Posts Tagged ‘Mach’

Deutschland und die Emotionelle Pest (Teil 10)

30. September 2025

Die wissenschaftlichen, technischen und kulturellen Beiträge unserer kleinen Nation (die kaum mehr als 1 Prozent der Weltbevölkerung ausmacht) zum Fortschritt der Menschheit sind erstaunlich. Unter anderem haben die Deutschen erfunden: den Buchdruck, die Glühbirne, das Auto, den Diesel-Motor, den Fernseher (das allererste gesendete TV-Programm war Hitlers Eröffnungsrede bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin), das Farbfernsehen, den Hubschrauber, den Kaffeefilter, den Teebeutel, die Antibabypille, den Computer, Aspirin, das Telefon (Reis machte vor Edison ein Ferngespräch), die Waschmaschine, das Elektronenmikroskop, das Düsenflugzeug, das Luftschiff (Zeppelin), Bier, Homöopathie, Papier, das Periodensystem der Elemente, den Dynamo, Bakteriologie (Koch 1896), die Straßenbahn, das Motorrad, den Plattenspieler, funkgesteuerte Uhren, den MP3-Player, den Airbag, die Kreditkarte, den Mikrochip, die Kernspaltung, das Röntgengerät und den Scanner! In der Liste der zehn wichtigsten technischen Erfindungen In der Geschichte der Menschheit stammen fünf von Deutschen.

Das waren technische Erfindungen, aber der Einfluß der Deutschen auf die internationale Kultur ist ebenso groß! In der Liste der zehn wichtigsten klassischen Komponisten gibt es sechs Deutsche/Österreicher: Beethoven, Mozart, Bach, Haydn, Liszt, Schubert, Brahms, Schönberg, Wagner. In der Liste der zehn wichtigsten Philosophen der Neuzeit gibt es acht Deutsche/Österreicher: Kant, Hegel, Schopenhauer, Marx, Engels, Nietzsche, Husserl, Wittgenstein. Was wäre die Welt der Physik ohne die Früchte der Forschung von Einstein, Hahn, Meitner, Fahrenheit, Röntgen, Gauß, Ohm, Planck, von Braun, Kopernikus, Heisenberg, Born, Euler, Mach, Meißner, von Ardenne, Warburg, Schrödinger, von Weizsäcker? Und was die Anthropologen, Psychologen und Psychiater betrifft: Franz Boas, Begründer der Kulturanthropologie, Wundt, der erste experimentelle Psychologe überhaupt, Kretschmer, Kraepelin, Jaspers, Kurt Schneider, Wagner-Jauregg, bei dem Reich seine Facharztausbildung absolvierte und der bis heute der einzige Psychiater war, der jemals den Nobelpreis erhielt, Reich, Freud, Adler, Melanie Klein, Karen Horney, Kernberg, Eysenck, etc. Unter den Schriftstellern nenne ich nur Goethe. (Man beachte hier bitte den Beitrag der jüdischen Deutschen!)

Deutsche Sportler gewannen bei den Olympiaden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die meisten Medaillen. Vor allem bei den Olympischen Spielen in Berlin von 1936 dominierten sie alle anderen Länder. Und bis zu seiner Niederlage gegen Lewis war der Deutsche Max Schmeling der weltweit beste Boxer. Auch in der „kulturellsten“ Sportart – dem Schach – waren in den Jahrzehnten vor und nach 1900 die zwei besten Schachspieler der Welt Deutsche/Österreicher (Steinitz und Lasker).

Außerdem denke ich, daß wirklich jeder in der Welt die Namen der 4 Deutschen/Österreicher Luther, Marx, Freud und Einstein kennt. Niemand hat die moderne Welt mehr als diese 4 beeinflußt! Hitler nicht zu vergessen. Wilhelm Reich, der in seinem ganzen Denken sehr „deutsch“ war. (Schließlich erhielt er seinen Vornamen zu Ehren von Kaiser Wilhelm!

Bis vor kurzem galt Deutschland in diversen Umfragen, etwa des BBC, als das beliebteste Land auf der Erde.

Allerdings, obwohl „Nationalstolz“ (Liebe zum eigenen Land, Patriotismus, d.h. Stolz auf die Errungenschaften des eigenen Volkes) ganz natürlich sein sollten, ist dies in Deutschland ein sehr heikles Thema und auch für mich eine mit Konflikten besetzte Angelegenheit. Das ist so, weil unser Stolz (auf die enormen Leistungen der deutschen Geschichte) stets mit starken Schuldgefühlen wegen Deutschlands Rolle im Zweiten Weltkrieg und vor allem in der Schoah vermischt sind. Während Amerikaner „stolz sind, Amerikaner zu sein“, Franzosen und Engländer sehr nationalistisch sind und stolz auf ihre Streitkräfte (einschließlich der Atombombe) und gerne Uniformen tragen, ist bei Deutschen der Nationalstolz irgendwie gehemmt. Beispielsweise wurde vor kurzem jemand von einigen linken Studenten fast zu Tode geprügelt, nur weil er es gewagt hatte, die deutsche Flagge in seinem Garten zu hissen.

In französischen und englischen Städten sind die meisten großen Straßen und öffentlichen Plätze nach den Kriegshelden oder berühmten Schlachten ihrer Nationalgeschichte benannt (wie Avenue Foch, Nelson Square, Trafalgar Square, Waterloo Bridge), und es finden sich überall entsprechende Statuen – während in Deutschland sogar die öffentlich bekundete Bewunderung etwa von preußischen Generälen schlichtweg undenkbar wäre. Es wäre in Deutschland völlig unmöglich, daß eine Straße nach einem unserer großen Siege im Ersten oder Zweiten Weltkrieg oder aus der Zeit der Preußen benannt werden würde. Allein, daß ich sage, es seien unsere Siege gewesen, bringt fast jeden „kritischen Geist“ auf die Palme!

Uniformen, die deutsche Flagge oder das Absingen der deutschen Nationalhymne werden in Deutschland automatisch mit einer rechtsextremen Einstellung verbunden. Diese seltsame Situation resultiert aus gerade mal 12 Jahren Nationalsozialismus (die Hälfte davon ohne Kriegsführung) innerhalb einer deutschen Geschichte von 1200 Jahren, die im allgemeinen weitaus friedlicher verliefen als bei fast allen unseren europäischen Nachbarn.

Wenn du dich also traust zu sagen, daß du „stolz darauf bist, ein Deutscher zu sein“ – wegen Deutschlands enormen Beiträgen zur weltweiten Wissenschaft und Kultur –, kannst du auf die Gegenfrage gefaßt sein: „Wie können Sie es wagen, solche schrecklichen Dinge zu sagen? Haben Sie Auschwitz vergessen?!“ Aber ich habe nie erlebt, daß sich US-Amerikaner Vorwürfe machen wegen der beiden Atombomben-Abwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, die zigtausende Zivilisten töteten bzw. radioaktiv verstrahlten. Oder daß sich Engländer beschämt oder gar schuldig fühlen wegen der Verbrechen und der Völkermorde des britischen militanten Imperialismus seit Jahrhunderten. Oder das Gefühl, in ihrem Nationalstolz gehemmt zu sein wegen der Opfer der britischen Konzentrationslager in Südafrika, wo sie die Buren internierten. (In einer berühmten Rede sagte Hitler sinngemäß: „Wir haben einfach aus dem Wörterbuch gelernt, was ein Konzentrationslager ist, und das dann von den Briten kopiert!“).

Nicht nur die britischen Konzentrationslager in Südafrika, sondern noch viel mehr die sowjetischen Gulags waren die historischen Vorläufer der späteren deutschen Konzentrationslager. Ich denke, daß die Kompetenz der Kommunisten in Sachen Massenmord von anderen Bewegungen unerreicht ist, einschließlich der der Nationalsozialisten. Heutige Historiker sagen, daß die Opfer des kommunistischen Terrors sich bis auf 100 000 000 Menschen summieren. Man erinnere sich nur all der ethnischen Völkermorde in der UdSSR, der brutalen Schauprozesse der 1930er Jahre, des brutalen Überfalls auf Polen im Herbst 1939, der Folterung von Dissidenten, der Gulags in Sibirien und so weiter und so fort. Ein Teil des polnischen Offizierskorps hat nur überlebt, weil er nicht in sowjetische, sondern in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten war. Die Russen haben ausnahmslos alle polnischen Offiziere, derer sie habhaft werden konnten, ermordet.

Es gibt eine einflußreiche Schule in der Geschichtswissenschaft, die die deutschen Kriegsverbrechen und den Holocaust als kaum vermeidbare Gegenreaktion auf den sowjetischen Terror in der UdSSR interpretieren. Es sei auf den Historiker Ernst Nolte und sein berühmtes Diktum, wonach „die Gulags das Prius zu Auschwitz“ waren, verwiesen:

Katholische Familien, die ansonsten kaum etwas mit den Nazis am Hut hatten, wurden zu vehementen Unterstützern der deutschen Invasion in die UdSSR, nachdem sie gehört hatten, wie im spanischen Bürgerkrieg der 1930er Jahre katholische Priester von Kommunisten massakriert und Nonnen vergewaltigt wurden. Viel von dem brutalen Vorgehen der Wehrmacht und der SS in Rußland während des Zweiten Weltkrieges war eine Reaktion auf die unglaubliche Brutalität, die sie beobachtet und von Seiten der Kommunisten erlebt hatten. Wenn zum Beispiel russische Partisanen einen Wehrmachtssoldaten gefangennahmen, folterten sie ihn zu Tode – am häufigsten wurden die Deutschen kastriert und danach mit ihren eigenen abgeschnittenen Genitalien erstickt. Solche bestialischen „asiatischen“ Methoden waren zuvor in Europa unbekannt gewesen!

Nichtsdestotrotz galt die sowjetische Kriegführung gegen Deutschland immer als etwas „Heroisches“, und ich habe nie gesehen, daß je ein Russe ein schlechtes Gewissen wegen der Myriaden von Verbrechen hat, die sich in der russischen Geschichte zugetragen haben – immer wurden nur die Deutschen als die Bösewichte hingestellt. Entsprechend hatte es bei den Nürnberger Prozessen etwas Lächerliches, als die Sowjets forderten, daß alle deutschen Verbrechen streng geahndet werden, während die sowjetischen Ankläger selbst Ozeane von Blut an den eigenen Händen kleben hatten. Auch wurde in Nürnberg z.B. das geheime Zusatzprotokoll zum Hitler/Stalin-Pakt 1939 verschwiegen, aufgrund dessen die sowjetischen Streitkräfte keine zwei Wochen nach dem deutschen Einmarsch in die westliche Hälfte Polens – welcher bis heute als der Beweis schlechthin für die Alleinschuld der Deutschen an der Auslösung des Zweiten Weltkriegs gilt – die östliche Hälfte Polens mit ebenso großer Brutalität annektiert hatten; man erinnere sich an die Opfer von Katyn. England und Frankreich erklärten mit auffälliger Doppelmoral dem Deutschen Reich 1939 wegen des deutschen Einmarschs in Westpolen den Krieg, verbündeten sich aber paradoxerweise mit der UdSSR, die praktisch zeitgleich exakt dasselbe in Ostpolen getan hatte.

Die Nachgeborenen tragen nicht die Schuld, aber sie tragen die Verantwortung, schließlich genießt man ja auch, wie anfangs angedeutet, mit aller Selbstverständlichkeit all das, was an Gutem aus der Vergangenheit stammt. Funktionell betrachtet, gewährten uns unsere Vorväter einen Kredit, den wir abbezahlen, indem wir den Nachgeborenen eine bessere Welt hinterlassen. Zu diesen unseren Aufgaben als Nachlaßverwalter gehört die Aufarbeitung der Vergangenheit, d.h. das Wegräumen des Schutts der Lügen, des Vergessenmachens, der Verdrehungen und der Fehldeutungen, damit ein Neuanfang möglich ist. Das ist die funktionelle Aufgabe des Geschichtsforschers: er dient den Kindern der Zukunft!

Die Orgonomie und die Energetik (Teil 1)

2. Mai 2015

Die Orgonomie ist kein neues „Paradigma“, sondern der Grund, auf dem die Wissenschaft ruht, sie ist die Wissenschaft per se (Clark/Frauchiger: Journal of Orgonomy, 1986). Dergestalt spielt sie die gleiche Rolle, die die Orgonenergie in der ganzen Natur innehat oder beispielsweise die Arbeitsdemokratie in der Gesellschaft. Insoweit andere Theorien, insbesondere „energetische Theorien“, wissenschaftlich sind, wurde in ihnen die Orgonomie vorweggenommen oder gar weiterentwickelt. Wo Reich sich geirrt hat, war er nicht orgonomisch.

