Posts Tagged ‘ozeanische Gefühle’

rational/irrational (Teil 1)

10. Oktober 2025

In der Orgonomie gibt es keine Trennung zwischen dem Freudschen Primärvorgang (der ganz vom Lustprinzip bestimmt wird) und dem Sekundärvorgang (wo das Realitätsprinzip eingreift), zwischen den primären Gefühlen und der sekundären Ratio. Der Sekundärvorgang kann aus orgonomischer Sicht vollkommen irrational sein („Der Intellekt als Abwehrfunktion“, siehe Reichs Charakteranalyse), während der Primärvorgang Leitfaden eines rationalen Diskurses sein kann (Animismus, ozeanische Gefühle, orgonomischer Funktionalismus). Die Grenze zwischen rational und irrational ist die gleiche wie zwischen primären Trieben und sekundären Trieben.

Psychoanalyse, Marxismus, etc. haben primäre Triebe und sekundäre Triebe vermengt und die Label rational bzw. irrational sowohl auf Äußerungen primärer als auch sekundärer Triebe verteilt. Zum Beispiel ist für die Psychoanalyse das ungepanzerte Kind in seiner Suche nach Lust irrational und muß an die rationale Realität angepaßt werden. Für den Marxismus ist die gesamte Geschichte des gepanzerten Menschentiers historisch-materialistisch notwendig und etwa die Trobriander, die diesen Prozeß nicht mitgemacht haben, irrationaler „Völkerschrott“, der ausgemerzt gehört, wenn er der Revolution im Wege steht (Engels).

Zusammengefaßt kann man sagen, daß für die Orgonomie diese gesamte Zivilisation und ihre Wissenschaft verrückt ist, weil sie rational und irrational nicht trennen kann. Ein Kompliment, daß der Orgonomie dann spiegelverkehrt heimgezahlt wird: „Reich war verrückt“.

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 84)

20. Oktober 2023

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Daß Burkes Ansichten über die Natur des Menschen sich kaum mit denen Reichs vereinbaren lassen dürften, ist mir durchaus bewußt. Es stört mich auch, daß Robert Harman das in seinem Aufsatz über Burke gar nicht zur Sprache bringt (Edmund Burke and the French Revolution. The Journal of Orgonomy 30(1), Spring/Summer 1996, S. 20-32). Das scheint symptomatisch zu sein, wenn ich etwa an John Bells orgonomische Analyse von Shakespeares Der Sturm denke (Shakespeare’s THE TEMPEST: Cosmic Dimensions, Comedic Transformations. The Journal of Orgonomy 16(2), November 1982, pp. 244-259). Diese ist zwar stimmig und sicherlich richtig, aber Shakespeares Ansichten über die Natur des Menschen… – der verworfene „Caliban“ ist eben nicht der „gepanzerte Mensch“, sondern Shakespeares Vorstellung des Menschen im Naturzustand – der „Kannibale“, der unter zivilisatorische Kontrolle gebracht werden muß. Konkret waren die nordamerikanischen Indianer gemeint (was ganz praktische Folgen hatte…). Genau dasselbe, sogar explizit in Bezug auf die Indianer, findet sich in Burkes Betrachtungen.

Und trotzdem bleibt da bei Shakespeare und Burke ein unaufgelöster Rest: beide berufen sich dann doch ständig und zentral auf die menschliche Natur – auf die imgrunde rationale menschliche Natur, auf das „Gute und Naturwüchsige“. Das ist ein klarer Widerspruch. Man kann ihn übersehen – und hat einen „Reichianisch“ verkürzten Shakespeare und Burke vor sich. Aber immerhin: es ist bemerkenswert, daß diese „Verkürzung“ überhaupt möglich ist.

Was die heutige „Ideologiefeindschaft“ betrifft: mich erinnert der hemdsärmelige Pragmatismus manchmal fatal an ideologiegesteuertes Verhalten. Man hatte das Ziel (etwa die „klassenlose Gesellschaft“) fest im Auge, da man aber keine Beziehung zur Realität besaß, hat man willkürlich und „pragmatisch“ drauflos agiert. Das gemahnt doch fatal an vieles, was heute so abgeht: „Energiewende“, Gentechnik, Euro, etc. Man springt (aus „ideologischen“ Gründen) „pragmatisch“ ins Wasser, ohne zu wissen, wie tief das Wasser ist und ob man mit Bleischuhen und festgebundenen Armen überhaupt schwimmen kann.

