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Max Stirner, Soter (Teil 17)

23. Juli 2025

Statt Eigner ihrer selbst zu sein, sind, wie dargelegt, die Triebhaften genauso Besessene wie einst die triebgehemmten Religiösen oder Ideologen: bei den einen ist es der Teufel, der sie umtreibt, bei den anderen Gott. Beide sind Sklaven sowohl der triebhaften Unbeherrschtheit als auch der geistigen „Liebe“: „Gewiß sind Urteile, welche der Haß eingibt, gar nicht unsere eigenen Urteile, sondern Urteile des Uns beherrschenden Hasses, ‚gehässige Urteile‘. Aber sind Urteile, welche Uns die Liebe eingibt, mehr unsere eigenen? Sie sind Urteile der Uns beherrschenden Liebe, sind ‚liebevolle, nachsichtige‘ Urteile, sind nicht unsere eigenen, mithin gar nicht wirkliche Urteile“ (Der Einzige, S. 320).

Natürlich gilt wieder, daß jeder Mensch, wie besessen er auch immer sei, unbewußt der Eigenheit zustrebt. Zum Beispiel erlaubt sich jeder von uns diese oder jene „Emanzipation“, die eine oder andere kleine Revolte gegen diese oder jene „Glaubenswahrheit“. Aber stets flüchten wir die Freiheit wieder und verfallen in die alte oder in eine „alternative“ Besessenheit (Der Einzige, S. 403). Es ist gleichgültig, ob es sich dabei jeweils um „altruistische“ Gottesfurcht oder „egoistische“ Ehrsucht handelt (Der Einzige, S. 375), um ideele oder materielle Güter (Der Einzige, S. 64), es sind „feindliche Brüder“ (Parerga, S. 47f).

Der Besessenheit an sich, können wir uns nur entziehen – wenn wir uns entziehen, d.h. uns ständig selbst „auflösen“ und verbrauchen. Auf diese Weise erklären wir das Recht auf uns selbst. Wir machen uns zu unseren eigenen Geschöpfen, die wir nach Belieben kreieren und wieder auflösen können (Der Einzige, S. 39). Bernd A. Laska zitiert Stirner: „Alle Prädikate von den Gegenständen sind meine Aussagen, meine Urteile, meine – Geschöpfe.“ Stirner wolle nicht, so Laska, daß diese Herren über ihn werden. Stirner: „Wollen sie sich losreißen von Mir, und etwas für sich sein, oder gar Mir imponieren, so habe Ich nichts Eiligeres u tun, als sie in ihr Nichts, d.h. in Mich, den Schöpfer, zurückzunehmen“ (z.n. Laska: Max Stirner, S. 46f). So kommt Stirner zu der paradoxen Feststellung, daß man sich aufgibt, wenn man sich nicht auflösen, nicht aufgeben kann: man ist besessen, das Geschöpf eines anderen, man gehört einem anderen (Der Einzige, S. 324).

Während ein Tier sich „realisiert“, „indem es sich auslebt, d.h. auflöst, vergeht“, versucht der Mensch Begriffe zu „realisieren“, z.B. indem er bestrebt ist „Mensch“ zu sein (Der Einzige, S. 372). Doch der Mensch will mehr sein als ein Tier, stemmt sich gegen die Zeit – und wird zum Opfer seiner eignen Geschöpfe, die seinen Fluß, seine Auflösung hemmen: er wird zum Gefangenen der Vergangenheit (Der Einzige, S. 215).

Als Naturwesen tut der Eigner seiner selbst einfach das, „was er nicht lassen kann“. Er steht jenseits von Ideen wie „Pflicht“ oder „Freiheit“ und ist trotzdem kein „Abgrund von regel- und gesetzlosen Trieben, Begierden, Wünschen, Leidenschaften“, kein „Chaos ohne Licht und Leitstern“, sondern ein Tier, das wie jedes andere Tier auch in seiner „Nacktheit und Natürlichkeit“ seinem Antriebe, d.h. nicht der Gewissensstimme, sondern der „Naturstimme“ folgt (Der Einzige, S. 178f). Damit meint Stirner „die wirkliche Nacktheit, die Entblößung von allem Fremden“ (Der Einzige, S. 153f). Der Egoist ist der „Unheilige“, „Barbar“, „natürliche Mensch“ (Der Einzige, S. 263).