Gefahr des Eklektizismus? Die könnte auf drei Elementen beruhen:

  1. daß die Orgonomie mit allen möglichen mechano-mystischen Elementen überfrachtet und erstickt wird, wie ein Pflanzenkeimling, auf den Abfall geworfen wird;
  2. darauf, daß man diese fremden Ansätze dazu instrumentiert, dem Wesentlichen auszuweichen; und
  3. daß man die energetischen, „kosmischen“ Momente der Orgonomie gegen die Sexualökonomie ausspielt.

Es besteht immer die Gefahr, daß die Orgasmus-Theorie verloren geht. Schon 1940 schrieb Reich, die Orgonomie werde sich wahrscheinlich in zwei Lager spalten, wobei die eine Gruppe erklären werde, „die sexuelle Funktion sei der allgemeinen Lebensfunktion untergeordnet – und daher streichbar.“

Auch müssen wir, um die Orgonomie besser verstehen zu lernen, ihre „Eltern“, z.B. die deutsche Philosophie des 19. Jahrhunderts, die Psychoanalyse und den Marxismus durchleuchten. Die Orgonomie hat beispielsweise ihre Wurzeln auch in der „Energetik“ von Wilhelm Ostwald.

Aber meinen Reich und die Energetiker eigentlich dasselbe, wenn sie von „Energie“ sprechen? Natürlich wußten diese nichts von der Orgonenergie, aber es finden sich doch Anklänge an sie. Außerdem läßt beispielsweise der Energetiker Hans Hass in seinen Büchern den Energie-Begriff explizit offen. Niemand wisse, was „Energie“ eigentlich sei. Andererseits meint Hass, es gäbe ohne dieses Unbestimmte „keine Bewegung, keinen Vorgang, keine Entwicklung – somit auch keinen Gedanken, keine Musik, keine Religion.“

Besonders bemerkenswert ist jedoch, daß sich Hass von den mechanistischen Denkschablonen löst, die Energie sei eine Funktion materieller Partikel oder Stoffe, vielmehr seien diese umgekehrt „eine Erscheinungsform von Energie“ (Naturphilosophische Schriften, Bd. 3, München 1987). So lehnt er auch folgerichtig den Begriff „Materialismus“ ab.

Denn gerade das, was uns die Materie als etwas Klotziges, Plumpes, von den geistigen Vorgängen und unseren Gefühlen so äußerst Verschiedenes erscheinen läßt, hat gar keine reale Basis. Es ist bloß eine Interpretation unserer höchst mangelhaften Sinne. Dieses Klotzige, Plumpe, „primitiven Gesetzmäßigkeiten blind Gehorchende“ ist in Wahrheit eine Erscheinungsform höchst differenzierter Kräfte. Was wir Materie nennen, besteht ganz und gar aus dem gleichen geheimnisvollen Etwas [Energie], das auch den subtilsten Prozessen, auch unseren Denk- und Gefühlsvorgängen zugrunde liegt.

Bereits 1895 hielt Wilhelm Ostwald einen Vortrag in diesem Sinne vor der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften über „Die Überwindung des wissenschaftlichen Materialismus“. In ihrem Buch Wilhelm Ostwald (Stuttgart 1953) schrieb seine Tochter über Ostwald, die Energie

wurde ihm von einer mathematischen Funktion zur unmittelbarsten Wirklichkeit, zum umfassendsten Naturbegriff neben Raum und Zeit, zum erfolgreichsten Wegweiser, den wir bisher kennen, für das Leben der Völker wie des Einzelnen.

Bemerkenswert funktionell ist auch, wie Hass noch einen Schritt weitergeht und die Energie als die fundamentale Größe hervorhebt. Er beruft sich dabei auf den Physiker Gottfried Falk, der beklagt, die Physikbücher würden einen falschen Eindruck von der Bedeutung der Energie vermitteln. Demnach seien Raum und Zeit die fundamentalen Begriffe gefolgt von Geschwindigkeit, Beschleunigung, Masse und Kraft. Aus diesen Größen werde die Arbeit abgeleitet und aus dieser dann als letztes die Energie. Dieser Ansatz wäre ein Erbe der Newtonschen Mechanik und vermittele alles andere als eine „tiefere Wahrheit“ über die physikalische Welt. Er sei durch die Entwicklung der Physik überholt:

Jedem Physiker ist es geläufig, daß die Quantenmechanik nicht mit den ihr zunächst als fundamental vorgestellten Größen Lage, Geschwindigkeit, Kraft operiert, sondern mit anderen Größen, allen voran mit der Energie. (Hass/Lange-Prollius: Die Schöpfung geht weiter, Stuttgart 1978)

Ein Energetiker, auf den sich Hans Hass unmittelbar beruft, ist der belgische Chemiker, Unternehmer und Soziologe Ernest Solvay (1838-1922). Er wurde durch das „Solvay-Verfahren“ zur Soda-Herstellung bekannt. 1894 hatte er das „Solvay-Institut für physiologische und soziologische Forschungen“ gegründet, das später der Freien Universität Brüssel angegliedert wurde.

