Paul Ritter hat das historische Verdienst zwischen 1954 und 1964, also zu einer Zeit als die Orgonomie faktisch stillgelegt war, mit seiner unabhängigen Zeitschrift Orgonomic Functionalism, die zu ihrer besten Zeit gerade mal 50 Leser hatte, zumindest für etwas Kontinuität und ein Minimum an „Öffentlichkeit“ zu sorgen. Daß der eine oder andere Beitrag grenzwertig war, hat kaum Schaden angerichtet. Was Schaden angerichtet hat, war Ritters unerschütterliches Selbstvertrauen. Er betrachtete sich als einen Menschen, der weitgehend gesund ist:
Swelled headed as it may sound, I have had to come to the conclusion, over the last ten years, that I am sufficiently unarmored and genitally structured to be able to treat, without having been treated. (Orgonomic Functionalism, Vol. 6, No. 5, September 1959, S. 163)
Seit 1949, als er 24jährig damit anfing als „Orgontherapeut“ zu arbeiten, sah er sich zu der Schlußfolgerung gezwungen, daß er ausreichend „ungepanzert und genital strukturiert“ sei, um zu behandeln, ohne selbst behandelt worden zu sein. Also ein zweiter Wilhelm Reich (der immerhin drei Analysen zumindest angefangen hatte!). Seine Äußerungen zeigen jedoch, daß er so gut wie keinen Zugang zum orgonomischen Funktionalismus hatte – dem Titel seiner Zeitschrift. Ich bin darauf an anderer Stelle kurz eingegangen (http://www.orgonomie.net/hdobespr3.pdf, S. 96).
Der Zeitzeuge Walter Hoppe hat in seinem Buch über die Emotionelle Pest auf zwei Druckseiten Ritter abgehandelt. Reich habe Ritter nicht nur aufgefordert, nicht als „Therapeut“ tätig zu sein, sondern auch den Titel seiner Zeitschrift zu ändern. Reich verurteilte, so Hoppe weiter, „die irrationale Überheblichkeit und Polyphragmasie“ (Vielgeschäftigkeit) Ritters.
Reich hatte trotz anfänglichem Kredit Ritter in dem Moment abgelehnt, als er sah, daß Ritter seine Kompetenzen weit überschritt und ohne entsprechende Kenntnis in die Orgonomie eingriff, ja den Viertakt der Orgasmusformel eigenmachtig in einen Dreitakt verwandelte. Seine Ablehnung von Ritter drückte Reich mir gegenüber in einem Brief vom September 1954 u.a. in der Form aus: „Wissenschaft ist keine Angelegenheit demokratischer Meinungsbildung, sondern Sache der Erfahrung und des Beweises.“ Reich bat mich 1953 in Amerika von meinem verabredeten Treffen mit Ritter in England abzusehen, da er den Versuch machen konnte, sich damit offiziell Rückendeckung zu verschaffen. (Hoppe: Wilhelm Reich und andere große Männer der Wissenschaft im Kampf mit dem Irrationalismus, München 1984, S. 226)
Reich habe Ritters „Dreitakt“ „schärfstens“ abgelehnt. Es geht dabei um die Abfolge „Attraction – Fusion –Liberation“, also Anziehung, Verschmelzung und Befreiung. Dies sei, Ritter zufolge, DAS „Grundmuster“ allen Funktionierens der kosmischen Orgonenergie – so jedenfalls der Umschlagtext jeder Ausgabe von Orgonomic Functionalism. Davon findet sich nichts bei Reich, es ist der Beitrag Ritters zur Orgonomie (http://www.orgonomie.net/hdobespr3.pdf, S. 146).
In der Mystik strebt alles nach Einheit und Befreiung. Bei Ritter ist es direkter Ausdruck seiner links-liberalen Charakterstruktur und der ihr eigenen Form von „Mystik“, die sich nach Einheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und „Liberation“ sehnt. Gleichzeitig ist Ritters Dreitakt, der sich letztendlich auf den Zweitakt „Zusamengehen und wieder Auseinandergehen“ reduzieren läßt, von einer mechanistischen Krudität, die die Orgonomie zu einer leeren, nichtssagenden Hülle entleert. Vielleich könnte man an Pulsation denken, aber was Ritter hier aus funktioneller Sicht wirklich beschreibt, ohne es auch nur ansatzweise zu begreifen, ist, daß Erstrahlung zu Anziehung führt und Anziehung zu Erstrahlung. Wie in der Liebe: das wechselseitige Erstrahlen des Energiefeldes von Mann und Frau führt im Rahmen der kosmischen Überlagerungsfunktion zwingend zur genitalen Verschmelzung (Erstrahlung → Anziehung). Umgekehrt: man fühlt sich magisch zueinander hingezogen und, Bumms, ist man Halsüberkopf ineinander verliebt (Anziehung → Erstrahlung). Bei Ritter verschmiert das alles in einer „Reichianischen“ Wirrnis.