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Die orgonomische Soziologie, Teil 1: Zwischen Psychologie und Biologie

10. November 2022

Die Psychologie beschäftigt sich mit dem bewußten und unbewußten Seelenleben, d.h. den subjektiven Eindrücken und Motivationen für das Handeln. Reich setzte sich mit dieser „psychischen Energie“ (der Libido) in seiner psychoanalytischen Periode zwischen 1919 und 1933 auseinander. Ab 1934 versuchte er ins „biologische Fundament“ vorzudringen, d.h. die „vegetative Strömung“ zu untersuchen, die den beiden psychosexuellen Grundgegebenheiten Wahrnehmung und Erregung zugrundeliegt (siehe seine „bio-elektrischen Experimente“), was schließlich in der Entdeckung des Orgons 1939 mündete.

Der Übergang von der Psychologie zur Biologie in seinem Werk überlappt sich mit seiner intensiven Auseinandersetzung mit der Soziologie zwischen 1928 und 1936, der „Sex-Pol“-Zeit. Ohne seine soziologischen Studien hätte Reich niemals den Grundfehler der Freudschen Psychoanalyse durchschauen und überwinden können, die Gesellschaftliches (Neurosen und Perversionen) kurzschlußartig auf „Natürliches“ (unveränderliche Triebstruktur, „Todestrieb“) zurückgeführt hatte und dergestalt jeden Durchbruch ins biologische Fundament unmöglich gemacht hatte.

Umgekehrt hatte die Psychologie gezeigt und sollte die Biologie zeigen, daß die Soziologie mechanistisch ist. Eine Politik, die den objektiven Interessen der Massen widerspricht, führt nicht etwa zum Umsturz, sondern verfestigt das System, weil sich die Menschen aufgrund kindlicher Prägungen mit dem Angreifer identifizieren. Eine Soziologie, die das nicht berücksichtigt, ist imgrunde vollkommen wertlos. Die Biologie schließlich zeigte, daß, wenn man von diesem irrationalen Faktor abstrahiert, die so komplex wirkenden gesellschaftlichen Vorgänge auf einige wenige biologische Grundfunktionen reduziert werden können, Stichwort „Arbeitsdemokratie“. Ein Konzept, das Reich ab 1937 entwickelte.

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 6)

16. Juli 2022

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Warum haben LaMettrie, Stirner und vor allem Reich all das, was ihre „Aufklärungsarbeit“ ihnen abverlangte, auf sich genommen. Myron Sharaf meint, was den Fall Reich betrifft, um seine ödipale Schuld abzutragen. Andere meinen, entweder weil er seinen existentiellen Konflikt als „Außenstehender“ lösen wollte oder weil er so seinen bioenergetischen Lebenshunger stillen wollte. Das heißt doch nichts anderes, als Reich auf eine orgastisch impotente Pathologie zu reduzieren. Meines Erachtens ist es fatal, bei Reich auf diese Weise zwischen Sein und Handeln, Motiv und Aktion zu unterscheiden. Dieser Unterschied macht nur in der sozialen Fassade und in der mittleren Schicht der Charakterstruktur Sinn, nicht jedoch, wenn man aus dem bioenergetischen Kern heraus lebt. Dann springt man z.B. nicht unter Lebensgefahr in einen reißenden Strom, um ein Kind zu retten, weil es das Gewissen diktiert, sondern man springt, weil man anders gar nicht kann. Dann ist man ein Retter und verändert die Umwelt so, daß es dem eigenen Wesen entspricht. Man lebt, während die anderen nur Marionetten sind.

Dies ist übrigens wieder die unheimliche Nähe zwischen Modju und dem genitalen Charakter: beide folgen einem strukturellen Zwang. Es ist sinnlos zu fragen, warum Hitler die Juden vergast hat oder warum Reich diese Pest bekämpft hat, genauso wie die Frage sinnlos ist, warum ein Fischreiher Fische fängt, sonst wäre er nämlich ein „Kartoffelreiher“ oder so.