Stirner verwahrt sich jedoch gegen das Mißverständnis, er wolle einen Naturzustand preisen (Der Einzige, S. 411). „(…) Ließe es nicht das Mißverständnis zu, als sollte ein Naturzustand gepriesen werden, so könnte man an Lenaus ‚Drei Zigeuner‘ erinnern. – (…) Ich lebe so wenig nach einem Berufe, als die Blume nach einem Berufe wächst und duftet“ (Der Einzige, S. 411). Aber genau dieses „Mißverständnis“ drängt sich dem Leser ständig auf. Stirner war z.B. der Auffassung, daß wir nicht vor unserer „Nacktheit und Natürlichkeit“ erschrecken brauchen, d.h. wie die Tiere getrost unseren Antrieben vertrauen können (Der Einzige, S. 178). Oder z.B. scheiterte etwa, Stirner zufolge, der deutsche Idealismus, der durch Einsicht den Mensch aus seinen irrationalen Verstrickungen lösen und zu einem sittlichen, vernünftigen, frommen, menschlichen Wesen machen wollte, „an der unbezwinglichen Ichheit, an der eigenen Natur, am Egoismus“ (Der Einzige, S. 373). Die innere Natur stellt sich gegen Zumutungen, die von außen an sie herangetragen werden. Das Heil liegt in der Widerspenstigkeit dieser Natur.

Das sagte Stirner zu einer Zeit, als im Geiste der Aufklärung das Denkvermögen als höchste Instanz galt. Sollte man sich einst gedankenlos Gott und seinen Offenbarungen unterwerfen, galt es nun in „platonistischer“ Tradition selbstevidente „Begriffe“ zu verwirklichen, d.h. insbesondere ein „Mensch“ zu sein. Es war dieser Glaube an die „allgemeine Vernunft“, zu der man gelangt, wenn man alle Individualität von sich abstreift, gegen den Stirner anging.

„Der Staat bemüht sich den Begehrlichen zu zähmen, mit anderen Worten, er sucht dessen Begierde allein auf ihn [den Staat] zu richten und mit dem sie zu befriedigen, was er ihr [der Begierde] bietet“ (Der Einzige, S. 350). Ob es nun um unser „Seelenheil“ oder unser „Menschentum“ geht, es ist stets so wie beim plattesten Materialismus: es geht nicht um mich den Leibhaftigen, sondern um mein Besitztum, meine Eigenschaften: meinen „Geist“, meine „Menschlichkeit“ mein Geld; „man heiratet gleichsam, was Ich habe, nicht was Ich bin“ (Der Einzige, S. 191).

Der Staat ist ein asoziales menschfressendes dämonisches Monster, das gegenwärtig jeden terrorisiert, der „unsere Demokratie“ in dieser Hinsicht entblößt: „Haß und Hetze“. Stirner schreibt, daß ein Mensch sich nur selbst wahrnimmt, wenn er sich gegenüber anderen ausdrückt. „Indem Ich Mich vernehmen lasse und so Mich selbst vernehme, genießen Andere sowohl als Ich selber Mich, und verzehren Mich zugleich“ (Der Einzige, S. 388). Wer sich vernimmt, d.h. Kontakt zum eigenen Selbst hat, der handelt frei (d.h. „egoistisch“) und gleichzeitig vernünftig (verantwortungsbewußt, d.h. „sozial“) (Parerga, S. 124).

Max Stirner, Soter (Teil 10)

2. Juni 2025

Wenn Stirner gegen das Naturrecht argumentiert, tut er das, weil es eben kein „Natur-Recht“ ist, sondern den Endpunkt der „Vergeistigung“ und „Heiligung“ darstellt, so daß nichts in der Natur wirklich Natur bleibt, d.h. „seinen Wert für sich behält“ (Der Einzige, S. 98). Folgt man nicht die fremden, „vergeistigenden“ Eingebungen, sondern wie ein Tier seinen Antrieben, wird man feststellen, daß man „trotzdem“ vernünftig handelt. „Allein die Gewohnheit religiöser Denkungsart hat unsern Geist so arg befangen, daß Wir vor Uns in unserer Nacktheit und Natürlichkeit –erschrecken; sie hat Uns so erniedrigt, daß Wir Uns für erbsündlich, für geborene Teufel halten“ (Der Einzige, S. 178). „Eure Natur ist nun einmal eine menschliche, Ihr seid menschliche Naturen, d.h. Menschen. Aber eben weil Ihr das bereits seid, braucht Ihr’s nicht erst zu werden“ (Der Einzige, S. 372). Die „eigene Kritik“ gleicht der „tierischen Kritik des Instinktes. Mir ist es, wie dem kritisierenden Tiere, nur um Mich, nicht ‚um die Sache‘ zu tun“ (Der Einzige, S. 400).

Der Mensch hat eine angeborene Natur:

Was Einer werden kann, das wird er auch. Ein geborener Dichter mag wohl durch die Ungunst der Umstände gehindert werden, auf der Höhe der Zeit zu stehen und nach den dazu unerläßlichen großen Studien ausgebildete Kunstwerke zu schaffen; aber dichten wird er, er sei Ackerknecht oder so glücklich, am Weimarschen Hofe zu leben. Ein geborener Musiker wird Musik treiben, gleichviel ob auf allen Instrumenten oder nur auf einem Haferrohr. Ein geborener philosophischer Kopf kann sich als Universitätsphilosoph oder als Dorfphilosoph bewähren. Endlich ein geborener Dummerjan, der, was sich sehr wohl damit verträgt, zugleich ein Pfiffikus sein kann, wird, wie wahrscheinlich Jeder, der Schulen besucht hat, an manchen Beispielen von Mitschülern sich zu vergegenwärtigen imstande ist, immer ein vernagelter Kopf bleiben, er möge nun zu einem Bürochef einexerziert und dressiert worden sein. Oder demselben Chef als Stiefelputzer dienen. Ja die geborenen beschränkten Köpfe bilden unstreitig die zahlreichste Menschenklasse. Warum sollten auch in der Menschengattung nicht dieselben Unterschiede hervortreten, welche in jeder Tiergattung unverkennbar sind? Überall finden sich Begabtere und minder Begabte. (Der Einzige, S. 364f)

„Was Du zu sein die Macht hast, dazu hast Du auch das Recht“, bedeutet nicht, einen Aufruf zu rücksichtsloser Gewalttätigkeit, d.h. „Unmündigkeit“, sondern ganz im Gegenteil, die Fähigkeit mit Freiheit mündig umzugehen (Der Einzige, S. 207). „Mündig“ sein bedeutet nicht „der“ Natur oder irgendwelchen Ideologien, sondern der eigenen Natur zu folgen: „Die Natur aber kann Mich zu dem nicht berechtigen, d.h. befähigen oder gewaltig machen, wozu Mich nur meine Tat berechtigt“ (Der Einzige, S. 208). Man betrachte hinsichtlich „Was Du zu sein die Macht hast, dazu hast Du auch das Recht“ auch das unmündige Kind mit seinem Lächeln oder seinem Weinen. „Bist Du imstande, seinem Verlangen zu widerstehen oder reichst Du ihm als Mutter nicht die Brust, als Vater so viel von deiner Habe, als es bedarf?“ (Der Einzige, S. 294f). Kind und Vater handeln schlicht als Naturwesen: „Ein Hund sieht den Knochen in eines andern Gewalt und steht nur ab, wenn er sich zu schwach fühlt. Der Mensch aber respektiert das Recht des Andern an seinem Knochen. Dies also gilt für menschlich, jenes für brutal oder ‚egoistisch‘“ (Der Einzige, S. 309).

„Eigner und Schöpfer meines Rechts – erkenne ich keine andere Rechtsquelle als – Mich, weder Gott, noch den Staat, noch die Natur, noch auch den Menschen selbst mit seinen ‚ewigen Menschenrechten‘, weder göttliches noch menschliches Recht“ (Der Einzige, S. 225). „Die Menschenrechte, das teure Werk der Revolution, haben den Sinn, daß der Mensch in Mir Mich zu dem und jenem berechtigt: Ich als Einzelner, d.h. als dieser, bin nicht berechtigt, sondern der Mensch hat das Recht und berechtigt Mich. Als Mensch kann Ich daher wohl berechtigt sein, da Ich aber, mehr als Mensch, nämlich ein absonderlicher Mensch bin, so kann es gerade Mir, dem Absonderlichen, verweigert werden“ (Der Einzige, S. 352).

Jeder Mensch ist ein Verbrecher, da jede Handlung und jede Unterlassung entweder ein göttliches bzw. „natürliches“ oder ein menschliches Recht verletzt: „Ihr wißt nicht, daß ein eigenes Ich nicht ablassen kann, ein Verbrecher zu sein, daß das Verbrechen sein Leben ist“ (Der Einzige, S. 222). „Es ist nicht Einer unter Euch, der nicht in jedem Augenblicke ein Verbrechen beginge: eure Reden sind Verbrechen, und jede Hemmung eurer Redefreiheit ist nicht minder ein Verbrechen. Ihr seid allzumal Verbrecher! Doch Ihr seid es nur, indem Ihr Alle auf dem Rechtsboden steht, d.h. indem Ihr es nicht einmal wißt und zu schätzen versteht, daß Ihr Verbrecher seid“ (Der Einzige, S. 308f).

