[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]
Stirner will sich von der „Negerhaftigkeit“ (dem Verhaftetsein an Heiligen Dingen) und der darauffolgenden „Mongolenhaftigkeit“ (dem Verhaftetsein an Heiligen Gedanken) befreien. Er hat nach eigener Aussage als Vorfahren jenen, „der mittels des Geistes die Natur als das Nichtige, Endliche, Vergängliche darstellte“ und er, Stirner will nun weitergehen und „auch den Geist zu gleicher Nichtigkeit herabsetzen“ (vgl. Der Einzige und sein Eigentum, Reclam, S. 71-77).
Ausgerechnet jene „rationalen“ Gesellschaften, auf die sich Reich und später James DeMeo berufen haben (Murias und Nagas in Indien, die Trobriander, einige Indianerstämme, die Eskimos und sehr wenige Stämme in Afrika) – ausgerechnet diese „matristischen“ Völker haben ausgesprochen nicht-rationale und größtenteils sogar ausgesprochen schwachsinnige Tabus (Marke: Berühre niemals mit dem linken Knöchel des rechten Fußes einen fruchttragenden Baum!), die absolut heilig sind, weit heiliger als etwa die katholischen Tabus.
Was ich sagen will: es kann nicht abstrakt philosophisch um „Aufklärung“ und „Irrationalismus“ gehen, sondern in unserem Zusammenhang nur um den Gegensatz eines lustfeindlichen vs. eines prinzipiell lustbejahenden Über-Ich. Zum Beispiel ist das Verbot, Freitags Fleisch zu essen, weder rational noch gerade lustbejahend – aber prinzipiell beschränkt es die Lustfähigkeit in keinster Weise – und nur darum kann es gehen.
Und noch was zum Über-Ich. Neulich hat mich ein Leserbrief über Rechtskultur und Mentalität sehr nachdenklich gemacht, weil er etwas in Worte brachte, was mich schon seit langem beschäftigt: „Einem Deutschen genügt meist ein deutlicher Hinweis auf eine Vorschrift, um ihn zum Einlenken zu bewegen. Ein arabischer oder muslimisch-türkischer Ausländer – besonders wenn er noch jung ist – beurteilt oft erst nach der Schulterbreite seines Kontrahenten, ob der berechtigt ist, ihm Anweisungen zu geben.“ Unsere Gesellschaft funktioniert, weil unser Über-Ich so stark ist, während insbesondere Mohammedaner in einer Gesellschaft leben, wo die gesellschaftliche Gewalt weniger „harmonisch“ inkorporiert worden ist, da der äußere Zwang unvorhersehbar und brutal ist. Und etwa Weiblein und Männlein von vornherein gar nicht in Versuchung kommen. Das, also die zeitweise Schwäche des Über-Ichs, erzeugt noch gestörtere Menschen, als man sie in Mitteleuropa findet. Tatsächlich faszinieren die Menschen aus dem moslemischen Kulturraum so manchen unbedarften „Reichianer“ sogar als verhältnismäßig „ungepanzert“. Tatsächlich haben sie jedoch einen weitgehend triebhaften Charakter mit einem isolierten Über-Ich, das schließlich weitaus heftiger, nämlich „triebhaft“ zuschlagen kann.
Ich muß beispielsweise an den Unterschied zwischen dem katholischen Süden Europas denken, etwa das „anarchistische“ Italien – oder die humoristischen Erzählungen eines griechischen Freundes über den Alltag in seinem Heimatland: legal, illegal, scheißegal. Und im Gegensatz dazu an das von Lutheranischen Schuldgefühlen zerfressene Skandinavien. Ähnliches läßt sich über den Gegensatz von Nord- („saharasische Anarchie“) und Süd-Indien („matristisches Law-and-Order“) sagen. Den Unterschied kann man sogar hören: da die irgendwie nach „Hasch-Pfeife“ klingende Hindustani-Musik des Nordens, dort die strenge hoch-stilisierte karnatische Musik des drawidischen Südens.
Es kommt ein weiteres „Ausgerechnet“ hinzu: Das Über-Ich steht für unsere Identifizierung mit den Eltern, unseren Kontakt mit unserem eigenen Wesenskern. Wenn wir gegen dieses Über-Ich rebellieren, trennen wir uns von unserem Kern. Genau das ist in der Aufklärung passiert, als man sich auf naive Weise von „Gott“ abwandte, so als wäre das, worum sich vorher alles gedreht hatte, ein bloßes Nichts. Aber „Gott“ stand für etwas und dieses „Etwas“ hat Reich herausgearbeitet, etwa in Äther, Gott und Teufel. Den rationalen Kern im irrationalen Wahnwitz.
In Der triebhafte Charakter unterscheidet Reich zwischen der reaktiven Über-Ich-Bildung und der „sublimierenden Wandlung des väterlichen Ideals“: „Es ist (…) nicht gleichgültig, ob ein Revolutionär auf sozialem Gebiet lediglich aus Reaktion gegen den Vater ‚revolutioniert‘ oder aus Anlehnung an eine revolutionäre Vaterimago, ohne Rücksicht auf die väterliche Einstellung“ (Frühe Schriften, S. 269). Es geht darum, ob man neurotisch rebelliert und alle Verbindungen „zum emotionalen Bereich der Väter und Mütter“ kappt (die dann wie alles Verdrängte an anderer Stelle um so stärker auftauchen, wie Stirner gezeigt hat: die „Humanität“ als Gott der vermeintlichen Atheisten) oder sich rational damit auseinandersetzt und es z.B. besser machen will als der Vater.
Stirner war der einzige Aufklärer, der sogar den allerletzten Ersatzkontakt des Linken, dessen kollektivistischen „Menschheits-Glauben“ zertrümmert hat. Das erklärt auch, warum der ultimative „Über-Ich-Vernichter“ derartig (von rechts und links gleichermaßen) dämonisiert wird, daß nicht mal sein Name ausgesprochen werden darf, um „nicht den Teufel an die Wand zu malen“! Indem Stirner das Über-Ich angreift, greift er nicht nur „Flausen im Kopf“ an, sondern direkt den innersten Wesenskern der Individuen. Es geht um mehr als nur um Leben oder Tod: es geht um alles, d.h. um das, wofür Menschen sogar freudig ihr Leben hingeben. Es geht um „Gott“, in dem Sinne, wie Reich von „Gott“ sprach. Es geht um die kosmische Orgonenergie…
Ich habe ein Problem mit dem Begriff „rationale“ Gesellschaft und all das „Rationale“, das beispielsweise Bernd Laska in seinem LSR-Projekt anklingen ließ. Da klang er fast wie Habermas. Sozusagen: „Reden wir drüber, an was wir glauben wollen. Keine präkognitiven irrationalen Tabus, sondern rationale Einschränkungen, nachdem wir unsere Probleme rational durchdiskutiert haben.“ Der Mensch war nie so und er wird nie so sein.
Wir können natürlich versuchen den „animistischen Sumpf“ auszutrocknen („Aufklärung“). Problem ist nur, daß wir dabei wahrscheinlich uns selbst zerstören oder es zu einer Gegenreaktion des Obskurantismus kommt, die auch noch den letzten Rest von Rationalität hinwegfegt. Es ist wie bei den „Reichianischen“ Körpertherapeuten, die die Panzerung beseitigen (als wenn das eine große Kunst wäre), sich dann aber wundern, wenn der dergestalt aufgerissene Körper nur um so heftiger kontrahiert und z.B. irreparabel psychotisch wird.
Alles was ist, auch das Irrationalste, ist durch seine bloße Existenz zunächst einmal gerechtfertigt. Hier geht es beispielsweise darum, ob man fremdbestimmt ist; durch das Über-Ich bestimmt. „Fremdbestimmt“ in dem Sinne, daß dieses Fremde (etwa die Sexualfeindlichkeit der Eltern) Teil der eigenen Psyche wird. Imgrunde eine Psychose im Kleinen (bzw. im Großen). Doch genauso wie es in der menschlichen Triebstruktur nur Dinge geben kann, die eine Entartung primärer Anlagen ist, egal wie sekundär die Triebe auch immer sein mögen, ist auch das „schlechte Gewissen“ trotz allem immer noch eine innere Stimme, sozusagen eine grotesk-tragische Imitation von Autonomie. Naturwissenschaft und Technik und Emanzipation im Sinne Stirners konnten sich eben wegen der erwähnten „grotesk-tragischen Imitation von Autonomie“ durch all das Irrationale zur gesellschaftlichen Realität hindurchquälen. Das fehlt in anderen Kulturen, wo die Gewalt eine äußere bleibt und die Menschen in der Position verschreckter Kinder gehalten werden.
[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]
Laska setzte die („vermeintliche“) Entdeckung des Orgons in den Kontext von Reichs Machtlosigkeit, und seiner Sehnsucht die Welt zu verändern. Niemand wird sich wundern, wenn ein Student der Orgonomie erstmal darauf beharrt, daß die ubiquitäre Orgonenergie eine singuläre Entdeckung ist und daß das wahrlich das Bedeutungsvollste an Reich ist. Nun wäre diese meine Aussage über das Orgon als welterschütternde Entdeckung einfach nur platt und „orgon-sektiererisch“, wenn ich sie nicht begründen würde: Alle anderen physikalischen Entdeckungen, z.B. die des Elektrons, gehen darauf zurück, daß aus dem Fluß der Erscheinungen bestimmte „Dinge“ herausgefiltert wurden. Als Reich 1934 erstmals den Strömungsempfindungen seiner Patienten gewahr wurde und damit zum ersten Mal dem Orgon direkt begegnete, war das etwas grundsätzlich Neues: die Entdeckung beruhte auf der Auflösung eines „Dinges“ (der Charakterpanzerung). Das macht die Entdeckung des Orgons gerade für den „Körpertherapeuten“ wichtig.
Wenn ich ihn richtig verstanden habe, geht Laska: „Eigner verwirklicht sich im Orgon und anderen Konzepten“. Ich halte dagegen: „Eigner entfremdet sich den menschlichen Konzepten und befreit sich anhand des Orgons, das das Gegenteil eines Konzepts und sogar das Gegenteil eines materiellen Erkenntnisobjektes ist“.
Welche Einschätzung des Orgons ist für den Therapeuten potentiell wichtiger: Laskas Haltung (die sich um die historische Person Reich dreht), die eh von allen und jedem vertreten wird, oder „meine“ Haltung, bei der es um Körperströmungen, Panzerauflösung und Wahrnehmung, Kontakt und das Orgon im Hier und Jetzt geht?
Laska hinterfragt vollkommen rational bestimmte Aussagen Reichs „im Lichte unserer Erfahrungen seit 1957“, während ich dann sage: Das ist zweifellos vernünftig, aber „Vernunft“ betrachte ich hier nicht als sonderlich fruchtbar. Daß das Orgon möglicherweise einfach nur ein künstlich zusammengelogenes Syndrom konventioneller physikalischer Beobachtungen ist, ist mir einfach zu – unfruchtbar. Viel spannender ist doch zu ergründen, was am Orgon so singulär ist im Vergleich mit den Konzepten der Schulphysik einerseits und den „anderen“ Lebensenergie-Konzepten andererseits.
Außerdem bin ich einfach doch zu sehr Physiker, um das „aufklärerische“ Wegwischen des Orgons zu akzeptieren. Ich „weiß“ ganz einfach, daß man das Orgon als künstlich zusammengelogenes Syndrom konventioneller physikalischer Beobachtungen unmöglich wegerklären kann. Ich weiß aber auch, daß es in alle Ewigkeit skeptische und „aufklärerische“ Physiker geben wird, die genau dies versuchen werden. Selbst das Plancksche Wirkungsquantum versuchen sie nach hundert Jahren immer noch mit klassischer Physik wegzuerklären.
Stirner hat nicht der subjektiven „solipsistischen“ Willkür Tür und Tor geöffnet, sondern ganz im Gegenteil sich gegen die Willkür der Menschensatzungen empört, um den Gesetzen der Natur wieder Geltung zu verschaffen, gegen die jede Empörung einfach nur eine Kinderei, also Religion ist. Aber genau das haben sich seine „Nachfolger“, Adorno & Co., zuschulden kommen lassen: kindsköpfigerweise „entlarvten“ sie auch „die Natur“ (z.B. die Genitalität) als bloße Ideologie – und öffneten so der Willkür wieder Tür und Tor. Das gipfelte dann in der gegenwärtigen „woken“ Gender-Clownerie. Getoppt wird diese merkwürdige „Dialektik der Aufklärung“ dann noch, indem plötzlich Reich und Stirner als Reaktionäre, wenn nicht Faschisten „entlarvt“ dastehen: indem diese ihre vermeintlich „naturwüchsige“ Inidividualität verwirklichen und dergestalt „gesunden“, werden sie erst recht nutzbar (arbeits- und genußfähig) bzw. Apologeten für das „irre Ganze“ – wobei Leute wie Adorno nach freiem Ermessen bestimmen, was „irre“ und was „gesund“ ist (vgl. dazu Laskas rororo Bildmonographie, S. 39).
Für mich ist die Orgonomie die „Stirnersche Naturwissenschaft“, weil die Entdeckung der Orgonenergie einen singulären Charakter hat. Das Forschungsobjekt der Orgonomie zwingt einen funktionell zu denken und zu handeln. Wenn ich das Wort „Wissenschaft“ höre, denke ich an Nietzsche, der die totale Verranntheit der Geisteswissenschaften mit „Physik“ überwinden wollte. Und ich glaube nun mal, daß das letztere näher an Reich ist, der die „psychologistische“ Verranntheit der Psychoanalyse überwinden wollte.
In diesem Zusammenhang möchte ich hier nochmals das bringen, was ich zum letzten Teil in einem Leserbrief schrieb:
…in den 1920er Jahren hat Reich sich explizit gegen Freud stellend, gegen die Laienanalyse optiert, weil die „Geisteswissenschaftler“ zu viel Ballast (Ideologie, Über-Ich) in die naturwissenschaftliche Psychologie (die Psychoanalyse) tragen würden. Diese Haltung hat er in den 1930er Jahren bei seinen bioelektrischen Experimenten und den Bion-Versuchen weiter zugespitzt und sich sogar gegen „vorgebildete“ Naturwissenschaftler vom Kaiser-Wilhelm-Institut und der Rockefeller-Foundation gewandt. Man müsse ideologisch unvorbelastet die Natur betrachten. Sein Anspruch war es naturwissenschaftlicher als die Naturwissenschaftler zu sein, denen er im Grunde „Scholastik“ vorwarf.
