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Was ist der bioenergetische Unterschied zwischen der autoritären und der antiautoritären Gesellschaft?

16. Dezember 2015

Kurz gesagt herrscht heute das vor, was Reich 1925 größtenteils im Lumpenproletariat vorfand: der triebhafte Charakter (siehe sein gleichnamiges Buch, das in Frühe Schriften I wiederveröffentlicht wurde). In der Folgezeit, insbesondere in Die Massenpsychologie des Faschismus von 1933, beschrieb er den triebgehemmten Charakter, der die damalige Gesellschaft prägte. Alle Gesellschaften, ob sie einen konservativen, sozialdemokratischen, kommunistischen oder nationalsozialistischen Stempel trugen, waren darum bemüht, das Triebhafte, das Deviante, das „Asoziale“ zu marginalisieren, „unten zuhalten“, wenn nicht sogar physisch auszumerzen. Sie alle glaubten an Arbeitslager, wie es sie beispielsweise in der „DDR“ gab („Jugendwerkhöfe“). Der Slogan der autoritären Gesellschaft war wirklich „Arbeit macht frei!“

Heute haben wir das genaue Gegenteil vor uns. Das gesellschaftliche Leitbild ist der Freak, die versiffte Nutte:

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Was vor sich geht, hat Reich bereits in Der triebhafte Charakter beschrieben:

Beim Triebgehemmten bildet sich durch Identifizierung mit dem versagenden Vater langsam ein triebverneinendes Über-Ich, das, wenn es nach der Latenzperiode gesellschaftlich geboten ist, auch triebbejahende Elemente in sich aufnimmt. Diese Geschmeidigkeit ist möglich, da sich auch das Ich mit dem Vater identifizierte.

Der triebhafte Charakter unterscheidet sich vom Zwangsneurotiker durch die Bejahung der triebhaften Impulse von Seiten des Ich, sowie durch ausgiebigere Rationalisierungen. Vom Schizophrenen unterscheidet er sich durch einen besseren Kontakt zur Außenwelt, sowie das Fehlen einer schizophrenen Spaltung. Beim triebhaften Charakter gibt es keine geregelte libidinöse Struktur, sondern stattdessen ein wirres Durcheinander oraler, analer und genitaler Strebungen. Am Anfang kam es durch eine entsprechende Erziehung zur weitgehenden Triebbefriedigung, wodurch sich durch Identifizierung mit den Erziehenden ein triebbejahendes Über-Ich gebildet hatte. Dann trat von seiten der unberechenbaren Erzieher plötzlich eine traumatische Versagung ein, gefolgt von entsprechend unvollständiger Identifizierung und Bildung eines isolierten triebverneinenden Über-Ichs.

Im Gegensatz zum triebgehemmtem Charakter besteht beim triebhaften Charakter eine starke Diskrepanz zwischen Ich und Über-Ich, das vom Ich völlig isoliert ist. Dieses isolierte Über-Ich funktioniert dann wie ein verdrängter Triebanspruch im Sinne eines „Strafbedürfnisses“ (etwas, was Freud zur gleichen Zeit mit dem „Todestrieb“ erklärte). Diese Isolierung des Über-Ich gehört, so Reich 1925, zur normalen Entwicklung des Ich, denn das Über-Ich kann erst langsam durch Bewältigung der Ambivalenz integriert werden.

Beide Charaktertypen leiden unter sadistischen Impulsen, doch sind diese beim Triebgehemmten mit Schuldgefühlen verknüpft, beim Triebhaften nicht. Der erstere ist in jeder Hinsicht „gewissenhaft“, der letztere gewissenlos, was praktisch alles in der Sphäre der Arbeit und der Sexualität erklärt vom gegenwärtigen „Casinokapitalismus“ bis hin zum Zerfall der Familien, weil sich alle „selbstverwirklichen“ wollen.

Damals hatte Reich die vollständige bioenergetische Dynamik natürlich noch nicht ganz erfaßt. Es geht darum, daß wir die organismische Orgonenergie als Libido erst dann erfahren, wenn es zur orgonotischen Erstrahlung gekommen ist. Wird die Energie bereits blockiert, bevor sie den Erstrahlungspunkt erreicht hat, bleibt der Trieb unbewußt (verdrängt) und peinigt uns deshalb nicht. Man ist unwillkürlich an die Kastration von Hunden und Katzen erinnert! Wird die Energie nach dem Erstrahlungspunkt blockiert, ist das so, als würde man bei voller Geschwindigkeit auf der Autobahn eine Vollbremsung hinlegen – oder als würde beim Geschlechtsverkehr kurz vor dem Höhepunkt das Telefon neben dem Bett klingeln oder die Kinder ins elterliche Schlafzimmer stürmen: Chaos, Frust, Wut und ein schier unerträgliches Gefühl der Unbefriedigung und inneren Unruhe, das um Potenzen schlimmer ist, als wäre es erst gar nicht zu diesem Geschlechtsakt gekommen.