Tue das, was du bist, und sei das, was du tust und dann wirst du deinen Weg gehen. Dabei ist die Frage natürlich, ob dieser Weg wirklich Glück beschert. Wer ist wirklich glücklich: der, der seinen Weg verraten hat und als Lohn auf einer Luxusjacht durch die Adria schippert und die innere Leere mit Champagner auffüllt; oder der, der unter unsäglichen Qualen in einem Folterkeller eines faschistischen Regimes verreckt, aber das im Bewußtsein tut, sich treu geblieben zu sein? Ich habe den Eindruck, daß es sich an dieser Stelle ähnlich verhält wie mit Stirners Dichotomie von Freiheit und Eigenheit. Unsere Freiheit ist ewig eingeschränkt. Da heißt wir können wohl nicht z.B. durch Wände gehen, aber wir können innerhalb unserer beschränkten Möglichkeiten des „Freiseins“, wir selbst bleiben. Ähnlich verhält es sich mit dem Glück: der Weg mag beschwerlich und dunkel sein, aber es ist dein Weg und damit der einzig mögliche Weg. Jeder andere würde dich ohnehin unglücklich machen.

Orgonomie und Metaphysik (Teil 44)

10. März 2022

„Peter, warum hast du das gesagt, getan bzw. so gehandelt?“ Es ist mir unmöglich, darauf zu antworten. Das ist einfach nicht die Art, wie ich funktioniere. Ich tue etwas, Punkt. Und wenn jemand fragt: „Warum?“ könnte ich vor Wut schreien: „Es ist passiert, Punkt!“ Es mag Gründe für mein Verhalten oder Handeln geben, aber ich bin nicht daran interessiert, sie zu formulieren, darüber nachzudenken oder sie zu erklären, zu verteidigen und zu rechtfertigen. Eine Antwort wäre ohnehin sinnlos. Bedeutungslos, weil sie so willkürlich wäre wie mein Handeln selbst. Es ist wie das Bewußtsein selbst und meine Identität als Mensch selbst: Es gibt Myriaden von inneren und äußeren Impulsen, die im retikulären Aktivierungssystem meines Gehirns zusammenfließen und dadurch mich hervorbringen; es gibt die erste Generation mit 2 Vorfahren, die zweite Generation mit 4, die dritte Generation mit 8, die vierte Generation mit 16 – es gibt unzählige Menschen, die mich hervorgebracht haben, keine „Erblinie“. Es macht entsprechend überhaupt keinen Sinn, zurückzublicken, denn es gibt keine einfache „Ursache und Wirkung“.

Natürlich erkläre ich meine Handlungen und die Handlungen anderer, aber nicht, um an eine „verborgene Wahrheit“ über die „wirklichen Beweggründe“ heranzukommen, sondern nur aus pragmatischen Gründen, d.h. wenn ich künftiges Verhalten mit einiger Sicherheit vorhersagen kann, bin ich zufrieden. Das ist für mich „Wahrheit“ genug. Es ist wie in der Physik, wo es die Grenze zur Idiotie überschreitet, genauer sein zu wollen als die Genauigkeit der Meßinstrumente hergibt. Oder nehmen wir das Recht: es ist wichtiger „Rechtsfrieden“ herzustellen, als zur vermeintlichen „Wahrheit“ zu gelangen. Wir sind Menschen und können nicht in die Vergangenheit zurückgehen, um genau festzustellen, was zur Tatzeit „wirklich“ passiert ist! Alles, was wir tun können, ist, Schlußfolgerungen zu ziehen, die uns eine friedliche Zukunft ermöglichen.

Auch das Orgon ist nur eine Abstraktion (Äther, Gott und Teufel, S. 156), jedes „Tiefergehen“ führt zu nichts, es wäre Metaphysik, also – Idiotie!