Posts Tagged ‘Sozialisten’

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 56)

16. März 2023

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Kurt Hiller, mit dem ich mich kurz in Band 1 von Der Rote Faden (S. 69f) beschäftige, schrieb 1943 über Marx:

Bei allen großen Denkern beobachten wir Entwicklung, Wachstum, gewisse Wandlungen; aber bei Karl Marx sehen wir einen Bruch. Nach 1845 dachte und schrieb Marx das genaue Gegenteil von dem, was er bis 1845 dachte und schrieb. Nicht in politischer Hinsicht das Gegenteil, aber in philosophischer Hinsicht. Während er bis 1845 auf der Linie jenes ethischen Aktivismus philosophierte, der seit Echnaton und Moses, seit Zoroaster und Kungfutse, seit Sokrates und Christus allen Großen der Menschheit gemeinsam ist, ging er nach 1845 dazu über, zu antiphilosophieren: das Geistige als Funktion herabzusetzen, Ethik als Kategorie lächerlich zu machen, über die Idee IDEE zu spotten. Dies war sein berühmter „Materialismus“; nicht, daß er die materielle Bedingtheit des seelisch-geistigen Daseins behauptete und insonderheit die ökonomisch-materielle, deren Schauerlichkeit für einen bedeutenden Sektor der Bevölkerungen unter dem Kapitalismus er erkannte. Er teilte diese Erkenntnis mit den Sozialisten vor ihm, den von ihm „utopisch“ genannten, und die Bedeutung des Materiellen überhaupt war bereits drei, vier Generationen vor ihm von der Aufklärung, besonders der französischen, erfaßt worden und längst Gemeinbesitz aller Gebildeten, gerade auch aller gebildeten Idealisten. Marx‘ „Materialismus“ mit seiner immer noch nicht erloschenen Herausforderung ist: sein Nein zur philosophischen Methode. Welche er bis zu seinem siebenundzwanzigsten Jahre selber großartig angewandt hat. Wie der Bruch zu erklären sei, darüber mögen Historiker mit Psychologen, Zeloten mit Zynikern streiten. (Kurt Hiller: Marx-Kritik in der Nußschale. In: Köpfe und Tröpfe, Hamburg 1950, S. 153-170)

Man kann mit Fug und Recht sagen, daß 1845 der Rote Faschismus begann. Siehe wieder Der Rote Faden. Der gesamte Marxismus war nichts anderes als eine gescheiterte, sich ins Gegenteil kehrende biologische Revolution!

Was war 1845 geschehen? Marx war (übrigens wie später gewisserweise auch Freud!) Feuerbachianer, d.h. „Gott“ und damit alle Ideale wurden als bloße Projektionen „des Wesens des Menschen“ entlarvt. Man war „Humanist“. Dann kam Stirner und entlarvte dieses „Menschenwesen“ als bloßen Spuk; ein Gespenst, das das einzig Reale bedrückt, den einzelnen konkreten Menschen. Damit brach Marx‘ gesamtes Weltbild zusammen. Kein „Ideal“ mehr und sei es „der Mensch“. Um kein Stirnerianer werden zu müssen, entwarf Marx den Historischen Materialismus, d.h. den realen Verhältnissen wird kein Ideal, kein normativer Maßstab, äußerlich entgegengehalten:

Worum es Marx ganz wesentlich geht, ist, die materiellen Verhältnisse als solche auszuweisen, die aus sich selbst heraus notwendig „die realen Bedingungen ihrer eignen Aufhebung“ hervorbringen und so die Menschen in den Zustand versetzen, erstmals zum Subjekt zu werden, „das in dem Produktionsprozeß nicht in bloß natürlicher, naturwüchsiger Form, sondern als alle Naturkräfte regelnde Tätigkeit erscheint“. Damit wären die „universal entwickelten Individuen, deren gesellschaftliche Verhältnisse als ihre eignen, gemeinschaftlichen Beziehungen auch ihrer eignen gemeinschaftlichen Kontrolle unterworfen sind, (…) kein Produkt der Natur, sondern der Geschichte“. (Matthias Spekker: „ihrem Wesen nach kritisch und revolutionär“. Wahrheit in Marx‘ wissenschaftlicher Gesellschaftskritik)

Hinter all dem verqueren Wortgeklingel, das die Wahrheit verbergen soll, wird dem dialektisch geschulten Blick unmittelbar deutlich, worum es geht – um etwas, was später Reich von den Marxisten um die Ohren gehauen werden sollte: die Gesellschaft, die Geschichte gegen die Biologie, die Natur; die Gesellschaft gegen das Individuum; Regulierung und Planung gegen Selbstbestimmung und Selbststeuerung. Hinter all dem pseudo-aufklärerischen Bombast kehrt die Reaktion in potenzierter Form zurück: Roter Faschismus. Schlimmer: die Reaktion hatte wenigstens noch einen vagen Respekt vor dem Individuum und der Natur, während der Marxismus nur Unterdrückung und Zerstörung kennt.

Marx war sozusagen besessen und wurde, trotz seines intensiven Stirner-Studiums, seine Gespenster nicht wieder los. Um Reich zu paraphrasieren: diese Pseudo-Revolutionäre müssen ihre Seele dem Teufel verkaufen, während der Konservative wenigstens die Chance hat anständig zu bleiben.

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 31)

26. November 2022

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

In American Odyssey äußert sich Reich selbst über die „Aufklärung“: „Die ‚göttliche Emotion‘, die gemeinhin als ‚Erleuchtung‘ bezeichnet wird, zu leugnen, ist gleichbedeutend damit, sich den Zugang zum kosmischen Orgon und damit zur Natur selbst zu versperren“ (S. 296). Dieser eine Satz drückt „meine“ ganze Theorie über verzerrten Kernkontakt („devine emotion“), Verlust dieses Restkontakts („enlightenment“) und Reichs „anti-‚aufklärerische’“ (die Anführungszeichen sind hier das wichtigste!) Position in dieser Sache aus. – Dieser Ansatz ist eine Vertiefung von LSR. Ein LSR, das Reich natürlich nie verlassen hat: er würdigte sich nie dazu herab, „die Ansicht (…) zu bestätigen, daß Gott existiert, usw. “ (ebd., S. 273). Trotzdem muß er konstatieren, „daß auch Konservative ein wahrhaft revolutionäres Herz haben und daß sie Arbeit und Liebe mehr schätzen als so mancher Sozialist“ (ebd., S. 304).

Reich hat entwaffnet, daß Freud einerseits „im Judentum verwurzelt“, andererseits „gottlos“ war; einerseits dem „Sozialismus“ offen gegenüberstand und andererseits konservativ bis ins Mark war; einerseits Reich anfangs ganz offen und echt (!) als „Seelenverwandter“ gegenübertrat (vielleicht ganz ähnlich wie bei LaMettrie und Fredericus Rex, Stirner und Engels), um sich dann schließlich als mörderischer Erzfeind zu erweisen.

Mich fasziniert diese Widersprüchlichkeit, der im übrigen wir alle ausgesetzt waren, als uns unsere Eltern einerseits mit echter Liebe entgegentraten und andererseits als Agenten einer mörderischen „Kultur“ fungierten.

Als Reich sich mit Christus identifizierte und die Kinder mit dem „Gekreuzigten“ – also mit sich selbst Christus/Reich, drückte er damit diesen Zusammenhang aus. L/S/Reich als Einzelner gegen ein mörderisches System, so wie jedes Kind „einzeln“ gegen die mörderische Gesellschaft steht.

Die Tragik an dem ganzen ist m.E. die erwähnte Widersprüchlichkeit, die diesen Einzelnen vollkommen hilflos macht: man lockt ihn mit durchaus echter Liebe – um ihm ein Über-Ich zu verpassen. Das passiert mit jedem Kind und das ist auch mit Reich passiert. Nur, daß der sich wehrte und deshalb von seinem „Vater“ (Freud) erschlagen wurde. (Freud hat das natürlich schon in Totem und Tabu von 1912 ganz anders gedreht, nämlich als die ewige Bedrohung durch den Vatermord. Letztendlich also dem „Mord“ am Über-Ich, den sich Reich schuldig machte.)

