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Funktionalismus bei Hans Hass (Teil 4)

2. Januar 2014

Hans Hass zufolge ist der Staat der Menschen grundsätzlich verschieden vom Tierstaat, etwa dem bei Ameisen oder Bienen, denn bei den Tieren gibt es nur jeweils eine Art (etwa Termiten), die zusammenleben, während sich der Staat aus zahllosen „Arten“, nämlich Menschen mit unterschiedlichsten Berufen zusammensetzt. Wegen der unaufhebbaren innerartlichen Aggression (die gemeinsamen Ressourcen einer „Berufs-Art“ sind begrenzt) und weil die zusätzlichen Organe nicht fest mit dem Hyperzeller verbunden sind, ist das staatliche Gewaltmonopol zum Schutz vor Gewalt und Diebstahl ein Muß, egal welche Charakterstruktur die Menschen haben, wie „rational“ und „arbeitsdemokratisch“ der einzelne Mensch und die Gesellschaft als Ganzes auch immer sein mögen. Das kommt durch den Spruch „Beim Geld hört die Freundschaft auf!“ sehr gut zum Ausdruck. (Wir sprechen hier nicht von Stammesgesellschaften mit Clanstrukturen, sondern von modernen Staaten!)

Dieses Absehen von der individuellen Charakterstruktur ist dem arbeitsdemokratischen Denken nicht so fremd, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Der Kern der „Arbeitsdemokratie“, die wechselseitige Dependenz, ist vollkommen unabhängig von der individuellen „Triebstruktur“ der Menschentiere, da die Subjekte der Arbeitsdemokratie nicht etwa Menschentiere, sondern Berufskörper sind. Reich selbst bringt diesen Gedanken wie folgt zum Ausdruck: „Es ist völlig gleichgültig, ob ein Baumeister, Arzt, Lehrer, Dreher, Erzieher, etc. Faschist, Kommunist, Liberaler oder Christlicher ist, wenn es darauf ankommt, ein Schulgebäude zu errichten, Kranke zu heilen, Kugeln zu drehen oder Kinder zu betreuen“ (Massenpsychologie des Faschismus, Fischer TB, S. 333).

Das aus orgonomischer Sicht Verwirrende bei Hass ist sein Diktum, daß auch Raub Arbeit ist. Nach Hass ist auch „Dieb“ ein Beruf, dazu zitiert er zustimmend Werner Sombart: „Nach meiner Definition ist also Arbeit ebenso die Tätigkeit, die der Dieb aufwendet, um einen Einbruch auszuüben, obwohl sie (sozial) schädlich ist.“

Der Energontheorie zufolge muß der Energieerwerb möglichst ökonomisch erfolgen, d.h. er darf selbst möglichst wenig Energie kosten. Die Devise lautet: Verfahre möglichst so, daß du möglichst schnell und möglichst präzise, bei möglichst geringem eigenen Kraftaufwand, ein Maximum an Gewinn erzielst! Was sollte da effizienter sein als Raub?! Noch besser: den Konkurrenten das von ihnen Erbeutete abjagen. Man selbst darf nichts und niemandem trauen, denn die Beute könnte einem von Konkurrenten entrissen oder man sogar selbst Opfer eines Räubers werden. Genau diese „Vorgehensweise“ beobachten wir alltäglich im Tierreich.

Und nicht nur Tiere verhalten sich so, sondern auch das Menschentier gegenüber den Umwelt. Hass:

Ob es darum ging, nach Früchten und Beeren zu suchen, Insekten aus ihren Verstecken hervorzustochern, Kaninchen aus ihren Bauten zu jagen und zu töten oder in organisierter Treibjagd Großwild den Garaus zu machen: In jedem Fall war irgendeine Rücksichtnahme auf die einmal entdeckte und gestellte Beute völlig fehl am Platz. In jedem Fall war es zweckmäßig, so viel der erbeuteten organischen Substanz zu verwerten und sicherzustellen als möglich (…). In jedem Fall war es zweckmäßig, das Raubhandwerk immer noch besser zu handhaben – jede List, jede Übertölpelung war hier ein Fortschritt und Vorteil.

