Posts Tagged ‘Monogamie’

Handschriftliche Blätter in Max Stirner: Der Einzige und sein Eigentum, Reclam 1979 (undatiert)

15. Dezember 2022

Handschriftliche Blätter in Max Stirner: Der Einzige und sein Eigentum, Reclam 1979 (undatiert)

Irrsinniges Gebrabbel unter dem Mond

20. Januar 2016

In Christusmord hat Reich „schöpferische Gedanken“ mit dem „Gegenstück des Kleinen Mannes“ über fünf Seiten hinweg kontrastiert. Aus dem Gedanken der Freiheit wurde unsere Porno-Gesellschaft, aus dem einheitlichen Äther wurden bei Rudolf Steiner unterschiedliche „Äther“ für unterschiedliche Naturbereiche, aus der Gesetzlichkeit wurde Bürokratie, aus der Psychologie wurde, daß jeder sich zum Psychotherapeuten aufschwingt, aus dem medizinischen Orgonomen wurde der Reichianische Körpertherapeut („Muskelquetscher und Panzerdrücker“), aus dem gesunden Kind, das artige Kind, das keine Probleme macht, etc. Dergestalt richtet der gepanzerte Mensch seine aus der Arbeitsdemokratie erwachsene Kultur so ein, daß sie ein Hort des Gegenteils der Arbeitsdemokratie wird: der Emotionellen Pest.

Eines der Hauptprobleme, mit denen sich die Orgonomie herumschlagen muß, ist eine Begrifflichkeit, der man sich bedienen muß, um in der gepanzerten Welt verstanden zu werden, die aber mechanistisch bzw. mystisch verzerrt ist und die bioenergetisch bestimmte Wirklichkeit deshalb nicht adäquat wiedergeben kann. Man denke etwa an die sozio-politische Orgonomie, die mit Begriffen wie „konservativ“ und „liberal“ hantieren muß, welche sich im Laufe der Geschichte mit unterschiedlichsten Inhalten gefüllt haben und ohnehin zunehmend jede Bedeutung verlieren. Oder man nehme Reichs Auseinandersetzung mit kontaktelektrischen Phänomenen, bei denen „positive Elektrizität“ und „negative Elektrizität“ („Ladungstrennung“) wie dazu geschaffen sind, orgonotische Vorgänge quasi unsichtbar zu machen.

Bereits 1931 beklagte Reich im Bereich der Ethnologie und Sexologie:

Wir sehen, wie wenig die hochtrabend wissenschaftlichen Kategorien der „Monogamie“, „Polygamie“, „Polyandrie“, „Promiskuität“ mit [den bei den Trobriandern] nur von der genitalen Bedürfnisbefriedigung gelenkten und geregelten Sexualbeziehungen zu tun haben. Diese Paare sind ebensowohl monogam wie gelegentlich polygam, bei Festen sogar promiskue; doch die Klassifizierungen sagen nichts aus in [der Trobriandrischen Gesellschaft] und bekommen erst ihren Sinn und Gehalt als Prinzipien unserer moralistischen Regulierungsbestrebungen, nicht mehr. Auch bei uns decken sie keinen Tatbestand. Auch bei uns sind die sexuellen Beziehungen verschiedenstartig. Der Unterschied zum Primitiven – das sei besonders hervorgehoben, weil es unsere sexualökonomische Betrachtungsweise von jeder anderen in jeder Beziehung trennt – liegt nicht darin, daß jene polygam oder promiskue und wir monogam leben; es läßt sich auch keine monogame Forderung aus dem monogamen Leben der Primitiven, wie manche Sexualforscher und Ethnologen versuchen, ableiten, sondern er ist einzig und allein ausgedrückt in der sozialen Ordnung des Geschlechtslebens und in der verschiedenartigen Erlebnisweise der Umarmung, die von jener abhängt. Der Genitalapparat an sich ist mit allen seinen Konsequenzen hier wie dort gleich angelegt (…). Und das macht das Kopfzerbrechen unserer Sexualforscher aus, daß er ihre Kategorien der verschiedenen „-gamien“ nicht kennt, sondern nur das Ziel der Sexualbefriedigung. (Der Einbruch der sexuellen Zwangsmoral, KiWi, S. 40f, Hervorhebungen hinzugefügt)

Den Anthropologen und Soziologen ist es um oberflächliche „objektivierbare“ Erscheinungen zu tun, Reich um das „innere“, „subjektive“ Erleben, d.h. um die Bioenergetik, die sich vor allem in den Emotionen und dem Gefühl der Befriedigung zeigt. An diesem Gegensatz muß jede Diskussion um unsere gesellschaftlichen Zustände scheitern. Beispielsweise führt Reich weiter aus, daß es in unserer Gesellschaft Entsprechungen zu den sexuellen Festivitäten der Trobriander durchaus gibt, etwa gemeinsame Bordellausflüge der Studenten, „die Wanderungen der Jugend, die zu genitalen Betätigungen führen“, etc. (heute ließe sich ganz anderes anführen!). Der zentrale Unterschied, der einzig ausschlaggebende Punkt sei: „Unsere Sexualfeste enden mit Katzenjammer aus der unerfüllten, ja vor sich selbst meist verschleierten und mit Heuchelei und ‚Ehrbarkeit‘ verdeckten Erwartungen genitaler Befriedigung. Diese Einrichtungen der Primitiven haben sich bis in unsere Zeit, wenn auch in anderer Form, fortgesetzt, sie verloren nur ihren sexualökonomischen Wert, statt zu befriedigen, steigern sie bloß die sexuelle Spannung“ (ebd., S. 46, Hervorhebungen hinzugefügt).

Man nehme auch Reichs folgende Aussage:

Es gibt in unseren Kulturkreisen sicher nicht weniger genitale Umarmung als in den primitiven; die Promiskuität der männlichen Jugend ist sicher ausgesprochener. Die eheliche Untreue ist infolge des strengeren ökonomischen und moralischen Druckes und infolge der Genitalstörungen sicher verbreiteter als bei den „Wilden“. (ebd.)

Unsere heutigen Pseudointellektuellen können ganze Bücher, etwa über „Sex“ schreiben, ohne jemals zu diesem Kern durchzudringen, der das ganze Gelaber mit einem Satz aufhebt! Sie sind verfangen, gefangen in der gepanzerten Begrifflichkeit. Auf diese Weise wird Wissenschaft, ein zentrales Element der Arbeitsdemokratie, zu einem Organ der Emotionellen Pest.

Angesichts des allgegenwärtigen irrsinnigen Gebrabbels verfiel Reich in die Haltung des „stillen Beobachters“ und versetzte sich von der „Bühne“ auf die „Wiese“ (siehe Menschen im Staat und Die kosmische Überlagerung). Ein schönes Bild hat auch Rocko Schamoni gefunden: