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DER VERDRÄNGTE CHRISTUS / Band 2: Das orgonomische Testament / 13. Der Christusmord nach Johannes / Das Miasma der Wüste
14. Oktober 2022DIE SITUATIONISTISCHE INTERNATIONALE: Wilhelm Reich kontra die Situationisten (Teil 1)
19. September 2021von Jim Martin [entnommen aus der Zeitschrift für Orgonomie, Peter Nasselstein, Bd. 7, Heft 1, Jan. 1992]
Vorbemerkung des Herausgebers: Die „Situationistische Internationale“ (SI) war eine westeuropäische Künstlervereinigung, deren deutscher. Ableger die im Herbst 1957 in München gegründete „Gruppe SPUR“ war, aus der z.B. Dieter Kunzelmann hervorgegangen ist. Im SPUR-Manifest vom Januar 1961 heißt es: „So wie Marx aus der Wissenschaft eine Revolution abgeleitet hat, leiten wir aus der Gaudi eine Revolution ab. Die sozialistische Revolution mißbrauchte die Künstler. Die Einseitigkeit dieser Umstürze beruhte auf der Trennung von Arbeit und Gaudi. Eine Revolution ohne Gaudi ist keine Revolution.“ Man denke an die revolutionären Witzbolde der „Kommune 1“ Rainer Langhans, Fritz Teufel und eben Kunzelmann. Das Manifest der SI von Mai 1960 beantwortet die Frage, was die „Situation“ sei, wie folgt: „Sie ist die Verwirklichung eines höheren Spiels, genauergesagt, die Provokation zu dem Spiel, das die menschliche Gegenwart ist. Die revolutionären Spieler aller Länder können sich in der Situationistischen Internationale vereinigen, um dann zu beginnen, aus der Nichtgeschichtlichkeit des alltäglichen Lebens hervorzutreten. … Welches müssen die grundlegenden Eigenschaften einer neuen Kultur, sein, und zwar im Vergleich zur jetzigen Kunst? Entgegen dem Schauspiel führt die realisierte situationistische Kultur die umfassende Teilnahme ein. Entgegen der konservierten Kunst ist sie eine Gemeinschaft des direkt erlebten Augenblicks. … Ihre Versuche beabsichtigen wenigstens eine Revolution des Verhaltens und einen dynamischen unitären Urbanismus, fähig, sich über den ganzen Planeten auszubreiten und darauf über alle bewohnbaren Planeten ausgebreitet zu werden“ (CheSchahShit. Die Sechziger Jahre zwischen Cocktail und Molotow, Berlin 1984, S. 188).
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Vor fast zehn Jahren stand ich eines Montagsmorgens auf, um mir eine Tasse Kaffee zu machen. Ich ging in die Küche und nahm einen Becher vom Trockengestell, wodurch ich glücklicherweise ein chinesisches Hackbeil auf meinen großen Zeh fallenließ. Ich wurde von meinem Job in der Gemeinwesenarbeit freigestellt und verbrachte eine Woche im Liegen und Sitzen, wobei ich die Situationist International Anthology las. Großartig. Hier fand ich endlich eine Stimme für meine eigenen Frustrationen über den scheiß Reformismus und ein neues Vokabular, mit dem ich meine Mitmenschen beleidigen konnte. Die Kritik aus einem Guß, die die Situationisten präsentierten, sagte mir zu, ihr Angriff auf die Spezialisierung und ihre rücksichtslose Rhetorik gegen die traditionelle linke Politik. Doch als ich versuchte, diese Grundsätze in meiner Lebenspraxis anzuwenden, wurde ich in eine Sackgasse geführt.
Ich erfuhr bald, daß die Situationisten zu der Zeit sehr en vogue waren, besonders in San Francisco. Es gab viele Leute, die ihre Ideen in detournierte* progressive Politik integrierten. Hier ist nicht der Raum (und ich habe nicht die Geduld), um eine vollständige Geschichte der Situationisten zu bieten, aber ich empfehle sehr die Anthology, sowie Vague #16-17 mit seinem einführenden Leitfaden zur Situationistischen Internationale. Ich werde auch andere Linkslibertäre behandeln, die über Reich schrieben, da sie zu einer allgemeinen Erörterung von Reichs Gedanken gehören.
Kurz gesagt war Wilhelm Reich (1897-1957) einer der strahlenden jungen Sterne aus Freuds innerem Kreis, bis er die Toleranz der älteren Psychoanalytiker durch sein Beharren überstrapazierte, daß die orgastische Potenz für die Gesundheit wesentlich sei. Weiter belastete er die Beziehung, indem er auf die Fruchtlosigkeit der individuellen Therapie hinwies, während die Gesellschaft im ganzen eine wahrhaftige Neurosenfabrik bliebe. Als Mitglied der sozialistischen und kommunistischen Bewegungen in Deutschland verfocht er eine kompromißlose politische Plattform, die auf umfassenden sexuellen Fragen beruhte, einschließlich den sexuellen Rechten von Jugendlichen, der Legalisierung von Geburtenkontrolle und der Beseitigung der Zwangsgesetzgebung für Sexualität und Ehe. Dies brachte wiederum Parteifunktionäre auf, was Reich dazu zwang, seine Haltung zur Marxistischen Politik neu zu bestimmen.
Ich schreibe weder als genitaler Charakter noch als Revolutionär. Ich hinke durchs Leben und ertaste blind meinen mit Verlusten übersäten Weg. Aus zwei Gründen werde ich an dieser Stelle nicht Reichs Schriften wiederkäuen. Erstens drückt er sich in seinen Büchern selbst treffend aus und jeder Versuch, seine Arbeit zu paraphrasieren, entartet ausnahmslos zur Parodie (siehe Vaneigem). Zweitens ist die gegenwärtige Treuhänderin seines Erbes, Mary Boyd Higgins, bei der Erteilung der notwendigen Erlaubnis sehr zurückhaltend. Obwohl dies für Forscher frustrierend ist, wirkt es sich in vielfacher Hinsicht positiv für Reich aus, da er ein ausgezeichneter Schriftsteller ist. Seine Prosa hat einen ganz persönlichen Rhythmus. Er stieß sich oft daran, daß sein Übersetzer, Theodore Wolfe, versuchte, seine, wie Reich sie nannte, krachenden Höhepunkte zu glätten. Reichs Arbeit auszugsweise wiederzugeben, bedeutet, sie ganz aus dem Zusammenhang zu reißen.
Auf der anderen Seite beachteten die Situationisten in Übereinstimmung mit ihrer „Eigentum ist Diebstahl“-Haltung nie das Urheberrecht. Dies hat sich zu ihren Gunsten als famoser Werbegag erwiesen. Zitate, Auszüge und Übersetzungen tauchen überall auf. Im Gegensatz zu Reich kann man aus dem situationistischen Oeuvre problemlos etwas herausreißen. Einzelne Sätze und Redewendungen können fast überall entnommen werden und doch bleibt die Atmosphäre stupiden Einhämmerns erhalten. Von allen Situationisten hatte nur Vaneigem das Gespür eines Prosaisten.
* Aus dem Französischen, mit der buchstäblichen Bedeutung „Entführen“. Bezieht sich auf die Praxis, Elemente der populären Kultur einen subversiven Inhalt zu verleihen.
Reichs Gründe der Abkehr von der Tagespolitik (Teil 7)
15. Juli 2021von Robert Hase
Im weiteren Verlauf seines Artikel erklärt Reich das Wesen der Arbeitsdemokratie, wie etwa, dass seine Assistenten im Labor, das der Erforschung der Bione gewidmet ist, deshalb zu ihm kämen, weil sie an der Arbeit interessiert sind. Einer blieb jahrelang, weil er sein Interesse praktisch anwenden konnte. Der andere wollte nur Angestellter sein, ohne verantwortliches Interesse an der Arbeit zu haben, während ein Dritter nur „berühmt“ werden wollte, ohne praktische Leistung, so dass er bald von selbst ausschied.
Ein Arzt kehrte in sein Land zurück und begann spontan mit dem Aufbau einer sexualökonomischen Kinderkrippe. Im Anschluss lernte Reich so viel von dessen Erfahrungen, wie der Arzt zuvor von seinen gelernt hatte. Reich hatte ihn nicht angewiesen, dieses Unterfangen zu beginnen und hatte es nicht einmal vorgeschlagen. Der Arzt hatte selbst Kinder. Deren Entwicklung, verbunden mit seinem beruflichen Interesse, brachte ihn auf den Gedanken eines sexualökonomischen Studiums von Kleinkindern.
„Es gibt also objektive biologische Arbeitsinteressen und Arbeitsfunktionen, die die menschliche Zusammenarbeit regeln können. Fachgerechte Arbeit organisiert ihre Funktionsformen organisch und spontan“, wenn auch nur allmählich, tastend und oft mit Fehlern. Im Gegensatz dazu gingen die politischen Organisationen mit ihren „Kampagnen“ und „Plattformen“ ohne jeden Zusammenhang mit den Aufgaben und Problemen des täglichen Lebens vor.
Eine Gruppe von Sozialisten in Holland, die Reich nicht persönlich kannte, veröffentlichte Werke über politische Psychologie und hatte bald viele Anhänger in verschiedenen Städten. Da sie aber zum Teil auf der Grundlage parteipolitischer Prinzipien arbeiteten, gab es bald Streit, Ideologiebildungen und leere, formale Organisationspolitik und die Bewegung zerfiel. Hier im Nachrichtenbrief wurden die Vorworte dieser Gruppe zu Reichs Die Sexualität im Kulturkampf publiziert. (6)
Nach der Beschreibung der international verbreiteten Sexualökonomie und ihrer Kreise, erklärt Reich, warum Diskussionen ohne praktische Kenntnisse nichts bringen.