Burke hat zum Thema folgendes zu sagen:

Sie sehen, mein Freund, daß ich dreist genug bin, um in diesem erleuchteten Jahrhundert frei zu gestehen, daß wir im ganzen eine Nation von naturwüchsigen Gefühlen sind, daß wir, statt alle Vorurteile wegzuwerfen, sie vielmehr mit Zärtlichkeit lieben und, was noch strafbarer sein mag, daß wir sie eben darum lieben, weil sie Vorurteile sind, und nur um so wärmer lieben, je länger sie geherrscht und je allgemeiner sie sich verbreitet haben. (…) Viele unserer denkenden Köpfe, weit entfernt, im ewigen Kriege mit den Vorurteilen zu leben, wenden ihren ganzen Scharfsinn an, um die verborgene Weisheit, die darin liegen mag, zu erforschen. Wenn sie entdecken, was sie suchten (…), dann finden sie es klüger, das Vorurteil beizubehalten mit der Weisheit, der es zur Hülle dient, als das Gewand wegzuwerfen und die nackte Weisheit stehen zu lassen, weil ein Vorurteil, das ein Prinzip der Weisheit enthält, zugleich eine Kraft, um dies Prinzip zu beleben, und ein Gefühl der Zuneigung, um ihm Dauer zu verschaffen, bei sich führt. (Betrachtungen, Suhrkamp 1967, S. 146f)

DMF (Diderot, Marx, Freud) waren Radikalinskis der „nackten Wahrheit“, die für die Burkes nur Verachtung übrig hatten. Siehe Marx‘ Ausfälle gegen Burke in Das Kapital und Freuds Ausfälle gegen das ozeanische Gefühl.

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 23)

11. Oktober 2022

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Wie unterscheidet sich die Reaktion der „Konservativen“ von der der „Progressiven“ auf Stirner? Die ersteren weichen stets ins Religiöse und „Kosmische“ aus, die letzteren ins „Menschliche“. Das „Menschliche“ ist von keinerlei Interesse, da es, wie nicht zuletzt Stirner gezeigt hat, doch nur transformierte Religion ist. Das „Kosmische“ ist weitaus interessanter, da – Reich diesen Weg beschritten hat.

Daß ein Aufklärer, bzw. ein „Aufklärer“, wie Freud ein frommer Mann ist und deshalb eine Privatinquisition gegen Reich mobilisiert, finde ich nicht sonderlich spannend. Wichtiger ist mir, daß, wie Reich später zugab, Freud „im Rahmen der Schweinerei“ recht hatte und daß Freud seinerseits Reich untergründige heimliche religiöse Anwandlungen („ozeanische Gefühle“, „Naturromantik“) und damit Verrat an der Aufklärung vorhielt: Reich sei der „Fromme“!

Freud sah ausgerechnet da tiefer, wo er Reichs „Stirner-Projekt“ (die damalige Sexualökonomie) angriff. Und Reich hatte seinerseits gegenüber Freud ausgerechnet da recht, wo Freud die Aufklärung gegen Reichs „ozeanische Gefühle“, „Naturromantik“, „Träumereien von matriarchalen Paradiesen“ hochhielt, den Freud des Todestriebes und „schwachen Ich“, das seine Abwehr (Zucht und Ordnung) gegen die destruktiven atavistischen überstarken Triebe aufrichten muß.

Der reife, der „orgonomische“, Reich war schließlich in der Lage, sein „Stirner-Projekt“ eingebettet in ein besseres Verständnis der gesellschaftlichen und biologischen Zusammenhänge wirklich erfolgversprechend in die Wege zu leiten.