Warum sollte das bei den Hyperzellern, d.h. im Berufsleben anders aussehen? Auch hier sollten Raub, Mord und Todschlag doch am effizientesten sein? – Nein, sie sind es, so Hass, dezidiert nicht, weil nämlich die Energiegewinnung im Menschenreich vollständig anderer Natur ist als im Tierreich.

Mit den Berufskörpern wird erstmals in der Entwicklung der Energone die lebensnotwendige Energie nicht mehr durch Raub, bei dem immer einer der Gewinner und einer der Verlierer ist, sondern über einen Tauschakt erlangt, bei dem alle nur Gewinner sind. „Rücksichtsloses Verfolgen der eigenen Interessen“ führt deshalb nicht zu Wohlstand, sondern (langfristig) in den Ruin. Die Nähe von Hass‘ Konzept zu dem der Arbeitsdemokratie ist offensichtlich.

Daß sich die Menschentiere entgegen aller ökonomischen Vernunft weiter so verhalten, als wären sie, wie alle Tiere vor ihnen, Räuber („Raubtierkapitalismus“), macht den von Hass beklagten „Psychosplit“ aus: der Kunde bedeutet für den Anbieter Nahrung (er kann mit seiner Hilfe sein Leben fristen) und wie bei einem bedingten Reflex löst der Kunde die Raubinstinkte des Anbieters aus.

Signalisiert jemand einen „Bedarf“, gibt er damit, ähnlich wie ein Reh das lahmt, eine seiner Schwachstellen preis. In der „freien Wildbahn“ würde diese Schwachstelle erbarmungslos ausgenutzt werden und das Reh von seinen Raubfeinden gerissen. In der Wirtschaft sieht das grundlegend anders aus: hier kann ich den Kunden (also die Quelle meiner Energie) nur für mich gewinnen, wenn ich sein Problem zu dem meinigen mache und es behebe. Natürlich hat etwa der Schuster einen kurzfristigen Vorteil, wenn er seinen Kunden mit schlechtem Material und schlechter Verarbeitung übervorteilt, – aber langfristig hat er diesen und, wenn es sich herumspricht, weitere Kunden verloren und sich so seiner eigenen Existenzgrundlage beraubt. Oder mit anderen Worten: die Erfolgsstrategie der ersten Phase der Evolution, nämlich rücksichtsloser Egoismus, führt in der zweiten Phase der Evolution in den Ruin. „Während es für den Räuber ohne Interesse und Relevanz ist, daß das Opfer ‘seiner freundlich gedenkt’, ist dies beim Erwerb über Tauschakte diametral verschieden. Hier beeinflußt ein Erwerbsakt den nächsten in entscheidender Weise.“

Für den Berufskörper sind nicht mehr die in fremdem Zellgewebe gespeicherte Energie und Stoffe die Quelle des Lebens, sondern ganz im Gegenteil der Mangel an Energie und Stoffen, unter dem andere leiden. Ein Schuhmacher braucht nicht mehr auf die Jagd gehen, nichts anpflanzen oder Vieh halten, sondern kann alles, was er benötigt, darunter Nahrung, gegen das von ihm hergestellte zusätzliche Organ „Schuh“ eintauschen, das andere zum Überleben brauchen.

Doch leider wird der Kunde allzuoft vollständig gleichgültig, denn sämtliche Triebkräfte des Anbieters fokussieren sich allzuleicht auf den „Universal-Schlüsselreiz“ Geld. Das Geld wird zum „übernormalen Schlüsselreiz“, weil sich der Anbieter mit dem Geld Nahrung und zusätzliche Organe für seinen Luxus- und Erwerbsbedarf beschaffen kann. Diese Geldfixierung ist kontraproduktiv, da effektiver Gelderwerb die Ausrichtung auf die Interessen des Kunden zur Voraussetzung hat. „Um es noch einfacher zu sagen: Um im Gelderwerb erfolgreich zu sein, ist es richtig, nicht an diesen Erwerb, sondern an die Probleme und Interessen des jeweiligen Nachfragers der eigenen Leistungen zu denken, sich möglichst auf diese zu konzentrieren – während das Geld es zuwege bringt, daß wir dies nicht tun.“

Man denke etwa auch an die von „geostrategischen Realisten“ prophezeite (oder heraufbeschworene) Rivalität zwischen den USA und China: vollkommen sinnlos, überflüssig, ökonomisch kontraproduktiv und einfach in jeder Beziehung schädlich für die USA, China und die restliche Welt. Nur strukturelle Nazis denken „geostrategisch“! Es macht Sinn, wenn sich Affenhorden bekriegen, doch bei Hyperzellern widerspricht eine solche „Interessenpolitik“ – den eigenen Interessen.

Beim Tausch, wenn er zum Gewerbe wird, ist Rücksichtnahme das allerwichtigste Werkzeug. Hier zählt nicht der Profit, den der Augenblick bringt, sondern der Kundenstamm, den man aufbaut, die Bande, mit denen man Interessenten an dem, was man zu bieten hat, an sich fesselt. Hier ist es sogar wichtig, die Notlage, in der sich der Interessent etwa befindet – weil sein Bedarf ein sehr dringender ist –, nicht auszunützen und den Preis für die eigene Leistung nicht entsprechend hoch empor zu schrauben. Das mag zwar einen guten Gewinn bringen, aber dieser Kunde ist dadurch nicht gewonnen, sondern wird sich wahrscheinlich beim nächsten Bedarf an Konkurrenten wenden. Wird dagegen der sich in Zwangslage befindende trotzdem zu einem angemessenen Preis bedient, dann wird er sich wahrscheinlich bei einem weiteren Bedarf dessen erinnern und diese entgegenkommende Haltung zu schätzen wissen. Er wird – wie mit einem Gummiband an diesen Leistungsanbieter gefesselt – sehr wahrscheinlich zu diesem zurückkehren. – Und zwar nicht, weil dieser „gut“ war, sondern weil dieser „klug“ war.

Was Hass so überaus anziehend macht, ist, daß er sich im Gegensatz zu anderen „biologistischen“ Theorien gegen „die Meute“ auf die Seite der Schwachen stellt:

Renne nicht mit dem großen Haufen, sondern suche nach einer Bedarfslücke! Mache nicht das gleiche, was auch die anderen tun, sondern entwickle deine eigene, notfalls engbegrenzte Spezialität! Eine enge Zielgruppe überzeugend besser zu befriedigen als die Konkurrenten, schafft größere Aufstiegschancen, als sich auf die verschiedensten Kunden zu verzetteln!

Man ist erfolgreich, wenn man dem Getümmel der Konkurrenten entwischt. Reiht man sich wieder ein, bekommt man die Folgen zu spüren. Entsprechend sind es gerade die Schwachen, Behinderten, Außenseiter, Unterprivilegierten und alle die von der Norm abweichen, die Erfolg haben können, weil sie nicht mit der Masse gehen und einen eigenen Zugang zu abwegigen Sonderbedürfnissen haben. Aber was sieht man stattdessen: überall das „gesunde“ Herdentier!

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Zum Gedenken an Hans Hass (Teil 1)

6. Juli 2013

Dies ist eine Fortführung meines Aufsatzes Zum Tode von Hans Hass.

Hans Hass war ganz wie Reich Funktionalist und Energetiker:

Die Verwandtschaften, die von der Energontheorie her wichtig sind, lassen sich nicht in das Schema Homologie-Analogie pressen. Was hier bedeutsam wird, ist weder der phylogenetische Zusammenhang noch äußerlich ähnliches Aussehen. Ein Antikörper im Blut, ein Stachel und ein Rezept für Fluchtverhalten sind weder homolog noch anlog (und auch nicht „konvergent“) – und doch sind sie gemeinsam zu beurteilen. Sie dienen dem gleichen Funktionskomplex: der Abwehr von Räubern. Sie sind „funktionsverwandt“. In der Bilanz, die das Existenzrückgrat, „Erwerbs- und Konkurrenzfähigkeit“ aufzeigt, gehören sie in die gleiche Rubrik. (Hass: Naturphilosophische Schriften, München 1987, Bd. 3, S. 255)

Daß Hass so gut wie der einzige Weiterführer der Ostwaldschen Energetik ist, liegt an der ernsten Krise, in die die Energetik geriet, als Anfang dieses Jahrhunderts der Nachweis der bis dahin rein hypothetischen Moleküle und Atome gelang, die durch ihre „Wärmebewegung“ die thermodynamischen Gesetze im Rahmen mechanischer Modelle erklärbar machten. Wilhelm Ostwald warf vergebens ein, daß die neue Physik alle Größen, und hier insbesondere die Masse, als veränderlich erwiesen habe und nur der Energieerhaltungssatz sich als unumstößliche Grundlage der Physik bewährt habe. Auch Hans Hass hebt die Energie als die fundamentale Größe schlechthin hervor und beruft sich dabei auf die Quantenmechanik. Nicht die Energie sei eine Funktion materieller Partikel oder Stoffe, vielmehr seien sie umgekehrt eine Erscheinungsform von Energie.

Die energetische Weltsicht ermöglichte eine beträchtliche Vereinfachung des Denkens, da sich mit Blick auf die Energie und ihre Umwandlung sämtliche Strukturen der Lebenswelt in ein und dasselbe Begriffssystem einordnen ließen. So konnten sich Biologen, Wirtschafts- und Staatswissenschaftler austauschen und dabei Erkenntnisse in einem Gebiet zur Erklärung von Phänomenen in einem anderen heranziehen. Die Nähe zum orgonomischen Funktionalismus Reichs ist offensichtlich. In einer energetischen Betrachtung der materiellen Strukturen steht einzig ihr Funktionieren, ihr Energiehaushalt, bzw. ihre Funktion im Energiehaushalt, im Mittelpunkt. In dieser Beziehung haben z.B. eine Pflanze und ein Wirtschaftsunternehmen „auf den ersten Blick“ wirklich nichts miteinander zu tun, betrachtet man sie jedoch abstrakt vom Standpunkt ihrer Energiebilanz her, sind sie funktionell identisch.

Das Konzept, daß eine Erwerbsorganisation ein Organismus ist, ist auch der Orgonomie alles andere als fremd. Reich hat z.B. die organisierte Orgonomie als einen lebendigen Organismus betrachtet, dessen „Organe“ die einzelnen Funktionsträger der Orgonomie sind. Das jeweilige einzelne Organ müsse „langsam, behutsam und geduldig in eine kontinuierliche, wohlgeordnete und (…) ‚disziplinierte‘ Koordination und Kooperation mit der Gesamtfunktion hineinwachsen“ (Reich/Neill: Zeugnisse einer Freundschaft, Köln 1986, S. 576).

Auch läßt sich die Arbeit des „Organisations-Therapeuten“ Martin Goldberg nennen, wie er sie im Journal of Orgonomy dargelegt hat. Goldberg zufolge kann man die „arbeits-psychologische“ Entwicklung von Wirtschaftsunternehmen genauso fassen, wie es die Psychoanalyse und die Orgonomie mit der „sexual-psychologischen“ beim einzelnen Menschen getan haben. Störungen während der „libidinösen“ Entwicklung bestimmen den Charakter der Organisation entsprechend der Charakterentwicklung des Individuums. Entweder geht ein solches System zugrunde oder es entwickelt sich ein neues biopathisches Gleichgewicht, eben der neurotische Charakter des Menschen bzw. der Organisation. Diese neurotischen Charakterstrukturen können behandelt werden, indem man die Panzerungen auflöst.