Starke Triebverdrängung und Reaktionsbildung („verdrängt“) steht, Reich zufolge, gegen mangelhafte Verdrängungen („unbefriedigt“). Der Orgonom Peter A. Crist erklärt das im Anschluß an Elsworth F. Baker wie folgt:

Ein unterdrückter bzw. unbefriedigter Block tritt auf, wenn der gegebene Impuls während seines naturgemäßen Entwicklungsverlaufs ständig frustriert wird, entweder während das Erregungsniveau unterhalb des Erstrahlungspunktes liegt (im Falle des unterdrückten Blocks) oder oberhalb (im Fall des unbefriedigten). („An Overview of the Biopathic Diathesis: Update, Application and Analysis“, The Journal of Orgonomy, 37(1), Spring/Summer 2003, S. 75f)

Der verdrängten Blockierung der autoritären Gesellschaft entspricht der zurückhaltende, triebgehemmte Charakter, der bioenergetische Expansion nicht ertragen kann, entsprechend in dauerhafter bioenergetischer Kontraktion gefangen ist und dessen typische Emotionen Furchtsamkeit, Angst und Niedergeschlagenheit sind. Der triebhafte, unbefriedigte Mensch von 2015 befindet sich entsprechend in einem dauerhaften Zustand der Expansion. Er kann Kontraktion nicht ertragen („der Kult der Expansion“) und ist entsprechend ständig zornig und gereizt. Im Umgang ist er nicht gehemmt, bleibt aber im Kontakt immer oberflächlich. In der autoritären Gesellschaft war die Panzerstruktur unbeweglich („verdrängt“), heute gibt der Panzer scheinbar nach, würgt dann aber reaktiv alles ab („unbefriedigt“). Damals herrschte eine mechanische Ordnung (DOR), heute herrscht eine mechanische Unordnung (ORANUR).

Die biologische, psychologische und soziologische Struktur des Menschen (Teil 1)

8. Januar 2015

Für Reich ist das Tier, einschließlich des Menschentiers, ein Produkt der fließenden Lebensenergie. Dieser Strom determiniert Gestalt und Funktion. Dazu die beiden folgenden Skizzen nach Reich:

Daß beide Systeme zusammengehören, funktionell identisch sind, ist daran ersichtlich, daß der Parasympathikus „hin zur Welt“ oben und unten von der Wirbelsäule ausgeht, der Sympathikus jedoch „weg von der Welt“ von der Mitte der Wirbelsäule.

Hingegen betrachtet Hans Hass, und mit ihm die gängige Biologie, das Tier als „ein sich fortbewegender Darm“, alles andere sei nur sekundäre Ermöglichung dieser einen Funktion des Stoff- und Energieerwerbs (Naturphilosophische Schriften, Bd. 2, München 1987). Hierzu wäre aus orgonomischer Sicht zu sagen, daß der Kalorien-Bedarf eines Lebewesens eine Funktion des Orgonenergie-Metabolismus ist. Der eine hält Diät und wird trotzdem immer fetter, während der andere trotz Völlerei doch schlank bleibt. Es scheint hier also im Organismus ein „dritter Faktor“ zwischen Kalorienerwerb und -nutzung geschaltet zu sein.

Dieser Faktor, die biologische Orgonenergie, wird allgemeinhin „das Seelische“ genannt. Für den Mechanisten sei es jedoch, so Reich in Massenpsychologie des Faschismus, „nur nebelhafte, mystische Gegebenheit oder zum besten eine Sekretion des Gehirns.“ Demgemäß ist das Seelische für den Mechanisten „nicht mehr als der Kot, der ein Exkret des Darms ist.“

Betrachten wir den Darm aus orgonomischer Sicht: Die Orgonomie ging zu einem Gutteil aus Freuds Psychoanalyse hervor. Diese leitete sich wiederum aus der (Lamarckistisch modifizierten) Darwinistischen Abstammungslehre und der Embryologie her. Hier postulierte, neben Wilhelm Ostwald, der größte Monist, Ernst Haeckel, daß sich die Phylo- in der Ontogenese wiederholt. Ein Phänomen, das sehr schön von Hass beschrieben wird (Naturphilosophische Schriften, Bd. 1). Freud glaubte, die Phylo- und Ontogenese würde sich in der psychosexuellen Entwicklung des Kindes fortsetzen.

