Das Versinken der gesamten europäischen Kultur „folgt“, so Laska, „der Agenda, die Thilo Sarrazin mit der Formel ‚Deutschland schafft sich ab‘ prägnant erfaßt hat (…). Ich [Laska] sehe den tieferen Grund dafür in der von mir fokussierten Selbstsabotage der Aufklärung (indem Marx und Nietzsche über Stirner triumphierten, zuvor Rousseau über La Mettrie); der Grund für diese [Selbstsabotage] allerdings bleibt mir ein Rätsel“ (S. 482f).
Nun, man muß es nur („L – S – R“) durch Freuds, Marcuses, Fromms, Adornos Triumph über Reich ergänzen. Wie hat Reich den „Todestrieb“ erklärt? Immerhin hat Freud den entsprechenden Artikel zum Anlaß genommen, Reich aus der Psychoanalyse und damit aus der Geistesgeschichte zu verbannen! Der Masochist (als Extremform des gepanzerten Menschen) nimmt lieber die vergleichsweise kleineren Schmerzen hin, provoziert sogar deren Zufügung, nur um der einen großen Gefahr zu entgehen: von der orgastischen Zuckung in tausend Fetzen zerrissen zu werden.
Reich schrieb ein ganzes Buch darüber, Christusmord, warum die Aufklärung das schlimmste wäre, was der Gesellschaft widerfahren könnte. Sie bleibt lieber im mechano-mystischen Obskurantismus gefangen, da die Wahrheit sie zerfetzen würde. Sie wäre die ultimative Katastrophe. Schmitz versucht sie zu verhindern. Er ist der ultimative Katechon, der „Aufhalter“, Laska ist sein (vermeintlicher) Antichrist. Dieses Buch dokumentiert die Geschichte dieser beiden archetypischen Schicksalsgestalten der Menschheit.
Schmitz selbst hat nur eine vage Ahnung von dem Strom, der uns ins unausweichliche Verderben spült: aber immerhin – was auch zeigt, warum Laska überhaupt mit ihm diskutiert. Schmitz:
Nach meiner Konstruktion schwimmt Stirner mit im Strom, der von Fichte ausgeht, nämlich von der Entdeckung der strikten Subjektivität (d.h. dem Umstand, daß z.B. in meinem Fall mir eine Auskunft über Hermann Schmitz wesentlich weniger Information gibt, als wenn hinzukommt, daß ich selbst Hermann Schmitz oder sonst etwas bin) zusammen mit ihrer Verkennung als rezessiv entfremdete Subjektivität (d.h. als über oder zwischen allen Tatsachen schwebendes Ich). Dieser Strom führt von der romantischen Ironie über die Dandys und den Weltschmerz tief in das ironistische Zeitalter absoluter Wendigkeit zur Coolness der modernen Jugend und zum „Zappen“ an elektronischen Geräten aller Art und sonstigen Freizeitvergnügen. Die Auszeichnung Stirners besteht in meinen Augen nur darin, daß er die rezessive Entfremdung mit trockener Humorlosigkeit blutig ernst nimmt, während die Ironisten damit eher ein Spiel treiben, das harmlos wirken kann, während Stirner mit seinem Ernst zeigt, wohin die Reise wirklich geht. Er ist ein Offenleger des tiefen Sinns des ironistischen Zeitalters, ein Mahnmal, nicht ein suggestiver Anstifter. Er wirkt abschreckend, so daß sich die von Ihnen entlarvten „Exorzisten“ an ihm vorbeizudrücken suchen. Der Schrecken hat aber reales Gewicht, ohne daß Stirner als Autor der Anstifter wäre. (S. 492)
Laska sieht den Strom von LaMettrie, Stirner und Reich ausgehend und das Verhängnis in der falschen Weichenstellung durch Diderot, Marx und Freud, die das Über-Ich doch noch gerettet haben, das uns heute beispielsweise dazu führt, vom Schuldwahn („Über-Ich-Wahn“) benebelt und restlos verunsichert den Holocaust der Umvolkung wiederstandlos über uns ergehen zu lassen. Das Warum kann Laska, wie erwähnt, nicht beantworten. Das kann, wie erläutert, nur Reich. Entsprechend ist, richtig gelesen, die Laska/Schmitz-Korrespondenz das Requiem der Menschheit: