Posts Tagged ‘Einheit’

Max Stirner, Soter (Teil 9)

25. Mai 2025

Das Recht ist die Gewalt des Staates, das Verbrechen die Gewalt des Einzelnen (Der Einzige, S. 216). „Und die Gesetze eines Volkes umgehe Ich, bis Ich Kraft gesammelt habe, sie zu stürzen“ (Der Einzige, S. 183). „Das Recht ist der Geist der Gesellschaft“ (Der Einzige, S. 204) – und stempelt mich zum Verbrecher, wenn ich ich bin. Das Recht, ursprünglich bzw. rationalerweise ein Interessenausgleich zwischen Individuen, ein Werkzeug meiner Macht, wurde zu einer heiligen fixen Idee, die mich, ihren Schöpfer, auslöschen will. Die Energontheorie Hans Hass‘ beschreibt nichts anderes: der Mensch erschuf sich seine Umwelt, um leben zu können und brachte es zu einer ungeheuren Machtsteigerung – nur um festzustellen, daß sich alles gegen ihn, den Schöpfer, wendet; manipuliert, abhängig und kurz vor der Auslöschung. Was bei Stirner der „Einzige“ ist, ist bei Hass die „Keimzelle Mensch“.

Stirner polemisiert insbesondere gegen das „Naturrecht“. Nicht „die Natur“ gebe mir etwas, sondern einzig und allein meine Macht. Es behauptet beispielsweise, die Eltern hätten „von Natur“ Rechte gegen ihre Kinder, was die anderen (die Kommunisten) ebenfalls mit Berufung auf „die Natur“ bestreiten (Der Einzige, S. 206). Dieser Streit „Recht gegen Recht“ wird beendet und ein gedeihliches Zusammenleben erst möglich durch etwas Drittes (siehe dazu aber weiter unten in diesem Post!), das den Streit aufhebt: den Einzigen. „Ich und das Egoistische ist das wirklich Allgemeine, da jeder ein Egoist ist und sich über alles geht“ (Der Einzige, S. 198). „Ob Ich Recht habe oder nicht, darüber gibt es keinen andern Richter, als Mich selbst. Darüber nur können Andere urteilen und richten, ob sie meinem Rechte beistimmen, und ob es auch für sie als Recht bestehe“ (Der Einzige, S. 205). Nur das garantiert die Gleichheit freier Personen, d.h. es ist die einzige Möglichkeit einer Einheit von Freiheit und Gleichheit (Parerga, S. 96).

Die vollendete Trennung schlägt in den Verein, die „Verein-igung“ um. Während derjenige, der nach dem Ideal, nach Wahrsein, Gutsein, Sittlichsein u.dgl. strebt, jeden scheel ansieht, „der nicht dasselbe ‚Was‘ anerkennt, dieselbe Sittlichkeit sucht, denselben Glauben hat: er verjagt die ‚Separatisten, Ketzer, Sekten‘ usw.“ (Der Einzige, S. 372) – und sorgt durch seinen Vereinigungsfimmel für ewigen Streit und Konflikt. Stirner weist beispielsweise darauf hin, daß es nichts bringe, wenn man die damaligen 38 deutschen Staaten dadurch vereinigen wollte, indem man die Bevölkerungen auf das ihnen gemeinsame „Deutschtum“ verweisen würde. Denn nur Einzelne können miteinander in Verein treten, „und alle Völker-Allianzen und Bünde sind und bleiben mechanische Zusammensetzungen, weil die Zusammentretenden, soweit wenigstens die ‚Völker‘ als die Zusammengetretenen angesehen werden, willenlos sind. Erst mit der letzten Separation endigt die Separation selbst und schlägt in Vereinigung um.“ Das „Deutschtum“ trage die Notwendigkeit der Spaltungen und Separationen in sich, „ohne gleichwohl bis zur letzten Separation vorzudringen, wo mit der vollständigen Durchführung des Separierens das Ende desselben erscheint: Ich meine, bis zur Separation des Menschen vom Menschen“ (Der Einzige, S. 254).

Man hat immer versucht die „Andersdenkenden“ zu integrieren, indem man das umfassendere Gemeinsame suchte. „Allein warum sollte Ich nur anders über eine Sache denken, warum nicht das Andersdenken bis zu seiner letzten Spitze treiben, nämlich zu der, gar nichts mehr von der Sache zu halten, also ihr Nichts zu denken, sie zu [vernichten]?“ (Der Einzige, S. 379).