Es gibt in der psychosexuellen Entwicklung fünf Entwicklungsstufen, wobei in der gesunden Entwicklung aber nur die zweite und fünfte libidinös besetzt sind. Siehe dazu auch meine Ausführungen in Biologische Entwicklung aus orgonomischer Sicht.

1. Die erste Stufe in der phylogenetischen Entwicklung der Metazoen wird durch die mikroskopisch kleine Gitterkugel Volvox repräsentiert. In der Ontogenese entspricht dies der „Blastula“, einer mit Flüssigkeit gefüllten aus Zellen gebildeten Hohlkugel.

Dies entspricht funktionell dem, aufgrund von Reichs Schizophrenie-Forschung von seinem Schüler Elsworth F. Baker postulierten, „okularen Stadium“ der Entwicklung der Libido.

2. Durch Einstülpung dieser Hohlkugel entwickeln sich der „Urdarm“ und der „Urmund“. In der fötalen Entwicklung nennt man diese Stufe „Gastrula“. Freud brachte diese Entwicklungsstufe mit dem „oralen Stadium“ der Libido in Verbindung.

Reich hat, im Anschluß an Freud, entdeckt, daß analog zum Genital beim Erwachsenen der Mund beim Baby einen (oralen) Orgasmus auslösen kann. Phylogenetisch entspricht die orale Stufe den Hohltieren, z.B. den Quallen. Vielleicht macht dies verständlich, warum es einen „oralen Orgasmus“ (beim Säugling während des Stillens) überhaupt gibt. Hat doch Reich in seinem Aufsatz über „Die Ausdruckssprache des Lebendigen“ dargelegt, daß die Ausdrucksbewegung im Orgasmusreflex funktionell identisch mit der einer schwimmenden Qualle ist. Sie entspräche bei uns einer „aktuellen Mobilisierung einer biologischen Bewegungsform, die bis zum Quallenstadium zurückgeht“ (Charakteranalyse).

Der britische Psychologe Maurice Yaffe hat in den 1970er Jahren eine funktionelle Identität zwischen oralem und genitalem Funktionieren, eine enge Wechselbeziehung zwischen Tisch und Bett entdeckt. Wer sein Essen achtlos hinunterschlingt, ist höchstwahrscheinlich ein ausgemachter Sex-Muffel. Wer sich dem Menü jedoch hingebungsvoll und genüßlich widmet, verhält sich wahrscheinlich auch in der Liebe ähnlich. Yaffe stellte fest, daß Männer, für die das Essen nur eine Kalorienquelle ist, oft sexuell frustrierte Frauen hatten. Schnellesser litten entweder unter Ejaculatio praecox oder hätten entweder noch nie in den Armen einer Frau gelegen, machten sich nichts aus der Liebe oder versuchten ihren Mangel an Sex durch vermehrte Nahrungsaufnahme zu kompensieren.

3. Nach der Ausbildung des Urmundes verzweigte sich die Evolution wie folgt:

Bei den Vordermündern bildete sich am hinteren Ende des Urdarmes eine Afteröffnung aus. Hier blieb der Urmund der Mund des Tieres. Bei den Zweitmündern, zu denen auch wir gehören, war die Entwicklung genau umgekehrt: der Urmund wurde zum After, während sich am Ende des Darmes ein neuer Mund ausbildete. Beispiele sind die Seesterne und Seeigel. Die phylo- und ontogenetische Umbildung des Mundes zum After ist nach Freud das „biologische Vorbild“ der libidinösen Entwicklung von der oralen auf die anale Stufe (Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie).

Hans Hass weist darauf hin, daß sich die Ekelreaktion, ähnlich einem Organ oder einer Fähigkeit, nur langsam entwickelt. Vielleicht hat das Ausbleiben einer solchen Reaktion, die sich bei jedem höheren Tier findet, beim Säugling dazu geführt, daß viele glauben, das After und seine Produkte würden dem (gesunden) Kind sexuelle Lust schenken. Demgegenüber hat Baker in Der Mensch in der Falle ganz klar geschrieben:

Das orale Stadium ist die einzige natürliche prägenitale Libidostufe. Die anderen sind Kunstprodukte unserer Kultur. Das Genitale ist, wie wir wissen, in der Phylogenese aus dem distalen Ende des Ernährungstraktes, der Kloake, entwickelt worden. Eine erogene Zone wird dadurch wichtig, daß sie in der Entwicklung ganz oder teilweise in bezug auf die erotische Erregung an die Stelle des Genitales treten kann. Die orale Zone tut dies normalerweise im Säuglingsalter. Die anderen tun es nur, wenn Blockierungen vorhanden sind.

4. Mit der „Kloake“, der funktionellen Einheit von After und Genitalapparat, ist phylogenetisch die phallische Organisationsstufe erreicht, aus der sich dann das Genital herausdifferenziert. „Biologisches Vorbild“ dieses Libidostadiums beim Menschen ist nach Freud „die indifferente für beide Geschlechter gleichartige Genitalanlage des Embryos.“ In der Evolution erstreckte sich dieser Zustand von den Urfischen bis zu den primitiven Säugern.

5. In den 1930er Jahren beobachtete Reich unter dem Mikroskop bei Einzellern ähnliche Vorgänge wie bei seinen Patienten (Orgasmusformel und -reflex). Diese Prozesse umfaßten jeweils den gesamten Organismus in seiner Totalität. Bei den Tieren, die zwischen den Einzellern und den höheren Säugern stehen, wird man (außer vielleicht bei Quallen und ähnlichen Tieren) jedoch kaum eine den ganzen Organismus umfassende orgastische Konvulsion („orgastische Potenz“) finden. Dort scheint sie sich immer nur auf Teilbereiche des Organismus zu erstrecken. Dementsprechend kann man die phylogenetische, ontogenetische und libidinöse Entwicklung als Koordination der orgastischen Funktion, als Weg zu ihrer Wiederherstellung betrachten. Der gepanzerte Mensch hat diesen Weg wieder verlassen.

Die genitale Stufe, die mit 5 erreicht ist, ist funktionell identisch mit der Herausbildung des Bewußtseins: in uns ist die Orgonenergie erwacht. Dazu hat Reich 1944 in Orgonotic Pulsation das folgende geschrieben:

Während der ersten paar Monate des postnatalen Lebens kann man beobachten, wie die Organfunktionen (Bewegungen der Augen, Arme, Beine; das Zugreifen, aufrecht Sitzen, etc.) miteinander koordiniert werden, während andererseits die Lust-, Angst- und Wutreaktionen auch detaillierter, koordinierter und einheitlicher werden. Dann folgt Schritt auf Schritt der Kontakt zwischen der Bewegung der Organe und ihrer Wahrnehmung, der Reaktionen der Organe auf die Wahrnehmung und die Reaktion der Wahrnehmung auf die Bewegung der Organe. Mit der Koordination der individuellen, bis jetzt zwecklosen Bewegungen in zweckgerichtete und ganzheitliche Körperbewegungen; mit der Koordination der individuellen Empfindungen in die Wahrnehmung des ganzen Körpers; und mit der Koordination des ganzheitlichen Antriebes des Körpers mit der Wahrnehmung des Körpers entwickelt sich allmählich das, was wir Bewußtsein nennen.

Daß nur der Mensch die Genitalität und ein Bewußtsein voll ausgebildet hat, erklärt im übrigen auch, warum der Mensch als einziges Energon neben seinem „Berufskörper“ (der der Energiegewinnung dient) auch einen „Luxuskörper“ (der der lustvollen Energieabgabe dient) ausgebildet hat, um Begriffe von Hans Hass zu benutzen.

Die hier beschriebene Entwicklung hin zur Orgasmusfunktion wird in der Orgontherapie wiederholt, indem vom okularen zum Becken-Panzerungssegment, von oben nach unten alle Blockierungen der organismischen Orgonenergie aufgelöst werden, bis schließlich der ganze Körper bioenergetisch koordiniert ist. Auf diesen orgonotischen Prinzipien beruht die orgonomische Charakterologie:

  1. okulare Charaktere: Schizophrenie, Epilepsie, Voyeurismus;
  2. orale Charaktere: der infantile Charakter;
  3. anale Charaktere: passiv-feminine und Zwangsneurotiker, Masochisten;
  4. phallische Charaktere: phallisch-narzißtische, chronisch und manisch depressive Charaktere, Paranoiker;
  5. genitale Charaktere: Hysterie, der Genitale Charakter.

Diese Einteilung wird sowohl von Psychiatrie und Psychoanalyse (die ohne Reichs Charakteranalyse schwer vorstellbar wäre) als auch von allen „Reichianern“ abgelehnt, da sie nichts von der Genitalfunktion wissen wollen.

Folgerichtig, und weil „der emotionell Pestkranke (…) in Unruhe oder Wut [gerät], wenn von den Mechanismen der emotionellen Pest die Rede ist“ (Charakteranalyse), wird erstrecht die sozio-politische Charaktereinteiilung bekämpft.

Sie beruht auf Reichs Erkenntnis,

daß die verschiedenen politischen und ideologischen Gruppierungen der menschlichen Gesellschaft den Verschiedenen Schichten der menschlichen Charakterstruktur entsprechen. (Massenpsychologie des Faschismus)

Nach Reich und Elsworth F. Baker gibt es derer vier:

Näheres findet sich in Der politische Irrationalismus aus Sicht der Orgonomie.