Laska hat geschrieben:
Der Stirnersche Eigner seiner selbst hat durch Reichs Arbeiten klare Kontur gewonnen, sowohl was seine konkrete Gestalt angeht als auch die gesellschaftlichen Bedingungen für seine Existenz. Stirners fehlende oder ratlose Gesellschaftstheorie – von Marx und Engels zwar zu Recht kritisiert, aber nicht überwunden – wurde erst hundert Jahre später möglich: durch Reichs naturwissenschaftliche Erkenntnisse über die Möglichkeit der amoralischen individuellen Selbststeuerung, die mit sozialer Selbststeuerung nicht nur nicht kollidiert, sondern sie zur Bedingung hat – und umgekehrt. (Laska: „Zur Bestimmung des Status der Reich’schen Theorie, Teil 2“ Wilhelm Reich Blätter 2/80, S. 82)
Reich hat das Ende der Laientherapie eingeläutet. In den 1920er Jahren opponierte er gegen Freud, der die Psychoanalyse zunehmend als bloße „Psychologie“ betrachtete und den bis dahin weitgehend auf Ärzte beschränkten Beruf des Psychoanalytikers für „Laien“ öffnen wollte. Reich argumentierte dabei, vor dem Hintergrund der sich formierenden Sexualökonomie, hauptsächlich von der Libidotheorie her. Die Neurosen hatten einen „ökonomischen“, also physiologischen Kern. Man lese nur sein Buch Die Funktion des Orgasmus aus dem Jahre 1927! Beispielsweise entspricht der Gegensatz von Angst und Lust dem Gegensatz zwischen Herz („Herzenge“) und Genital.
In den 1930er und 1940er Jahren führte er weiter aus, daß und wie Neurosen im Körper verankert sind. Er zeigte, daß die „Neurose“ in der Tat eine Nervenkrankheit ist, nämlich eine chronische Übererregung des Sympathikus („Sympathikotonie“). Um so idiotischer ist es, daß die von ihm entwickelte Therapieform (und ihre diversen illegitimen Abzweigungen) zunehmend von Laientherapeuten praktiziert wurde. Dabei hat Reichs „Schüler“ Charles Kelley, ein Psychologe, den Vogel abgeschossen, als er zur Rechtfertigung seiner therapeutischen Tätigkeit allen Ernstes ausführte, daß Neurosen gar keine „Nervenkrankheiten“ seien, die man ärztlich therapieren kann, sondern bloße Anpassungsstörungen. „Therapie“ sei deshalb mehr so etwas wie ein „Lernprogramm“, der „Therapeut“ ein Trainer für „Zielgerichtetheit und Fühlen“. Es gibt tatsächlich Leute, die derartigen Murx ernstnehmen! Am schlimmsten sind aber die „Körpertherapeuten“, etwa in der Tradition von Alexander Lowen, die weitaus mehr „mit dem Körper arbeiten“ als der Orgontherapeut, die aber nicht mal die Qualifikation als klinischer Psychologe geschweige denn Arzt vorweisen können. In dieser Szene tummeln sich Politologen, Kindergärtner, Betriebsschlosser, etc. Würdest du einen Politologen dein Auto reparieren lassen?!
Es nervt über Dinge diskutieren zu müssen, über die wirklich jedwede Diskussion vollkommen überflüssig und sinnlos ist. Wer weiterdiskutiert ist schlichtweg böswillig! Orgontherapie und Laien: man nehme Alexander Lowen, einer der ersten Schüler Reichs in New York. Reich zwang Ende der 1940er Jahre den Gymnastiklehrer und Rechtsanwalt, der inzwischen so etwas wie „vegetotherapeutische Gymnastik“ betrieben hatte, ein Medizinstudium zu absolvieren, wenn er denn wirklich auf diesem Gebiet arbeiten wolle. Als Reich nach Lowens Studium auch noch von diesem abverlangte Facharzt für Psychiatrie zu werden, verließ dieser frustriert die Orgonomie und verzapfte infolge ein peinliches Buch nach dem anderen, das auf jeder Seite zeigt, daß er in Sachen Psychotherapie ein bombastischer Laie war. Heute ist, wie mir ein Psychiater sagte, die „bioenergetische Analyse“ tot, weil sie vollkommen unwirksam ist.
Ein noch älterer Schüler Reichs war A.S. Neill, der bereits in Oslo dessen Patient war und ähnlich wie zeitweise Lowen von Reich autorisiert worden war seine heranwachsenden Schüler in Summerhill „vegetotherapeutisch“ zu behandeln. Neill gab das bald auf, wodurch er bei Reich weiter in dessen ohnehin schon sehr hoher Wertschätzung stieg. In Paul Ritters Zeitschrift Orgonomic Functionalism schrieb Neill kurz nach Reichs Tod, daß er Paul Mathews‘ Brief voll zustimme und tatsächlich einige Wochen, bevor dessen Brief veröffentlicht wurde, selbst einen Brief fast identischen Inhalts an Ritter geschickt hatte. Dort hatte er zum Ausdruck gebracht, wie geschockt und wütend er sei, daß dieser und David Boadella als „Orgontherapeuten“ dilettieren und sich sogar anmaßen „Fallgeschichten“ zu schreiben. Reich hätte immer wieder deutlich gemacht, daß ausschließlich Fachärzte als Orgontherapeuten tätig sein dürfen. Einzige Ausnahme sei Reichs ältester Schüler Ola Raknes (ein Psychologe) gewesen. Ich möchte anfügen, daß das im freien Ermessen von Reich und später Elsworth F. Baker lag und alles andere als ein Freibrief für Politologen, Archäologen oder Pädologen darstellt, sich als „Reichianische“ (sic!) „Körpertherapeuten“ aufzuspielen oder extrem invasive Therapien wie „Skan“ zu propagieren.
Neill führt aus, daß Reich in der Therapie bei Neill schrecklich intensive Emotionen freigelegt hatte und daß er, Neill, aus dieser Erfahrung und später durch Briefe und im persönlichen Gespräch immer mehr die Überzeugung gewann, daß die Orgontherapie potentiell gefährlich sei. „Ich habe Reich beunruhigt und ängstlich hinsichtlich möglicher Selbstmorde erlebt, nicht so sehr wegen seiner eigenen Patienten, sondern wegen der seiner Jünger. In meinen Augen schien die Methode Kräfte zu wecken, mit denen nur ein großer Psychologe umgehen konnte, und so großartig er auch war, Reich selbst hatte Mißerfolge bei seinen Patienten, und er hat dem ehrlich ins Auge gesehen.”
Neill fährt fort, Reich habe oft gesagt, daß er niemandem erlaube Orgontherapie auszuüben außer einem qualifizierten Arzt. („Reich often said that he would have no one but a qualified Doctor use Orgone Therapy.”) Neill selbst sieht das mit den Laientherapeuten nicht so streng, solange es um reine Gesprächstherapien geht, beharrt aber darauf, daß „die Reich-Technik so mächtig, so neu ist, daß ich sie persönlich in keiner anderen Hand sehen will als die eines von Reich ausgebildeten“ (Orgonomic Functionalism, Vol. 6, No. 5, September 1959, S. 161f). Paul Ritter antwortet in der gleichen Nummer (S. 163) und muß zugeben, daß er und sein Schüler David Boadella gegen den ausdrücklichen Willen Reichs Therapien angeboten haben, beide jedoch (sic!) in ihren Sitzungen Reichs Techniken anwendeten: „We have given therapy in England without Reich’s blessing and yet felt it was Reich’s techniques we were applying.“ WAS FÜR EINE ABWEGIGE LOGIK! Soviel auch zu den ebenfalls abwegigen Behauptungen, die hier in Leserbriefen verbreitet wurden, Reich wäre in irgendeiner Weise mit Ritters und Boadellas Tätigkeit als „Orgontherapeuten“ einverstanden gewesen und hätte Ritter in dessen Tun gar bestärkt.