Den sieben Panzersegmenten im Individuum entsprechen die drei funktionellen Grundstrukturen einer Organisation: der „Kopf“, der der Arbeit Richtung verleiht; die mittlere Ebene, die alles für die Produktion bereitstellt und organisiert; und der arbeitende Kern, der die Arbeitsleistung vollführt. Dies entspricht dem leitenden Management, dem mittleren Management und der Arbeitsebene. Aufgabe des ersten Segments ist die grundlegende Ausrichtung der Arbeit, des zweiten die Organisierung des Arbeitsflusses und des dritten die Entladung der Arbeit durch Wechselwirkung mit der Umwelt. Ziel der Goldbergschen „Organisationstherapie“ ist die „Befähigung von chronisch blockierten Systemen ihre Arbeitsenergie wieder frei in einer produktiven, befriedigenden Art und Weise zu entladen“. Dies entspricht genau dem Ziel der individuellen Orgontherapie hinsichtlich der Sexualenergie.

Nach Reich bildet sowohl der Organismus als auch die „Arbeitsdemokratie“ in der Gesellschaft „ein natürliches Kooperativ gleichwertiger Organe verschiedener Funktion“. Mit Hilfe der Energontheorie läßt sich nun diese organismische Vorstellung der Arbeitsdemokratie konkretisieren: es kann Arbeitsdemokratie nur dort geben, wo die „organismischen“ Voraussetzungen gegeben sind, d.h. einzig und allein zwischen Menschen, die sich wechselseitig zu zusätzlichen Organen gemacht haben. Demnach stehen z.B. der Gerber und der Schuhmacher in einem arbeitsdemokratischen Verhältnis. Der Friseur wird zu einem „Pflegeorgan“ seines Kunden, während der Kunde zu einem „Leistungsorgan“ des Friseurs wird (er schafft Geld und weitere Kunden herbei). In der Sklaverei wäre dieses Verhältnis einseitig.

Für jede Kooperation gilt, daß die entstehende Gemeinschaft als neues größeres Energon anzusehen ist, sofern der Nutzen bei getrennter Tätigkeit insgesamt geringer als bei vereinter Tätigkeit ausfällt. Bei Symbiosen, in denen jeder Partner für den anderen bloß eine von diesem benötigte Leistung erbringt, liegt ein aus geringfügig integrierten Teilen bestehendes Energon vor. Je vielseitiger die funktionelle Verflechtung zwischen den Kooperationspartnern wird, desto mehr steigert sich die Integration des von ihnen gebildeten Energons. (Hass und H. Lange-Prollius: Die Schöpfung geht weiter, Stuttgart 1978, S. 145)

Diese engere arbeitsdemokratische Integration beinhaltet aber gleichzeitig die Gefährdung eben dieser Arbeitsdemokratie. Das kann man sich am Übergang von den unabhängigen Einzellern zum festen Verband des Vielzellers vergegenwärtigen. Einerseits konnte, ganz entsprechend dem Reichschen Konzept der Arbeitsdemokratie, der Einzeller den gesamten Organismus als sein Organ betrachten, doch andererseits wurde der Einzeller auch zu einem austauschbaren Rädchen in einem zum Selbstzweck gewordenen Gesamtgefüge. Beim Übergang von voneinander unabhängigen, „freiberuflichen“ Berufskörpern zum festen Verband einer Erwerbsorganisation ergeben sich entsprechende Vor- und Nachteile, doch hier fallen die letzteren mehr ins Gewicht, da der Erfolg der Erwerbsorganisation mit der Überwindung des „föderativen Aufbaus“ verbunden ist. So ist die Arbeitsdemokratie gerade auf dem Höhepunkt ihrer Naturgeschichte am stärksten gefährdet.

Wie sich wirtschaftliche Probleme aus energontheoretischer Sicht darstellen, wird exemplarisch an folgendem Zitat deutlich:

In der gesamten Lebensentfaltung spielte der Konkurrenzkampf stets eine überaus wichtige Rolle. Er sorgte dafür, daß weniger Geeignetes auf der Strecke blieb und besser Geeignetes sich durchsetzte. Auch Partnerschaft und Synergie unterliegen dieser Auslese. Nur wenn solche Verbindungen zur Ausbildung von Strukturen höherer Leistungskraft führen, also zu stärkerer Konkurrenzfähigkeit, können sie bestehen. In der Wirtschaft führt Abdrosselung des Konkurrenzkampfes – wie etwa bei Monopolstellungen oder in den zentralverwaltungswirtschaftlichen Ländern kommunistischer Prägung – unweigerlich zum Stagnieren des Fortschrittes in wesentlichen Bereichen. Besteht nicht die Möglichkeit, daß Bessergeeignetes sich durchsetzt, dann lohnt es nicht der Mühe, solches zu erzeugen. Andererseits ist allzu harter Konkurrenzkampf (…) ganz ebenso für den Fortschritt nicht förderlich. Die Konkurrenten reiben sich dann in einigen Sektoren untereinander auf, was dem „Verbraucher“ vielleicht in Gestalt von Preisunterbietungen zugute kommt (…) aber insgesamt weder ihm noch der Volkswirtschaft dient. Gibt es in einer Stadt 30 Buchhandlungen, die alle die gerade am meisten gefragten Titel anbieten, dann wirkt jeder gegen den anderen so gut er kann. Richten sich dagegen einzelne auf „Teilzielgruppen“ aus – profilieren sie sich auf verschiedene Nachfragerwünsche – der eine auf Belletristik, der zweite auf wissenschaftliche Literatur, weitere auf Kinder- und Jugendbücher, auf Antiquariat, auf Gartenpflege, auf Taschenbücher etc., dann wird das verfügbare Angebot und die individuelle Betreuung der Kunden in dieser Stadt wesentlich verbessert und der Konkurrenzkampf entschärft. Die Marktwirtschaft ermöglicht ein immer stärker differenziertes Angebot, was zu immer neuen Spezialisierungen führt. Bei der Evolution der Tiere und Pflanzen zeigte bereits die so ungeheuer vielfältige Artenbildung den gleichen Trend, das gleiche sich nun in der Wirtschaft fortsetzende Lebensgesetz. (Hass: Der Hai im Management, München 1988, S 163f)

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The Journal of Orgonomy (Vol. 45, No. 1, Spring/Summer 2011)

9. März 2013

Der Inhalt von Robert A. Harmans Aufsatz „Practical Functional Economics (Part III): The Form of Movement in Exchange“ (S. 52-83) läßt sich mit der folgenden grundlegenden orgonometrischen Gleichung zusammenfassen. Sie beschreibt einen Gutteil des Funktionierens im Universum auf allen fünf Ebenen der Existenz:

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Die orgonotische Erregung in der Wirtschaft wurde bereits beschrieben: sie hängt mit dem Kreditsystem zusammen. Auf den drei höheren Funktionsebenen äußert sich die orgonotische Erregung auf folgende Weise (wobei jeweils nur Beispiele genannt werden):