Wie aus dieser Falle herauskommen? Meine Gedankenlinie ging dahin, den Spieß umzudrehen und die besagte Widersprüchlichkeit gegen die Vertreter der Lebensfeindlichkeit selbst zu richten, indem man den letzten Fetzen an Lebensgefühl, das sie noch haben, appelliert und dabei keine Ausflüchte in allgemeines Gelaber über „Gott“, „Liebe“ und „Kultur“ zuläßt. Ich glaube Reich hat dieses lebenspositive Rest-Element in Freud gemeint, als er davon sprach, daß sein „Antlitz Spuren des Kusses der Wahrheit zeigte“ (S. 269). Während man bei den angeblichen Mitstreitern, etwa bei der „Freudian Left“ (Fenichel, Marcuse, etc.) dieses Element umsonst suchen wird. Man ist bei ihnen prinzipiell verraten und verkauft. Nun, konkret war Reich auch bei Freud „verraten und verkauft“, desgleichen auch bei „America, God’s own country“, aber, wenn es überhaupt irgendeine Hoffnung gab, dann da. Mir ist natürlich bewußt, wie absolut irrwitzig und pervers das ist. Zehntausendmal irrwitziger und perverser finde ich aber, wenn man den angeblichen Freunden folgt, die kein bißchen „traces of the kiss truth“ haben, jedenfalls nicht in dem existentiellen Sinne, wie Reich das meinte – und bloß intellektuell die „richtige Meinung“ zu vertreten, ist schließlich bedeutungslos. Und letztendlich kommt es auch „intellektuell“ durch, dieser strukturelle Verrat der angeblichen Freunde.

Reichs Gründe der Abkehr von der Tagespolitik (Teil 9)

23. Juli 2021

von Robert Hase

Wo liegen die Probleme, will man die Sexualökonomie verstehen?

Reich zufolge ist es generell so, dass Personen, die von der Psychoanalyse zum Orgone Institute kämen, dazu neigen, sich an fehlerhafte Theorien wie die der „kulturellen Anpassung“ oder die Theorie der „Sublimierung“ zu klammern. Das ist natürlich unzulässig, denn die sexualökonomische Kulturkritik leitete sich ja gerade aus dem Nachweis der Fehlerhaftigkeit dieser Konzepte ab. Man kann von einem Kind nicht erwarten, dass es seine Genitalität „sublimiert“ und es gleichzeitig sexualökonomisch erziehen. Diese beiden Dinge schließen einander aus. Da der vorherige Psychoanalytiker sich nicht von diesen fehlerhaften Konzepten befreien kann, greift er auf irrationale Rechtfertigungen zurück, um nicht klar Stellung beziehen zu müssen und auf diese Weise in Schwierigkeiten zu geraten. [Zu diesem Punkt morgen eine Ergänzung von PN.]

Ähnlich gelagert sei das Beispiel eines Lehrers, der Sexualökonom werden wolle, aber seine Position in einer autoritären Schule beibehält. Er solle sie ruhig behalten, aber er kann dann nicht die sexualnegative Haltung seiner Schule mit der sexualökonomischen Orientierung des Instituts in Übereinstimmung bringen. Wenn er sich dieses Konflikts bewusst ist, kann er sich in seiner Schule auf das Beobachten beschränken, von aktiver sexualökonomischer Erziehung absehen und warten, bis die Bedingungen es ihm ermöglichen, erfolgreich vorzugehen. Verdrängt er dagegen seine Angst, seine Position zu verlieren, würde er irrational vorgehen; er würde entweder unklugerweise auf der Anwendung seines sexualökonomischen Wissens bestehen und sich damit nutzlos in Gefahr bringen, oder er würde das Institut mit nutzlosen Kompromissen belasten oder das Institut gar irrationalem Hass aussetzen.

Ein weiterer Fall ist ein Arbeiter, der aus einer sozialistischen Organisation kommt und versucht, die sozialistische Politik in die Orgonbiophysik und umgekehrt die Orgonbiophysik in die sozialistische Politik einzubringen. Seine Versuche, einen Kompromiss zu finden, sind irrational, denn die Sozialisten werden das sexualökonomische Prinzip nicht in ihr Programm aufnehmen wollen und die arbeitsdemokratische Lebensweise des Instituts ist unvereinbar mit dem sozialistischen Prinzip des herablassenden Mitleids mit den „Armen und Schwachen“. Der Sozialist wird fordern, dass „man“, beispielsweise, den Sanitärarbeitern Gleichheit „geben“ solle. Der Arbeitsdemokrat wird hingegen fordern, dass etwa die Sanitärarbeiter selbst die Verantwortung für die Sanitärversorgung tragen und mit dem Schutz, den die Gesetze ihnen gewähren, selbst für ihre Gleichberechtigung kämpfen sollen. Vorerst wollen die Sanitärarbeiter aber nur bessere Löhne (zu Recht), aber nicht die Verantwortung für die sanitären Anlagen in ihrer Ortschaft übernehmen.

Der religiöse Mensch stelle ein schwieriges Problem dar, wenn er zur Sexualökonomie komme. „Religion und Sexökonomie können in dieser Welt nebeneinander existieren, obwohl die Kirche uns nicht mag und wir den Mystizismus der Kirche nicht mögen.“ Sicherlich könne der Geistliche versuchen, den Platz zu verstehen, den die Biosexualität in der Religion einnimmt, während die Religion ein Untersuchungsfeld für die Orgonbiophysik bietet. Wie anderswo gelten auch hier, so Reich, die Gesetzmäßigkeiten des Wettbewerbs: Wer kann Menschen in ihrem Elend besser helfen, wer kann sie besser von Krankheiten befreien und besser lebendig funktionieren lassen? Das sollte auf praktische Weise gezeigt werden. Jedoch könne man nicht glauben, dass die Seelen im Himmel sind und gleichzeitig glauben, dass die Funktion der Seele mit dem Zerfall des orgonotischen Systems aufhört. Man könne nicht, ohne irrational zu werden, die Asexualität von Kindern fordern, Sexualität als Todsünde betrachten und gleichzeitig Kinder auf eine Weise erziehen, die sie zu einem natürlichen Liebesleben befähigt.

Auch hier sei das Arbeitsprinzip entscheidend. Ein Bauingenieur darf sich durch seinen Glauben an ein Glück im Jenseits nicht in seiner Arbeit stören lassen, aber bei einem Sexualökonomen ist ein solcher Glaube verhängnisvoll. So wenig, wie ein Geistlicher es dulden würde, dass Reich von seiner Kanzel aus einen Vortrag über die Störungen der orgastischen Potenz hielte, so wenig würde das Institut einen Geistlichen beauftragen, es in religiöser Sexualethik zu unterweisen.

David Holbrook, M.D.: „LIBERAL“ / „WARUM STEHT BILDUNG PLÖTZLICH UNTER BESCHUSS?“ / ÜBER DEN MINDESTLOHN

22. Juli 2021

DAVID HOLBROOK, M.D.:

„liberal“

„Warum steht Bildung plötzlich unter Beschuß?“

Über den Mindestlohn

Reichs Gründe der Abkehr von der Tagespolitik (Teil 7)

15. Juli 2021

von Robert Hase

Im weiteren Verlauf seines Artikel erklärt Reich das Wesen der Arbeitsdemokratie, wie etwa, dass seine Assistenten im Labor, das der Erforschung der Bione gewidmet ist, deshalb zu ihm kämen, weil sie an der Arbeit interessiert sind. Einer blieb jahrelang, weil er sein Interesse praktisch anwenden konnte. Der andere wollte nur Angestellter sein, ohne verantwortliches Interesse an der Arbeit zu haben, während ein Dritter nur „berühmt“ werden wollte, ohne praktische Leistung, so dass er bald von selbst ausschied.

Ein Arzt kehrte in sein Land zurück und begann spontan mit dem Aufbau einer sexualökonomischen Kinderkrippe. Im Anschluss lernte Reich so viel von dessen Erfahrungen, wie der Arzt zuvor von seinen gelernt hatte. Reich hatte ihn nicht angewiesen, dieses Unterfangen zu beginnen und hatte es nicht einmal vorgeschlagen. Der Arzt hatte selbst Kinder. Deren Entwicklung, verbunden mit seinem beruflichen Interesse, brachte ihn auf den Gedanken eines sexualökonomischen Studiums von Kleinkindern.

„Es gibt also objektive biologische Arbeitsinteressen und Arbeitsfunktionen, die die menschliche Zusammenarbeit regeln können. Fachgerechte Arbeit organisiert ihre Funktionsformen organisch und spontan“, wenn auch nur allmählich, tastend und oft mit Fehlern. Im Gegensatz dazu gingen die politischen Organisationen mit ihren „Kampagnen“ und „Plattformen“ ohne jeden Zusammenhang mit den Aufgaben und Problemen des täglichen Lebens vor.

Eine Gruppe von Sozialisten in Holland, die Reich nicht persönlich kannte, veröffentlichte Werke über politische Psychologie und hatte bald viele Anhänger in verschiedenen Städten. Da sie aber zum Teil auf der Grundlage parteipolitischer Prinzipien arbeiteten, gab es bald Streit, Ideologiebildungen und leere, formale Organisationspolitik und die Bewegung zerfiel. Hier im Nachrichtenbrief wurden die Vorworte dieser Gruppe zu Reichs Die Sexualität im Kulturkampf publiziert. (6)

Nach der Beschreibung der international verbreiteten Sexualökonomie und ihrer Kreise, erklärt Reich, warum Diskussionen ohne praktische Kenntnisse nichts bringen.