Die biologische Fehlrechnung in der Ökonomik (Teil 2)

2. September 2023

Der klassischen Ökonomik zufolge hat die jeweilige „triebhafte“ Selbstsucht der Einzelnen in seiner Gesamtwirkung eine positive Folge für die Gesellschaft als ganzer. Letztendlich würden sich alle Interessen ausgleichen, wenn man davon absieht, daß ab und an der eine oder andere bei diesem Spiel aller gegen alle unter die Räder kommt. Das Problem ist nur, daß sich in der realen Welt letztendlich nichts ausgleicht, sondern alles in wenigen Händen akkumuliert, bis das Spiel in sich zusammenbricht – so wie es Marx, die Österreichische Schule und neuerdings Gunnar Heinsohn analysiert haben.

Laut der Marxschen Mehrwerttheorie ist es das Grundwesen des Kapitals sich zu akkumulieren und damit den Kapitalismus (die Konkurrenz) schließlich selbst aufzuheben. Die Österreichische Schule weist darauf hin, daß das in unserem neofeudalistischen System von den Zentralbanken gedruckte Geld zunächst an die Großbanken und Hedgefonds geht, die das sofort in der realen Wirtschaft investieren, womit sie die Preise künstlich hochtreiben, so daß die nachgeordneten Empfänger des Zentralbankgeldes angesichts der gestiegenen Preise in die Röhre blicken, die Reichen ohne jedweden realen Beitrag zur Wirtschaft immer reicher werden und schließlich das vollkommen kopflastig gewordene System kollabiert. Ähnlich bei Heinsohn: die Karten (Eigentumstitel) werden verteilt und das Monopoly-Spiel ist zuende, wenn schließlich alle Karten in einer Hand sind (Monopol). Zwangsläufig muß es zum kataklystischen Great Reset kommen und das Spiel beginnt von vorn.

Bei all diesen Theorien wird das biosoziale Grundproblem außer acht gelassen, daß die Menschen eben nicht nach ihren eigenen Interessen handeln, also gar nicht „egoistisch“ sind, und schon gar nicht solidarisch („altruistisch“) handeln. Sie sind nämlich eben nicht Herr im eigenen Haus, d.h. ihr Ich ist ständig vom Über-Ich fremdbestimmt. Der Kapitalakkumulation geht eine sozusagen „Moralakkumulation“ voran: die Inkorporation der gesellschaftlichen Vorgaben in Gestalt des Über-Ich. LaMettrie beschreibt die „Moralakkumulation“ wie folgt:

Hier [bei der „Moral der Natur“] braucht man sich den angenehmen Impulsen der Natur nur zu überlassen; dort [bei der künstlichen Ethik] muß man sich verkrampfen und gegen sie ankämpfen. Hier genügt es, sich nach sich selbst zu richten, das zu sein, was man ist, und sozusagen sich selbst zu ähneln; dort muß man gegen seinen Willen den anderen ähneln, muß man leben und fast sogar denken wie sie. Welch ein Betrug! (Philosophie und Politik, S. 10f)

DAS und nichts anderes ist der Kern jedweder ökonomischen Ausbeutung! Aktuell können wir diese „Moralakkumulation“, und wie sie zur „Kapitalakkumulation“ wird, unmittelbar beobachten. Im Rahmen der Political Correctness wird radikal alles durchmoralisiert, selbst harmloseste Witze werden zum Tabu, die heutigen Jugendlichen sind „moralischer“ als je zuvor – und das dient unmittelbar den Superreichen.

Durch die Panzerung (das Über-Ich ist der psychische Aspekt der Panzerung) bilden sich sekundäre Triebe aus, die nach (Ersatz-) Befriedigung verlangen, gleichzeitig werden die Menschen so domestiziert, daß sie bei diesem Spiel mitmachen. Das ist m.E. der Kern von Reichs 1933 verfaßter Massenpsychologie des Faschismus. Seine kommunistischen Gegner haben das damals intuitiv erfaßt und Reich mit einem Todesbann belegt (ähnlich wie es die Katholische Kirche getan hatte), während Reich selbst sich immer noch als treuer Marxist betrachtete.

David Holbrook, M.D.: „VERSCHWÖRUNGEN“ / ÜBER DAS PROBLEM, DIE MENSCHEN AUF DER ANDEREN SEITE DER POLITISCHEN KLUFT NICHT ZU VERSTEHEN / POLITISCHE DISKUSSIONEN AUF FACEBOOK / WOHER KOMMT DIE MORAL? VOM INDIVIDUUM ODER VOM STAAT? / SCHULD UND BEWEGUNG

17. November 2020

 

DAVID HOLBROOK, M.D.:

 

„Verschwörungen“

 

Über das Problem, die Menschen auf der anderen Seite der politischen Kluft nicht zu verstehen

 

Politische Diskussionen auf Facebook

 

Woher kommt die Moral? Vom Individuum oder vom Staat?

 

Schuld und Bewegung