Posts Tagged ‘Autobiographie’

Paki S. Wright’s THE ALL SOULS‘ WAITING ROOM (Teil 1)

25. Juni 2024

The All Souls‘ Waiting Room : Wright, Paki S.: Amazon.de: Bücher

Dieser „Roman“ ist die extrem verfremdete Autobiographie der Tochter („Johnnine“) der zeitweisen Lebensgefährtin („Dinah Hapgood“) des Orgonomen Michael Silvert („Daniel Pahlser“) von Mitte der 1940er bis Anfang der 1960er Jahre. Dinah war eine Krankenschwester, eine unabhängige, resolute Frau, die dem Alkohol nicht abgeneigt war, Bars besuchte, dort Männerbekanntschaften machte und imgrunde kalt war. Jedenfalls fühlte sich Johnnine von ihrer alleinerziehenden Mutter „verängstigt, verraten, ungeliebt und ungeschützt“ – aber sie wuchs „sexuell frei“ auf…

Von Anfang an war die Orgonomie von schlichtweg „verrückten Leuten“ durchsetzt. Zunächst war da die zutiefst gestörte Hexe Felicia Saxe, die ich vor kurzem in einer anderen Buchbesprechung beschrieben habe. Im hier zu besprechenden Buch betritt zunächst der Orgontherapeut „Ernesto Febrillo“ das Horrorkabinett. Während der Orgontherapie von Johnnine zieht Dr. Febrillo unvermittelt einen kleinen Dildo (sic!) aus einer Tasche seines Kittels, fragt Johnnine, was das ist, und fordert die Vierjährige auf den Dildo kräftig zu beißen, um ihre Wut rauszulassen. Wer war „Ernesto Febrillo“? Trotz aller Verfremdung habe ich eine Idee angesichts der Erinnerungen eines weiteren der damaligen „Kinder der Zukunft“: Malcolm J. Brenner in seinem Buch Growing Up in the Orgone Box.

Es folgt der Auftritt von Daniel Pahlser, also Silvert: Nachdem er und Johnnines Mutter mitbekommen hatten, daß die kleine Johnnine und ihr kleiner katholischer Spielkamerad Brian am Strand Geschlechtsverkehr spielen wollten, Brian aber gar nicht wußte, was das ist, mußten sie zur sexualökonomischen Tat schreiten. Johnnine, 4 Jahre, kommt nach Hause und findet ihre Mutter weinend und völlig aufgelöst im Wohnzimmer vor. Das Kind solle ins Schlafzimmer gehen, wo ihr quasi Stiefvater (und Orgontherapeut ihrer Mutter) auf sie warte. Der nackte und halberigierte Silvert fordert das Mädchen auf sich auszuziehen und den Geschlechtsverkehr mit ihm auszuüben. Sie solle ihn streicheln, er kann mit seinem „riesigen Penis“ nicht in sie eindringen, Ejakulation.

Sie reagierte wie jedes kindliche Opfer derartiger sexueller Übergriffe reagiert: „Ich weiß noch, daß ich damals wußte, daß meine Mutter mich hassen mußte, daß sie mich bestrafen wollte. Die einzige Möglichkeit weiterzuleben, bestand darin, mein Herz zu versteinern, so zu tun, als wäre es mir egal, als wäre ich nicht in dem Zimmer mit [Silvert], als wäre ich in Wirklichkeit ganz woanders, eine Million Kilometer weit weg“ (S. 63).

Weil sie durch eine entscheidende Prüfung am College durchgefallen ist, verübt Johnnine mit 18 einen Selbstmordversuch, um den diese „Novelle“ kreist. In diesem Zusammenhang fällt eine Bemerkung, die mich zusätzlich innerlich aufgewühlt hat: „Du hast einen großen Teil deiner Seele aus deinem Körper verbannt, den Teil, der sich verängstigt, verraten, ungeliebt und ungeschützt fühlte. Selbstmord ist manchmal ein letzter Versuch, sich wieder mit den verbannten Teilen der Seele zu vereinen” (ebd.)

Es sollte erwähnt sein, daß die Autorin Reich bis heute keinerlei Vorwürfe macht! Meine Erachtens war Reich Opfer zweier Dynamiken: Erstens stand er vorbehaltlos für eine sexualpositive Einstellung, was schnell entgleiten kann. Beispielsweise bin ich vorbehaltlos für den privaten Waffenbesitz, da das unveräußerliche Recht auf Leben, Unversehrtheit und Eigentum das grundlegende Menschenrecht ist, wenn „Menschenrechte“ überhaupt irgendeinen Sinn haben sollen. Über die Gegenwahrheit zum privaten Waffenbesitz brauchen wir nicht zu diskutieren… Zweitens: nehmen wir das Beispiel der Hare Krishna-Sekte. Als deren stockbürgerlicher Begründer im fortgeschrittenen Alter und einem Leben mit Beruf und Ehefrau nach seinem Mönchsgelübte nach Amerika kam und von einem süßen kleinen kuhäugigen Jungen namens „Krishna“ schwärmte, konnte er sich nicht im Entferntesten ausmalen, daß er damit vor allem heimliche Homosexuelle und Päderasten anzog und daß der Horror, den Kinder später in dieser Sekte durchmachten, damit unausweichlich vorprogrammiert war. Ähnlich bei Reich. Wie soll man als einigermaßen gesunder Mensch die von Steig und Wright und anderen beschriebenen Abgründe und schiere IDIOTIE auch nur ansatzweise antizipieren! Es ist weit außerhalb jedes Horizonts!

Email [Beweggründe] 2003

8. März 2024

Email [Beweggründe] 2003

EIN QUERSCHNITT DURCH DAS SCHAFFEN JEROME EDENs: Wilhelm Reich im Kampf gegen Fliegende Untertassen

8. Februar 2021

 

EIN QUERSCHNITT DURCH DAS SCHAFFEN JEROME EDENs: Wilhelm Reich im Kampf gegen Fliegende Untertassen

Dobzauer Erinnerungen

4. September 2019

Besprechung von: Hampl, Stefan (2017). Dobzauer Erinnerungen. Eine (Zeit-)Reise zum Geburtsort von Wilhelm Reich. In T. Slunecko, M. Wieser, & A. Przyborski (Hrsg.), Kulturpsychologie in Wien (S. 90–127). Wien: Facultas Verlag

von Robert (Berlin)

 

Hampl ist Vizedekan an der Wiener Sigmund Freud Privatuniversität, die ein Analogon in Berlin hat. Im o.g. Sammelband befasst er sich mit den Jugendorten Reichs, über die bisher wenig geforscht wurde. Ich werde seine Überlegungen zu Erinnerungskultur, Geschichte und andere Themen hier außer Acht lassen und mich nur auf seine Ergebnisse zu Reichs Leben konzentrieren. Über die Ukraine plaudernd, behauptet Hampl, „der Psychoanalytiker und Naturforscher Wilhelm Reich entwickelte seine Theorie der Sexualität und Charakterpanzerung aufgrund seiner Erfahrungen am väterlichen Gutshof“. Zurecht stellt er fest, in „Wilhelm Reichs Autobiografie stellt der Name seines Geburtsorts eine überraschende Leerstelle dar“.

Nachdem er kurz Reichs Vita passieren lässt, kommt er zu dessen Geburtsort. Er schreibt: „Laut Eintrag 93 aus dem Trauungsbuch des israelitischen Matrikenbezirkes Lemberg (Abb. 2) haben Reichs Eltern 1895 geheiratet. Die Mutter Cecylia stammte aus Brody nahe der ehemals österreichisch-russischen Grenze, der Vater Leon war wohnhaft in Dobrzanicy bzw. Dobrzanica (poln.; dt. Dobzau, ukr. Dorbrjanytschi), wo er eine Landwirtschaft betrieb. Laut Ratz (1994) wurde auch Wilhelm Reich dort geboren“.

Hampl berichtet uns nun von seiner Autofahrt 2015 nach „Dobzau (…), das auf Polnisch Dobrzanica und auf Ukrainisch Dobrjanytschi heißt.“ Er trifft den Bürgermeister, dieser berichtet, „Fremde Leute kommen nicht oft in diese Gegend. Das letzte Mal seien vor etwa fünf Jahren ein paar Ausländer hier gewesen. Diese hätten ebenso nach Wilhelm Reich gesucht …“. Vergeblich versucht Hampl, bei älteren Dorfbewohnern fündig zu werden. Auch die Suche nach dem Geburtshaus endet in eine Sackgasse, da es ja keine Zeitzeugen mehr gibt und es zeitgeschichtlich ethnische bzw. religiöse Säuberungen gegeben hat. Nun versucht er es mit den Resten des deutschen Friedhofs. Dazu Hampl: „Die Einträge im Trauungsbuch (Abb. 2) bestätigen, dass Reichs Mutter Cäcilie Roniger-Reich offensichtlich aus dem 90 Kilometer entfernten Brody stammte. In den Biografien von Wilhelm Reich selbst (W. Reich 1994) sowie jener seiner Frau Ilse (I. O. Reich & Reich 1975) und der seines Sohns Peter (P. Reich 2015) gibt es jedoch keine Angaben zum Verbleib der Großeltern. … Wo Josef Blum und Josephine Roniger genau begraben sind, ist nicht bekannt. Auch der Verbleib von Leon Reichs Bruder, dem Juristen Arnold Reich, ist ungewiss“.