Zum Auseinanderklaffen von politischem Vorgehen und sachlicher Arbeit erzählt er das folgende Beispiel. In der alten Sexpol wäre es üblich gewesen, wissenschaftliche Fragen in der Art formal-demokratischer Parteiorganisationen zu „diskutieren“. Reich erinnerte sich an ein Treffen Anfang 1936, nach der Entdeckung der Bione, in dem er eine Diskussion unter politisch Orientierten anregte. Er zeigte einen Film über das Bion und erklärte das Prinzip. In der Diskussion wurden alle möglichen Meinungen, Einwände und Zweifel geäußert, alle ohne jede sachliche Grundlage. Daraus lernte er folgende Tatsache: „Sachliche Prozesse können nicht diskutiert werden, wenn die Teilnehmer nicht selbst praktisch arbeiten und praktische Erfahrungen haben“. In Deutschland und Österreich war es üblich gewesen, dass Parteipolitiker über Geburtenkontrolle, Sozialmedizin, Erziehungsmethoden usw. abstimmten. „Was für ein Unsinn!“, meint Reich zu diesem Sachverhalt. Wie könne ein Amtsträger oder Gewerkschaftsfunktionär bestimmen, welche Maßnahmen in der Sozialmedizin gut oder schlecht sind? Wie könne ein Parteisekretär die Anforderungen an eine Mentalhygiene-Organisation kennen? Aber in Deutschland und Österreich hinge diese Art von Arbeit von der Mentalität eines Parteisekretärs ab, und zwar von einem neurotischen obendrein. Das praktische Ergebnis war dem Zufall überlassen: ob dieser oder jener Funktionär ein menschlich offener oder ein asketischer Charakter war. Allein diese Tatsache hätte in vielen gesellschaftlichen Bereichen unermesslichen Schaden angerichtet.

Reich beschreibt nun seine Zusammenarbeit mit A.S. Neill und Theodore Wolfe im Rahmen der Arbeitsdemokratie.

Nur seine geschulten und praktisch tätigen Assistenten könnten mit ihm zusammen die Aufgabenstellung der Orgonforschung bestimmen. Nur Neills Schüler und Lehrer könnten zusammen mit ihm das Schicksal der Summerhill School bestimmen, nicht Reich oder der Sekretär des Orgone Institute oder der Leiter der Orgone Institute Press. Solange Neills Erziehungsmethoden sachlich in Richtung Selbstregulierung wirkten und solange Reich im Orgon-Institut sachlich mit ihm in Kontakt stände, funktionierte das arbeitsdemokratische Verhältnis. Sollte Neill morgen autoritäre Bestrafungsmethoden einführen, während Reich weiterhin für Selbstregulierung eintritt und körperliche Bestrafung als gefährlich betrachte, oder, umgekehrt, sollte Reich für die Unterdrückung infantiler Sexualität eintreten, während Neill weiterhin an Selbstregulierung und Sexualbejahung festhielte, würde die Zusammenarbeit automatisch enden. Um sich von ihm zu trennen, bräuchte Neill nicht gegen ihn zu hetzen oder ihn erschießen. Die Beziehung würde sich von selbst auflösen, denn es gäbe kein gemeinsames Interesse und keine wechselseitige Verstärkung des Funktionierens mehr.

Ein weiteres Beispiel, das Reich präsentiert, ist sein Mitarbeiter Wolfe, der sich um The International Journal of Sex-economy and Orgone Research kümmerte. Das Interesse an der Zeitschrift hatten beide mit den anderen Mitarbeitern des Instituts gemeinsam. Solange Wolfe seine Arbeitsfunktion ausfüllt und Reich und andere Artikel schreiben, die den Anforderungen der Arbeit entsprechen, bestehe das arbeitsdemokratische Verhältnis fort. Es mochten zwar diese oder jene Meinungsverschiedenheit auftreten, „aber die Funktion des Journals hat Vorrang“, sie allein bestimmt den Verlauf der Arbeit. Es mögen Meinungsverschiedenheiten über den Umfang oder den Charakter der Publikationen geben, aber all dies bliebe im Rahmen des rationalen Arbeitsinteresses. Wenn aber Wolfe eine schlechte redaktionelle oder publizistische Arbeit machen würde, wenn er das Journal für persönliche statt für sachliche Zwecke benutzen würde; oder wenn Reich seine wissenschaftliche Arbeit nicht im Interesse der Forschung und der Entwicklung des Gesamtwerkes machte, wenn er sie z.B. zur Erlangung eines Nobelpreises modifizieren würde, also irrationale Motive in die Arbeit einfließen lasse, würde das arbeitsdemokratische Verhältnis zusammenbrechen und das Journal mit ihm.