…ist der gleiche, wie zwischen der psychiatrischen Orgontherapie und anderen psychotherapeutischen und insbesondere körper-psychotherapeutischen Ansätzen. Das Wesentliche dazu habe ich bereits in meinem gestrigen Video nachrichtenbrief114 dargelegt. Man muß sich nur das barocke Angebot sogenannter „Reichianischer Körpertherapeuten“ und vermeintlicher „Orgontherapeuten“ anschauen. Statt (nachdem sie Psychiater geworden sind und sich entsprechend fortgebildet haben) einfach nur psychiatrische Orgontherapie anzubieten, operieren sie mit allen möglichen und unmöglichen „Weiterentwicklungen“, Folterwerkzeugen und zusätzlichen Methoden bis hin zur „Geistheilung“. Das zeigt alles nur die eigene Hilflosigkeit beim Herangehen und Bewältigen der „neurotischen Reaktionsbasis“. Ähnlich ist es mit der physikalischen Orgonthereapie bestellt, also der therapeutischen Anwendung des Orgonenergie-Akkumulators. Was da nicht alles für „Orgonstrahler“ und andere „radionische“ Gerätschaften, „Orgon-Akkupunktur“, etc. entwickelt wurde! Die betreffenden „Reichianer“ haben Reich schlichtweg nicht verstanden.
Übrigens zeigt sich die besagte funktionelle Identität von psychiatrischer und physikalischer Orgontherapie auch daran, daß man in beiden Bereichen einen hohen Preis für die energetische Gesundung zahlen muß. Mit Wegbruch der Panzerung ist man dieser neurotischen und pestkranken Welt schutzlos ausgeliefert und reagiert extrem allergisch auf Kontaktlosigkeit und die Emotionelle Pest. Ähnlich beim Gebrauch des Orgonenergie-Akkumulators: mit dem steigenden Energieniveau reagiert man immer heftiger auf ORANUR und DOR und ist in dieser technisierten Gesellschaft kaum noch lebensfähig. Siehe dazu den Erfahrungsbericht von Jerome Eden in Die kosmische Revolution.
Man kann aus Reichs Schriften herausziehen, was man will. Beinharten Atheismus oder christlichen Mystizismus, Rationalismus oder das New Age, Marxismus oder Kapitalismus, „Bernie Sanders“ oder „Donald Trump“. Das hat dann aber jeweils nichts mit Reich zu tun, sondern ist nur Ausdruck der Charakterstruktur des jeweiligen Reichianers. Gepanzerte Menschen können nicht mit dem Leben mitschwingen und reagieren deshalb starr wie Maschinen. Sind sie „Reichianische Körpertherapeuten“ haben sie eine vage Vorstellung, daß Sexualität etwas Gutes ist und wollen entsprechend die böse Beckenblockierung beseitigen. Sagt man ihnen, daß Orgonomen alles tun, damit sich etwa Schizophrene in den unteren Segmenten abpanzern, sehen sie nichts als Verrat an der Orgasmustheorie. Interessieren sie sich für gesellschaftspolitische Probleme, kämpfen sie gegen den „Faschismus“, den sie überall da sehen, wo auf Autorität beharrt wird. Erklärt man ihnen, daß diese nicht den „Faschismus“ verkörpert, sondern die Arbeitsdemokratie… Sie sind verwirrt, wenn man ihrer Schwärmerei von der „Wiederverzauberung der Welt“ entgegenhält, daß magisches Denken mindestens so kontaktlos ist wie das mechanistische Denken.
Ihre „Orgonomie“ ist pure Ideologie. Sie denken stets abstrakt und fragen nie, nach der konkreten Rolle, die Gegebenheiten jeweils im Zusammenhang spielen. Muskelverspannungen muß man stets von ihrer Funktion her betrachten. Beim Schizophrenen ist die Körperpanzerung ein Segen, wenn sie verhindert, daß das okulare Segment mit Erregung überflutet wird und es zur „Spaltung“ kommt. Panzerung ist ein Segen! Ideologien muß man von ihrer Funktion her betrachten. In islamischen Ländern ist es ein Segen, wenn die Völker zu ihrer vorislamischen Identität zurückfinden. „Faschistischer“ Nationalismus ist ein Segen! Wie Milos Djilas gesagt hat, waren die ersten 10 Jahre Kommunismus ein Segen für Jugoslawien, um in diesem Land endlich Ordnung und einigermaßen zivilisierte Zustände zu schaffen. „Rotfaschistischer“ Kommunismus ist ein Segen!
Es geht jeweils um die Zusammenhänge und die Folgen, d.h. um Funktionalismus – nicht um inhaltsleere Versatzstücke einer verschrobenen Lehre, die als „Orgonomie“ hinstellt wird, in Wirklichkeit aber das genaue Gegenteil ist.
Da die Orgonomie nicht anerkannt ist und deshalb ein ziemlich abgeschlossenes, „sektiererisches“ Dasein fristet, besteht die Gefahr, daß sie als soziales „Biotop“ mißbraucht wird. Man wird Teil einer verschworenen Gemeinschaft, deren „Geheimwissen“ für den gewissen Kick sorgt und dem Leben einen Sinn gibt. Doch genauso wie sich Sexualität und Arbeit wechselseitig ausschließen, harmoniert diese Art von Nestwärme nicht mit der orgonomischen Wissenschaft. Sie im gleichen Lebensbereich zu suchen, bedeutet einen Kult zu begründen.
Auch wird die Orgonomie in einen weltanschaulichen Kult verwandelt, wenn man passiv die Weisheiten der (vermeintlichen) orgonomischen Autoritäten wie heilige Worte unreflektiert aufnimmt, ohne selbständig zu denken. Es geht um die funktionelle Hierarchie des arbeitsdemokratischen Prozesses, nicht um Heilssicherheiten, die von oben nach unten weitergegeben werden.
Für Reich war A.S. Neill das perfekte Beispiel eines „Anhängers“, wie er ihn sich wünschte:
Neill besitzt in einem sehr hohen Grade die seltene, aber auch so wichtige Qualität der vollständigen Unabhängigkeit bei gleichzeitiger Unterordnung, was die gemeinsame Sache betrifft. Das unterscheidet ihn von dem Rebellen, der sich zwar nicht für eine gemeinsame Sache unterordnen will, der aber gleichzeitig nie seine tiefe Abhängigkeit in den Griff bekommt. Dergestalt gingen viele Meinungsunterschiede in Erziehungs- und sozialen Fragen einher mit einem tiefempfundenen Verantwortungsbewußtsein für die gemeinsame Hauptaufgabe. (Reich: „Orgonomy 1935-1950 – A Brief Review (I)“, Orgone Energy Bulletin, Vol. 2, July 1950, S. 146)
Von seiten Kleiner Männer und Frauen wird gegen die „offizielle“ Orgonomie, insbesondere das American College of Orgonomy, häufig der Vorwurf erhoben, sie wäre viel zu orthodox, in sich abgeschlossen und nicht offen genug, während die „Reichianische Szene“ ganz anders wäre, nämlich offener und lebendiger. So wird die Alternative zwischen einem „offenen Reichianismus“ gegen einen „fundamentalistischen“ orgonomischen Kult konstruiert. Aus derartigen Aussagen spricht die Sehnsucht nach der Nestwärme einer „orgonomischen Bewegung“, die einen mit offenen Armen aufnimmt und deren mitgerissenes Teil man sein kann. Der Orgonomie wird etwas vorgeworfen, was man heimlich von ihr ersehnt, aber nicht bekommt: kultische Führung. Die „orthodoxe“ Orgonomie ist so unpopulär, weil sie sich immer dagegen gesperrt hat, nach Reichs Tod eine „mitreißende“ Bewegung ins Leben zu rufen, z.B. indem sie die Therapie streng auf Mediziner beschränkte. Man denke in diesem Zusammenhang an die (bis vor etwa 15 Jahren) explosionsartige Ausbreitung „Reichianischer Therapeuten“ und neuerdings an das wilde Wuchern von „Chembustern“.
