenig Resonanz“ fand (S. 65).

Deshalb (weil Reich sich weigerte, die menschliche Psyche als ein Kasperletheater zu betrachten, in dem sich die Personen „Ich“, „Es“ und „Über-Ich“ streiten, und weil er militanter Antifaschist war) diese umfassende, bis heute andauernde Ausgrenzung, als wäre Reich der Teufel höchstpersönlich, dessen Namen man lieber nicht heraufbeschwört?

Anzumerken ist noch, daß diese kurzen Exkurse nicht recht in das Lehrbuch passen. Offenbar ist Fiedler über etwas gestolpert… Zur Vertiefung verweise ich auf das www.lsr-projekt.de.

Von der Energiemedizin zur Orgontherapie

8. September 2013

Von manchen „Reichianern“ wird gerne so getan, als sei die Reichsche Orgontherapie (psychiatrisch, medizinisch, mit dem Akkumulator und dem Medical DOR Buster) unspezifisch und es bedürfe eines Rückgriffs beispielsweise auf die chinesische Akupunktur, um zu einer wirklichen „Energiemedizin“ durchzudringen. Hat doch die Traditionelle Chinesische Medizin die „Meridiane“, die den Energiefluß im menschlichen Körper bis in die kleinsten Verästelungen beschreiben („Leitbahnen“).

Mich fasziniert dieses Thema, weil seit Mitte der 1970er Jahre ausgerechnet die Akupunktur als ein Beleg für die Existenz der Orgonenergie vorgebracht wurde. Die Meridiane sollten dazu dienen, den Fluß der Orgonenergie im Körper genauer zu beschreiben, als es Reich vermochte. Diese Leute sprachen sogar von „Himmelsakupunktur“, wenn es um Reichs Cloudbusting ging.

Dazu ist zu sagen, daß die Sache mit den Meridianen eine Mär ist. Die Traditionelle Chinesische Medizin ist ein Maoistisches und westliches Kunstprodukt. Tatsächlich hatte jede Provinz und jede Meisterschule ihr eigenes System. Zu glauben, daß ausgerechnet eines dieser zahllosen Systeme oder gar das heute „offizielle“ System irgendeine bioenergetische Bedeutung hat, zeugt von einer Naivität, die betroffen macht.

Seit einigen Jahren belegen wissenschaftliche Studien, daß erstens Akupunktur wirkt und das teilweise sogar besser als die westliche Medizin und das auch noch ohne Nebenwirkungen – und zweitens ist es vollkommen gleichgültig, wo die Nadel reingesteckt wird. Jahrelanges Pauken der Meridiane für die Katz! Oder vielleicht doch nicht, denn das ganze quasi schamanistische Brimborium, einschließlich der subjektiven Überzeugung des Akupunkteurs, daß es auf Millimeter ankommt, scheint ganz entscheidend für das Eintreten des Placeboeffekts zu sein.

Egal wo man die Nadeln auch reinsteckt, steht doch fest, daß die Akupunktur bei unterschiedlichen Arten von Kopfschmerzen wirkt. Nun hat der italienische Forscher Francesco Cerritelli von der Italienischen Ostheopathischen Akademie in Pescara zusammen mit seinen Kollegen nachweisen können, daß sich die Beschwerden von Migräne-Patienten auch mittels Osteopathie positiv beeinflussen lassen.

Dazu wurden 105 Migränepatienten in drei Gruppen aufgeteilt: die erste Gruppe erhielt die übliche schulmedizinische Behandlung mit Medikamenten, der zweiten wurden zusätzlich acht Sitzungen beim Osteopathen zuteil, mit einem speziell für Migräne entwickelten Programm, die dritte bekam zusätzliche eine unspezifische Art Massage.

Nach einem halben Jahr wurden die Behandlungsergebnisse mit Hilfe des Headache Impact Test (HIT-6) kontrolliert. In der schulmedizinischen Kontrollgruppe war der HIT-6-Wert um mehr als 2 Punkte angestiegen. In der Gruppe mit der Scheinbehandlung (unspezifische Massage) war er konstant geblieben und in der osteopathischen Gruppe um 6 Punkte gefallen. Die Unterschiede zu den beiden ersten Gruppen war jeweils statistisch signifikant (DBP- Der Neurologe & Psychiater, Juli/August 2013).

Osteopathie kommt der medizinischen Orgontherapie ziemlich nahe:

[youtube:https://www.youtube.com/watch?v=mgP7ZrEH1W4%5D