Der letzte und entschiedenste Gegensatz, der des Einzigen gegen den Einzigen, ist im Grunde über das, was Gegensatz heißt, hinaus, ohne aber in die „Einheit“ und Einigkeit zurückgesunken zu sein. Du hast als Einziger nichts Gemeinsames mehr mit dem Andern und darum auch nichts Trennendes oder Feindliches; Du suchst nicht gegen ihn vor einem Dritten Recht und stehst mit ihm weder auf dem „Rechtsboden“, noch sonst einem gemeinschaftlichen Boden. Der Gegensatz verschwindet in der vollkommenen – Geschiedenheit oder Einzigkeit. Diese könnte zwar für das neue Gemeinsame oder eine neue Gleichheit angesehen werden, allein die Gleichheit besteht hier eben in der Ungleichheit und ist selbst nichts als Ungleichheit: eine gleiche Ungleichheit, und zwar nur für denjenigen, der eine „Vergleichung“ anstellt. (Der Einzige, S. 229)

Orgonometrie bei Hegel, Marx, Engels und Lenin

1. September 2024

1847 schrieb Marx in Bezug auf Hegels dialektische Methode:

[Die These spaltet sich] indem sie sich selbst entgegenstellt, in zwei widersprechende Gedanken, in Positiv und Negativ, in Ja und Nein. Der Kampf dieser beiden gegensätzlichen, in der Antithese enthaltenen Elemente bildet die dialektische Bewegung. Das Ja wird Nein, das Nein wird Ja, das Ja wird gleichzeitig Ja und Nein, das Nein wird gleichzeitig Nein und Ja; auf diese Weise halten sich die Gegensätze die Waage, neutralisieren sie sich, heben sie sich auf. Die Verschmelzung dieser beiden widersprechenden Gedanken bildet einen neuen Gedanken, die Synthese derselben. Dieser neue Gedanke spaltet sich wiederum in zwei widersprechende Gedanken, die ihrerseits wiederum eine neue Synthese bilden. Aus dieser Zeugungsarbeit erwächst eine Gruppe von Gedanken. Diese Gedankengruppe verfolgt dieselbe dialektische Bewegung wie eine einfache Kategorie und hat zur Antithese eine gegensätzliche Gruppe. Aus diesen zwei Gedankengruppen entsteht eine neue Gedankengruppe, die Synthese beider. Wie aus der dialektischen Bewegung der einfachen Kategorien die Gruppe entsteht, so entsteht aus der dialektischen Bewegung der Gruppen die Reihe (série) und aus der dialektischen Bewegung der Reihen das ganze System. (…) So ist für Hegel alles, was geschehen ist und noch geschieht, genau das, was in seinem eigenen Denken vor sich geht. So ist die Philosophie der Geschichte nur mehr die Geschichte der Philosophie, seiner eigenen Philosophie. Es gibt keine „Geschichte nach der Ordnung der Zeit“ mehr, sondern nur noch die „Aufeinanderfolge der Ideen in der Vernunft“. Er glaubt, die Welt mittelst der Bewegung des Gedankens konstruieren zu können, während er nur die Gedanken, die in jedermanns Kopf sind, systematisch rekonstruiert und nach der absoluten Methode klassifiziert. (Das Elend der Philosophie)

Bei aller Polemik gegen den „Hegelianer“ Proudhon, gegen den Das Elend der Philosophie geschrieben ist, wird doch zweierlei klar: Die Bifurkation („die These spaltet sich“) hin zu einer „Reihe“, also eine Ahnung von den orgonometrischen Gleichungen und, zweitens, in der Polemik gegen Hegel selbst, wird von Marx zwischen „Geschichte nach der Ordnung der Zeit“ und „Aufeinanderfolge der Ideen in der Vernunft“ unterschieden. Das letzere deutet auf eine spontan funktionierende „absolute Selbstbewegung“, die der Wirklichkeit und damit auch der Zeit selbst zugrundeliegt.

Lenin in seiner Anfang des Ersten Weltkriegs verfaßten Notiz „Zur Frage der Dialektik“ drückt sich, nicht zuletzt durch die Vorarbeiten von Engels, noch „orgonometrischer“ aus:

