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Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 20)

29. September 2022

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Würdest du dein Leben in einem zigtausendseitigen Monumentalroman in allen kleinsten Einzelheiten beschreiben, fehlte, selbst wenn der Roman wirklich alles enthielte, eines – du selbst! Allenfalls ein sensibler Leser könnte dich in der Art wie du schreibst und dich ausdrückst, also durch deinen „Gestus“, den Unfaßbaren, den Ungreifbaren, den Unnennbaren, als immerhin unverwechselbar festmachen. Oder anders gesagt: du kannst dich nur im sozialen Verkehr ausdrücken (die Ausdruckssprache des Lebendigen) – in dem Verkehr, der Ursprung deines Bewußtseins ist. Jede andere Auffassung vom Bewußtsein endet früher oder später im Mystizismus.

Die Mär von der Selbstgewißheit und Cogito ergo sum ist Unsinn, denn, wie Nietzsche gesagt hat: das „du“ ist älter als das „ich“. Ich muß erst einen Gegenstand, etwa einen Tisch, wahrnehmen, bevor ich sekundär darauf schließen kann, daß ich wahrnehme. Die Rückwendung der Wahrnehmung gegen das Selbst ist der Beginn der Selbstentfremdung (Panzerung), wie Reich in den Schlußkapiteln der Charakteranalyse und Die kosmische Überlagerung gezeigt hat.

Wiederholt haben „Stirnerianer“ mit dem „Solipsismus“ gespielt, das dürfen sie aber nicht einmal im Scherz tun, da er das exakte Gegenteil dessen ist, wofür Stirner steht, d.h. die komplette Selbstentfremdung und damit Fremdbestimmung.

Wenn ich sage, daß unser Bewußtsein durch und durch ein soziales Phänomen ist, öffne ich damit durchaus nicht dem Über-Ich die Hintertür („fremde Stimme in meinem Kopf“), sondern ich stelle die Befreiung des Selbst erst auf eine feste Grundlage. Denn, wie Reich in Der triebhafte Charakter und im Schlußkapitel der Charakteranalyse (bzw. zwischen diesen Wegmarken) gezeigt hat, sind „die fremden Stimmen im Kopf“ bzw. das „Über-Ich“ eine Funktion des Solipsismus (okulare Panzerung).

Wechseln wir die Perspektive: Die „anderen“ haben mir gar nichts zu sagen, aber sie erkennen, wenn meine Ausdruckssprache des Lebendigen blockiert ist. Diese „anderen“ sind entweder meine Freunde (der Stirnersche „Verein“) oder wohlgesinnte, „interesselose“ Fremde – z.B. mein Orgontherapeut. Der Rest „der anderen“ geht mich nichts an und soll mich gefälligst in Ruhe lassen!

The Journal of Orgonomy (Vol. 29, No. 2, Fall/Winter 1995)

11. August 2012

In seinem Artikel „Orgone Therapy: The Application of Functional Thinking in Medical Practice. Part XVII: The Province of Medical Orgonomy“ (S. 165-174) beschäftigt sich Charles Konia u.a. mit Figuren, die zwar als „Orgontherapeuten“ und „Orgonomen“ auftreten, jedoch nicht die charakterstrukturellen Voraussetzungen dazu nicht mitbringen.

Ein besonderes Problem sind notorische Mystiker:

Mystische Menschen haben (…) einen gewissen Grad des Kernkontakts aufrechterhalten, wenn auch verzerrt (…). Obwohl einige die Orgonomie anfangs annehmen können, bauen sie sie früher oder später in ihr System von mystischen Einstellungen und Verzerrungen ein. Diese Untergruppe, diejenigen, die ihre Mystik nicht aufgeben können, sind häufig in den Tiefen ihrer Struktur psychotisch. (S. 171)

Jeder, der mystischen Lehren anhängt, kann unmöglich Orgontherapeut sein. Reich hat dazu geschrieben: „Ein Ingenieur wird bei seiner Arbeit von seinem Glauben an ein jenseitiges Glück vielleicht nicht gestört, bei einem Sexualökonomen wäre ein derartiger Glaube jedoch eine Katastrophe“ („Work Democracy in Action“, Annals of the Orgone Institute, Vol. 1, 1947, S. 32).

Was zieht dann diese armen Irren ausgerechnet zur Orgonomie? Das, was Reich als „kosmische Sehnsucht“ bezeichnet hat. Reich:

Die mystischen Vorstellungen so vieler Religionen, der Jenseitsglaube, die Lehre von der Seelenwanderung etc. entstammen ausnahmslos der kosmischen Sehnsucht; und die kosmische Sehnsucht ist funktionell in den Ausdrucksbewegungen des Orgasmusreflexes verankert. (Charakteranalyse, KiWi, S. 515)

Was diese unglückselig ver(w)irrten Seelen von uns Normalsterblichen unterscheidet, was sie erleben, hat Reich wie folgt beschrieben:

[Die] Ablösung der Funktion der Selbstwahrnehmung von den organismischen Funktionen kann in einigen Fällen nicht anders erlebt werden als in der Form „Seele verläßt Körper“ oder „Seele befindet sich außerhalb des Körpers“. Da die Wahrnehmung nur geringen und schließlich gar keinen Kontakt mehr mit den bioenergetischen Funktionen hat, die sie subjektiv widerspiegelt, erlebt man auf sehr typische Weise „Selbstentfremdung“ oder „Selbstentrücktheit“. Dementsprechend haben Prozesse wie Projektion, Trance, Depersonalisation, Halluzination usw. eine konkrete Spaltung im bioenergetischen System zur Grundlage. (ebd., S. 572)

Bei allem Mitleid und Verständnis, es wird Zeit diesen wahrscheinlich unheilbar strukturell gestörten Leuten endlich Einhalt zu gebieten. Ansonsten wird die Zukunft der Orgonomie folgendes Gesicht tragen: