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Der neue Prometheus: Christian Fernandes‘ LA METTRIES „TUGENDHAFTE LUST“ – und Mary Shelleys FRANKENSTEIN

14. Oktober 2024

Das große Verdienst von Christian Fernandes ist es, mit seiner bahnbrechenden philosophiegeschichtlichen Studie über die „tugendhafte Lust“ die Orgasmustheorie, Charakteranalyse („Lehre von der Schuldgefühlen“) = Sexualökonomie = Orgonomie neu begründet zu haben, ohne auf Wilhelm Reich rekurrieren zu müssen, der zum Glück (sic!) nur am Rande erwähnt wird, LaMettrie reicht dazu nämlich vollkommen aus. Hier ein beliebiges Zitat aus Fernandes‘ Doktorarbeit:

In einer atheistischen Gesellschaft wären die Sterblichen „ruhig“. „Tranquilles“ bedeutet im Kontext friedlich, frei von der durch Religion kriegerisch gewordenen Natur. Die Religion nimmt im Homme machine genau die Stelle ein, die ein Jahr später im Discours sur le bonheur den Schuldgefühlen zukommt. Die „ruhige und tugendhafte Lust“ der idealen Gesellschaft dort entspricht der Ruhe der Sterblichen in der atheistischen Gesellschaft hier. Sie verhalten sich nicht bösartig, sondern ruhig, friedlich, tugendhaft, weil sie ohne den negativen Einfluß der Religion nur den „spontanen Ratschlägen ihres eigenen Ichs“, ihrer unverfälschten, reinen Natur, den angeborenen Triebfedern, ihrer per se tugendhaften Lust folgen. Für „jede andere Stimme“ sind sie „taub“. Da die Verunreinigung, die Infizierung der Natur durch Einflüsterung „anderer Stimmen“ der Ursprung des Bösen ist, sind sie immun dagegen, eine Neigung zum Bösen zu entwickeln. Anderen zu schaden, kommt für sie nicht infrage. Die von La Mettrie gemeinte Strafe, die auf die Mißachtung jener Ratschläge der Natur folgt, sind persönliches Leid, aber auch ein gesteigertes Aggressionspotential und das schreckliche gesamtgesellschaftliche Unglück, das daraus entsteht.

Daß die Tugend der Weg zum Glück sei, könnte als Gemeinplatz mißverstanden werden. Das Spezifikum La Mettries, die Parallele zur „Moral der Natur“ des Discours préliminaire verbirgt sich in der Aussage, daß diese „Pfade der Tugend“ selbst bereits „angenehm“ sind. Der Weg zum Glück führt also über das Glück selbst, über das dem natürlichen Luststreben Angenehme, nicht über Entsagung, Opfer, Unterdrückung des Eigenwillens. Das Angenehme, das Glück ist mit der Tugend verknüpft. Die Lust selbst ist tugendhaft und begründet das Wohlergehen des Einzelnen sowie der Gesellschaft, weil die Natur des Menschen so beschaffen ist, daß die eigene Lust von der des anderen abhängt und sie daher aus eigenem Antrieb befördert. Darin besteht „das natürliche Gesetz“ der Moral. Wird ihm gemäß erzogen, entsteht der „rechtschaffene Mensch“, auf den man sich verlassen, dem man vertrauen kann. (S. 23f)

Dieses Buch sollte Pflichtlektüre jedes „Reichianers“ sein, denn allzuleicht wird die Beschäftigung mit Reich zur Routine, nur bloßen intellektuelle Geste und zur Gebetsmühle, die ständig „orgonomisch korrektes“ Zeugs absondert. Mit Fernandes‘ nach 300 Jahren erstmaliger Freilegung des Kerns der LaMettrie’schen Philosophie, wurde uns die Chance eines Innewerdens unseres Eigensten möglich gemacht und damit die Chance eines Neuanfangs geboten, sozusagen „Orgonomie ohne Wilhelm Reich“.

Die Ehre LaMettrie (zusammen mit Max Stirner) für die Orgonomie entdeckt zu haben, kommt natürlich Bernd A. Laska zu, doch das beschränkte sich auf die Lehre von den schädlichen Schuldgefühlen = Charakteranalyse = Panzerung = Über-Ich. Daß dies bei LaMettrie (genauso wie bei Wilhelm Reich) mit der Lehre von der tugendhaften Lust = Orgasmustheorie = Sexualökonomie untrennbar verbunden ist, hat (nach ersten Andeutungen bei Laska) erst Fernandes im vollen Umfang gezeigt.

LaMettrie war der „Wilhelm Reich des 18. Jahrhunderts“ und wurde deshalb mit aller Wahrscheinlichkeit auch ermordet. Beide sahen sich jeweils als „neuer Prometheus“, der die Flamme der Wollust bringt und damit gleichzeitig die Zivilisation begründet. Bisher herrscht die bloße Barbarei!

DANKE Bernd A. Laska! DANKE Christian Fernandes! Wenn jetzt noch jemand eine Brücke von LaMettrie nach, keine Ahnung, Luigi Galvanis „animalischer Elektrizität“ oder Franz Anton Mesmers „animalischem Magnetismus“ = Orgonenergie schlägt…

Man erlaube mir dazu einen Anhang, denn mir fällt dazu folgendes ein:

Victor Frankenstein war in Mary Shelleys Roman „der neue Prometheus“ – der so, praktisch in der gleichen Funktion, in La Mettries Der Mensch als Maschine (Laskas Ausgabe, S. 83) auftritt. Seine Maschine bzw. sein „Monster“ wurde durch eine „atmosphärische Lebenskraft“ ins Leben gerufen, zu der Shelley von Galvanis Experimenten und der Praxis des Mesmerismus inspiriert worden war – kurioserweise auch durch die Arbeit von Mesmers Nemesis, Benjamin Franklin, mit Gewitterblitzen. Und drittens: ihr Roman dreht sich, vor dem Hintergrund der Geschichte der Aufklärung seit LaMettrie und der durch Rousseau initiierten Romantik um die tugendhafte Lust bzw. deren Negation.

Was ich meine wird zunächst hier deutlich:

Der Entstehungszeitraum von Mary Shelleys Frankenstein fällt in eine (…) Phase hoher technischer, medizinischer und allgemein naturwissenschaftlicher Fortschrittsdynamik. L’Homme machine des französischen Arztes und Philosophen Julien Offray de La Mettrie scheint ebenso die Zeit zu prägen und die Idee eines Maschinen-Menschen zu beflügeln wie die Erfindung der Elektrizität und die Versuche mit der solchen von Luigi Galvani (Galvanismus).

Und zusätzlich durch folgendes Abstract:

Beeinflußt von Philosophen der Aufklärung wie Rousseau und Smith, feiern romantische Schriftsteller wie Coleridge und Percy Shelley die erhabene Kraft der sympathischen Liebe, die das Selbst und den anderen (sei er menschlich oder unmenschlich) zu einem wundersamen Ganzen verschmelzen läßt und damit die Gefahren der Einsamkeit und des Solipsismus ausschließt. Nicht alle romantischen Schriftsteller teilen jedoch die gleiche sanguinische Sicht der Liebe. In Frankenstein zum Beispiel bietet Mary Shelley eine Alternative zur optimistischen Sichtweise auf die Fähigkeit zur (gegenseitigen) Sympathie. Sie formt den Roman zu einer Geschichte bitterer Einsamkeit, die durch den Mangel an sympathischem Verständnis zwischen Victor und der Natur, zwischen dem Monster und den De Laceys und zwischen dem Monster und seinem Vater Victor verursacht wird. In diesen wechselseitigen Beziehungen, so meine These, beschwört Shelley Elemente der aufklärerisch-romantischen Liebe herauf, nur um deren erhabene Kraft zu widerrufen und sie darüber hinaus in Verzweiflung zu verwandeln. Anstelle der romantischen Freude der transzendenten Fülle ist der Roman von gothic Verzweiflung, der völligen Negation der Erlösung, umhüllt.

Da das Monster nicht liebenswert ist, sich aber nach Liebe sehnt, rastet es aus und wird zum – Monster. „Das Wesen, das [Frankenstein] erschafft, trägt die ganze menschliche Natur in sich. Es verlangt nach Liebe, ist aber physisch nicht liebenswert, und Dr. Frankenstein verweigert ihm jede Möglichkeit der Liebe. Im Gegenzug und aus freiem Willen entscheidet es sich, die Liebesbeziehungen anderer zu zerstören“ (hier). Es ist bezeichnend, wie sehr Mary Shelleys abgründiger Horrorroman über einen „LaMettrie“ (gleichzeitig auch „Anti-LaMettrie“) und die tugendhafte Lust (bzw. die dramatischen Folgenden unterdrückter Lust) seit 200 Jahren die Menschen absolut unwiderstehlich in seinen Bann zieht…

Der Roman ist eine Erzählung über den Maschinenmenschen mit einer „romantischen“ Wendung („Lebenskraft“), über das Schuldgefühl (das Victor zerfrißt und von dem sein namenloses „Monster“ vollkommen frei ist – mit verheerenden Folgen) und nicht zuletzt eine über die „aufklärerisch-romantische Liebe“, die auf LaMettries „tugendhafte Lust“ zurückgeht und die verheerenden Folgen, wenn das Liebesbedürfnis zerstört wird. Victor liebt seinen künstlichen „Sohn“ nicht und tötet dessen künstliche Gefährtin sofort nach deren Erschaffung. Vielleicht lese ich zuviel hinein, aber zu diesem Thema paßt auch etwas, das für einen LaMettrie-Kenner kein Zufall sein kann: daß Victor Frankensteins Romanze mit Elizabeth Lavenza (die aus Rache vom „Monster“ getötet wird), jedenfalls in der ursprünglichen, unveränderten Originalversion des Romans von 1818, inzestuöse Geschwisterliebe war.

DER VERDRÄNGTE CHRISTUS / Band 2: Das orgonomische Testament / 19. Die Dogmatik der Christusmörder: Das befreite Fließen der kosmischen Lebensenergie

10. Februar 2023

DER VERDRÄNGTE CHRISTUS / Band 2: Das orgonomische Testament / 19. Das befreite Fließen der kosmischen Lebensenergie

Starchild vs. Doyle Wolfgang von Frankenstein: das Schicksal der Orgonomie

26. Juni 2019

Paul Stanley („Starchild“) von Kiss und Doyle Wolfgang von Frankenstein, einst Misfits heute Doyle, vertreten zwei Theorien zwischen denen sich die Zukunft der Orgonomie aufspannt. Kaum ein Interview, in dem Starchild nicht von den Fans schwärmt, die das alles erst möglich gemacht haben und denen er ein wunderbares Leben verdankt. Kiss sei ein Produkt der Fans. Auf der anderen Seite verflucht Doyle Wolfgang von Frankenstein praktisch in jedem Interview seine Fans und behauptet, er habe die Fans gemacht, nicht umgekehrt die Fans ihn. Ist ja auch logisch: ohne Doyle Wolfgang von Frankenstein keine Doyle-Fans! Und wofür soll er sich auch schon groß bedanken, denn, während Starchild ein Vermögen von 150 000 000 Dollar sein eigen nennt und ein entsprechendes Leben führt, muß Doyle Wolfgang von Frankenstein mit Mitte 50 noch immer in einem Campingwagen von einem Gig zum anderen die Provinz abklappern, um am Ende kaum mehr zu haben als jeder Fabrikarbeiter. An jeder Tankstelle wird er von irgendwelchen „Fans“ angequatscht, die zutiefst empört sind, wenn er sagt, sie sollen sich gefälligst verpissen. Imgrunde verbindet Starchild und Doyle Wolfgang von Frankenstein nur eins: beide sind nach eigener Aussage sehr schüchterne Menschen und leiden unter pathologischer Sozialphobie. Ihre Bühnenpersönlichkeit hat ihnen buchstäblich das Leben gerettet:

Und was haben Starchild und Doyle Wolfgang von Frankenstein nun mit der Orgonomie zu tun? Die Frage ist, wie es die Orgonomie schafft, nicht sang- und klanglos unterzugehen. Sollen die Vertreter der Orgonomie sich den Menschen andienen, nach immer neuen Angeboten Ausschau halten, mit denen man das Interesse der Öffentlichkeit weckt? Oder sollen sie, wie es etwa Jerome Eden getan hat, stur ihr Ding durchziehen und schlichtweg warten, bis die Menschen kommen?

Beide Herangehensweisen sind m.E. sozial inkompetent, denn sowohl das Anbiedern, als auch der quasi autistische Rückzug entstammen ein und derselben Angst vor Expansion, d.h. sind Ausdruck von „Sozialangst“. Die Orgonomie wird erst wieder gedeihen, wenn sich dieser Krampf löst. Die sozialphobische Verkrampfung beruht auf der tiefsitzenden Angst sich zu exponieren, wenn man über Genitalität, die Lebensenergie und die Selbststeuerung spricht. Nichts ist tiefer in uns eingebrannt als die Sexualangst, die Angst uns „Gott“ wirklich zu nähern und die Angst davor, das Gesellschaftssystem grundlegend in Frage zu stellen. Das macht die Orgonomen wenn man so will „sozialphobischer“ als alle anderen Menschen.

Es ist wie die Sache mit den Frauen: wenn man frei und „unverfroren“ auftritt, fliegen einem die Herzen im Übermaß zu.

Haldane: Pulsation (2014)

6. März 2017

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Haldane: Pulsation (2014)