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Zur Judenfrage (Teil 2)

28. Dezember 2022

Am Beispiel des Antisemitismus kann man die gesamte orgonomische Sozialwissenschaft revuepassieren lassen.

Zunächst einmal ist der Antisemitismus bzw. der heutige „Antizionismus“ in seiner ganzen Widerwärtigkeit vielleicht das naheliegendste Beispiel für den Christusmord:

Im Ghetto von Wilna gab es einen Juden, den die SS-Wachmannschaft zum Spott „Jud Jesus“ nannte. Eines Tages ergriffen sie ihn, zerschunden ihm sein Haupt mit einer Krone aus Stacheldraht und kreuzigten ihn dann am Lagertor. (Dekan Rudolf Pfisterer z.n. Pinchas Lapide: Wer war schuld an Jesu Tod? , Gütersloh 1987)

Spezifischer kann man dem Haß gegen Juden mit der von Elsworth F. Baker entwickelten soziopolitischen Charakterologie auf den Grund gehen. In der Vergangenheit hatten Juden vor allem eine liberale Charakterstruktur mit verhältnismäßig vielen pseudo-liberalen Charakteren. Man siehe dazu die Ausführungen von Bakers Schüler Charles Konia: „Why Are Jews Liberal?“, The Journal of Orgonomy, Vol. 43(2), Fall 2009/Winter 2010, S. 68f. Deshalb wurden sie von den Rechten dermaßen gehaßt. Mit der Gründung Israels ist es zu einer dramatischen Umkehr gekommen und der Haß gegen Juden („Zionisten“) kommt mittlerweile vor allem von der Linken. In ihrer verzerrten Wahrnehmung sehen Linke „amerikanische Siedler“ („Zionisten“), die erneut die Indianer („Palästinenser“) unterdrücken und massakrieren. Der typische Linksintellektuelle ist heute besessen vom „Israelproblem“, wie es früher der typische Rechtsintellektuelle vom „Judenproblem“ war. Gemäß ihrer Charakterstruktur sehen die ersteren ihr besagtes „Problem“ als sozio-ökonomisch bzw. politisch bedingt, während die letzteren das ihre „biologisch“ (rassistisch) und „moralisch“ („Feinde Christi“) sehen.

In Der verdrängte Christus. Orgonomie und Christentum habe ich gezeigt, wie in der religiösen Mystik die Sexualität transzendiert wird bei gleichzeitiger Erniedrigung der realen Sexualität – wie die irreale Frau vergöttlicht wird bei gleichzeitiger Erniedrigung der realen Frau. Erinnert sei hier an die kitschige Mutterverehrung (eine Art „Jungianisches Matriarchat“) der extrem patriarchalisch eingestellten Nationalsozialisten, wie Reich sie in der Massenpsychologie des Faschismus (Fischer TB, S. 70-73) darstellt:

Durch die patriarchale Sexualunterdrückung wird „die ursprüngliche biologische Bindung des Kindes an die Mutter und auch der Mutter an die Kinder zur unlösbaren sexuellen Fixierung“. Um diese Mutterbindung, dem Kern der Familienbindung, gruppieren sich dann, so Reich, die reaktionären Vorstellungen von Heimat und Nation. „Das nationalistische Empfinden ist demnach die direkte Fortsetzung der familiären Bindung und wurzelt wie diese zuletzt in der fixierten Mutterbindung.“

Als Beispiel zitiert Reich Aussagen von Goebbels wie die folgenden:

Die Heimat ist die Mutter Deines Lebens, vergiß das nie.<br>Mit dem Begriff „Mutter“ ist „Deutschsein“ ewig verbunden – kann uns etwas enger zusammenführen als der Gedanke gemeinsamer Mutterehrung?<br>Wenn jemand deiner Mutter mit der Peitsche mitten durchs Gesicht schlägt, sagst du dann auch: Danke schön! Er ist auch ein Mensch!? Das ist kein Mensch, das ist ein Unmensch! Wieviel Schlimmeres hat der Jude unserer Mutter Deutschland (von WR gesperrt) angetan und tut es heute noch an! Er (der Jude) hat unsere Rasse verdorben, unsere Kraft angefault, unsere Sitten unterhöhlt und unsere Kraft gebrochen (…) Der Jude ist der plastische Dämon des Verfalls (…) beginnt sein verbrecherisches Schächtwerk an den Völkern.

Das letzte Zitat kommentiert Reich folgendermaßen:

Man muß die Bedeutung der Vorstellung von der Kastration als der Strafe für sexuelles Begehren kennen, man muß den sexualpsychologischen Hintergrund der Ritualmordphantasien wie des Antisemitismus überhaupt erfassen und zudem das sexuelle Schuldgefühl und die sexuelle Angst des reaktionären Menschen richtig einschätzen, um beurteilen zu können, wie solche vom Schreiber unbewußt abgefaßten Sätze auf das unbewußte Gemütsleben der Leser einwirken. Hier liegt die psychologische Wurzel des Antisemitismus der Nationalsozialisten.

Es ist bezeichnend, daß der Antisemitismus in Hitlers österreich-ungarischer Heimat 1882 anläßlich eines Ritualmordprozesses den entscheidenden Aufschwung nahm. Der Jude Joseph Scharf wurde angeklagt, die 14jährige Esther Solymossy zu rituellen Zwecken ermordet zu haben. Es folgten pogromartige Ausschreitungen. In Dresden wurde daraufhin noch im gleichen Jahr der erste antisemitische Kongreß abgehalten. Über dem Rednerpult hing das Bild des Mädchens. Außerdem wurde die erste antisemitische Zeitung ins Leben gerufen, der Österreichische Volksfreund. Ritualmordanschuldigungen waren in Folge eines der Hauptthemen der 1890er Jahre. Von da an war es ein grader konsequenter Weg in die Gaskammern. 1943 führte Himmler vor SS-Schergen aus: „Wir hatten das moralische Recht, wir hatten die Pflicht gegenüber unserem Volk, dieses Volk, das uns umbringen wollte, umzubringen.“

Im Antisemitismus klingen gleichzeitig auch Elemente an, die gegen das „Mütterliche“, „Dunkle“ und „Chthonische“ gerichtet sind. Reich hat in seiner Massenpsychologie des Faschismus dargestellt, wie die Sexualität verteufelt und zusammen mit „niederen“ Bevölkerungsgruppen, den „Untermenschen“, in die Unterwelt verdrängt wird („Übermenschen gegen Untermenschen = Unterleibsmenschen, ebd., S. 304).

Am klarsten tritt uns dies im deutschen Faschismus entgegen, wo die „Herrenmoral“ des „nordischen“ (kalten) Menschen für das Lichte, Hehre, Himmelhafte, Asexuelle, Reine steht; während „der Jude“ triebhaft, dämonisch, geschlechtlich, ekstatisch, orgastisch ist – und in besonders kranken Phantasien bringt er sogar Menschenopfer dar. Wie Hitler es in Mein Kampf so schön plastisch ausdrückt: „Der schwarzhaarige Judenjunge lauert stundenlang, satanische Freude in seinem Gesicht, auf das ahnungslose Mädchen, das er mit seinem Blut schändet.“ „Der Jude“ ziehe die „nordische Rasse“ auf sein sexuelles Niveau hinab. Ausgerechnet „die Juden“ empfand man als sexuell haltlos. So schrieb Walter Schubart in seinem Buch Religion und Eros, das 1941 in München veröffentlicht wurde:

Dionysischer Art ist das biblische Gebot: „Seid fruchtbar und mehret euch“, anklingend an die den Naturreligionen eigene Vergottung des unermüdlichen gebärenden Muttertums. Im [apokryphen] Buch Henoch 10,17 freut sich der Apokalyptiker darauf, daß die Gerechten nach dem Gericht über die Gottlosen bis zu 1000 Kinder zeugen werden; man träumt davon, daß zur Zeit des Messias die Weiber täglich gebären. (…) Der Same ist heilig (Esra 9,2). Kinderreichtum gilt als Segen, Unfruchtbarkeit als göttliche Strafe (4 Makk 18,9; Henoch 96,5) (…) Die Vielweiberei ist gestattet (Dtn 21,15-17). Viele Kinder zu haben ist Pflicht, viele Frauen zu haben keine Schande. Salomo ergötzte sich an 700 Weibern und 300 Kebsen (1 Kön 11,3). Jungvermählte werden vom Heeresdienst befreit, um sich des Geschlechts zu erfreuen (Dtn 20,7 und 24,5). (…) Im ganzen läßt sich sagen, daß sich das vorchristliche Judentum einige Vorstellungen und Gepflogenheiten der Naturreligion bewahrt hat. Nur in der Gottesfrage gilt kraß und einseitig das männliche Prinzip. (z.n. Czech/Loth/Trzaskalik/Tworuschka: Judentum, Dieserweg/Kösel 1978, S. 66)

Die Generation der Nationalsozialisten entstammt einer Periode in der Entwicklung des westlichen Patriarchats, Mitte des 19. Jahrhunderts, als „die Einschätzung der Sexualität ihren absoluten Tiefpunkt erreichte“ (Herbert Haag und Katharina Elliger: Stört nicht die Liebe, Olten und Freiburg 1986, S. 46).

Von Anfang an konzentriert sich (…) die Behandlung sexueller Fragen auf das 6. Gebot. Während jedoch die ältesten Katechismen sich in der Formulierung an die biblische Überlieferung halten und eine sachgemäße, offene Sprache sprechen, verändert und verengt sich die Redeweise immer mehr, bis in der Mitte des 19. Jahrhunderts das Geschlechtliche völlig tabuisiert wird. (ebd., S. 44)

Hier, aus diesem Pfuhl abgestandener Sexualenergie, aus dem stickigen Schoß der Kirche ist die buchstäblich braune Bewegung hervorgekrochen.

Die antisemitischen Tiraden der Nationalsozialisten gegen den Einbruch des „Triebhaften, Gestaltlosen, Dämonischen, Geschlechtlichen, Ekstatischen, Chthonischen und der Mutterverehrung“ (vgl. Reichs Ausführungen in der Massenpsychologie über die Rolle von „Rassereinheit, Blutvergiftung und Mystizismus“ bei Alfred Rosenberg) sind keine Ausnahmeerscheinung in der Kulturentwicklung, sondern sozusagen die Speerspitze unserer gepanzerten „Kultur“. Es ist nichts spezifisch Deutsches, wie es manche Rassisten gerne hinstellen.