Solvays soziologische Konzepte wurden durch seine Beschäftigung mit der Physik und Chemie geprägt. So wollte er, wie später Wilhelm Ostwald, eine „soziale Energetik“ aufbauen. Für ihn war Energetik das Prinzip

einer vollständigen und ununterbrochenen Verkettung von einfachen chemischen Reaktionen, von belebten chemischen Reaktionen oder lebenden Zellen, von Zusammenschlüssen von Zellen oder lebenden Wesen, von Zusammenschlüssen lebender Wesen oder tierischer Gesellschaften und schließlich menschlicher Gesellschaften. (z.n. Bernsdorf/Knospe: Internationales Soziologenlexikon, Stuttgart 1980)

„Die gesamte Evolution sah er in ihrer inneren Verwandtschaft“ (Hass: Naturphilosophische Schriften Bd. 3, München1987).

In Notes sur des Formules d’Introduction à l’Énergetique Physio- et Psycho-Sociologique (Brüssel 1906) definierte Solvay den Organismus als „Energietransformator in potentiellem Zustand“. Dies entspricht exakt dem Hass’schen Begriff „Energon“. Weiter meinte Solvay, man könne den Energietransformator „Mensch“ nicht „in sich selbst und für sich selbst“ beurteilen, sondern nur in seiner energetischen Wechselwirkung zur Gesellschaft. Auch in ihr, sowohl in einzelnen Menschengruppen als auch im ganzen Menschengeschlecht, sah er ein energetisches Gebilde.

Auf dieser Grundlage baute Solvay seine soziale Theorie auf, die sich aus den Konzepten „productivisme“ und „comptabitisme“ zusammensetzt: Förderung der schöpferischen Kräfte einerseits und Rechnungsführung andererseits.

Solvay vertritt die Grundthese, daß das Elend der Menschen einer schlechten Ausnutzung der Energie zuzuschreiben sei, die productivisme als die „Organisation und Verteidigung aller materiellen und ethischen Interessen der Gesamtheit“ stelle der Menschheit die Aufgabe, die schöpferischen Kräfte zu mobilisieren und zu vervielfachen, indem man sie so anpaßt, daß sie ein Maximum an Leistung bei einem Minimum an Aufwand hergeben. (Internationales Soziologenlexikon)

So versuchte Solvay ausgehend von der Energiebilanz und „– im rein Theoretischen verbleibend – mathematische Grundformeln für die Strukturen der menschlichen Gemeinschaftsbildung aufzustellen“ (Hass: Naturphilosophische Schriften Bd. 2, München1987). Hass glaubt, er habe diesen Ansatz vervollkommnet, indem er ihn von der Soziologie löste und auf die Ökonomie übertrug.

Wilhelm Ostwald widmete 1909 sein Buch Die energetischen Grundlagen der Kulturwissenschaft Ernest Solvay, genauso wie 70 Jahre später Hans Hass seine zusammenfassende Darstellung der Energontheorie Ostwald widmete (Hass/Lange-Prollius: Die Schöpfung geht weiter, Stuttgart 1978). Als weiteren „Vorgänger“ und „Kampfgenossen“ nannte Ostwald den Dresdner Mathematiker Georg Ferdinand Helm (1951-1932), einer der Begründer der Energetik des 19. Jahrhunderts.

Von Helm stammen Werke wie Die Lehre von der Energie (1887), Energetik (1898) und Die Energielehre (1913). Sein Verdienst lag darin, thermodynamische Vorstellungen auf den gesamten Bereich der Physik und Chemie auszuweiten. Er war Gegner der atomistischen Betrachtungsweise, d.h. er wandte sich dagegen, „die eigentliche wissenschaftliche Grundlage der Thermodynamik in der Mechanik der Atome zu suchen“.

Die Entdeckung des französischen Physikers Carnot (1796-1832), daß das Funktionieren einer Dampfmaschine nichts mit der Zusammensetzung der dabei verwendeten Stoffe zu tun hat, hatte dazu geführt, daß die sich entwickelnde Thermodynamik jede Hypothese über die Beschaffenheit der Materie für überflüssig hielt. So gelangten u.a. Helm und Ostwald

zu der Auffassung, daß sich in den Naturerscheinungen allein die Energie mit ihren vielfältigen Umwandlungsprozessen offenbare. Sie begründeten damit die naturphilosophische Denkweise der Energetik. (Stephen F. Mason: Geschichte der Naturwissenschaft, Stuttgart 1991)

Dazu muß sogleich einschränkend gesagt werden, daß Ostwald 1923 in Moderne Naturphilosophie schrieb:

Die Energie ist auch für den modernen Energetiker durchaus nicht ein Grund- und Zentralgedanke, aus welchem sich die ganze übrige Welt ausspinnen ließe.

Um die Rolle der Energie in Ostwalds System zu verstehen, muß man sich seine „Wissenschaftspyramide“ vergegenwärtigen:

Diese seine „Ordnung aller Wissenschaften“ beinhaltet a priori, daß der Begriff der Ordnung der allgemeinste ist. Genausowenig wie es eine Energetik der Geometrie, Mathematik oder Logik geben könne, würde auch das spezifisch Soziologische, Physiologische und Psychologische von der Energetik nicht ganz gedeckt werden. An dieser Spitze der Pyramide sei „Leben“ der Hauptbegriff, „Energie“ nur ein Hilfsbegriff. Sie sei der Hauptbegriff in Physik und Chemie.

Jede höhere Stufe braucht die Begriffe der darunter liegenden, nicht aber umgekehrt. Die Soziologie ist für die Ordnungs- und Energiewissenschaften unwesentlich, die Ordnungs- und Energiegesetze sind aber sehr wichtig für die Soziologie.

Als logische Folgerung der Energetik verzichtete der Physiker und Philosoph Ernst Mach (1838-1916) auf jede Hypothese hinsichtlich des Wesens der Energie. Dergestalt bildete Mach eine „funktionalistische Erkenntnistheorie“ aus. Ganz im Sinne Reichs (trotz der unorgonomischen Abstraktion) sollte die Physik, von „hypothetischen Bildern und theoretischen Konstruktionen“, von mechanischen Naturmodellen gereinigt, zu einer „phänomenologischen Physik“ werden, in der, statt der Mechanik, die Thermodynamik als Prototyp naturwissenschaftlicher Betrachtungsweise gelten würde.

Der Mach‘sche Ansatz wurden dann sehr schnell durch den Nachweis des Atoms, durch die „Atomistik“ in Frage gestellt. Deshalb ersetzte Ostwald den alten Gegensatz Atomistik/Energetik durch den von Materialismus/Energetik. Außerdem sagte er, die Energetik würde durch die Atome

nicht berührt, denn da sie die allgemeinere Begriffsbildung ist, besteht sie ganz unabhängig davon, ob es Atome gibt oder nicht. (…) Während infolge der neuen Physik die anderen Größen, die man bisher als unveränderlich angesehen hatte, insbesondere die Masse, diese Beschaffenheit haben aufgeben müssen, ist das unbedingte Erhaltungsgesetz nur für die Energie in Geltung geblieben, d.h. sie hat sich als die letzte Realität erwiesen, auf welche die Entwicklung der Wissenschaft hingeführt hat.

Da der Energie nach Einstein auch Masse zuerkannt wurde, habe sie „also die Materie begrifflich verschluckt“. Hass zufolge sprach Ostwald „bereits 1887 die Ansicht aus, daß Materie ‚ein sekundäres Produkt der Energie‘ sei“ (Naturphilosophische Schriften, München 1987). Ostwald schrieb sich zu, den Fortschritt vom energetisch-materiellen Dualismus zum reinen energetischen Monismus vollzogen zu haben, indem er die Materie energetisch deutete.

Mit Einschränkung war demnach in Ostwalds Denken die Energie der Dreh- und Angelpunkt. Hatte Reich z.B. sein Heim und Laboratorium nach der Orgonenergie „Orgonon“ genannt, so taufte zuvor Ostwald sein Anwesen „Energie“. Auch sonst waren sich die beiden Männer ähnlich. Bei Ostwalds Tochter Grete Ostwald ist von der „Unbekümmertheit seines kindlichen Gemütes“ die Rede.