Dadurch, daß sie öffentlich zum Ausdruck brachten, sie wollten keine Gurus sein, warfen die Führer der Orgonomie die Menschen auf sich selbst zurück. Die Orgonomen verhielten sich dabei nicht anders als in der individuellen Therapie, in der es nicht die Aufgabe des Therapeuten ist, dem Patienten „Gesundheit zu geben“, sondern ihm ein realistisches Bild seiner selbst zu vermitteln (z.B. daß der Patient nicht atmet und partout nichts tut, um sein soziales Leben zu verbessern), woraus der Patient selber Konsequenzen ziehen muß. Der Kleine Mann empfindet diesen Appell an den Willen zur Selbstregulierung als die kalte Arroganz des gehaßten „Establishments“, das den Kleinen Mann aus der heimeligen Wärme der Masse herausreißen will. Irrwitzigerweise sprechen dann diese Kleinen Männer von „Arbeitsdemokratie“, die das besagte „Establishment“ angeblich mißachtet.
Charakteranalyse ist ideologiefrei wie eine Blinddarmoperation oder sie ist das Gegenteil von Charakteranalyse. Es gibt wohl kaum etwas Widerwärtigeres als „Orgontherapeuten“, die jede einzelne Äußerung des Patienten verbal und vor allem nonverbal moralisch bewerten, also dem Patienten vorgeben, was er von sich selbst zu halten hat. Dies untergräbt jede Selbstregulation und ist gemeingefährliche Manipulation – es ist nichts anders als Seelenmord. Man braucht nur wenige Elemente der Orgonomie ändern, etwa „orgonomische“ Moral ins Spiel bringen, und schon wird die Orgonomie zum hassenswertesten System, das es jemals auf der Erde gab. Aufgabe des Therapeuten ist es nicht, sich in das Seelenleben des Patienten einzumischen („subjektive Meinungen“), sondern ihm einfach nur zu helfen, das Primäre und Gesunde vom Sekundären und Neurotischen zu scheiden („objektive Naturprozesse“). Kontakt!
Hier kommt das ins Spiel, was Reich als „die sogenannte ‘Weltanschauungsfrage’“ (Massenpsychologie des Faschismus, Fischer TB, S. 163) bezeichnet hat. Es geht um die grundsätzliche „weltanschauliche“ Unterscheidung zwischen lebenspositiv und lebensnegativ. Diese Unterscheidung ist in allen Lebensbereichen zu treffen, vor allem aber in der Wissenschaft. Reich hat dazu gesagt:
Ich halte es für richtig, an jeder geeigneten Stelle zu betonen, daß es nicht darauf ankommt, ob eine Wissenschaft von der menschlichen Natur einer Weltanschauung entspringt und durch sie gefärbt ist; daß dies nicht anders sein kann, ist jedem Wissenschaftler klar; wohl aber ist entscheidend, mit welcher Weltanschauung sich eine wissenschaftliche Tätigkeit verbündet; mit der, die das Wissen, die ganze Persönlichkeit des Forschers und oft auch seine Existenz und sein Leben in den Dienst der Erforschung des Seins stellt, oder mit der, die alles tut, buchstäblich alles, von der harmlosen falschen Theoriebildung über den Boykott des Gegners und wissenschaftlichen Raub an ihm bis zu reaktionären Taten und Manifesten, um zwar den Nimbus der Wissenschaft für sich zu sichern, aber im übrigen jedes Stückchen mühsam errungenen Wissens zu verschleiern, abzubiegen, seine Konsequenz zu vermeiden. (Der Einbruch der sexuellen Zwangsmoral, KiWi, S. 199)
Man kann ganze Bibliotheken durchforschen, auf zwei Dinge wird man nie stoßen: die Orgasmustheorie und die Über-Ich-Problematik. Das sind Bereiche, die aus weltanschaulichen Rücksichtnahmen aus der Wissenschaft ausgegliedert wurden. Die gleichen Leute sprechen aber sofort von weltanschaulichem Mißbrauch der Wissenschaft, wenn die Orgonomie den Unterschied zwischen Primär und Sekundär verdeutlichen will. Dabei geht es einfach nur darum, seinen inneren (primären!) Gefühlen frei zu folgen, statt einer künstlichen Weltanschauung. Es geht darum, unverstellt durch unfundierte Meinungen direkten Kontakt mit der Realität aufzunehmen, anstatt in weltanschaulichen Illusionen gefangen zu bleiben. Es geht um den Unterschied zwischen Kontakt und Kontaktlosigkeit. Jede korrekte Beobachtung muß „stets zu funktionellen, energetischen Formulierungen führen, wenn man nicht vorher abbiegt“ (Die Funktion des Orgasmus, Fischer TB, S. 48).
Es gibt gewisse Wahrheiten, die durch unsere Sinne und Bewegungen a priori gegeben sind. (Christusmord, Freiburg 1978, S. 299)
Die Orgonomie ist der unmittelbare, also wissenschaftliche Ausdruck der Wirklichkeit. Reich hat alle metaphysische Auslegung weit von sich gewiesen, ist nicht der Auslegungsakrobatik der Tiefenpsychologie gefolgt, sondern ist dem greifbaren Körper und seinem Verhalten nachgegangen; hat das alltägliche Leben der objektiven Arbeitsdemokratie untersucht und nicht politische Ideologien vertreten; ist nicht teleologischen Zielvorgaben und irgendwelchen außer ihm liegenden Zwecken gefolgt, sondern hat den Weg zum Ziel erklärt. Dies entspricht dem „Silent Observer“, dem nüchternen, nicht weltanschaulich befangenen Beobachter.
Während Ideologien und Religionen Weltbilder erschaffen, entdeckt die Wissenschaft: Reich hat die Arbeitsdemokratie nicht als neue subjektive Weltanschauung geschaffen, sondern als objektive Tatsache entdeckt; er hat nicht ein neues Menschenbild geschaffen, sondern die Genitalität und damit den Genitalen Charakter entdeckt. Es gibt unendlich viele jener erschaffenen Ideologien und Religionen, unendlich viele Weltanschauungen, aber nur eine einzige Wissenschaft. Man kann, so Reich, Tausende von Meinungen über ein und dieselbe Sache haben, aber es gibt nur eine einzige korrekte Erklärung für sie („The Evasiveness of Homo Normalis“, Orgonomic Functionalism, Vol. 3, Summer 1991, S. 84).