Spaltung des Einheitlichen und Erkenntnis seiner widersprechenden Bestandteile (…) ist das Wesen (…) der Dialektik. (…) Dieser Seite der Dialektik wird gewöhnlich (…) nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet: die Identität der Gegensätze wird als Summe von Beispielen genommen (…) nicht aber als Gesetz der Erkenntnis (und Gesetz der objektiven Welt). In der Mathematik + und –, Differential und Integral, in der Mechanik Wirkung und Gegenwirkung, in der Physik positive und negative Elektrizität, in der Chemie Verbindung und Dissoziation der Atome, in der Gesellschaftswissenschaft Klassenkampf. Identität der Gegensätze (…) bedeutet Anerkennung (Aufdeckung) widersprechender, einander ausschließender, gegensätzlicher Tendenzen in allen Erscheinungen und Vorgängen der Natur (darunter auch des Geistes und der Gesellschaft). Bedingung der Erkenntnis aller Vorgänge in der Welt in ihrer „Selbstbewegung“, in ihrer spontanen Entwicklung, in ihrem lebendigen Leben, ist die Erkenntnis derselben als Einheit von Gegensätzen. Entwicklung ist „Kampf“ der Gegensätze. Die beiden grundlegenden (…) Konzeptionen der Entwicklung (Evolution) sind: Entwicklung als Abnahme und Zunahme, als Wiederholung, und Entwicklung als Einheit der Gegensätze (Spaltung des Einheitlichen in einander ausschließende Gegensätze und das Wechselverhältnis zwischen ihnen). Bei der ersten Konzeption der Bewegung bleibt die Selbstbewegung, ihre treibende Kraft, ihre Quelle, ihr Motiv im Dunkel (oder diese Quelle wird nach außen verlegt – Gott, Subjekt etc.). Bei der zweiten Konzeption richtet sich die Hauptaufmerksamkeit gerade auf die Erkenntnis der Quelle der Selbstbewegung. Die erste Konzeption ist tot, farblos, trocken. Die zweite lebendig. Nur die zweite liefert den Schlüssel zu der „Selbstbewegung“ alles Seienden; nur sie liefert den Schlüssel zu den „Sprüngen“, zum „Abbrechen der Allmählichkeit“, zum „Umschlagen in das Gegenteil“, zum Vergehen des Alten und Entstehen des Neuen. Die Einheit (Kongruenz, Identität, Wirkungsgleichheit) der Gegensätze ist bedingt, zeitweilig, vergänglich, relativ. Der Kampf der einander ausschließenden Gegensätze ist absolut, wie die Entwicklung, die Bewegung absolut ist. (Lenin: Werke, Bd. 38, S. 338f)

Das Jüngste Gericht begann 1960 (Teil 3)

21. März 2023

Die Progressiven in der autoritären Gesellschaft waren vorwiegend kulturkritisch, d.h. es wurde das „geistige Schicksal des Menschen“ gerungen, wobei die Gesellschaft als „idealistische“ Ganzheit betrachtet wurde. In der antiautoritären Gesellschaft geht es dann vorwiegend um gesellschaftskritische Fragen, d.h. um „materialistische“ Konflikte, die die besagte „Ganzheit“ als Illusion entlarven. Mit anderen Worten geht es um Subversion! Der Übergang von der einen „Kritik“ zur anderen fällt in die 1960er Jahre.

Genauso wie es in der „kulturkritischen Periode“ nie darum ging irgendetwas tatsächlich grundlegend zu verändern, sondern, um mit Reich zu reden, die Falle immer wieder von neuem zu dekorieren („die Kultur geht vor!“), geht es in der heutigen „gesellschaftskritischen Periode“ nicht um die tatsächliche „Emanzipation“ irgendwelcher vermeintlich benachteiligter gar unterdrückter Gruppen, sondern einzig und allein um die Spaltung der Gesellschaft, um der Spaltung an sich. Es müssen Zeichen gesetzt, d.h. immer neue spaltende Frontlinien gezeichnet werden.

Tatsächlich ist die Revolution der 1960er Jahre nichts anderes als der klägliche Versuch einer sexuellen bzw. biologischen Revolution. Alte, überkommene Strukturen sollten aufgebrochen werden, doch verursachte dieser chaotische Versuch eine derartige Angst, eine bioenergetische Panik, daß sich seitdem die Gesellschaft selbst zerstört. Selbst die Definition von Kategorien wie „Deutscher“ oder „Frau“ wird zunehmend unmöglich, da dieser Verweis auf Identität, Eigenheit, Einheit und Natürlichkeit einen derartig starken bioenergetischen Spannungszustand hervorruft, daß sofort alles getan wird, die „Gesellschaftskritik“ immer weiter bis zu den absurdesten Konsequenzen voranzutreiben. All die sich selbstverstümmelnden Borderliner-Monster, die heute unsere Städte bevölkern, sind der sinnfällige Ausdruck der „woken“ Gesellschaftskritik.

