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Peter liest die Laska/Schmitz-Korrespondenz (Teil 20)

30. April 2024

Laska und Schmitz diskutieren etwas hilflos über den Begriff „rational“ (S. 434f). Dazu möchte ich Folgendes, hoffentlich Erhellendes sagen, wobei auch erwähnt sei, daß Laska vor Jahren mir gegenüber die unten zitierte Stelle bei Reich als läppisch abgetan hat.

Bei Reich bedeutet „rational“ so viel wie „wirklichkeitsgerecht“. Wobei die Wirklichkeit natürlich selbst irrational sein kann. Diese „Wirklichkeit“ ist dann eben sozusagen „irrational“. Das wird unmittelbar evident, wenn ich buchstäblich „ins Freie trete“, d.h. mich dem Deutschen Wald aussetze, den wirklich praktisch Arbeitenden („Arbeitsdemokratie“), den unverbildeten Kindern und Jugendlichen – also genau das tue, was Reich tat. Pflanzen und Tiere, der Wald als Ganzes, sind immer rational. Genauso ist das „Menschentier“ immer rational. Irrational ist einzig und allein die Panzerung.

Woher dann der Einbruch der Panzerung, d.h. des Irrationalen. Wenn „die natürliche Welt“ an sich rational ist, wie kann es dann das unnatürliche Irrationale überhaupt geben? Um Reich zu zitieren: „WIE, IM NAMEN DES BARMHERZIGEN GOTTES, SIND WIR IN DIESE ENTSETZLICHE SITUATION (!, PN), IN DIESEN ALPTRAUM EINER FALLE GERATEN?“ (Christusmord, Freiburg 1978, S. 45).

Als Spezies sind wir Menschen so verdammt schwach und unterentwickelt (wie unfertige Affenembryonen, die aus dem Mutterleib gerissen wurden), daß wir nur durch den Einsatz künstlicher Organe und künstlicher Muskeln („Werkzeuge“) überleben konnten. Diese Werkzeuge haben die Tendenz, unser stets rationales Funktionieren als Lebewesen zu zerstören. Die letzte Konsequenz ist der Film Terminator. Die menschliche Panzerung ist nichts anderes als ein Werkzeug, das aus dem Ruder gelaufen ist. In diesem Sinne ist Panzerung nicht „natürlich“. Sie ist etwas ohne orgonotische Pulsation, wie ein Hammer, ein Auto oder irgendein anderes Werkzeug des menschlichen Überlebens.

Reich schreibt dazu in Massenpsychologie des Faschismus:

Was hat das Menschentier dazu gebracht maschinell zu entarten?

Wenn ich „Tier“ sage, so meine ich nichts Böses, Grausames oder „Niedriges“, sondern eine biologische Tatsache. Der Mensch entwickelte nun die merkwürdige Anschauung, daß er gar kein Tier, sondern eben ein „Mensch“ sei, der das „Böse“, „Tierische“ längst abgestreift habe. Der Mensch grenzt sich mit allen Mitteln vom bösartigen Tier ab und beruft sich, um sein „Bessersein“ zu belegen, auf Kultur und Zivilisation, die ihn vom Tier unterscheiden. Er bezeugt durch sein gesamtes Verhalten, seine „Werttheorien“, Moralphilosophien, seine „Affenprozesse“ etc., daß er nicht an die Tatsache erinnert werden will, daß er im Grunde ein Tier ist, das mit „dem Tier“ unvergleichlich mehr gemeinsam hat als mit dem, was es von sich behauptet und träumt. Die Lehre vom deutschen Übermenschen hat hier ihren Ursprung. Der Mensch bezeugt durch seine Bösartigkeit, durch seine Unfähigkeit, in friedlicher Gemeinschaft mit seinesgleichen zu leben, und durch Kriege wie den gegenwärtigen [Zweiten Weltkrieg], daß er sich von den übrigen Tieren nur durch einen maßlosen Sadismus und die maschinelle Dreieinigkeit von autoritärer Lebensauffassung, Maschinenwissenschaft und Maschine unterscheidet. Überblickt man die Resultate der menschlichen Zivilisation über lange Zeitstrecken, so findet man, daß die Behauptungen der Menschen nicht nur falsch, sondern wie eigens dazu ersonnen sind, sie vergessen zu machen, daß sie Tiere sind. Woher stammen die Illusionen der Menschen über sich selbst und wie kamen sie dazu, solche Illusionen zu bilden?

Das Leben des Menschen ist aufgespalten in ein Leben nach biologischen Gesetzen (sexuelle Befriedigung, Nahrungsaufnahme, Naturverbundenheit) und ein zweites Leben, das durch die Maschinenzivilisation bestimmt ist (maschinelle Ideen über seine eigene Organisation, seine herrschende Stellung im Tierreich, sein rassen- oder klassenmäßiges Verhalten zu anderen Menschengruppen, Wertideen über Besitz und Nichtbesitz, Wissenschaft, Religion etc.). Tiersein und Nichttiersein, biologische Verwurzelung auf der einen und technische Entwicklung auf der anderen Seite, spalten ihn in seinem Dasein und Denken auf. Alle Vorstellungen nun, die der Mensch von sich entwickelt hat, lehnen sich durchwegs an das Vorbild der Maschinen an, die er geschaffen hat. Der Maschinenbau und die Maschinenhandhabung haben den Menschen mit dem Glauben erfüllt, daß er sich selbst in die Maschinen hinein und durch sie hindurch fort – und „höher“ – entwickle. Er verlieh den Maschinen aber auch ein Aussehen und eine Mechanik, die tierartig sind. Die Lokomotive besitzt Augen zum Sehen und Beine zum Laufen, ein Maul zum Fressen der Kohlenahrung und Abfuhröffnungen für die Schlacken, Hebelarme und Anordnungen zur Produktion von Lauten. Das Produkt der mechanistischen Technik wurde so die Erweiterung seiner selbst. Die Maschinen bilden in der Tat eine mächtige Erweiterung seiner biologischen Organisation. Sie befähigen ihn, die Natur in einem weit höheren Grade zu bewältigen, als seine Hände allein es ihm ermöglichten. Sie geben ihm die Herrschaft über Raum und Zeit; so wurde die Maschine ein Stück des Menschen selbst, ein geliebtes und verehrtes Stück. Er träumt davon, daß diese Maschinen ihm, sein Leben leichter machen und ihn selbst genußfähiger machen werden. Der Lebensgenuß mit Hilfe der Maschinen ist sein Traum von jeher. Und die Wirklichkeit? Die Maschine wurde, ist und wird sein gefährlichster Zerstörer bleiben, wenn er sich nicht von ihr differenziert. (Fischer Taschenbuch, S. 296)

Arbeitsdemokratie, Emotionelle Pest und Sozialismus (Teil 3)

18. September 2020

Reich argumentierte, daß der rote Faschismus begann, als die Kommunisten die Bedeutung der Arbeit und ihre Funktion als produktivem Urquell von allem (entsprechend Marx‘ Arbeits- und Mehrwerttheorie) nicht mehr sahen und stattdessen entsprechende Versatzstücke nahmen und zu einer Morallehre verkürzten, mit deren Hilfe man Stimmung machen und „politisieren“ kann. Marx wissenschaftliche Erkenntnisse wurden durch bloße Polemik ersetzt.

Dazu muß aber auch gesagt werden, daß die Mehrwerttheorie impliziert, das kapitalistische System sei an und für sich ungerecht, sodaß alle Mittel zu seiner Beseitigung erlaubt sind. Alle Arbeiter in den USA könnten Millionäre sein, und dennoch ist das System ungerecht, weil es, gemäß der Mehrwerttheorie, ohne Änderung der Besitzverhältnisse an den Produktionsmitteln immer noch Ausbeutung gäbe. Wenn aber der Kapitalismus per definitionem ungerecht ist, führt das logischerweise zum roten Faschismus, der dergestalt direkt auf Marx zurückgeführt werden kann.

Das kapitalistische System ist aber aus zwei Gründen nicht ungerecht – wenn wir denn überhaupt derartige moralische Kategorien verwenden wollen: 1. sind wir „ungerechte“ biologische Geschöpfe, d.h. wir werden von Ehrgeiz, dem Willen zur Macht und der Weitergabe unserer Gene angetrieben; und 2. produziert der Kapitalist auch „Mehrwert“, indem er einfach ein Unternehmer, Erfinder, Manager und „Politiker“ (im besten Sinne) ist.

Für mich sind die Implikationen von Reichs „Marxismus“ zunächst einmal andere: es geht gar nicht um eine „Theorie“ (Werttheorien usw.), sondern um eine gewisse „Leidenschaft“, die gegen Ausbeutung und Machtmißbrauch gerichtet ist, und vor allem um die Einsicht, daß wirtschaftliche Faktoren eine Rolle spielen und man nicht alles, wie die Psychoanalytiker, auf Psychologie zurückführen kann, sondern Soziologie mit berücksichtigt werden muß.

Leider hängt das alles mit Marx zusammen, der ein Pestkranker und Hochstapler war. Reich hatte eine völlig falsche Auffassung von Marx. In den Archiven finden sich „CORE-Pilot“-Materialien, wo der sehr späte Reich zu seinen frühen, noch stark „rätekommunistisch“ geprägten Werken über die Arbeitsdemokratie von Ende der 1930er Jahre und zu Marx zurückkehrte und große Abschnitte aus Franz Mehrings Marx-Biographie zitierte, um Marx‘ Größe aufzuzeigen. Dabei ist alles, was uns Mehring über Marx weißmachen will, eine Lüge, Propaganda, wenn man so will „Stalinistische“ Propaganda, die mit Friedrich Engels und Karl Kautsky begann, die versuchten, Marx als sich aufopfernden und der Armut anheimfallenden Märtyrer und wissenschaftliches Genie hinzustellen.

Dank des Kapitalisten Engels lebte Marx aber tatsächlich ein sorgenfreies Leben im Luxus, oder besser gesagt, er hätte es leben können, wenn er nicht so viel Geld vor allem für fehlgeschlagene Börsengeschäfte verschwendet hätte. Von der tatsächlichen Wirtschaft hatte er nämlich nicht viel Ahnung. Ironischerweise hatte Marx, der soviel über die Arbeit zu sagen hatte, eine schlimme Arbeitsstörung und brauchte 20 Jahre, um sein Kapital zu schreiben. Ein Buch, dessen Theorie sich auf, sagen wir, 50 Seiten formulieren läßt. Der Rest ist nur unlesbares pseudointellektuelles Beiwerk, um den Leser zu beeindrucken und so zu tun, als ob in diesem ganzen unlesbaren Mist Substanz steckt, weil es ja alles so voluminös rüberkommt.

Marx ist nicht wichtig, aber das Symbol „Marx“ steht für etwas: die Arbeiterbewegung, kritische Wirtschaftstheorie (sogar Adam Smith war den Kapitalisten gegenüber kritisch eingestellt) und „Arbeitsenergie“. Mit Wohlwollen betrachtet sind die, vielleicht, ersten 200 Seiten von Kapital recht gut, denn hier wird definiert, was „Arbeit“ eigentlich ist.

Man sieht, ich habe eine dialektische Sicht auf Marx, wie sich im 4., 5. und 6. Teil erweisen wird…