  1. Pulsation: Die Erregung (und mit ihr sekundär Geld) fließt gemäß den diversen Wirtschaftszyklen in die ökonomische Peripherie, beispielsweise aus den „Finanzzentren“ (insbesondere New York) zur „Peripherie“ (Expansion), und zurück (Kontraktion). Das sind weitgehend die „Wirtschaftszyklen“, deren Urmuster die von den Jahreszeiten bestimmte Agrarwirtschaft ist: Finanzierung der Aussaat (Expansion) → „Tribute“ ans Zentrum zur Erntezeit (Kontraktion).
  2. Kreiselwelle: Der Bau einer Fabrik ist ein Beispiel für die Pulsfunktion, „die im Kleinen wirkt“. Das geht dann über in die weit ausgreifende Wellenfunktion. Man denke insbesondere an kleine Firmen, die jahrelang, ständig am Rande der Insolvenz stehend, „vor sich hin werkeln“, bis der Durchbruch kommt und die Märkte landes-, wenn nicht weltweit erobert werden. Dieser „lange Atem“ fehlt heute den meisten.
  3. Verbindung: Das beste Beispiel für die orgonotische Funktion „Assoziation“ im Bereich der Wirtschaft ist die Beschäftigung eines Arbeitnehmers. Hier geht es um die Kooperation durch einen speziellen Austausch, in dem der Arbeitnehmer sein Geld zumeist lange vor der Zeit erhält, in der seine Arbeit die entsprechenden monetären Früchte trägt. Erntearbeiter erhalten beispielsweise ihren Lohn lange bevor die Ernte verkauft ist – wenn sie überhaupt verkauft werden kann. Von Seiten des Arbeitnehmers ist die Verbindung kaum weniger tiefreichend, hängt doch seine gesamte Existenz von der Arbeit ab, die den weitaus größten Teil des Tages in Anspruch nimmt.
  4. Trennung: Das funktionelle Gegenstück zur orgonotischen Funktion „Dissoziation“ ist die Arbeitsteilung im Betrieb. Die „Claims“ sind abgesteckt und so eine effektive Zusammenarbeit ohne Reibungsverluste zum Vorteil aller gesichert.
  5. Erstrahlung: Die Konkurrenz, die auf allen Ebenen des Gesamtsystems (sei es die Konkurrenz zwischen Arbeitnehmern oder die zwischen Firmen) für Effektivität sorgt, bringt die Gesamtwirtschaft voran. Wobei diese und die beiden vorangehenden Funktionen (3 und 4) Ausdruck der „koexistierenden Wirkung“ sind. Das bedeutet, die einzelnen Elemente wirken als Einheit, ohne daß es einen trennenden Raum zwischen ihnen zu geben scheint (L → t): Menschen „wirken zusammen“ zum gemeinsamen besten aller.
  6. Koexistierende Wirkung: Diese tiefere Ebene zeigt sich anhand einer Wirtschaftsfunktion, die heute kaum noch eine, früher jedoch die entscheidende Rolle spielte: das Erbe als Geschenk und Verpflichtung. Es ist als gäbe es keine Zeit (t → L): wir arbeiten als Profiteure unsere Vorväter, wobei wir unsere Schuld als Vorleistung für unsere Ungeborenen abarbeiten.

Zum Funktionsbereich der koexistierenden Wirkung siehe auch hier.

Die gleichen sechs Erscheinungen einer durch „Kredit“ aufrechterhaltenen Arbeitsdemokratie finden wir auch, wenn die Emotionelle Pest im Spiel ist, nur entsprechend entstellt. Harman schreibt dazu:

Die umfassende Beschäftigung mit gepanzerten Wirtschaftssystemen hat mich davon überzeugt, daß alle unnatürlichen Bewegungen, etwa Booms, Paniken und andere wirtschaftlich irrationalen Verhaltensweisen, dort auftreten, wo es zu einem Ausbruch der Emotionellen Pest gekommen ist. Solche unnatürlichen Prozesse beinhalten Pest-Funktionen, die den natürlichen Formen der Bewegung, die hier beschrieben werden, entsprechen und sie imitieren. Die Pest-Funktion ähnelt in der Regel oberflächlich der natürlichen Funktion, ist aber auf der tiefsten Ebene das genaue Gegenteil. (S. 78)

The Journal of Orgonomy (Vol. 44, No. 2, Fall 2010/Winter 2011)

1. März 2013

In „Practical Functional Economics (Part II): How Exchange Organizes Society“ (S. 31-51) führt Robert A. Harman aus, daß sich Gesellschaften spontan organisieren, indem Menschen wechselseitig mehr oder weniger längerfristige Verpflichtungen eingehen, die wiederum auf grundlegende menschliche Bedürfnisse zurückgehen:

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Selbstredend spielt dabei immer das Selbstinteresse des Einzelnen mit, doch das organisierende Prinzip der Gesellschaft geht aus den Beziehungen hervor, die durch den Austausch von Darlehen erzeugt werden.

Die konventionelle Ökonomie geht von der Homogenität der Zeit aus und beschreibt entsprechend „Wachstumsraten“, so als gäbe es keine qualitativen Unterschiede zwischen Vergangenheit und Zukunft. Im Verlauf eines Darlehensaustausches entwickeln sich jedoch Erinnerungen über die Gewinne und die Verpflichtungen, die in der Vergangenheit erzielt bzw. eingegangen wurden und Erwartungen über zukünftige Gewinne und Verpflichtungen. Entsprechend sind „an sich“ identische Dinge, etwa eine bestimmte Summe Geld, in der Vergangenheit, sagen wir vor einem Jahr, etwas grundlegend anderes als „die gleiche“ Geldsumme in einem Jahr. Das Umfeld und die innere Einstellung des Wirtschaftsteilnehmers verändern sich ständig.

