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WR gleich Weltrevolution (Teil 2)

22. Februar 2020

Reich hatte vier umfassende Pläne, um die widernatürliche Richtung zu ändern, die die Menschheit eingeschlagen hat.

Am Anfang stand sein sozialpolitischer Forderungskatalog (Recht auf Abtreibung, Verhütung, Behausung, etc.), der darauf hinauslief, das Liebesleben von wirtschaftlichen Zwängen zu lösen (Jugendelend, Ehemisere, soziale Isolation), der ihn sogar in die Ränge der KPÖ und KPD brachte.

Reich hoffte, daß die Menschen weicher werden (weniger gepanzert), wenn sie ihre genitalen Strebungen freier von materiellen und emotionalen Hemmnissen ausleben könnten. Mit der Entdeckung der Orgonenergie wurde das ergänzt: beim Verstehen und Meistern der kosmischen Lebensenergie werden die Menschen gezwungen sein, funktionelles, lebendiges Denken zu erlernen.

Diese beiden Ansätze wurden ergänzt durch zwei weitere: die Heranzucht der „Kinder der Zukunft“, die durch eine mit jeder Generation freiere prä-, peri- und postnatale Entfaltung und Selbstregulation immer ungepanzerter werden. Dies ergänzt bzw- erst ermöglicht durch die „Sozialpsychiatrie“, d.h. die aktive Bekämpfung der Emotionellen Pest. Elsworth F. Baker, Paul Mathews und Charles Konia haben zu diesem charakteranalytischen Ansatz bedeutsame Beiträge geleistet, die letztendlich auf eine Neue Aufklärung hinauslaufen – über die Emotionelle Pest im allgemeinen und die soziopolitische Charakterologie im besonderen.

Ein weiterer Aspekt der „Weltrevolution“ ist das kosmische Orgon-Ingenieurswesen (CORE), bei dem es darum geht, die atmosphärischen Verhältnisse so zu verbessern, daß die Menschen buchstäblich freier atmen können. Auf denkbare pestilente Weise wurde dieses Feld von den „Chembustern“, „Orgonisierern“ und „Orgonite-Giftern“ okkupiert und in sein Gegenteil verkehrt.

All das läßt sich auf den Grundsatz Secundum Naturam reduzieren: gib der Natur, „den Trieben“, eine Chance gegenüber den ökonomisch-gesellschaftlichen Zwängen; denke und handle naturgemäß, insbesondere was die Kinder betrifft. Die Gesellschaft muß sich der Natur anpassen, den Kindern, und nicht umgekehrt, oder wie A.S. Neill („Summerhill“) es ausdrückte:

Das Peinliche ist nur, daß das Wesen der Zivilisation sich wandelt, während die Natur des Kindes die gleiche bleibt. Was uns bei der Gründung unserer Schule leitete, war der Vorsatz, eben diese Natur des Kindes zu erforschen. (Selbstverwaltung in der Schule, Zürich: Pan-Verlag, 1950, S. 28)

Dr. Peter Strüver: Wilhelm Reich – Zwischen Psychoanalyse und Orgontheorie. Eine kurze fragmentarische Studie

26. November 2017

Warum? Warum falle ich immer wieder drauf rein? Da nimmt man interessiert, wenn nicht sogar fasziniert, das Buch eines „Reichianers“ in die Hand, läßt sich vom ambitionierten Buchtitel blenden – und landet als Leser schon nach wenigen Seiten in einem unheilvollen Gemenge aus Verwirrung, Kopfschmerzen, Frust und Wut. Immerhin beschäftigt sich der Sozialpädagoge, Sozialarbeiter und ehemalige DKP-Genosse Dr. Strüver seit 1970 mit Reich. Wobei „er aber keinesfalls einem neuen Biologismus und Naturalismus das Wort reden“ will (S. 114). Wie sieht das konkret aus? Dr. Strüver und Genossen „lebten in einer Art persönlicher sexueller Revolution“. Was das hieß? „Vollständiges Erleben der orgastischen Potenz (…) als unbedingter Kraftquell, um den studentischen, beruflichen, privaten, politischen und wissenschaftlichen Alltag einigermaßen emotional positiv gestaltend leben zu können“ (S. 115). Doch das konnte nicht dauerhaft gelebt werden, denn „allseitige sexuelle Empfindungen im Sinne der orgastischen Potenz können in der kapitalistischen, Entfremdung-produzierenden Gesellschaft nur schwer auf Dauer vom Individuum gelebt werden“ (ebd.). Danke, Dr. Stöver, endlich habe ich verstanden, was wirklich hinter dem Vorwurf von „Naturalismus“ und „Biologismus“ gegen Reich von Seite der Linken steckt: die Charakterstruktur des Kommunisten, die ich im folgenden etwas beleuchten werde.

Fangen wir mit einem Hinweis an, der mich faszinierte: auf S. 12 ist von einer „Helma Sanders“ die Rede, die 1980 den Film „Der subjektive Faktor“ veröffentlichte, in dem Reich-Bücher eingeblendet werden. War mir vollkommen neu. Danke! Aber: die Frau heißt Helke Sander! Diese groteske Nachlässigkeit ist symptomatisch für dieses Büchlein. An allen Ecken und Enden stolpert man über Fehler. Wie kann jemand, irgendjemand auf diesem Planeten, „Lazer-Therapie“ schreiben?! (S. 102). Absätze auf S. 65 sind identisch mit Absätzen auf S. 79, desgleichen S. 66 und S. 82. „Erläuterungen“ in den Fußnoten, die ja Klarheit herstellen sollen, erzeugen teilweise nur noch mehr Chaos. Eine Vortragsserie Reichs aus dem Jahre 1934 wird erwähnt: „Gemeint ist die Weiterentwicklung der Psychoanalyse zur Biogenese“ (S. 86). 1934 war von „Biogenese“ noch keine Rede. Und überhaupt…

Reichs Massenpsychologie des Faschismus. Damals die Juden. „Heute müssen Moslems und Asylbewerber dafür herhalten“ (S. 44). Auf der nächsten Seite beschreibt Dr. Strüver dann ganz richtig die Familienideologie, die Sexualfeindlichkeit, Ehemisere, kein Sex vor der Ehe – ohne auf den Gedanken zu kommen, daß wir genau diese „Massenpsychologie des Faschismus“ gegenwärtig importieren.

Oder irrwitzige Antagonismen, wie auf S. 87, wo von „Reich heute in Dänemark“ berichtet wird: 1. ein gewisser Robert Moore, der Boadellas „Biosynthese“ weiterentwickelt hat, 2. bei „Albert Fischer im Kopenhagener Labor wurde erstmals die biologische Färbungsreaktion (Bionexperimente) demonstriert“, 3. das dänische Landwirtschaftsministerium erforscht den ORAC. Albert Fischer fällt in die 1930er Jahre und war ein Feind Reichs, der diesen als „Phantasten“ betrachtete! Oder S. 25: Oslo 1934 bis 1939: „Grundlegung der Vegetotherapie“. New York 1939-1942: „Bionenforschung, Bioelektrizität, Entdeckung der Orgonenergie“, etc.

Alles in diesem desorganisierten „Buch“ sorgt für Durcheinander, etwa die grandiose Idee Dr. Strüvers von sich selbst in der dritten Person zu reden, so daß man auf Anhieb nie sicher sein kann, ob nun vom Autor selbst, von dem Reich-Biographen, den er zitiert, oder von Reich die Rede ist. Alle sind „er“! Oder diese tragikomische Fußnote: „Jantzen ebd., Hervorhebung v. Autor. Mit der Bezeichnung Autor ist natürlich der Verfasser dieses Buches gemeint“ (S. 112 Hervorhebung von Dr. Strüver). In Jantzens Text findet sich keine Hervorhebung! Und welcher Verfasser welchen Buches ist gemeint?