Fußnoten

(6) Siehe auch https://archive.org/details/reichseksualiteitennieuwecultuur/mode/2up

Reichs Gründe der Abkehr von der Tagespolitik (Teil 2)

3. Juli 2021

von Robert Hase

Reich klärt daraufhin die Frage, wieso er die Sozialisten hinter sich ließ.

Zuerst weist er auf eine wesentliche Veränderung in der sozialen Orientierung hin, die damals noch immer für eine gewisse Verwirrung sorgte. Viele seiner Mitarbeiter waren entweder aus sozialistischen Kreisen gekommen oder hatten persönliche oder ideologische Verbindungen zu ihnen. Er selbst hatte jahrelang als Arzt in sozialistischen Organisationen gearbeitet und seine massenpsychologischen Veröffentlichungen waren nicht nur grundsätzlich sexualökonomisch, sondern auch stark sozialistisch gefärbt gewesen.

Dann entstand ein scharfer Konflikt in seiner Gruppe, was die gesellschaftspolitische Position betrifft. Auf der einen Seite sei klar, dass die Marxsche Soziologie und Ökonomie theoretische und praktische Verbindungen zur Sexualsoziologie aufweist. Die Sexualökonomen aber sind in erster Linie Naturwissenschaftler, Ärzte und Lehrer, während die Marxisten in erster Linie Politiker waren.

Sie selbst kommen aus der Psychoanalyse oder anderen Zweigen der Naturwissenschaft; die Vertreter der Politik aber kämen aus Parteikreisen. „Daraus folgte die Rückwärtsbewegung der Politik und die Vorwärtsbewegung unserer Naturwissenschaft, wodurch sich die Kluft zwischen Wissenschaft und Politik rasch vergrößerte“.

Reich blickt dazu auf die Situation in der Sowjetunion. Dort gäbe es eine schrittweise Regression vom revolutionären zum autoritären nationalistischen Prinzip, in der Ökonomie und der sozialen Sexualökonomie; eine Regression, die damals, in den 1930er und 40er Jahren, das Stadium der Propaganda für kinderreiche Familien erreicht hatte, bis hin zur Wiedereinführung der reaktionären Sexualgesetzgebung, der mit Orden behängten Generäle, der Kirchenhierarchie, der Abschaffung des gemeinsamen Schulunterrichts von Jungen und Mädchen usw. Seine Gruppe dagegen war über die Grenzen der Psychologie hinausgegangen, hatten ihrer bisher nur psychologischen und soziologischen Charaktertheorie ein biophysikalisches Fundament gegeben und folgende Tatsachen festgestellt: „Die sexuelle Energie ist die Lebensenergie schlechthin, und, die menschliche Charakterstruktur verankert den sozialen Prozess mittels der sexuellen Energien.“

In ihrer gegen den Fortschritt gewandten Entwicklung entwickelten die Politiker ein zunehmend schlechtes Gewissen und brachten entsprechend schärfere Maßnahmen gegen die Gruppe in Stellung, die weiterhin an der Idee des Internationalismus festhielt „und auf der BIOLOGISCHEN Grundlage der Produktivkraft, der Arbeitskraft“, arbeitete. (Womit Reich, seiner Meinung nach, Marx genauso treu blieb, wie er zur gleichen Zeit Freud treu blieb, weil er dessen Libidotheorie nicht nur hochhielt, sondern ihr ein festes biophysikalisches Fundament gab. [PN]*) Das schlechte Gewissen der politischen Linken erklärte die Tatsache, dass die meisten Angriffe und Verleumdungen von irgendeinem Gewicht aus dem Lager der sozialistischen Politiker gekommen waren. In Deutschland kamen sie von den Kommunisten schon 1932, als die Konzepte der sozialen Sexualökonomie in der Masse der Menschen verbreitet wurden, später in Skandinavien kamen sie von Mitgliedern sozialistischer Organisationen.