Er hat langfristige Vertrauensbeziehungen zu seinen fachkundigen Mitarbeitern, seinen Lieferanten, seinen Kunden, seinen Kreditgebern und weiteren. Jede dieser Beziehungen basiert darauf, daß sich beide Parteien im Laufe der Zeit ändern, um ihre hochspezialisierten Aufgaben erfüllen zu können. Diese Änderungen treten auf, weil die Beteiligten in unzählige kredit-artige Austauschoperationen eintreten, in denen jeder etwas jetzt gibt mit der Erwartung in Zukunft etwas qualitativ anderes zu erhalten. Ein Teil dieser Transaktionen werden mit einem juristischen Dokument zementiert, das bindende Zahlen- und Zeitvorgaben enthält. Andere beinhalten kaum mehr als die Hoffnung auf zukünftige Produktivität, Weiterbeschäftigung, Karriereaussichten, zukünftige Absätze, zuverlässige Lieferquellen, usw. Wir haben hier Menschen vor uns, aus denen tatsächlich hochentwickelte, aber veränderbare Arbeitsfunktionen werden, die mit unzähligen anderen Arbeitsfunktionen in einem sich ständig weiter entfaltenden Gewebe Beziehungen herstellen, die sich ständig verändern. (…) Dies geschieht, weil außerordentlich leistungsfähige Beziehungen durch kredit-artige Austauschoperationen hergestellt werden, die sich über lange Zeiträume erstrecken und weil diese Zeit heterogen ist. (S. 45)

Der Darlehensaustausch erlaubt es Individuen und ganzen Firmen neue Gemeinsame Funktionsprinzipien (CFPs) zu werden und diese CFPs gegebenenfalls zu ändern. Auf diese Weise reorganisiert sich die Gesellschaft ständig auf spontane Weise. Der Austausch wird am besten durch das Geld verkörpert.

Der Zusammenbruch dieses Austauschs ist ein Beispiel für die Emotionelle Pest. Man betrachte etwa die tieferen Ursachen für die seit 2008 anhaltende Weltwirtschaftskrise:

Dieser Zusammenbruch war Resultat eines früheren, weniger offensichtlichen Zusammenbruchs des Austauschs in Gestalt der Beziehung zwischen den USA und China. China verleiht große Geldmengen an das US-Finanzministerium, um den Wert der chinesischen Währung auf einem „wettbewerbsfähigen“ Niveau zu halten. Das Wesen dieser Finanzaktionen schließt jeden Rückzahlungsanspruch aus, da China den USA ständig mehr Geld leihen (d.h. mehr US-Staatsanleihen und Schuldverschreibungen kaufen) muß und die Schuldverschreibungen nicht ohne eine verheerende Aufwertung seiner Währung verkaufen kann. Der ultimative Zusammenbruch der Austausch-Funktion ist die Ausbeutung des einzelnen Sparers in China, der letztlich die ganze Operation zu finanzieren hat, weil ihm keine Alternative zur Verfügung steht (außer riskanten Spekulationen in den chinesischen Immobilien- und Aktienmärkten) als seine Geldmittel in staatlich kontrollierten Banken zu deponieren, die Zinsen weit unter der Inflationsrate bieten. Diese Einlagen finanzieren außerdem die nicht enden wollende Liquidation fauler Kredite, die von den Banken ausgegeben wurden, was noch einen weiteren Zusammenbruch der Austauschfunktion darstellt. Die Beträge, um die es in allen drei Fällen geht (Kredite an die USA, schlechte Zinsraten für chinesische Bankeinlagen und kumulative Verluste aus faulen chinesischen Bankdarlehen), gehen in die Billionen von Dollar. (S. 49)