Wenn „Reichianer“ den Orgonomen einen „totalitären orgonomischen Fundamentalismus“ vorwerfen, weil diese auf den wissenschaftlichen Fundamenten beharren, steckt hinter dieser Kritik Blauer Faschismus. Diese „Reichianer“ wollen auf der Orgonomie ihre diversen weltanschaulichen Süppchen kochen. Und wenn sie einwenden, sie würden eine offene, nichttotalitäre, tolerante Weltanschauung vertreten, dann sind sie doch nur Agenten der allgegenwärtigen Reaktion und Teil der vorgeblich „pluralistischen“ Unterdrückung der einen wissenschaftlichen Wahrheit. Konsequent umgehen sie das durch den Namen „Wilhelm Reich“ gekennzeichnete Wesentliche: die Orgasmustheorie und die Über-Ich-Problematik. Man denke z.B. daran, daß aus Gründen politischer Korrektheit die Homosexualität irrigerweise nicht mehr als Krankheit betrachtet wird – werden darf. Man darf Sekundäres und Primäres nicht mehr unterscheiden. Die Orgonomie soll sich dem „gesellschaftlichen Konsens“, den interessanterweise stets angeblich „Progressive“ im Munde führen, anpassen.
Reich erachtete alles (einschließlich Gott, Geist, Selbst, Religion, Liebe, etc.) als naturwissenschaftlich erforschbar. Zum Beispiel löst die Orgonomie philosophische und psychologische Probleme, die das Bewußtsein beinhalten, durch außerphilosophische und außerpsychologische Mittel. Die Frage nach dem Unbewußten wird über die physiologische Panzerung beantwortet; die Frage nach der Realität der Außenwelt durch Auflösung der Augenpanzerung. In diesem Beharren darauf, daß grundsätzlich alles der naturwissenschaftlichen Forschung zugänglich ist, war Reich weit radikaler als praktisch alle anderen Naturwissenschaftler, die immer noch Platz außerhalb der Wissenschaft für Weltanschauung und „Glaubensfragen“ lassen.
Man nehme den Biophysiker Alfred Gierer, für den
viele verschiedene philosophische, kulturelle und religiöse Ideen mit wissenschaftlichen Tatsachen und logischem Denken vereinbar (sind). Wissenschaft ergibt keine verbindliche Weltdeutung, sie ist selbst deutungsbedürftig. (Die gedachte Natur, München 1991, S. 13)
Sogar für die irrationale Mystik ist Platz:
Wissenschaft widerlegt nicht Religion als solche. Wissenschaft ist mit dem Glauben vereinbar, daß es keinen Gott, einen Gott oder mehrere Götter gibt. Der Mensch kann, er muß aber nicht die Welt als Gottes Schöpfung und den Menschen als sein Ebenbild verstehen. Religion steht in Zusammenhang mit Lebensbereichen, die die Wissenschaften nicht ausfüllen und die dennoch für das Individuum und die Gesellschaft wichtig sind; sie stellt sich Fragen nach dem Sinn und Ziel menschlichen Daseins und nach dem „guten“ Leben. (ebd., S. 250)
Reich hat stets gegen derartige „wissenschaftliche“ Freibriefe für den mystischen Irrationalismus gekämpft. Bereits in den 1920er Jahren hat er sich dagegen verwahrt, die Psychoanalyse als „bürgerliche Kulturphilosophie“, also als Ideologie aufzufassen. Erinnert sei an seine schroffe Ablehnung der Laienanalyse, mit der Freud (nach Reichs etwas schiefer Einschätzung) die Psychoanalyse von einer medizinischen Disziplin in eine Weltanschauung überführen wollte. Dagegen setzte Reich seine „Wissenschaft der sozialen Sexualökonomie“ (Massenpsychologie des Faschismus, S. 47). Im Kapitel über „Die Sexualökonomie im Kampf gegen die Mystik“, sowie in „Einige Fragen der sexualpolitischen Praxis“, sieht man, daß es ihm beim Kampf gegen die Mystik (und damit gegen die faschistische Bewegung) stets darum ging, die Naturwissenschaft gegen die Mystik durchzusetzen: dem Feind (!) keine Ruheräume zu gönnen. Er frägt:
Wurden im Kampf zwischen Naturwissenschaft und Mystizismus alle Möglichkeiten von der ersten ausgeschöpft? (ebd., S. 161)
Die Orgonomie ist die Wissenschaft, die sich mit der Orgonenergie und ihren Funktionen, d.h. mit grundsätzlich allem befaßt. Sie ruht auf drei Säulen: die Funktion des Orgasmus, die Entdeckung des Orgons und die orgonometrische Denkmethode. Gemeinsam ist diesen drei Grundelementen der Orgonomie, daß ihnen Zielvorgaben inhärent sind: das Orgon als positive Gegebenheit und sein ungestörter Metabolismus, d.h. sexuelle, medizinische, soziale und ökologische Hygiene. Die Wirklichkeit, d.h. letztlich die orgonotische Pulsation, stellt also objektive Forderungen, die nichts mit subjektiven, willkürlichen Weltanschauungen zu tun haben. Man kann nicht darüber diskutieren, ob es Hygiene geben soll oder nicht; ob ein Kind gesund oder krank aufwachsen soll! Selbstregulation ist selbstverständlich, es ist der Sache immanent, während die Weltanschauungen, die der Wissenschaft angeklebt werden, immer eine Sache von Fremdbestimmung sind: das „Sollen“ wird von außen durch „Offenbarungen“ oktroyiert.
Wie Reich es während seiner Marxistischen Periode in seiner Kritik der „bürgerlichen“ Wissenschaft formuliert hat, sind Sein und Sollen nicht voneinander zu separieren. Daß aus dem Sein ein Sollen folgt, ist natürlich nicht dahin mißzuverstehen, daß man aus einer Tatsachen-Feststellung einfach Forderungen ableiten (Die sexuelle Revolution, Fischer TB, S. 140) oder sich bei einer Forderung auf die Vergangenheit berufen kann. Dies wäre, Reich zufolge, ein logischer Irrtum (ebd., S. 139). Vielmehr muß man die Entwicklung betrachten, die rückschrittlichen und progressiven Elemente identifizieren und entsprechend unterdrücken bzw. unterstützen (ebd., S. 149). Es läuft also wieder auf die kontaktvolle Unterscheidung zwischen dem Sekundären, Gepanzertem und dem Primären, Gesunden hinaus.
Reich wollte gegenüber dem Zeitgeschehen die überzeitlichen Naturgesetze, etwa die Funktion des Orgasmus, zur Geltung bringen. Dieser Wille zur „politischen“ Wirksamkeit steht in der Tradition der „kosmischen Politik“ Giordano Brunos oder der „großen Politik“ Nietzsches (Studienausgabe, Bd. 13, S. 637f), d.h. es geht um die Rückführung der Geschichte auf die Natur. Bei Bruno war es der Protest gegen den sich ausformenden Absolutismus, der nicht dem neuen dezentralen Bild des Kosmos entsprach, dazu gehörte für Bruno auch die Beseitigung des Glaubens an einen persönlichen Gott.