Der Bruch mit den alten politischen Organisationen wurde vollständig, während die Verbindung mit der Marxschen Soziologie fester wurde. Die Gruppe verstand, warum die politischen Organisationen Opfer des Faschismus wurden; es war wegen ihres mangelnden Verständnisses der Rassenmystik, der sozialen Sexualökonomie und der Biopsychiatrie (wobei das „Bio-“ auf die biophysikalische Panzerung verweist). Sie wussten auch, wo die Ökonomie einer Ergänzung durch die Tiefenpsychologie bedurfte, wo die Gruppe Konzepte korrigieren und Lücken im Verständnis des biosozialen Prozesses füllen konnte. Allmählich gelangten sie zu der Einsicht, dass die gesellschaftliche Entwicklung vom Viel-Parteien-System über das Ein-Parteien-System (Diktatur) zum Kein-Parteien-System und schließlich zur natürlichen Arbeitsdemokratie verläuft. (Damit umschrieb Reich seine Entwicklung von der parlamentarischen, d.h. „kompromißlerischen“ Sozialdemokratie, über die Kommunisten mit ihrem revolutionären Alleinvertretungsanspruch hin zur, wenn man will, „Alleinherrschaft“ der Arbeit, die keine auf bloßen Meinungen beruhenden „Abstimmungen“ kennt, gleichzeitig aber auch jedwede Diktatur ausschließt! [PN]) Entsprechend zeichne sich neuer gesellschaftlicher Konflikt am Horizont ab: der zwischen der Welt der Arbeit und der Welt der Politik.

Immer deutlicher sahen Reich und seine Mitarbeiter, dass „der pathologische Charakter der Politik seine Grundlage im biopathischen Charakter hat, in der starren Panzerung und Lebensangst des mechanisierten, gepanzerten Menschentieres,“ das ohne politische Führer nicht leben kann. Je tiefer ihre Forschungen in die Biophysik vordrangen, desto deutlicher wurden diese Tatsachen, aber desto größer auch ihre (Reich und seine Mitarbeiter, siehe oben) Ohnmacht. Denn nun wussten sie besser als zuvor, wie tief in den biologischen Grundlagen des Menschen dessen soziales Elend verankert ist und wie gigantisch die biosoziale Katastrophe des Menschentieres ist.

Fußnoten

* [PN] steht für Peter Nasselstein und bezeichnet seine Anmerkungen.

Blogeinträge März-Mai 2016

10. Juni 2021

Blogeinträge März-Mai 2016

  • Warum sind die Republicans über Trump verwirrt?
  • Das Ende des Zweiparteiensystems in Amerika
  • Die Emotionelle Pest in der Politik
  • Zum Verständnis des Trump-Phänomens
  • Das Präsidentschafts-Rennen 2016
  • Werden sie es jemals begreifen?
  • Obama und Sanders: Alles beim Alten

Arbeitsdemokratie, Emotionelle Pest und Sozialismus (Teil 29)

2. März 2021

Es gibt die unterschiedlichsten Formen von Sozialismus, doch alle lassen auf prinzipiell zwei widerstreitende Formen reduzieren: den auf Klassen und den auf „Rassen“ beruhenden Sozialismus. Der letztere feiert seit einiger Zeit eine ungeahnte Renaissance.

Im, wenn man so will, „Klassensozialismus“ genießt die historisch unterdrückte Klasse alle Rechte und Privilegien gegenüber der einstigen Unterdrückerklasse als Ausgleich für vergangenes Unrecht. In der „DDR“ wurden beispielsweise Arbeiterkinder bei der Studienvergabe bis an den Rand der Exklusivität bevorzugt, weil ja vorher kaum Arbeiterkinder studieren konnten. Das nennt sich dann „Gerechtigkeit“…

Im Nationalsozialismus war es ähnlich. Einem Sozialisten wie Ernst Röhm war es wichtig die Gerechtigkeit herzustellen, da zur „Systemzeit“ der Judenanteil bei Juristen, Ärzten, Journalisten, etc. weit überproportional war. Im Wahnsystem Hitlers regierten „die Juden“ sogar die ganze Welt. Der Deutsche war Opfer jahrhundertelanger Ausbeutung und Unterdrückung und mußte wieder in seine angestammten Rechte eingesetzt werden.

Und heute? Nachdem der Arbeiter die Linke verraten hatte und zum „alten weißen Mann“ mutierte, wurden meist „rassisch“ (oder auf andere Weise pseudobiologisch) definierte Gruppen zu den Entrechteten, die es zu bevorzugen galt: regeN, kroptophile transgenderlesbische Queers, Türken, etc.