Und das ganze ist auch noch von einer nur als „zerebral“ („neuropsychologisch-informationstheoretisch-dynamisch-lerntheoretisch“, S. 117) zu bezeichnenden Schreibe gekennzeichnet, deren einzige Funktion es zu sein scheint, die Erregung von der Wahrnehmung zu trennen und dergestalt einen kontaktlosen Zustand herzustellen:

Mit A.N. Leontjew ist Sinn ja so zu definieren, daß dieser sich ursprünglich nur in Form der Emotionen äußert und erst später, mit der zunehmenden Differenziertheit der Tätigkeit, zusammenfällt mit der Realisierung der Motive. Durch diese Realisierung erlischt das Bedürfnis. Problem: Realisieren sich die Motive aber nicht – z.B. in einer offenen Lebensform auf Dauer, denn das war kaum durchzuhalten bei den aufgestauten lebensgeschichtlichen Bruchstellen der WG-Mitglieder – dann setzt eine erneute Suchbewegung ein. (S. 13)

Das ganze läuft hinaus auf eine Kritik an der Reichschen Sicht auf den Organismus, der bloß funktioniert, durch biologische Energie getrieben und dabei von Gegensatz von Zentrum und Peripherie bestimmt wird. Vielmehr gehe es um „das innere Milieu, das Gehirnzentrum also, als dynamische funktionelle Haupteinheit gedacht“… (S. 119) Und so weiter, frei nach der „Kritischen Psychologie“ des DKP-Genossen Klaus Holzkamp und sowjetischen Genossen in der Tradition Pawlows. Ein unerträgliches Gestammel, das nur das Lebensempfinden des kommunistischen Charakters beschreibt. Von wegen „Gehirnzentrum“!

Mir reichen schon geradezu psychedelisch wirkende Sätze des Autors wie der folgende: „Familiäre Trennungszusammenhänge mit juristischen und psychischen Folgen etc. erschweren die Eingliederung“ (der öffentlichen und familiären Wertsysteme) (S. 53).

Buchstäblich das einzige, was an diesem Buch interessant ist, ist ein Zitat aus einem 1970 bei rororo erschienenen Buch über „Sexualität und Sexualpolitik in Dänemark und Schweden“: Von jeher seien dort voreheliche Beziehungen akzeptiert worden. Diese Tradition weise verblüffend weit zurück. Praktisch hundert Prozent aller verheirateten hatten Beziehungen mit Geschlechtsverkehr vor der Ehe (S. 36f). Paßt gut zu James DeMeos Saharasia-Theorie.

Der ganze Wahnsinn dieses Machwerks steht nicht allein, sondern hat Methode. Buchstäblich hunderte Bücher und abertausende Aufsätze dieser Machart sind seit Reichs Tod erschienen. „Reichianer“ sind mit Abstand die schlimmsten Feinde der Orgonomie! Man nehme doch das „Buch“ Dr. Strüvers zur Hand! Dr. Strüver hat zur „Orgontheorie“ nicht viel mehr zu sagen als folgendes Zitat aus einem Aufsatz über „Fetisch und Foto oder: Das Abbild als das andere Kunstwerk“:

Experimente haben ergeben, daß sich mit gewissen Malereien (…) wenn man sie auf Menschen projiziert, einige Effekte erzielen lassen, die in Orgon-Akkumulatoren auftreten. William S. Burroughs, in Anlehnung an Wilhelm Richs Theorie der Lebensenergie, bedient sich der Sprache wie eines Akkumulators zum Auslösen spontaner Orgasmen. (S. 99)

So, auf dem Niveau Mildred Bradys, sind sie alle, diese „Freunde“ Reichs. Wer’s nicht glauben will, – ich verweise auf meine dreiteilige Rezensionsserie über „Reichianischer Bücher“:

Teil 1

Teil 2

Teil 3