In der Orgonomie sind Theorie und Praxis unlösbar miteinander verknüpft (immer wieder: Kontakt!), d.h. es gibt in ihr keine reine Theoretisiererei, keine Trennung zwischen Geistes- und Naturwissenschaft, sondern Reichs sozial- und naturwissenschaftliche Theorien sind stets unmittelbar „auf der Straße“ und im Laboratorium, nicht am Schreibtisch entstanden. Reichs so unwissenschaftlich wirkendes revolutionäres Pathos stammt daher, daß man ihm zufolge keinen Gegensatz von Wissenschaft und dem (organisierten) Anstreben gesellschaftlicher Veränderungen, d.h. dem Separieren des Sekundären vom Primären, konstruieren kann. Doch die Trennung von Sein und Sollen ist die Ideologie der modernen Naturwissenschaft: aus dem faktischen Sein sei kein ideelles Sollen ableitbar; es sei nur ethisch dekretierbar. Daß diese „wissenschaftliche“ Haltung ideologische Verkleisterung ist, zeigt sich am antiwissenschaftlichen „Wissenschaftsbetrieb“, in dem Fakten dekretiert werden. Neuerdings wird darüber abgestimmt; der „Pluralismus“ der bloßen Meinungen triumphiert.
In der Orgonomie brechen „alle Grenzen zwischen Wissenschaft und Religion, Wissenschaft und Kunst, Objektivem und Subjektivem, Quantität und Qualität, Physik und Psychologie, Astronomie und Religion, Gott und Äther“ (Das Oranur-Experiment, S. 221).
Reich sagt, daß die Orgonomie sowohl ein Zweig der Naturwissenschaft, als auch ein künstlerisches Verfahren ist (ebd.). Zum Beispiel prädestiniert Kunstempfinden zur orgonomischen Beobachtung der Natur bei der CORE-Arbeit. Dies heißt jedoch nicht, daß es eine „orgonomische“ Kunst geben müsse. Im Gegenteil! Kunst ist etwas Autonomes, das durch jede „weltanschauliche“ Inanspruchnahme zerstört wird. Es kann keine „orgonomischen Gedichte“, keine „orgonomischen Bilder“, keine „orgonomische Musik“ geben, denn gute Kunst erkennt man daran, daß jeder etwas anderes in sie hineinlesen kann: und da die Orgonomie keine Weltanschauung ist, ist alle Kunst als sicht- oder hörbarer Ausdruck der kosmischen Orgonenergie – orgonomisch.
Am Ende hat Reich sogar auf religiöse Bilder zurückgegriffen. Bereits Anfang der 1920er Jahre findet sich bei ihm das nonverbale Denken in Bildern, was seine Kollegen amüsierte und sie später schließen ließ, er sei wirklich meschugge, wenn er „Blasen- und Pseudopodienmodelle“ wortwörtlich nähme und in diesen Bildern dächte: psychotisches Primärprozeßdenken. In Wirklichkeit war es ein ganzheitliches, „ganzkörperliches“ Denken, das allen wirklich schöpferischen und originellen Menschen eigen ist, welches aber Homo normalis nicht von der Schizophrenie unterscheiden kann. Es ist ein Denken, das wie jede große Kunst und jede echte Religion um die Grundfunktionen der Natur kreist.
Die Orgonomie darf nicht in falsche Hände geraten, da sie, wegen ihrer Nähe zu „Kunst und Religion“, ansonsten tatsächlich zu einem mythologischen Wahnsystem mutieren kann. Man vergegenwärtige sich die Mythologisierungs-Tendenzen bei Reich: „Äther, Gott und Teufel“, „Christus und Modju“, etc. Stoff für ein vollständiges religiöses Wahnsystem, dem Abermillionen „Pestilenter“ geopfert werden könnten. Es geht um die klare Differenzierung zwischen „Weltanschauung“ im Sinne eines willkürlichen Wahnsystems und „Weltanschauung“ im Sinne der objektiven Unterscheidung zwischen lebenspositiv und lebensnegativ, primär und sekundär, OR und DOR. Es geht um die Differenz zwischen Orgonomie und Blauem Faschismus. Nochmals: Es ist eine Gratwanderung, die der Menschheit den finalen Todesstoß versetzen könnte, sollte die Orgonomie in die falschen Hände geraten.
Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre war Reich ein Kommunist. Reich wurde von der KPD zur Mitgliederwerbung mißbraucht. Heute nimmt z.B. entsprechend Die Linke buchstäblich alles Wahre, Gute und Schöne mitsamt ihrer Vertreter in Beschlag. Diese Grundtendenz zum Mißbrauch des Lebendigen ist keine Stalinistische Entstellung, sondern gehört zum falschen, verlogenen Grundwesen des Marxismus („die soziale Fassade“). Deshalb sind Marxisten, gerade wenn sie sich Reich positiv zuwenden, Todfeinde der Orgonomie. Das Fatale ist, daß sie zu diesem Mißbrauch von Reich selbst geradezu eingeladen wurden. Mit der Revision seiner alten Marxistischen Texte wollte Reich in den 1940er Jahren seinen eigenen Marxismus der 1920er/1930er Jahre zurückdrängen, doch dummerweise hatte dies bei der Veröffentlichung in Europa den gegenteiligen Effekt, denn so wurde die Orgonomie in einem Marxistischen Kontext vermittelt. Reich hatte sich bereits 1951 voller Selbstzweifel notiert:
Ich muß damit aufhören, meine früheren Bücher zu vertreiben, z.B. Massenpsychologie und Sexuelle Revolution. Nicht, weil sie falsch sind, sie stehen so da, wie sie geschrieben wurden, sondern weil sie die entscheidende Frage, d.h. die Orgonenergie, verdecken und von den Leuten mißbraucht werden. (z.n. Chester M. Raphael: Wilhelm Reich – Misconstrued – Misesteemed, New York 1970, S. 86)
Das Phänomen des „Reichschen Freudo-Marxismus“ kann man am besten anhand des orgonomischen Modells von der Dreischichtung der menschlichen Charakterstruktur erfassen:
Die oberflächliche soziale Fassade ist das Reich des Marxismus, der die Vorstellung, der Mensch sei primär Objekt der Biologie, vehement von sich weist, vielmehr läßt er den Einzelnen und seine Bedürfnisse in ein kollektivistisches Ensemble sozialer Beziehungen aufgehen. Es ist die kontaktlose Theorie des Intellektuellen, der vom Leben isoliert das Leben mit Theorien bewältigen will, ohne sich vorher auf das Leben einzulassen. Entsprechend kann die Marxistische Soziologie nur ökonomisch rationales Verhalten erklären. Reich schreibt im Rückblick auf seine Marxistische Periode:
Die Kluft zwischen ökonomistischer und bio-soziologischer Anschauung wurde unüberbrückbar. Der „Theorie des (vom rationalen ökonomischen Kalkül geleiteten, PN) Klassenmenschen“ trat die irrationale Natur der Gesellschaft des Tieres „Mensch“ gegenüber. (Die Massenpsychologie des Faschismus, Fischer TB, S. 21)
Was für Marx rational war (der durch unterschiedliche ökonomische Interessen bestimmte Klassenkampf), wurde für Reich zum Inbegriff der Irrationalität, während das, was für Marx irrational war (die Postulierung gemeinsamer Interessen zwischen den Klassen), für Reich die Essenz seiner Bio-Soziologie wurde: die alle Klassen übergreifende natürliche Arbeitsdemokratie.
Freud war in den Bereich des Irrationalen vorgestoßen, ist aber in der von den sekundären Trieben entstellten mittleren Schicht der Charakterstruktur steckengeblieben. Bei ihm löste sich das Leben in einen sadomasochistischen Alptraum auf, über den sich der menschliche Geist stoisch erheben muß. Während Marx mit seinem Hegelianischen Geschichtsmystizismus die gesamte bisherige Entwicklung, das gesamte bisherige Patriarchat gerechtfertigt hatte, da es im Paradies münden würde, leugnete der resignative Schopenhauerianer Freud überhaupt jede Entwicklung zum Besseren.
Reich hat die optimistischen Illusionen der sozialen Fassade und die Resignation der sekundären Schicht transzendiert und ist zum biologischen Kern des Menschen vorgedrungen. Zunächst war Reich aber selbst noch in Illusionen befangen und wollte einen ins optimistische gewendeten Freud mit Marx verbinden: das perverse Unbewußte sei ein Produkt jener sozialen Prozesse, die Marx beschrieben und beherrschbar gemacht hätte. Hatten die Marxisten aber schon Probleme mit Freud, der doch immerhin lehrte, der Mensch müsse in die anarchische Natur ähnlich eingreifen wie ins Marktgeschehen, konnten sie rein gar nichts mit der nun vollkommen dem menschlichen Zugriff entzogenen ahistorischen Biologie Reichs anfangen.
Reich selbst erkannte zunehmend, daß dieser Widerstreit von Psychoanalyse und Marxismus wenig mit Wissenschaft zu tun hatte, sondern daß die beiden Weltanschauungen eine Funktion des jeweiligen Charakters ihrer Exponenten waren. Dieser war für das resignative konservative Beharren auf der einen und die optimistische liberale Kontaktlosigkeit auf der anderen Seite verantwortlich. Die Psychoanalyse beharrte gegen Reichs Optimismus auf der Unwandelbarkeit der Conditio humana. Reich mußte aber auch erkennen, daß Marx ihm nichts zu geben hatte:
Die ökonomischen Bewegungen, die durch den Einfluß von Karl Marx auf die Soziologie entstanden sind, haben durch das Hervortreten eines neuen menschlichen und sozialen Problems die Basis ihrer Wirksamkeit verloren. (Einbruch der sexuellen Zwangsmoral, Fischer TB, S. 10)
Die soziale Existenz des Lebewesens Mensch ist bioenergetisch betrachtet an sich nur ein kleiner Gipfel auf dem gigantischen Berg seines biologischen Daseins. (Ausgewählte Schriften, S. 24)
Die Orgonomie kann mit dem Marxismus rein gar nichts anfangen. Doch leider ist es umgekehrt anders und es entwickelt sich eine „Antiorgonomie“.
Man versucht Reichs Lebenswerk systematisch Schritt für Schritt aufzuarbeiten, so wie es sich historisch entwickelt hat: von Freud über Marx zur „sexualökonomischen Lebensforschung“ und schließlich dem „kosmischen Orgon-Ingenieurswesen“. Demnach könne man beispielsweise Reichs Konzept der „Arbeitsdemokratie“ erst richtig verstehen, wenn man sich mit dem Marxismus beschäftigt hat (der in diesem Zusammenhang viel wichtigere Leninismus wird dabei stets ausgeblendet!); die Orgonbiophysik erschließe sich erst vor dem Hintergrund der Psychoanalyse, etc.
Ich, der Verfasser einer umfangreichen Chronologie und Bibliographie der Entwicklung des Reichschen Denkens bin sicherlich der letzte, der diese Herangehensweise nicht zu würdigen weiß, doch trotzdem ist ihr ein tiefgreifender Denkfehler inhärent, denn Reichs Entwicklung verlief sozusagen „falsch herum“. Er hat sich von der Psychologie (Psychoanalyse) über die Soziologie (Marxismus) zur Biologie (Orgon-Biophysik) entwickelt. Also vom oberflächlichsten Funktionsbereich zum tiefsten Funktionsbereich. Nun kann man jedoch daß Höhere nur vom Tieferen her verstehen.
Es geht schlicht darum, daß in der Natur tiefere und umfassendere Funktionsbereiche die höheren und weniger umfassenden Funktionsbereiche bestimmen statt umgekehrt. Das Umgekehrte ist, wie ich gestern ausgeführt habe, funktionell identisch mit widernatürlicher Panzerung. Wer also, wie die erwähnten „kritischen Orgonomen“, Reich „chronologisch“ aufarbeiten will, verfehlt die Orgonomie auf eine denkbar fundamentale Weise. Mehr Entstellung geht gar nicht!
Es ist schlicht und ergreifend Unsinn die Charakteranalyse, wie sie heute von Orgontherapeuten angewendet wird, von Freud her begreifen zu wollen, „um tiefer in sie einzudringen“. Desgleichen wird man die Arbeitsdemokratie grundlegend mißverstehen, wenn man sie von Reichs Beschäftigung mit Marx her begreifen will. Das gleiche gilt auch beispielsweise für den Orgonomischen Funktionalismus und Engels.
Die entsprechenden „systematischen“ Ausführungen „kritischer Orgonomen“ mögen ja alle sehr schlau und akademisch klingen, man wird alle möglichen Reich-Zitate anführen können (teilweise auch aus Reichs späteren Jahren!), aber das ändert nichts an der Tatsache, daß hier eine Art „Orgonomie“ konstruiert wird, die tatsächlich so etwas wie Antiorgonomie ist. Eine Orgonomie, die auf den Kopf gestellt ist.
Übrigens beruhte auch ein Gutteil des mittlerweile zum Glück weitgehend erloschenen „Reichianismus“ auf dieser „Antiorgonomie“. Ich kann mich noch gut an die arroganten Ergüsse erinnern: die Amerikaner könnten Reich gar nicht verstehen, weil sie seine Frühschriften nicht kennen; von Arbeitsdemokratie hätten sie keine Ahnung, da sie nichts von Marx verstünden, etc.pp.
Da gibt es Leute, die haben die erste Hälfte der Charakteranalyse gelesen, fangen an wild herumzupsychologisieren – und glauben allen ernstes damit Orgonomie zu betreiben. Nicht weniger schlimm sind jene, die angeregt durch die zweite Hälfte der Charakteranalyse, sich als „Körpertherapeuten“ verstehen, d.h. die Orgontherapie auf eine Art mechanische „Gymnastik“ reduzieren.
Oder man nehme jenen amerikanischen Erzieher, der vor vielen Jahren im Wilhelm Reich Museum einen Vortrag hielt, in dem er Elsworth F. Bakers Ausführungen über die soziopolitischen Charaktere als „Travestie der Orgonomie“ abkanzelte, denn wie man anhand der Massenpsychologie des Faschismus unschwer erkennen könne, habe Reich seine soziologischen Theorien von Marx und Engels abgeleitet, von denen Baker keine Ahnung habe. Baker erklärt soziologische Phänomene von der Orgon-Biophysik (d.h. hier von der Charakterstruktur) her – und wird dafür von einem „buchkundigen“ „kritischen Orgonomen“ angegriffen.
Fast alle diese Leute haben eine linksliberale Charakterstruktur und entsprechend „intellektualisieren“ sie alles: eine oberflächliche Funktion (das Gehirn, der Intellekt) maßt sich an, die tiefere Funktion (den Körper, die Bioenergie) zu bestimmen. Von ihrer verkorksten Struktur her können sie die Orgonomie unmöglich verstehen. Sie bleibt ihnen imgrunde fremd.