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Wilhelm Reich, Physiker: Einleitung

16. Oktober 2025
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Wilhelm Reich, Physiker: Einleitung

Peter liest die Laska/Schmitz-Korrespondenz (Teil 17)

22. April 2024

Reichs grundlegender Dissens mit der Naturwissenschaft des 20. Jahrhunderts läßt sich in dem simplen Satz aus Christusmord zusammenfassen: „Der Raum ist nicht leer; und niemand hat je Atome oder die Luftkeime von Amöben gesehen“ (Freiburg 1978, S. 32).

Richard Feynman („Quantenelektrodynamik“), sicherlich der wichtigste Physiker nach dem Zweiten Weltkrieg, hat auf die Frage, welche wissenschaftliche Erkenntnis er einer Menschheit übermitteln würde, die nach einer globalen Katastrophe wieder von vorn mit einer Steinzeit beginnen müßte, und er nur eine kurze Message senden könne, geantwortet: daß alle Materie aus Atomen bestünde, daraus ließe sich die gesamte Physik rekonstruieren. Entsprechend würde ein Biologe vielleicht mit „unsichtbaren Keimen“ kommen, da das unmittelbare praktische (Hygiene) und theoretische Folgen (Erbinformation) hat.

Reich hat beide Vorstellungen als „Metaphysik“ von sich gewiesen und sich der Natur, wenn man so will, streng „phänomenologisch“ genähert. Beispielsweise wollte er zu Beginn seiner Bionversuche explizit nichts über den damaligen Stand der Mikrobiologie wissen, die seine „Bione“ sofort als diesen oder jenen Mikroorganismus abqualifiziert hätte. Ähnlich, als er die Strahlung der SAPA-Bione mit Hilfe des Elektroskops untersuchte, wollte er nichts von der Ladungstrennungstheorie hören, die alle „orgonotischen“ Phänomene mit (den Elektronen von) Atomen wegerklärt hätte.

Das führe ich hier an, weil Hermann Schmitz in den Human- bzw. Geisteswissenschaften ähnlich vorgeht. Die Phänomenologie, erst recht die Schmitzsche Neue Phänomenologie, beginnt voraussetzungslos mit der Beobachtung. Halb ironisch könnte man sagen: „Ich hab‘ mein Sach‘ auf nichts gestellt!“ – Beide, Reich und Schmitz, sind dezidiert nichtnihilistisch, denn Reich stellt sich mit seinem „kosmischen Lebensäther“ explizit gegen Einsteins „kosmische Leere aus bloßen mathematischen Abstraktionen“ (kein Zitat), während Schmitz den Raum affektiv besetzt („Gefühlsraum“).

Laska, ursprünglich ein „Reichianer“, und Schmitz sollten sich allein von daher „gesucht und gefunden“ haben; nicht von ungefähr kommt der intensive Austausch zwischen beiden. Woher dann der auffällige grundsätzliche Dissens? Der alles entscheidende Unterschied zwischen beiden ist die Parteilichkeit: das Kind oder die Kultur, d.h. die in die Kultur hereinbrechende Natur oder die Kultur?!

Dazu schreibt Schmitz, er sei beispielsweise dagegen,

den Kindern die grausamen und unheimlichen Geschichten aus der Märchenliteratur, denen sie sich fasziniert zuwenden, vorzuenthalten, weil die Phantasie dadurch auf Abwege geraten könnte. Wie die Kinderkrankheiten zur Ausbildung eines strapazierfähigen Immunsystems, so gehören vielfältige Eindrücke, die im Dunkel undeutlichen Verlangens nach Anziehendem und Abstoßendem Leuchtpunkte setzen, zur Vorbereitung einer selbständigen, in personaler Emanzipation durch personale Regression hindurch reifenden Persönlichkeit, die in einem steril rationalen Schutzklima verkümmern würde. Ich bin durchaus der Meinung, daß die Aufklärung und Abstoßung des Ungemäßen in der Enkulturation nur nachträglich erfolgen kann (…) (S. 360)

Parteilich ist man, wenn man sich gegen das Über-Ich stellt, d.h. auf die Seite des Lebendigen. Da hilft es dann auch nichts, wenn sich Schmitz gegen den „Konstellationismus“, d.h. gegen die atomistische Zerstückelung der Natur stellt, wobei dann die isolierten Faktoren wieder mechanisch vernetzt werden (S. 359). Dieser quasi „Funktionalismus“ bei Schmitz hilft nicht, weil es für ihn, genau wie für Stirner und im krassen Gegensatz zu Reich, kein „allgemeinverbindliches Kriterium für Rationalität“ gibt. Von daher auch seine Probleme mit dem irrationalen vs. rationalen Über-Ich (S. 353, 357).

