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Der orgasmische Affe (Teil 3)

10. November 2011

Betrachten wir Homo sapiens‘ Sexualleben im Rahmen der etwa 200 anderen Primatenarten. Bärenmakaken-Männchen vollziehen durchschnittlich zehn Kopulationen pro Tag. Rhesusaffen und Paviane benötigen eine Serie von Kopulation, bevor es zur Ejakulation kommt. Interessant ist, daß dies nur die ranghöchsten Männchen tun, während rangniedere nur jeweils einmal kopulieren können, so daß es bei ihnen gar nicht zur Ejakulation kommt. Und wie wir im zweiten Teil gesehen haben, haben auch die ständig unter Streß stehenden höchsten Männchen alles andere als ein gesundes sexualökonomisches Leben.

Die gewaltigen Gorillas haben einen 2 Zentimeter langen Penis, sodaß es kaum zu einem energetischen Kontakt kommen kann. Schimpansen haben wohl 7 Zentimeter zur Verfügung, aber von der Intromission bis zur Ejakulation bleiben nur 7 oder 8 Sekunden mit 15 hektischen Friktionen, so daß auch hier jeder energetische Kontakt wohl unmöglich ist.

Was nun im Vergleich dazu den Primaten Homo sapiens betrifft (der mit dem Schimpansen so nah verwandt ist, daß man direkt von einer „Schimpansenunterart“ sprechen könnte) nimmt merkwürdigerweise die Dauer des Geschlechtsakts mit dem Ausmaß einer unnatürlichen Einstellung zur Sexualität ab: Spitzenreiter ist Dänemark mit 15 Minuten, im Mittelfeld liegen Länder wie Frankreich mit 7 Minuten und am Endpunkt liegt China mit 2 Minuten – und in wirklich pathologischen Weltgegenden wie Arabien kann man solche Erhebungen erst gar nicht anstellen. Man fragt sich nun, was hier denn „natürlich“ ist. Ganz kraß gesagt, ist nämlich, im Vergleich mit unseren nächsten Verwandten im Tierreich, der Araber in seinem Sexualverhalten weit „natürlicher“ als z.B. der Trobriander! Und umgekehrt sind „nach menschlichen Maßstäben“ unsere nächsten tierischen Verwandten die gleichen „phallischen Narzißten“ wie die Araber. Sie beide kompensieren ihr Ejaculatio praecox-Problem durch Vielweiberei und ständiges exhibitionistisches Zurschaustellen ihrer Männlichkeit.

Beim Affen kann man die ganze pathologische Palette des Mißbrauchs von „Sex“ für Machtzwecke finden: Schimpansen reiten als Zeichen des Unterwerfens oder der passiven Unterwerfung ohne Penetration auf, auch bei Gleichgeschlechtlichen (sogar Weibchen gegenüber rangniederen Weibchen). Bei manchen Affenarten imitieren die männlichen Tiere die genitalen Brunstschwellungen und -färbungen der Weibchen. Bei anderen Affenarten entwickelte sich die Klitoris der Weibchen zu einem Pseudopenis, so daß man die Geschlechter kaum unterscheiden kann, zumal sich bei einigen Arten zusätzlich auch ein Pseudohodensack entwickelt hat. Das Präsentieren des Hinterteils bei Weibchen und Männchen zur Beschwichtigung des Höhergestellten und umgekehrt das Präsentieren des erigierten Penis, das der Drohung gegen gruppenfremde Individuen und zur Demonstration des Ranges innerhalb der Gruppe dient, findet sich bei allen Affen. Der Penis ist hier neben Lustorgan in erster Linie Drohorgan.

Exhibitionisten, ob sie nun psychisch krank sind oder nur enge Jeans tragen, sind typische Rückkehrer zu atavistischem Primatenverhalten. Ähnliches gilt auch für die Weibchen, auch wenn es denen weniger um Macht und Ansehen, als vielmehr ums Fressen geht: Bei den allernächsten Verwandten des Menschen, den Bonobo-Zwergschimpansen hat man beobachtet, daß die Frauen für sich und ihre Kinder das notwendige tierische Eiweiß bei den jagenden Männern gegen Sex tauschen. Prostitution, aus der sich die menschliche Ehe entwickelt hat. Die sekundären Triebe sind so gewissermaßen die „primären“.

Zwischen den Schimpansenhorden gibt es unglaublich brutale Kriege, bei denen schon ganze Gruppen von ihren Gegnern ausgerottet wurden. Schnappt eine Gruppe von Männchen bei der Pirsch ein einzelnes männliches Mitglied einer verfeindeten Gruppe, wird dieses Männchen langsam zu Tode gequält, die Glieder verrenkt, das Fleisch von den Knochen gerissen und das Blut getrunken. Hier erwischt es sogar ein Weibchen:

Man sieht, dieser Aufsatz ist nichts für vegetarische Naturfreunde und Rousseauistische Wilhelm-Reich-Freaks! Nur Wahnsinnige können sich einen Schimpansen halten!

Hans Hass schließt aus der Beobachtung von Tieren, daß aggressive Stimmungen die sexuelle Bereitschaft des Männchens verstärken, jene des Weibchens jedoch abschwächen. Andererseits vermögen Angstzustände beim Weibchen sexuelle Gestimmtheit erheblich zu steigern, während sie diese beim Männchen mindern. Daß Angst (Kontraktion) positiv mit weiblicher Sexualität (Expansion) korreliert sein soll, wirft für die Orgonomie schwer zu beantwortende Fragen auf, denn diese tierischen „natürlichen“ Zustände lassen sich nicht auf den gesunden Menschen übertragen. Beim gesunden Mann verschwindet die Erektion bzw. kommt gar nicht erst zustande, wenn er gegen seine Partnerin wütend wird. Genauso bleibt jede Frau unerregt, sollte sie Angst vor ihrem Partner haben. Man kann eben nicht die tierische und die genitale Sexualität gleichsetzen.

Es ist offensichtlich, daß sich infolge eines Energiestaus neurotische Mechanismen beim Mann „sadistisch“ (phallisch), bei der Frau „masochistisch“ (hysterisch) festsetzen können, die dann Humanethologen wie Hass als natürlich imponieren. Was sie gewissermaßen auch sind! Aber… – immer, wenn sich der Mensch wie ein Affe benimmt, verhält er sich krankhaft. Es ist aus Sicht der Primaten „natürlich“, daß man Kinder auf den Bauch legt und nicht, wie es die Orgonomie fordert, auf den Rücken. Es ist „natürlich“, daß der Erwachsene neurotisch-depressiv gebückt und hängend „wie ein Affe“ durch das Leben schlurft, demgegenüber ist Aufrechtgehen vollkommen „unnatürlich“. Die „natürliche“ a tergo-Stellung im Geschlechtsakt, ist, wenn sie beim Menschen zur Regel wird, pathologisch (Vermeidung von Kontakt).

Evolutionsbiologen behaupten, die Überbevölkerung wäre biologisch vorgegeben, da das alte Genom darauf programmiert sei, möglichst viele Nachkommen gegen die hohe Sterberate hervorzubringen. Dies ist Blödsinn, denn die Überbevölkerung kam nachweislich mit dem Patriarchat, das altes Wissen über Verhütung verdrängte. Naturvölker leiden nicht an einem Bevölkerungsüberschuß, da sie eben kein „natürliches“ Sexualleben führen. Zum Beispiel entsprechen die Affenhorden mit ihrem „Harem“, dem ein „Pascha“ vorsteht, doch durchaus der Freudschen „Urhorde“, aber eben, wie Reich feststellte, nicht der („)natürlichen(“) Urgesellschaft.

Von jeher haben Dichter aus allen Kulturen in ihren Fabeln neurotisches Verhalten gerne anhand von Tieren verdeutlicht. Übrigens hat auch Reich, mit Tieren neurotische Charakterzüge illustriert: schleichender Fuchs, watschelnde Ente, schnurrende Katze, trampelnder Elefant (vgl. Offshoots of Orgonomy, No. 3, S. 6). Der körperliche Gesamtausdruck des Patienten drängt von allein zu einem zusammenfassenden Begriff. „Es sind merkwürdigerweise meist Formeln und Bezeichnungen aus dem Tierreiche wie ‚Fuchs‘, ‚Schwein‘, ‚Schlange‘, ‚Wurm‘ u.ä.“ (Funktion des Orgasmus, S. 228). Entsprechend empfanden sich natürliche, matristische Völker nicht als Tiere (Hans Biedermann: Die Großen Mütter, München 1989, S. 38). Die Trobriander entfernen künstlich alle „äffische“ Körperbehaarung und ihr ganzes Schönheitsideal, ihr „züchtender Gedanke“ (Nietzsche), ist eindeutig eine Verneinung des Schimpansenvetters im bzw. am Menschen.

Der orgasmische Affe (Teil 2)

9. November 2011

Die im ersten Teil angeschnittene für die Orgonomie so fremde „negative Beurteilung“ unserer entwicklungsgeschichtlichen Vorfahren wird durch Meldungen wie die folgenden beiden unterstützt, die den braven Reich-Anhänger ziemlich blaß aussehen lassen:

Bei Männern der Gattung Homo sapiens baut der Sexualakt im allgemeinen Aggressionen ab, Mäuse-Männchen dagegen werden danach erst richtig wild. In den ersten drei Wochen nach einer Kopulation töten sie alle neugeborenen Mäuse, die ihnen in die Quere kommen. Nach dieser Frist werden aus den Kinderkillern fürsorgliche Väter. Gesteuert wird das bizarre Verhalten nach Ansicht von Biologen der University of Missouri durch eine innere Uhr. Der Timer, der jeweils nach einer Ejakulation in Gang gesetzt wird, ließ sich im Labor (durch künstliche Veränderung von Tag- und Nachtrhythmen) verlangsamen oder beschleunigen. In der Natur läuft die neurale Uhr, synchron mit der Tragzeit einer Maus, nach drei Wochen ab. (Spiegel 33/90, S. 181)

Die amerikanische Psychobiologin Nancy Ostrowski vom National Institute of Mental Health hat festgestellt, daß körpereigene Abwehrsystem von Goldhamstermännchen sei „noch Wochen nach einer heftigen Kopulationsserie stark in Mitleidenschaft gezogen – sie erkranken leichter als Artgenossen, deren Geschlechtstrieb schwächer ausgeprägt ist“. Sexuell aktive Männchen, denen man körperfremdes Protein spritzte, konnten deutlich weniger Antikörper mobilisieren und Killerzellen bilden, als jene Hamstermännchen, denen man ein Sexualleben verwehrte (Spiegel 50/89). Es ist allgemein bekannt, daß Säugetiermännchen, die als einzige Männchen ein regelmäßiges Sexualleben haben, durch den Streß, der dadurch entsteht, daß sie ständig ihre Macht gegen Konkurrenten verteidigen müssen, früher an der „Managerkrankheit“ sterben als ihre erfolglosen Konkurrenten. Sowas bezeichnet man kurioserweise als „Zivilisationskrankheit“.

Reich ging es immer darum, den Menschen von der Zivilisation zu befreien und wieder zum Tiersein zurückzuführen, zum „Menschentier“ (ein Begriff, den übrigens auch Freud, wenn auch mit entgegengesetzter Tendenz, benutzt, ebenso Nietzsche). Der Mensch solle sich als Tier bekennen, um zur sexuellen Gesundheit zurückzufinden. Er, Reich, habe „nur eine einzige Entdeckung gemacht: die Funktion der orgastischen Plasmazuckung“ (Äther, Gott und Teufel, S. 3), die nur bei einem einzigen Tier, nämlich dem Menschen, nicht erfüllt werde – weil dieses Tier vor seinem Tiersein flüchte. Es gelte zum sexuell unverdorbenen Tier in uns zurückzukehren.

Der Orgasmusreflex sei „neben der Atmung die wichtigste Bewegungserscheinung im Tierreich“ (Charakteranalyse, S. 482). Folglich, wenn der Orgasmusreflex in der ganzen Tierwelt auftritt, muß die Genitalität in der Tierwelt allgegenwärtig sein. Konkret vergleicht Reich die orgastische Zuckung mit der von einer „Akme“ begleiteten Ausstoßung des Laichs bei Fischen und des Spermas bei Landtieren (Charakteranalyse, S. 518). Doch kann man dies wirklich mit dem menschlichen Orgasmus und seinem spezifischen Reflex gleichsetzen?

Die meisten Menschen wissen nicht, daß es beim Orgasmus zu einer reflexartigen Zuckung kommt. Dies kann man aus persönlichen Gesprächen schließen. Er wird auch in all dem Aufklärungszeugs, mit dem wir seit den 1960er Jahren überflutet werden, nirgends erwähnt. Vielleicht hat die „Sexuelle Revolution“ sogar bewirkt, daß viele Menschen diesen Reflex, bzw. den Beckenreflex, willentlich zurückhalten, weil es nicht „normal“ ist oder der Körper den Genuß stört, „da Sex sich ja sowieso nur im Kopf abspielt“ und die Lust durch Kontrolle der Beckenbodenmuskulatur prolongiert werden könne.

An der Orgasmuszuckung ist nichts Geheimnisvolles, denn sie ist den Krämpfen beim Nießen oder beim Erbrechen ähnlich. Aber andere krampfartige Erscheinungen, wie das Lachen, treten beim Tier nicht auf. Bei einer Erregung „oberhalb der Toleranzgrenze“ lachen wir – das Tier nicht (Baker: Der Mensch in der Falle, S. 105). Schon LaMettrie meinte: „Das Lachen ist es, was den Menschen vom Tier unterscheidet“ (Anti-Seneca, S. 102).

Ist die Genitalität also vielleicht doch nicht in der Tierwelt allgegenwärtig? Warum hat Reich sich bei seinen bioelektrischen Experimenten, wo es mehr denn nahe gelegen hätte, nicht mit höheren Tieren beschäftigt? Ließ er sie mehr oder weniger instinktiv als „orgastisch fragwürdig“ bei Seite und griff lieber direkt zum „Urtier“ zurück? Es gibt bei Reich Stellen, die dies nahelegen:

Die Lösung (der) segmentären Panzerung setzt Ausdrucksbewegungen und plasmatische Strömungen frei, die von den anatomischen Nerven- und Muskelanordnungen des Wirbeltieres unabhängig sind. Sie entsprechen weit mehr der peristaltischen Bewegung eines Darms, eines Wurms oder eines Protisten. (Charakteranalyse, S. 515f)

Die Ausdrucksbewegungen im Orgasmusreflex sind funktionell identisch dieselben wie die einer lebenden und schwimmenden Qualle. (ebd. S. 517f)

Die Ausdrucksbewegung des Orgasmusreflexes bedeutet (…) eine (…) aktuelle Mobilisierung einer biologischen Bewegungsform, die bis zum Quallenstadium zurückreicht. (ebd. S. 518)

Die Qualle ist bei Reich das Paradebeispiel für die zuckungsartige gesamtorganismische Pulsation des Orgasmusreflexes; umgekehrt zeige sich, so Reich, beim menschlichen Orgasmus die „Quallenfunktion“. Reich weiter:

Wir werden uns mit dem Gedanken befreunden müssen, daß es sich hier nicht etwa um tote, archaische Überreste der phylogenetischen Vergangenheit, sondern um höchst aktuelle, bioenergetisch höchst bedeutsame Funktionen im hochentwickelten Organismus handelt. Die primitivsten und die höchstentwickelten plasmatischen Funktionen bestehen nebeneinander und funktionieren wie ineinandergeschaltet. Die Entwicklung komplizierter Funktionen im Organismus, die wir „höher“ nennen, verändert nichts an Existenz und Funktion der „Qualle im Menschen“. Es ist gerade diese Qualle im Menschen, die seine Einheit mit der niedrigen Tierwelt darstellt. (Charakteranalyse, S. 519)

Die Pulsation läßt sich beim Einzeller

an den rhythmischen Kontraktionen der Vakuolen oder an den Zuckungen und schlangenartigen Bewegungen des Plasmas leicht beobachten. Beim Vielzeller sehen wir sie vor allem am Gefäß-System. Hier tritt die Pulsation im Pulsschlag klar hervor. Sie läuft an den verschiedenen Organen (…) verschieden ab. Am Darm erscheint sie als in distaler Richtung verlaufende Kontraktions- und Expansionswelle, als „Peristaltik“. An der Harnblase funktioniert die biologische Pulsation auf den Reiz der mechanischen Expansion durch Harnfüllung. Sie funktioniert in der Muskeltätigkeit, in den quergestreiften Muskeln anders als in den glatten, dort als Zuckung, hier als wellige Peristaltik. In der orgastischen Zuckung erfaßt die Pulsation den Gesamtorganismus („Orgasmusreflex“). (Der Krebs, S. 169f)

Die Frage ist nun, ob man die konvulsorischen Zuckungen, die Entladung und Entspannung begleiten, nur bei Zellteilung und menschlichem Orgasmus findet, jedoch nicht im übrigen Tierreich. – Nochmals: Selbstverständlich wird auch das übrige Tierreich von der Orgasmusformel bestimmt und in diesem Sinne ist die Genitalität phylo- und ontogenetisch allgegenwärtig, doch im Speziellen, d.h. im Sinne der Koordinierung der verschiedenen Teilpulsationen zu einer den gesamten Organismus als Einheit erfassenden Plasmazuckung hat die Genitalität eine Entwicklungsgeschichte.

Die Genitalität, die Reich beim Menschentier und der Zellteilung von Protozoen entdeckte, ist bei den restlichen Tieren nicht zu finden. Vielmehr ist eine Entwicklungslinie, wie sie implizit schon die Psychoanalyse vertreten hat, von den primitivsten Formen der Prägenitalität niederer Metazoen bis zur schließlichen Genitalität beim Menschentier aufzufinden, das deshalb der generische Genitale Charakter ist. Wir stoßen also nicht einfach auf die Genitalität, sondern auf deren Entwicklung, wenn wir auf die Affen und weiter zurückgehen.

Genauso wie die Orgasmusformel die Trennungslinie zwischen lebender und nichtlebender Natur markiert, kennzeichnet die Genitalität die Trennungslinie zwischen Menschentier und Tier. Reich hat diesen zweiten Trennungsstrich vermieden, indem er den Orgasmusreflex von der Genitalen Umarmung trennte und schon in der Körperhaltung und Bewegung der Wirbeltiere verwirklicht sah. Es sei nochmals die Frage gestellt: Warum hat Reich den Orgasmusreflex nicht im Sexualleben der Tiere nachgewiesen? Was doch angesichts des gepanzerten Menschen naheliegend gewesen wäre!

Trotz jahrelanger Suche ist es mir nicht gelungen, zur Beschwichtigung der vom im ersten Teil zitierten „Bioenergetiker“ bei mir hervorgerufenen schmerzlichen Zweifel einen Beleg dafür zu finden, daß der Orgasmusreflex bei Tieren auf dem Höhepunkt der geschlechtlichen Vereinigung auftritt. Wer diese Aussage widerlegen will, soll es versuchen.

Tiere haben offensichtlich ähnliche sexuelle Bedürfnisse wie der gepanzerte Mensch (sie masturbieren, wenn sie in Gefangenschaft allein sind, etc.), aber man kann keine orgastische Reaktionen finden, die dem entsprechen, was Reich für den orgastisch potenten Menschen beschreibt.

Der orgasmische Affe (Teil 1)

8. November 2011

Anläßlich der gegenwärtigen Ausstellung SEX in Stuttgart, in der genüßlich die „bizarren Sexpraktiken“ der Tiere präsentiert werden, möchte ich die Reichsche Orgasmustheorie in den Rahmen der Evolutionsbiologie stellen.

In den 1930er Jahren, als Reich im Anschluß an die Formulierung seiner Spannungs-Ladungs-Funktion durch die mikrobiologische Bionforschung seine Orgasmustheorie im Tierreich (Amöben und Protozoen) verankerte, kam der holländische Verhaltensforscher Nikolas Tinbergen zu ganz ähnlichen Ergebnissen bei der Erforschung des Verhaltens von höheren Wirbeltieren. Jedenfalls gibt es in der klassischen Verhaltensforschung Ansätze, die der energetischen Betrachtung des Triebgeschehens durch Reich nahe kommen.

Hier stand man unmittelbar vor der Entdeckung der Orgasmusfunktion und des Orgons – hätten die Forschungsobjekte der Verhaltensforscher so „orgastisch“ funktioniert wie zur gleichen Zeit Reichs zwei Forschungsobjekte in Skandinavien auf der vegetotherapeutischen Couch (der Orgasmusreflex beim Menschen) und unter dem Mikroskop (der „Orgasmusreflex“, bzw. die Teilung der Einzeller). Siehe dazu meine Ausführungen in Hans Hass und der energetische Funktionalismus.

Heute wird leider der energetische Ansatz der klassischen Verhaltensforschung (Tinbergen, von Holst, Lorenz, Hass) von der angloamerikanischen Tradition der „Soziobiologie“ bzw. „Psychobiologie“ verdrängt (bekanntester Vertreter ist E.O. Wilson von der Harvard University), die sich vollständig von biophysikalisch-energetischen Betrachtungen gelöst hat. Das eigentlich Biologische an der Biologie sei die Entwicklung von Information in der Evolution. An die Stelle des Energiebegriffs ist der der Information getreten. Ganz im Gegensatz zur Physik frägt man nicht nach Wirkursachen, sondern nach Zweckursachen. Triebe spielen hierbei keinerlei Rolle mehr. Bezeichnenderweise hat Wilson seine Theorie aus der Untersuchung von Insekten, also „bionischen Maschinen“ geschöpft.

Im Vergleich mit der mechanistischen Soziobiologie kommt die ältere ganzheitliche, gestalterkennende Schule, die „deutsche“ Tradition der Verhaltensforschung der Orgonbiophysik sehr nahe; etwas, was bis jetzt noch niemand festgestellt zu haben scheint. Das Übersehen dieser Tradition kommt daher, daß Lorenz in Amerika nicht sehr populär ist und in Europa die Orgonomie wegen des Naziverdachts, insbesondere aber wegen der Theorie vom „Aggressionstrieb“ mit Lorenz nichts am Hut hat.

Auch die Verhaltensforscher schalten zwischen dem genetisch kodierten Verhaltensmuster und dem tatsächlichen Verhalten als „dritten Faktor“ (Hans Hass) den Trieb. Hass wendet sich gegen eine rein Pawlowsche Reduktion des tierischen Verhaltens auf bedingte Reflexe, vielmehr sei bei den Schlüsselreizen und der angeborenen Reaktion auf sie, das energetische Triebgeschehen zu beachten:

Diese Triebe sind veränderlich und führen gleichsam ein Eigenleben. Sind sie aktiv, dann sucht das Tier nur noch nach dem Schlüsselreiz, auf den sein Triebverhalten hinzielt. Ist der Trieb abreagiert, dann achtet es auf solche Schlüsselreize nicht mehr – und andere Triebe beherrschen sein Verhalten.

Die Unterschiede zwischen der Verhaltensforschung und Reich sind praktisch mit denen zwischen Freud und Reich identisch. Hass führt 14 „Haupttriebe“ an mit zusätzlichen „Nebentrieben“ und der Instanz „Einsicht“, mit der die Triebe beherrscht werden (Die Schöpfung geht weiter, Stuttgart 1978). Zusätzlich baut sich noch „jeder Haupttrieb in Wahrheit aus einer ganzen Hierarchie von Einzelheiten auf“. Dies ist praktisch die gleiche Situation, die schon in der Sexuologie und psychiatrischen Psychologie vor Freud herrschte, über die Reich schreibt, daß es in ihr „ebenso viele Triebe wie menschliche Handlungen, oder beinahe ebenso viele“ gegeben habe.

Es gab einen Nahrungstrieb, einen Propagationstrieb für die Fortpflanzung, einen Exhibitionstrieb für die Exhibition, einen Machttrieb, einen Geltungstrieb, einen Nährinstinkt, einen Muttertrieb, einen Trieb zur Höherentwicklung des Menschen, einen Kultur- und Herdentrieb, selbstverständlich auch einen sozialen Instinkt, einen egoistischen und einen altruistischen Trieb, einen eigenen Trieb für die Algolagnie (Schmerzsucht) und einen für den Masochismus, einen für den Sadismus und einen Transvestitischen Trieb – kurz, es war sehr einfach und doch furchtbar kompliziert. (Die Funktion des Orgasmus, S. 31)

Die Freudsche Triebtheorie mit ihren „Partialtrieben“ änderte daran wenig. Reich:

Jeder von ihnen, auch die, die Perversionen bedingen, war biologisch festgelegt. (…) Zerschlug ein Kind ein Glas, so war es der Ausdruck des Destruktionstriebes. Fiel es oft hin, so wirkte der stumme Todestrieb.

Dieser „Konstitutionslehre“ setzte Reich die „dynamische Auffassung des seelischen Erkrankungen“ entgegen, die auf seiner genitalorgastischen Theorie basierte.

Selbst für jeden einzelnen Schritt des Sexualablaufs gab es vor Reich einen eigenen „Trieb“. Albert Moll sprach von einem Konkrektations- und einem Detumenszenztrieb als den Teiltrieben des Geschlechtstriebes. Havelock Ellis hat den letzteren weiter in einen Tumeszenztrieb, der der physiologischen Vorbereitung des Geschlechtsaktes diente, und dem eigentlichen Detumenszenztrieb aufgespalten. Diese Triebe würden sich aus der Evolutionsgeschichte des Menschen ergeben. Die primitivsten Vorfahren des Menschen pflanzten sich asexuell durch Knospung oder Teilung fort, durch Spannung und Entspannung, während der mehr psychische Konkrektationstrieb, das Zueinander-Hingezogensein, erst in späteren Evolutionsschritten mit dem Auftreten zweier voneinander getrennter Geschlechter in Erscheinung getreten wäre (Frühe Schriften, S. 101, Die Funktion des Orgasmus, S. 31, Frank J. Sulloway: Freud – Biologe der Seele, Köln 1982, S. 419f).

Reich hat all diese komplizierten Formulierungen in seiner wissenschaftlichen Entwicklung durch einfache energetische Beschreibungen ersetzt. Wichtig ist jedoch festzuhalten, daß Reich aus einer Tradition stammt, die den Trieb evolutionär verstehen wollte. Die wissenschaftliche Matrix aus der sich der junge Reich heraus entwickelt hat, wurde in der Orgonomie aber praktisch noch gar nicht rezipiert.

Reich bietet hier einen neuen Ansatz zur Evolutionsbiologie, der einerseits schon in den Grundlagen der Psychoanalyse als „Biologie der Seele“ (Sulloway) angelegt war und andererseits formal dem Ansatz des Verhaltensforschers Hass entspricht, der sich dem Triebaufbau des Menschen ganz ähnlich nähert:

Wenn sämtliche Organismen Teile einer einzigen großen Entwicklung sind, dann eröffnet sich eine ganz neue Möglichkeit, die Phänomene unseres Verhaltens zu erforschen (…): bei den niedrigsten uns bekannten Organismen. Er beginnt bei den einfachsten Lebenserscheinungen, bei den einfachsten Formen von „Verhalten“ und führt dann Stück um Stück den weiteren Entwicklungsweg empor.

Wenn man die entsprechenden Entwicklungslinie der Orgasmusfunktion verfolgt; mit der Zellebene anfängt, die Reich erforschte, und diese direkt mit der menschlichen Baumspitze verbinden will, treten ganz entschiedene Schwierigkeiten auf, die das eigentliche Thema dieser Ausführungen sein sollen. Die zweifelnden Gedankengänge hinter diesen Ausführungen wurden von folgender Aussage ins Rollen gebracht:

Der Körper-Panzer des Menschen ist im Laufe der Menschheitsgeschichte dünner geworden. Schauen Sie sich mal den Muskelaufbau der Affen an. Der Cro-Magnon-Mensch hat sich bestimmt nicht für ein Sensitivitätstraining geeignet. Es scheint, als ob der Mensch immer aufrechter geht, seine Haut immer dünner wird, er überhaupt immer flexibler wird. Sexualität ist beim Menschen nicht auf bestimmte Zeiten im Jahr beschränkt.

Der Mensch sei, so der „Bioenergetiker“ Stanley Keleman weiter in einem Gespräch mit Psychologie heute (Juni 1975), in seiner Entwicklung verglichen mit den Affen immer freier geworden und habe eine immer reichhaltigere bioenergetische Ausdrucksmöglichkeit erlangt.

Diese Aussage (bei der die Tendenz, nicht der substantielle Inhalt wichtig ist) hat zweifellos etwas für sich, schlägt aber offensichtlich den Ansichten Reichs ins Gesicht.

Ron Paul 2012

3. November 2011

Eines der Merkwürdigkeiten der politischen Landschaft ist die persönliche Haltung auffällig vieler „Libertärer“, die den Staat in einem fast schon als anarchistisch zu bezeichnenden Umfang auf ein Kleinstmaß zurechtstutzen wollen. Die Gesellschaft soll fast ausschließlich vom Markt beherrscht werden. Dies gilt auch für harte Drogen und andere unchristliche Schrecklichkeiten, die dem Leser jetzt vielleicht einfallen. Man sollte annehmen, daß eine solche Ideologie fast ausschließlich von Atheisten und „Leuten wie Frank Zappa“ vertreten wird, tatsächlich finden sich unter den führenden Köpfen der libertären Gedankenwelt strenggläubige Christen. Man denke nur an Ron Paul in Amerika oder den Unternehmer und Autor Roland Baader hier in Deutschland. Die libertäre Denkfabrik Ludwig von Mises Institute wurde beispielsweise von dem selbst manchen Libertären zu extremen und radikalen Llewellyn H. Rockwell, Jr gegründet, – einem fundamentalistischen Katholiken.

Warum sollten ausgerechnet von der Charakterstruktur her zweifellos „Rechte“ eine Weltanschauung vertreten, bei der im Vergleich selbst Anarchisten und „Autonome“ geradezu gemäßigt wirken? Zunächst einmal trügt der Schein! Wenn man etwa auf Max Stirner verweist werden diese Libertären merkwürdig still, wenn nicht sogar aggressiv abweisend. Ihre Struktur ist von „Moral und Ethik“ geradezu gesättigt. Auch wenn sie die „Freiheit“ ständig im Munde führen, geht es ihnen in Wirklichkeit gar nicht um „freie Entfaltung“, sondern darum den Staat als Institution zu vernichten. Und dies aus dem einen Grunde, daß der Staat die Verkörperung der mechanistischen, „linken“ Lebensauffassung ist.

Dies ist ein Kampf, der bis in die Anfänge der Panzerung des Menschentiers zurückreicht. Man denke etwa an die Auseinandersetzung zwischen den Propheten und den Königen im Alten Testament, an den ständig schwelenden Konflikt zwischen der Priesterkaste und dem Pharao im alten Ägypten (Stichwort Echnaton), an die Auseinandersetzung zwischen Taoismus/Buddhismus und Konfuzianismus im alten China und die zwischen der Falun Gong und dem Staat im modernen China, an den Investiturstreit im Mittelalter oder etwa den Kirchenkampf unter Bismarck. Es war stets der Widerstreit zwischen zwei letztendlich unvereinbaren Charakterstrukturen. (Siehe dazu meine Ausführungen in Der politische Irrationalismus aus orgonomischer Sicht.)
Diese Grundstruktur der gepanzerten Gesellschaft ist dem mechano-mystischen Denken so gut wie unzugänglich, weil es nicht die bioenergetischen Grundlagen der gesellschaftlichen Prozesse sieht, sondern an der Oberfläche hängenbleibt.

Beispielsweise können extreme Vertreter der jeweiligen Strömungen in bestimmten Momenten der gesellschaftlichen Entwicklung identische Ideologien vertreten – aus diametral entgegengesetzten Gründen. Die einen sind extrem libertär mit allen (manchmal verheerenden Konsequenzen), weil sie von ihrem geradezu eschatologischen „mystischen“ Haß gegen den „mechanistischen“ Staat getrieben werden. Die anderen vertreten genauso fanatisch exakt die gleichen Ansichten, weil sie auf den Trümmern der alten Ordnung ein neues, ein gerechtes System aufbauen wollen. In diesem Sinne sind sie die konsequentesten Vertreter des „mechanistischen“ Staatsgedankens.

So rational, vernünftig, ja „funktionell“ die libertäre Idee auch wirken mag, wird sie doch scheitern. Sie wird scheitern, weil sie den bioenergetischen Zwängen einer gepanzerten Gesellschaft genauso ausgesetzt ist, wie alle anderen Ideen, denen man ihre Irrationalität sofort ansieht.

Solange nicht die Panzerung selbst angegangen wird, ist dem gesellschaftlichen Elend nicht abzuhelfen. Was tun? Ein erster Schritt wäre die um sich greifende Einsicht, daß es den Panzer überhaupt gibt!