Zum Auseinanderklaffen von politischem Vorgehen und sachlicher Arbeit erzählt er das folgende Beispiel. In der alten Sexpol wäre es üblich gewesen, wissenschaftliche Fragen in der Art formal-demokratischer Parteiorganisationen zu „diskutieren“. Reich erinnerte sich an ein Treffen Anfang 1936, nach der Entdeckung der Bione, in dem er eine Diskussion unter politisch Orientierten anregte. Er zeigte einen Film über das Bion und erklärte das Prinzip. In der Diskussion wurden alle möglichen Meinungen, Einwände und Zweifel geäußert, alle ohne jede sachliche Grundlage. Daraus lernte er folgende Tatsache: „Sachliche Prozesse können nicht diskutiert werden, wenn die Teilnehmer nicht selbst praktisch arbeiten und praktische Erfahrungen haben“. In Deutschland und Österreich war es üblich gewesen, dass Parteipolitiker über Geburtenkontrolle, Sozialmedizin, Erziehungsmethoden usw. abstimmten. „Was für ein Unsinn!“, meint Reich zu diesem Sachverhalt. Wie könne ein Amtsträger oder Gewerkschaftsfunktionär bestimmen, welche Maßnahmen in der Sozialmedizin gut oder schlecht sind? Wie könne ein Parteisekretär die Anforderungen an eine Mentalhygiene-Organisation kennen? Aber in Deutschland und Österreich hinge diese Art von Arbeit von der Mentalität eines Parteisekretärs ab, und zwar von einem neurotischen obendrein. Das praktische Ergebnis war dem Zufall überlassen: ob dieser oder jener Funktionär ein menschlich offener oder ein asketischer Charakter war. Allein diese Tatsache hätte in vielen gesellschaftlichen Bereichen unermesslichen Schaden angerichtet.
Reich beschreibt nun seine Zusammenarbeit mit A.S. Neill und Theodore Wolfe im Rahmen der Arbeitsdemokratie.
Nur seine geschulten und praktisch tätigen Assistenten könnten mit ihm zusammen die Aufgabenstellung der Orgonforschung bestimmen. Nur Neills Schüler und Lehrer könnten zusammen mit ihm das Schicksal der Summerhill School bestimmen, nicht Reich oder der Sekretär des Orgone Institute oder der Leiter der Orgone Institute Press. Solange Neills Erziehungsmethoden sachlich in Richtung Selbstregulierung wirkten und solange Reich im Orgon-Institut sachlich mit ihm in Kontakt stände, funktionierte das arbeitsdemokratische Verhältnis. Sollte Neill morgen autoritäre Bestrafungsmethoden einführen, während Reich weiterhin für Selbstregulierung eintritt und körperliche Bestrafung als gefährlich betrachte, oder, umgekehrt, sollte Reich für die Unterdrückung infantiler Sexualität eintreten, während Neill weiterhin an Selbstregulierung und Sexualbejahung festhielte, würde die Zusammenarbeit automatisch enden. Um sich von ihm zu trennen, bräuchte Neill nicht gegen ihn zu hetzen oder ihn erschießen. Die Beziehung würde sich von selbst auflösen, denn es gäbe kein gemeinsames Interesse und keine wechselseitige Verstärkung des Funktionierens mehr.
Ein weiteres Beispiel, das Reich präsentiert, ist sein Mitarbeiter Wolfe, der sich um The International Journal of Sex-economy and Orgone Research kümmerte. Das Interesse an der Zeitschrift hatten beide mit den anderen Mitarbeitern des Instituts gemeinsam. Solange Wolfe seine Arbeitsfunktion ausfüllt und Reich und andere Artikel schreiben, die den Anforderungen der Arbeit entsprechen, bestehe das arbeitsdemokratische Verhältnis fort. Es mochten zwar diese oder jene Meinungsverschiedenheit auftreten, „aber die Funktion des Journals hat Vorrang“, sie allein bestimmt den Verlauf der Arbeit. Es mögen Meinungsverschiedenheiten über den Umfang oder den Charakter der Publikationen geben, aber all dies bliebe im Rahmen des rationalen Arbeitsinteresses. Wenn aber Wolfe eine schlechte redaktionelle oder publizistische Arbeit machen würde, wenn er das Journal für persönliche statt für sachliche Zwecke benutzen würde; oder wenn Reich seine wissenschaftliche Arbeit nicht im Interesse der Forschung und der Entwicklung des Gesamtwerkes machte, wenn er sie z.B. zur Erlangung eines Nobelpreises modifizieren würde, also irrationale Motive in die Arbeit einfließen lasse, würde das arbeitsdemokratische Verhältnis zusammenbrechen und das Journal mit ihm.
Fußnoten
(6) Siehe auch https://archive.org/details/reichseksualiteitennieuwecultuur/mode/2up
