Beispielsweise schwebt ihm als „Religion der Zukunft“ der japanische Shintoismus vor:

eine Religion ohne Dogmen und Mythen. Wo dem Japaner etwas Heiliges begegnet, etwa eine frische Quelle, ein imponierender Baum oder ein sonderbarer Stein, errichtet er einen kultischen Schrein, umwickelt den Baum, beschriftet den Stein. Ganz spontan sammelt sich das Volk, etwa auf dem Weg zur Arbeit, und spricht ein kurzes Gebet zum kami, was nicht präzis ein als persönlich vorgestelltes Wesen ist, sondern eine schwach personifizierte göttliche Macht. (S. 357)

Das auch sadistische Massenmörder und Kinderschänder ein Gebet zum „kami“ sprachen und lebenslang vollkommen in „einpflanzenden Situationen“ eingebettet waren… Dazu Schmitz zu Laska:

Sie sprechen die Problematik der Enkulturation an. Was Sie in diesem Zusammenhang als das – rationale oder irrationale – Über-Ich bezeichnen, das auf diese Weise an das Kind weitergegeben werde, ist in meiner Terminologie die gemeinsame implantierende Situation (aus Situationen), in die das Kind hineinwächst. (…) Die Bedeutsamkeit der implantierenden Situation ist aber binnendiffus, d.h., sie besteht nicht aus lauter einzelnen Bedeutungen (Sachverhalten, Programmen, Problemen), die man der Reihe nach auf den Prüfstand stellen könnte, ob sie rational oder irrational sind. Daher muß jede Zensur scheitern, die die implantierende Situation vor Zulassung zum Kind darauf prüft, was als irrational verworfen und als rational durchgelassen werden soll. (S. 356f)

Dazu fällt mir langsam nichts mehr ein… Außer vielleicht der Verweis auf das eine Buch, das die gesamte Human- und Geisteswissenschaft, vor allem aber die Neue Phänomenologie ad absurdum führt:

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 5)

15. Juli 2022

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Laska setzte die („vermeintliche“) Entdeckung des Orgons in den Kontext von Reichs Machtlosigkeit, und seiner Sehnsucht die Welt zu verändern. Niemand wird sich wundern, wenn ein Student der Orgonomie erstmal darauf beharrt, daß die ubiquitäre Orgonenergie eine singuläre Entdeckung ist und daß das wahrlich das Bedeutungsvollste an Reich ist. Nun wäre diese meine Aussage über das Orgon als welterschütternde Entdeckung einfach nur platt und „orgon-sektiererisch“, wenn ich sie nicht begründen würde: Alle anderen physikalischen Entdeckungen, z.B. die des Elektrons, gehen darauf zurück, daß aus dem Fluß der Erscheinungen bestimmte „Dinge“ herausgefiltert wurden. Als Reich 1934 erstmals den Strömungsempfindungen seiner Patienten gewahr wurde und damit zum ersten Mal dem Orgon direkt begegnete, war das etwas grundsätzlich Neues: die Entdeckung beruhte auf der Auflösung eines „Dinges“ (der Charakterpanzerung). Das macht die Entdeckung des Orgons gerade für den „Körpertherapeuten“ wichtig.

Wenn ich ihn richtig verstanden habe, geht Laska: „Eigner verwirklicht sich im Orgon und anderen Konzepten“. Ich halte dagegen: „Eigner entfremdet sich den menschlichen Konzepten und befreit sich anhand des Orgons, das das Gegenteil eines Konzepts und sogar das Gegenteil eines materiellen Erkenntnisobjektes ist“.

Welche Einschätzung des Orgons ist für den Therapeuten potentiell wichtiger: Laskas Haltung (die sich um die historische Person Reich dreht), die eh von allen und jedem vertreten wird, oder „meine“ Haltung, bei der es um Körperströmungen, Panzerauflösung und Wahrnehmung, Kontakt und das Orgon im Hier und Jetzt geht?

Laska hinterfragt vollkommen rational bestimmte Aussagen Reichs „im Lichte unserer Erfahrungen seit 1957“, während ich dann sage: Das ist zweifellos vernünftig, aber „Vernunft“ betrachte ich hier nicht als sonderlich fruchtbar. Daß das Orgon möglicherweise einfach nur ein künstlich zusammengelogenes Syndrom konventioneller physikalischer Beobachtungen ist, ist mir einfach zu – unfruchtbar. Viel spannender ist doch zu ergründen, was am Orgon so singulär ist im Vergleich mit den Konzepten der Schulphysik einerseits und den „anderen“ Lebensenergie-Konzepten andererseits.