Das folgende Reich-Zitat zeigt sehr schön, wie Reichs „Stirner-Projekt“ organisch in sein „Orgon-Projekt“ überging:

Zu diesen [orgonomischen] Ergebnissen gelangte ich durch Anwendung der soziologischen Untersuchungsmethode, die mich lehrte zu sehen, daß der [Über-Ich produzierende] erzieherische Einfluß auf die biologischen Funktionen des Körpers von größter Bedeutung für die Entstehung von Krankheiten im autonomen Lebensapparat ist. (American Odyssey, S. 97)

Die Gegenspieler LaMettries (Diderot, Voltaire, Rousseau), Stirners (Marx und Nietzsche) und Reichs (Freud, Fromm, Marcuse und Foucault) machten Geschichte, weil sie mit ihrer Aufklärung, die sich eben nicht komplett von „LSR“ (LaMettrie, Stirner, Reich) unterschied, einerseits näher am Mainstream standen als das Original, gleichzeitig aber doch einen schwachen Abglanz der „LSR-Wahrheit“ darstellten: diese Kombination ist werbetechnisch unschlagbar. Was man etwa an Nietzsche sieht, wenn man ihn einerseits mit den mittlerweile vergessenen damaligen Schulphilosophen und andererseits mit Stirner vergleicht.

Ein bißchen Bewegung, ein bißchen Aufklärung, ein klein wenig Fortschritt, viele Unfälle – aber keine finale Katastrophe. Reich (der dritte von LSR) meinte jedenfalls schließlich (kein Zitat): „Nur gut, daß ich mich nicht mit meiner radikalen Position durchgesetzt habe. Schlimm genug, was diese idiotischen Plagiatoren angerichtet haben!“

Für mich fällt das unter die Kategorie (kein Zitat): „Ich (Reich) habe das System hinter der Schweinerei durchschaut. Ich weiß, nicht nur, warum ich nicht siegen konnte, ich weiß auch, warum ich nicht siegen durfte – und deshalb werde ich, aus historischer Perspektive, derjenige sein, der als einziger eine Chance hat doch noch zu siegen!“

Siehe dazu Reichs Notiz vom 18. Januar 1943:

Die praktische Anwendung des Prinzips ist schwierig. Man möchte es gerne einfach haben und verfehlt damit das Ziel. Die Wirklichkeit ist unendlich viel komplizierter als das Prinzip selbst. Sie verwirrt das Prinzip, scheint es oft zu widerlegen, ist eigentlich unvollkommen, erfordert neue Errungenschaften und Korrekturen. Aber wenn man das Prinzip aus den Augen verliert, dann gibt es keine Möglichkeit, es zu aktualisieren und zu korrigieren. (American Odyssey, S. 174)

Kleine Anmerkung zu Diderot: wiederholt hat Freud darauf hingewiesen, daß bereits Diderot auf die Ödipuskonstellation hingewiesen hat (Thomas Köhler: Das Werk von Sigmund Freud, Lengerich 2000, S. 402). Und was hatte Diderot, der Gegenspieler LaMettries, geschrieben?

Wenn der kleine Wilde sich selbst überlassen würde, wenn er seine ganze Unvernunft behielte und wenn er mit der geringen Vernunft des Kleinkindes die Gewalt der Leidenschaften des Mannes von dreißig Jahren vereinigte, würde er seinem Vater den Hals umdrehen und mit seiner Mutter schlafen.

Das, diese Verachtung Diderots für die Natur, begeisterte Freud! Die kleinen Wilden mußten gebändigt werden! Und genau darum haßte Freud Reich mit einem unbedingten Vernichtungswillen, haßte Marx Stirner und haßte Diderot LaMettrie!

David Holbrook, M.D.: DIE DREI SCHICHTEN DER BIOPSYCHISCHEN STRUKTUR / FREIHEIT UND GESUNDHEIT / AUTORITARISMUS, ANTIAUTORITARISMUS UND KONTAKT / DIE IRONIE DES SOZIALISMUS

26. August 2020

 

DAVID HOLBROOK, M.D.:

 

Die drei Schichten der biopsychischen Struktur

 

Freiheit: Ihr Zusammenhang mit psychischer, soziopolitischer und wirtschaftlicher Gesundheit

 

Autoritarismus, Antiautoritarismus und Kontakt

 

Die Ironie des Sozialismus

 

David Holbrook, M.D.: DIE DREI SCHICHTEN DER BIOPSYCHISCHEN STRUKTUR (Teil 1)

2. Januar 2020

 

DAVID HOLBROOK, M.D.:

 

Die drei Schichten der biopsychischen Struktur