Allen Formen des Sozialismus ist gemeinsam, daß die Rechte des Individuums geopfert werden. Beispielsweise können sich in den USA Juden, Inder, Chinesen, etc. anstrengen, wie sie wollen, dank der Affirmative Action haben sie, was etwa den Studienplatz an der Eliteuniversität betrifft, gegenüber dem mittelmäßigen regeN keinerlei Chance. Es geht einzig und allein um die Rasse. So ist sie, die moderne Linke…

Ein damit eng verzahntes Element ist die willkürliche Zerschneidung arbeitsdemokratischer Zusammenhänge. Das war das große Thema in der revidierten und stark erweiterten Neuauflage von Reichs Massenpsychologie des Faschismus, wo er aufgrund seiner verheerenden Erfahrungen in der linken Bewegung und angesichts des Leids, den der Nationalsozialismus über die Welt gebracht hatte, das „Klassenbewußtsein“ durch das „Fachbewußtsein“ ersetzen wollte und unterstrich, daß die Arbeitsdemokratie alle Grenzen zwischen den Ländern negiert, d.h. alle willkürlichen Grenzziehungen zwischen „Gruppen“.

Arbeitsdemokratie, Emotionelle Pest und Sozialismus (Teil 22)

27. Januar 2021

Reich schrieb am 3. März 1956 an Neill: er, Reich, sei „immer ein Konservativer im guten Sinne gewesen (…) die Natur funktioniert auf arbeitsdemokratische und nicht auf libertinistisch-demokratische Weise“.

Deshalb „liebe“ ich „die“ Konservativen und hasse die Linke, weil die ersteren noch rational argumentieren, während die letzteren nur noch moralisieren und ideologisieren. Und warum sind die Liberalen so? Weil sie ihren Verstand nicht zum verstehen der Welt benutzen, sondern als charakterologische Abwehr. Da man nur entfernter Zuschauer ist, geht einem das sehr schnell bei Fernsehdiskussionen auf, dieser hirnrissige Schwachsinn, der so manchen linken Mund verläßt. Wenn z.B. von den „Wirtschaftsflüchtlingen“ aus Westafrika die Rede ist, wird gesagt, die würden hierher mit dem Flugzeug fliegen, um dem Hungertod zu entgehen!

Genau dies, die Unfähigkeit rational zu denken, sondern nur „mit dem Herzen“ sprach Reich an, als er am 7. November 1940 an Neill schrieb: „Ich fange an, (die Sozialisten und Kommunisten) zu hassen. Sie erscheinen mir ausgesprochen schädlich mit ihrer völligen Unfähigkeit einen Gedanken zu Ende zu denken oder irgendeine Arbeit zu tun.“

Natürlich muß die Orgonomie konsequent gegen alle Formen der Lebensfeindlichkeit ankämpfen, aber wer hat jemals das Gegenteil behauptet?! Der Einwand, daß es keine „Hierarchie innerhalb der Falle“ gäbe, hat sicherlich einiges für sich, aber Reich hat in Christusmord geschrieben: „Wer immer auch auf den Ausgang aus der Falle zugeht (…) wird für verrückt erklärt“ und umgebracht (Freibrug 1978, S. 34). Es gibt also einen Unterschied zwischen jenen, mit denen man die Falle verlassen kann und jenen, die einen zurückhalten.

Allgemein wird nun angenommen, daß die Konservativen, die Beharrenden, diejenigen sind, die den Exodus verhindern, während die Progressiven die vorwärtsstürmenden sind. Leider übersieht man aber immer das, was Reich den „biologischen Rechenfehler“ genannt hat. Dabei geht es doch nicht um mehr gepanzert oder weniger gepanzert oder um mehr oder weniger gesund, sondern darum mit welchen Leuten man die Falle verlassen kann und gegen welche man zu kämpfen hat. Unbestreitbar ist wohl, daß die extreme Rechte und die extreme Linke für Emotionelle Pest stehen und deshalb erbarmungslos bekämpft werden müssen. Aber hier fängt das Problem schon an.

Der Teufel hat gelernt in einer Jesus Christus-Maske herumzulaufenl Die mittlere Schicht hat sich eine „liberale Fassade“ zugelegt! Dieses Funktionieren aus der Fassade heraus führt den Liberalen („der keiner Fliege etwas zuleide tun kann“) und den stalinistischen Massenmörder zusammen: diese funktionelle Identität ist die „kommunistische Weltverschwörung“!

Ich behaupte ja nicht, daß die Rechte „besser“ sei (was immer das auch bedeuten mag), sondern daß dort so eine Weltverschwörung unmöglich ist, eben weil der Teufel nackt ist! Schließlich wurden die Nazis vernichtet, während sich der Kommunismus immer weiter ausbreitete und heute mehr triumphiert als je zuvor!

Die politische Agenda der extremen Linken

2. Januar 2021


Die Orgonomie ist der TODFEIND des Kommunismus.

Die politische Agenda der extremen Linken