Außerdem bin ich einfach doch zu sehr Physiker, um das „aufklärerische“ Wegwischen des Orgons zu akzeptieren. Ich „weiß“ ganz einfach, daß man das Orgon als künstlich zusammengelogenes Syndrom konventioneller physikalischer Beobachtungen unmöglich wegerklären kann. Ich weiß aber auch, daß es in alle Ewigkeit skeptische und „aufklärerische“ Physiker geben wird, die genau dies versuchen werden. Selbst das Plancksche Wirkungsquantum versuchen sie nach hundert Jahren immer noch mit klassischer Physik wegzuerklären.

Stirner hat nicht der subjektiven „solipsistischen“ Willkür Tür und Tor geöffnet, sondern ganz im Gegenteil sich gegen die Willkür der Menschensatzungen empört, um den Gesetzen der Natur wieder Geltung zu verschaffen, gegen die jede Empörung einfach nur eine Kinderei, also Religion ist. Aber genau das haben sich seine „Nachfolger“, Adorno & Co., zuschulden kommen lassen: kindsköpfigerweise „entlarvten“ sie auch „die Natur“ (z.B. die Genitalität) als bloße Ideologie – und öffneten so der Willkür wieder Tür und Tor. Das gipfelte dann in der gegenwärtigen „woken“ Gender-Clownerie. Getoppt wird diese merkwürdige „Dialektik der Aufklärung“ dann noch, indem plötzlich Reich und Stirner als Reaktionäre, wenn nicht Faschisten „entlarvt“ dastehen: indem diese ihre vermeintlich „naturwüchsige“ Inidividualität verwirklichen und dergestalt „gesunden“, werden sie erst recht nutzbar (arbeits- und genußfähig) bzw. Apologeten für das „irre Ganze“ – wobei Leute wie Adorno nach freiem Ermessen bestimmen, was „irre“ und was „gesund“ ist (vgl. dazu Laskas rororo Bildmonographie, S. 39).

Für mich ist die Orgonomie die „Stirnersche Naturwissenschaft“, weil die Entdeckung der Orgonenergie einen singulären Charakter hat. Das Forschungsobjekt der Orgonomie zwingt einen funktionell zu denken und zu handeln. Wenn ich das Wort „Wissenschaft“ höre, denke ich an Nietzsche, der die totale Verranntheit der Geisteswissenschaften mit „Physik“ überwinden wollte. Und ich glaube nun mal, daß das letztere näher an Reich ist, der die „psychologistische“ Verranntheit der Psychoanalyse überwinden wollte.

In diesem Zusammenhang möchte ich hier nochmals das bringen, was ich zum letzten Teil in einem Leserbrief schrieb:

…in den 1920er Jahren hat Reich sich explizit gegen Freud stellend, gegen die Laienanalyse optiert, weil die „Geisteswissenschaftler“ zu viel Ballast (Ideologie, Über-Ich) in die naturwissenschaftliche Psychologie (die Psychoanalyse) tragen würden. Diese Haltung hat er in den 1930er Jahren bei seinen bioelektrischen Experimenten und den Bion-Versuchen weiter zugespitzt und sich sogar gegen „vorgebildete“ Naturwissenschaftler vom Kaiser-Wilhelm-Institut und der Rockefeller-Foundation gewandt. Man müsse ideologisch unvorbelastet die Natur betrachten. Sein Anspruch war es naturwissenschaftlicher als die Naturwissenschaftler zu sein, denen er im Grunde „Scholastik“ vorwarf.

Laska hat geschrieben:

Der Stirnersche Eigner seiner selbst hat durch Reichs Arbeiten klare Kontur gewonnen, sowohl was seine konkrete Gestalt angeht als auch die gesellschaftlichen Bedingungen für seine Existenz. Stirners fehlende oder ratlose Gesellschaftstheorie – von Marx und Engels zwar zu Recht kritisiert, aber nicht überwunden – wurde erst hundert Jahre später möglich: durch Reichs naturwissenschaftliche Erkenntnisse über die Möglichkeit der amoralischen individuellen Selbststeuerung, die mit sozialer Selbststeuerung nicht nur nicht kollidiert, sondern sie zur Bedingung hat – und umgekehrt. (Laska: „Zur Bestimmung des Status der Reich’schen Theorie, Teil 2“ Wilhelm Reich Blätter 2/80, S. 82)

Funktionelle und mechanistische Wissenschaft

28. August 2017

Wilhelm Reich, Physiker: Einleitung