Der Reichtum seines unerschöpflichen Gedächtnisses, sein Organisations- und Ordnungstalent und seine Findigkeit für Zusammenhänge und Ähnlichkeit weit auseinander liegender Dinge dazu (…). (Wilhelm Ostwald. Mein Vater, Berlin 1953)

Ostwald war neben Ernst Haeckel (1834-1919) einer der bedeutendsten Vertreter des „Monismus“, den er 1912 in Der energetische Imperativ als „das Einheits-Prinzip der Wissenschaft“ definierte. Aber auch bei Staat und Familie, ökonomischer und künstlerischer Arbeit sollte der Einheitsgedanke durchgeführt werden:

Wir wollen nicht unseren Geist umschalten müssen, wenn wir aus der Wissenschaft in die Kunst treten, wir wollen dieselben Prinzipien für unser ethisches wie für unser wirtschaftliches Handeln anwenden können; wir wollen uns bewußt sein, daß wir nichts tun oder treiben können, als was überall im Grunde mit dem wissenschaftlichen und sozialen Denken zusammenhängt und daher allseitig übereinstimmen muß. Also die Harmonie unserer gesamten Betätigung ohne jede Ausnahme, die wir doch bewußt oder unbewußt alle anstreben, das ist das, was ich Monismus nenne.

40 Jahre später schrieb Reich in seiner Abhandlung zum ORANUR-Experiment:

Alle Grenzen zwischen Wissenschaft und Religion, Wissenschaft und Kunst, Objektivem und Subjektivem, Quantität und Qualität, Physik und Psychologie, Astronomie und Religion, Gott und Äther stürzen unwiderruflich in sich zusammen und werden ersetzt durch eine Konzeption der grundsätzlichen Einheit, eines grundsätzlichen gemeinsamen Funktionsprinzips (CFP) der gesamten Natur, das sich in die verschiedenen Arten menschlicher Erfahrung verzweigt.

Ostwald versuchte, übrigens genau wie Mach und neuerdings Ilya Prigogine, naturwissenschaftliche Methoden im Rahmen der Energetik, bzw. der Thermodynamik, auf die „Geisteswissenschaften“ zu übertragen. (Und hier ist durchaus eine Nähe zur naturwissenschaftlichen Psychologie von Reich gegeben.) Wie gesagt stützte sich Ostwald in Die energetische Grundlagen der Kulturwissenschaft 1909 auf die soziologischen Theorien Solvays. Dessen Begriff „Energietransformator“ übertrug er „auf die Organe und auf die Werkzeuge der menschlichen Machtkörper, Maschinen inbegriffen“ (Hass/Lange-Prollius: Die Schöpfung geht weiter, Stuttgart 1978). Was die Wirtschaftler „Produktionsmittel“ nennen, bezeichnete er deshalb als „Transformationsmittel“. So breite der Mensch sein „energetisches Gebiet“ auf die anorganische Umwelt aus und konnte „fremde Energie“, z.B. fossile Brennstoffe oder Kernkraft, dem Lebensprozeß nutzbar machen.

Ganz im Sinne des Fortschrittsoptimismus seiner Zeit ging Ostwald davon aus, daß der Mensch mit Hilfe der Technik, und der durch sie möglich gewordenen größeren Energienutzung, immer glücklicher werden würde. Glaubte er doch, das Glück „wachse sowohl mit der gesamten Energiebetätigung wie mit dem willensgemäßen [Energie-] Überschuß.“ Glück definierte er als „stärkste, freiwillige Energiebetätigung.“ Widerstand, die diese lähme, müsse ausgeschaltet werden. Wie nah Ostwald hier doch formal den Prinzipien der Orgonomie gekommen ist!

Geprägt durch die Drohung des 2. Thermodynamischen Gesetzes (des „Dissipationsgesetzes der Energie“ wie Ostwald es nennt) die Welt strebe dem „Wärmetod“ zu, diesem „Fundamentalphänomen allen Geschehens in der Welt“, dachte Ostwald natürlich nicht, wie Reich, an die Entladung überschüssiger Energie. So lautete Ostwalds „energetisches Imperativ“ folgerichtig: „Vergeude keine Energie, verwerte und veredle sie.“ Damit ließe sich, so Ostwald 1912, seine „bisherige gesamte Arbeit am deutlichsten zusammenfassen.“ Dies läuft natürlich direkt gegen das Orgonomische Potential als dem Grundcharakteristikum der Orgonenergie.