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Wilhelm Reichs Radikalkommunismus

11. März 2023

In Amerika behauptete Reich, nie Kommunist „im politischen Sinne“ gewesen zu sein, während er in Europa selbst als denkbar militanter Kommunist auftrat – und es zweifellos war. War er ein Lügner?

Er war einerseits jemand der, anders als all die anderen „Marxisten“, a la Fenichel und Fromm, tatsächlich politisch gekämpft hat, wirklich auf die Straße gegangen ist, die Massen agitiert hat etc., d.h. öffentlich als Kommunist und „linke Opposition“ innerhalb der Psychoanalyse erkennbar war. Andererseits war er ganz anders als die anderen, etwa Arthur Koestler, der in Berlin in seiner Zelle war, d.h. er war als Wissenschaftler „politisch“ aktiv, nicht als jemand, der sich eine Ideologie ausgesucht hatte, die ihn aus emotionalen Gründen faszinierte. Seine intellektuellen Mitstreiter suchten einen Platz, um zu agitieren und zu intrigieren, Reich suchte ganz im Gegenteil einen Zugang zu den Massen, d.h. zum tatsächlichen Geschichtsprozeß. (Es war für Reich sozusagen eine „ethnographische Expedition“ ins gesellschaftliche Labor und gleichzeitig eine Möglichkeit unmittelbare Konsequenzen aus seiner Theorie zu ziehen. Keine Theorie ohne Praxis und umgekehrt. Dialektik!) Seine vermeintlichen „Genossen“ sahen sich zwar auch als „Linke“, aber die tatsächliche Arbeit mit den arbeitenden Massen in den Sexualberatungsstellen betrachteten sie als imgrunde sinnlose Zumutung. Sie wollten im Geheimen agieren und theoretisieren wie der im Grunde genommen lächerliche Salonmarxist Otto Fenichel.

Außerdem waren es fast ausnahmslos atheistische Juden, für die der Kommunismus ein Ersatz für ihre messianischen Träume darstellte, die christliche Umwelt endlich zu zerstören. Obzwar formal ebenfalls „Jude“, hatte Reich durch seine „abtrünnige“ Familie eine vollkommen andere Sozialisation durchlaufen, d.h. sein Engagement war genuin und nicht von ressentiment-geladenen und suprematistischen Rachephantasien geprägt. Vergleichbar dem Haß, der Verachtung und dem Ressentiment, die uns heute von unseren moslemischen „Mitbürgern“ entgegenwehen. Die gleiche morbide Mischung aus Erwähltheitsgefühl und Selbstverachtung! Man lese Reichs Rede an den kleinen Mann.

Der Psychoanalytiker und Kommunist Wilhelm Reich 1927/28 über die Emotionelle Pest

2. September 2017

Reich hat die Emotionelle Pest parallel zur Arbeitsdemokratie Ende der 1930er/Anfang der 1940er Jahre entdeckt. Die Untersuchung des Konflikts zwischen Emotioneller Pest und Arbeitsdemokratie konstituiert die orgonomische Wirtschaftswissenschaft (Ökonomie). Zuvor hatte er Ende der 1920er/Anfang der 1930er Jahre den Konflikt zwischen der Genitalität (Funktion des Orgasmus) und der Emotionellen Pest untersucht, was die Sexualökonomie konstituierte. Das war zwar ein Jahrzehnt vor der eigentlichen Entdeckung der Emotionellen Pest, doch die folgenden beiden Zitate zeigen, daß er bereits wußte, bevor er wußte…, will sagen, bevor sein Wissen zum definierbaren Begriff wurde.

Beim ersten Zitat geht es um den Sadismus bei Triebgehemmten, etwa Zwangsneurose oder Hysterie, und bei Triebhaften, jeweils im Zusammenhang mit Fallgeschichten, die uns hier nicht weiter interessieren:

Wir erinnern an unsere Beschreibung der Reaktionsweise der zwangsneurotischen Frau auf ihre in der Übertragungssituation hervorbrechende Liebestendenz: Sie haßt den Analytiker, weil sie von ihrer Liebe nichts wissen darf und ihn wie jedes Liebesobjekt fürchtet; dabei überwuchern ihre sadistischen Phantasien, deren sexueller Charakter unverkennbar ist. Was hier unbewußt vor sich geht, rollt beim Triebmenschen offen ab, er fordert rücksichtslos Liebesbezeugungen und droht etwa, den Arzt zu vergiften, wenn er zurückgewiesen wird; als Motiv seiner Mordabsicht gibt er aber niemals die Zurückweisung an; das verbieten ihm sein so leicht verletzbarer Stolz und sein Schuldgefühl, sondern er findet bald eine nichtige Rationalisierung oder er erklärt einfach, das Töten, Kastrieren oder Brandlegen würde ihn sicherlich heilen, nur darin könnte er restlose Befriedigung finden, er müßte sich nur einmal tüchtig austoben. (Die Funktion des Orgasmus, 1927, S. 157f)

Was Reich hier beschreibt, die auffällige Diskrepanz zwischen vorgeschobenem und wirklichem Motiv, ist nichts anderes als die Emotionelle Pest. Das ganze könnte man auf Hitler, den „Generalpsychopathen“, wie Reich ihn nannte, und die nationalsozialistische Judenverfolgung übertragen.

Wie die Emotionelle Pest in ihrem eigentlichen Funktionsbereich, der Gesellschaft, zum Ausdruck kommt, und wie man ihr dort entgegentreten muß, beschreibt der Psychoanalytiker und Kommunist Reich wie folgt:

Es gibt Idealisten, welche meinen, die Wissenschaft sei eine voraussetzungslose Arbeit an Gegebenheiten, die unbekümmert um Meinungen und Ängste, rücksichtslos Wahrheiten aufdeckt. Statt dessen sieht man, daß insbesondere dort, wo es sich um Fragen des sexuellen Seins handelt, ethische Predigten mit der dazugehörigen Verlogenheit an der Arbeit sind, die sexuelle Not ins Maßlose zu steigern. Es kann wohl kein ethischeres Ziel gehen, als diese Art „Wissenschaft“, und je berühmter der Name des Forschers, desto unerbittlicher, zu bekämpfen, ohne Rücksicht auf die übliche Konvention und das schädliche laissez faire. Wohlerzogene Rücksichtnahme wird (…) zum Verbrechen an der Wissenschaft und an den Menschen. (Reich in einer Besprechung von Prof. Paul Häberlin „Über die Ehe. Schweizer Spiegel-Verlag, Zürich, 1928“ Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, 14(4), 1928, S. 532f)

Reich zitiert entsprechende Stellen bei Professor Häberlin, die zeigen, wie das Lebensglück der Menschen irgendwelchen „höheren Prinzipien“ geopfert wird. Mit Hilfe der damaligen Sexpol wollte Reich dieser gesellschaftlichen Perversion in der autoritären Gesellschaft aktiv entgegentreten.