Paul Ritters Beitrag zum orgonomischen Funktionalismus

24. Juni 2018

Paul Ritter hat das historische Verdienst zwischen 1954 und 1964, also zu einer Zeit als die Orgonomie faktisch stillgelegt war, mit seiner unabhängigen Zeitschrift Orgonomic Functionalism, die zu ihrer besten Zeit gerade mal 50 Leser hatte, zumindest für etwas Kontinuität und ein Minimum an „Öffentlichkeit“ zu sorgen. Daß der eine oder andere Beitrag grenzwertig war, hat kaum Schaden angerichtet. Was Schaden angerichtet hat, war Ritters unerschütterliches Selbstvertrauen. Er betrachtete sich als einen Menschen, der weitgehend gesund ist:

Swelled headed as it may sound, I have had to come to the conclusion, over the last ten years, that I am sufficiently unarmored and genitally structured to be able to treat, without having been treated. (Orgonomic Functionalism, Vol. 6, No. 5, September 1959, S. 163)

Seit 1949, als er 24jährig damit anfing als „Orgontherapeut“ zu arbeiten, sah er sich zu der Schlußfolgerung gezwungen, daß er ausreichend „ungepanzert und genital strukturiert“ sei, um zu behandeln, ohne selbst behandelt worden zu sein. Also ein zweiter Wilhelm Reich (der immerhin drei Analysen zumindest angefangen hatte!). Seine Äußerungen zeigen jedoch, daß er so gut wie keinen Zugang zum orgonomischen Funktionalismus hatte – dem Titel seiner Zeitschrift. Ich bin darauf an anderer Stelle kurz eingegangen (http://www.orgonomie.net/hdobespr3.pdf, S. 96).

Der Zeitzeuge Walter Hoppe hat in seinem Buch über die Emotionelle Pest auf zwei Druckseiten Ritter abgehandelt. Reich habe Ritter nicht nur aufgefordert, nicht als „Therapeut“ tätig zu sein, sondern auch den Titel seiner Zeitschrift zu ändern. Reich verurteilte, so Hoppe weiter, „die irrationale Überheblichkeit und Polyphragmasie“ (Vielgeschäftigkeit) Ritters.

Reich hatte trotz anfänglichem Kredit Ritter in dem Moment abgelehnt, als er sah, daß Ritter seine Kompetenzen weit überschritt und ohne entsprechende Kenntnis in die Orgonomie eingriff, ja den Viertakt der Orgasmusformel eigenmachtig in einen Dreitakt verwandelte. Seine Ablehnung von Ritter drückte Reich mir gegenüber in einem Brief vom September 1954 u.a. in der Form aus: „Wissenschaft ist keine Angelegenheit demokratischer Meinungsbildung, sondern Sache der Erfahrung und des Beweises.“ Reich bat mich 1953 in Amerika von meinem verabredeten Treffen mit Ritter in England abzusehen, da er den Versuch machen konnte, sich damit offiziell Rückendeckung zu verschaffen. (Hoppe: Wilhelm Reich und andere große Männer der Wissenschaft im Kampf mit dem Irrationalismus, München 1984, S. 226)

Reich habe Ritters „Dreitakt“ „schärfstens“ abgelehnt. Es geht dabei um die Abfolge „Attraction – Fusion –Liberation“, also Anziehung, Verschmelzung und Befreiung. Dies sei, Ritter zufolge, DAS „Grundmuster“ allen Funktionierens der kosmischen Orgonenergie – so jedenfalls der Umschlagtext jeder Ausgabe von Orgonomic Functionalism. Davon findet sich nichts bei Reich, es ist der Beitrag Ritters zur Orgonomie (http://www.orgonomie.net/hdobespr3.pdf, S. 146).

In der Mystik strebt alles nach Einheit und Befreiung. Bei Ritter ist es direkter Ausdruck seiner links-liberalen Charakterstruktur und der ihr eigenen Form von „Mystik“, die sich nach Einheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und „Liberation“ sehnt. Gleichzeitig ist Ritters Dreitakt, der sich letztendlich auf den Zweitakt „Zusamengehen und wieder Auseinandergehen“ reduzieren läßt, von einer mechanistischen Krudität, die die Orgonomie zu einer leeren, nichtssagenden Hülle entleert. Vielleich könnte man an Pulsation denken, aber was Ritter hier aus funktioneller Sicht wirklich beschreibt, ohne es auch nur ansatzweise zu begreifen, ist, daß Erstrahlung zu Anziehung führt und Anziehung zu Erstrahlung. Wie in der Liebe: das wechselseitige Erstrahlen des Energiefeldes von Mann und Frau führt im Rahmen der kosmischen Überlagerungsfunktion zwingend zur genitalen Verschmelzung (Erstrahlung → Anziehung). Umgekehrt: man fühlt sich magisch zueinander hingezogen und, Bumms, ist man Halsüberkopf ineinander verliebt (Anziehung → Erstrahlung). Bei Ritter verschmiert das alles in einer „Reichianischen“ Wirrnis.