Zurück in Wien stellt Hampl Recherchen zur deutschen Kolonie in Dobzau an, wobei er herausfindet, „Die deutsche Kolonie in Dobzau wurde 1786 errichtet …“. Bemerkenswert erscheint mir, dass nach „Auffassung der k.u.k-Chronisten gab es (…) zwei Speerspitzen des Deutschtums in Galizien: die Protestanten und die deutschsprachigen Juden, zu denen auch die Familie von Wilhelm Reich gehörte. So paradox es aus heutiger Sicht klingen mag, wurde gerade in die jüdischen Kolonist/inn/en die Hoffnung gesetzt, das Deutschtum in Galizien zu verteidigen. Diese grenzten sich von den galizischen Juden ab, die vorwiegend Jiddisch sprachen.“

Hampl versucht dann, auf dem Friedhof der deutschen Kolonie „noch eine Spur zu Wilhelm Reich zu finden. Laut seiner Autobiografie (W. Reich 1994) sind seine beiden Eltern zirka 200 Kilometer südlich in Jujinetz bei Czernowitz verstorben. Dass wir auf die Gräber weiterer Familienangehöriger stoßen könnten, halten wir für unwahrscheinlich. Für Juden gab es mit Sicherheit, wie auch in anderen Dörfern Galiziens, einen separaten Friedhof. Die jüdischen Friedhöfe wurden jedoch vielfach von den Sowjets zerstört, die Grabsteine entfernt und teilweise als Baumaterial verwendet.“ Zwar findet er z.Z. der Abfassung des Artikels nichts, aber dann ist es besonders Interessant, dass er später, wie auf seiner Website dokumentiert, doch den Grabstein der Mutter entdeckt.

Als Fazit stellt er fest: „Die Gespräche mit den heutigen Bewohner/inne/n und die Untersuchung der materiellen Kultur des Dorfs Dobrjanytschi haben gezeigt, dass Wilhelm Reich an seinem Geburtsort weder Teil der persönlichen bzw. kommunikativen noch der materiellen Erinnerung ist. Sein Name, seine Existenz und auch die deutsch-österreichische Kultur, der er angehörte, wurden dort tatsächlich ausgelöscht“.

Fotos und Kartenabbildungen runden die Abhandlung ab.

 

Quintessenz:

Die Abhandlung hat gezeigt, dass vor Ort nicht mehr viel zu eruieren ist. Die Suche in Archiven bleibt als einzige Möglichkeit erhalten.

Hampl hat eine hochinteressante (englischsprachige) Website, auf die ich hier im Blog schon häufiger hingewiesen habe und die zu dem Thema Daten sammelt: https://www.wilhelmrei.ch/

 

Literatur (nach Hampl):

Reich-Ollendorf, Ilse & Reich, Wilhelm (1975). Das Leben des grossen Psychoanalytikers und Forschers, aufgezeichnet von seiner Frau und Mitarbeiterin. München: Kindler. [Diese Literaturangabe ist natürlich fehlerhaft, da Reich an Ilse Ollendorffs Biographie nicht mitgewirkt hat.]

Reich, Peter (2015) A book of dreams. London: John Blake Publishing Ltd.

Reich, Wilhelm (1994) Leidenschaft der Jugend – Eine Autobiographie 1897-1922, hrsg. von Chester M. Raphael & Mary Boyd Higgins. Köln: Kiepenheuer & Witsch.

Ratz, Wolfram (1994) Wilhelm Reich. In Oskar Frischenschlager (Hrsg.) Wien, wo sonst! Die Entstehung der Psychoanalyse und ihrer Schulen. Wien: Böhlau.