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Marx und die KI

19. Juli 2025

Der aufmerksame Leser des NACHRICHTENBRIEFs wird mitbekommen haben, daß ich auffällig oft mit vier Geistesgrößen ringe, unsicher bin, ins Schwimmen gerate, widersprüchlich argumentiere und bei der Einschätzung ihrer Bedeutung stark fluktuiere: vielleicht Rousseau, vor allem aber Marx, Nietzsche und Freud. Rousseau war Erbe und gleichzeitig der Gegenspieler LaMettries, – zu dem er sich niemals geäußert hat. Das, was uns an Rousseau anzieht, die Rehabilitierung der Natur, war ganz LaMettrie, den er gleichzeitig im alles entscheidenden Punkt verraten hat: das schlechte Gewissen, die Implementierung eines kollektivistischen Über-Ich, wurde zum Zentralpunkt von Rousseaus Lehre und findet sich heute vor allem in der völkermörderischen „anti-weißen“ Agenda, die unser öffentlichen Diskurs zu 100 % bestimmt: der noble Wilde. Marx steht ganz und gar in der Tradition Rousseaus. Seine Inspiration und gleichzeitig sein Gegenspieler war Stirner, dessen Herausforderung er damit bewältigte, daß er den Menschen auf einen bloßen Spielball ökonomischer Kräfte reduzierte, so daß Stirners Forderung nach „Eigenheit“ (Selbstregulation) sich als vermeintlich gegenstandlos erwies. Nietzsche bewältigte seinen Ideengeber Stirner auf ähnliche, wenn auch anstatt auf eine ökonomistische, auf eine quasi biologistische Weise: der sadomasochistische „Wille zur Macht“ machte aus den Menschen eine bloße Marionette. Freud schließlich war nicht nur Reichs Lehrer, sondern sozusagen in Personalunion auch sein eigentlicher Gegenspieler, indem er auf der einen Seite die Genitalität sozusagen „prägenital“ dekonstruierte und von der anderen Seite her mit seinem „die Kultur geht vor“, das Über-Ich rehabilitierte. Alle vier „dekonstruieren“ LaMettries „tugendhafte Lust“ bzw. Stirners „Eigner“ und machen den Raum frei für das Über-Ich!

Trotzdem muß ich kaum hervorheben, wieviel wir, nicht zuletzt aber Reich selbst, diesen vier Männern verdanken: Rousseau unser kulturgeschichtlich und weltweit einmaliges „weißes“ Naturempfinden sowie Nietzsche und Freud die Aufdeckung der „inneren Natur“. Wo bleibt hier Marx? Das möchte ich am hochaktuellen und hochbrisanten Thema KI exemplifizieren:

Trotz oder gerade wegen dem gegenwärtigen Hype und den damit einhergehenden Milliardeninvestitionen wird die KI von Tag zu Tag dümmer, weil sie zunehmend und ab einem bestimmten Punkt nur noch auf sich selbst zurückgreift. Anfangs setzt sie die Elemente zusammen, die der Mensch im Netz hinterlassen hat. Was die Orgonomie betrifft beispielsweise etwa viertausend einzelne Aufsätze zum Thema von einem gewissen Peter Nasselstein. Doch derartige Beiträge werden zunehmend selbst von KI generiert und ins Netz gestellt. Welcher Student in den Laberfächern schreibt heutzutage noch seine Arbeiten wirklich eigenständig? Parallel werden die besagten Studenten selbst von Tag zu Tag dümmer, weil sie nicht mehr ihr Gehirn, sondern ChatGPT benutzen, entsprechend werden sie das Netz nur noch mit Müll füttern. Und genau das erinnert mich unheimlich an die Marxistische Mehrwerttheorie – die einzige Theorie, die EINZIGE, die Reich von Marx übernommen hat.

Nach Marx (und Reich!) kann ausschließlich menschliche „lebendige Arbeitskraft“ Mehrwert produzieren. Was ist Arbeit? Nach Marx‘ Kapital ist „menschliche Arbeit“ nicht nur einfach menschliches Agieren, so wie jeder Tier ständig agiert, sondern das menschenspezifische Agieren nach einem Plan, einer Blaupause, erfahrungs- und intelligenzgesteuert. Arbeit ist „Hände plus Gehirn“. Aufgrund des kapitalistischen Systems sinkt aber der Anteil der „lebendigen Arbeitskraft“ zunehmend, da der Kapitalist gezwungen ist, immer mehr Maschinen und Automatisierung und schließlich sogar künstliche Gehirne (KI) einzusetzen, um im Wettbewerb bestehen zu können. Mit der verhältnismäßigen Abnahme des Einsatzes menschlicher Arbeit, sinkt aber auch der Mehrwert, der dem Kapitalisten zufällt.

Um diesem Erstickungstod des Kapitalismus entgegenzuwirken, wird das kapitalistische System immer hektischer, die Automatisierung weitet sich noch mehr aus, bis schließlich ein gewisser Grenzwert erreicht ist und alles zusammenbricht, d.h. alles von „der Maschine“ erledigt wird und niemand mehr arbeiten muß. Wir stehen knapp davor! Die weitaus meisten Arbeitsplätze stehen unmittelbar vor der Abwicklung. Fabrikarbeiter? Überflüssig! Lagerarbeiter? Überflüssig! Verwaltungskräfte? Überflüssig! Schon heute kann man die vollautomatisierte Fabrikhalle, das vollautomatisierte Lager und die vollautomatisierte Verwaltung hinstellen und das ganze durch zwei oder drei Hausmeister betreuen lassen! Selbst die Laster, die die Rohmaterialen herankarren und das Endprodukt abtransportieren, könnten schon heute vollkommen autonom fahren. Alles, was man braucht, ist Kapital. Der Faktor Arbeit verschwindet bis auf klägliche Reste fast vollständig! Damit ist das kapitalistische System hinfällig!

Im kapitalistischen Endkampf geht es darum, ob entweder die wenigen verbliebenen Kapitalisten die acht Milliarden unnützen Esser, beispielsweise mit mRNA-Spritzen, umbringen und in einer von Robotern bevölkerten Sklavenhaltergesellschaft ihrem Glück frönen – oder umgekehrt diese, die Massen, sozusagen „die Reichen essen“ und danach in einem kommunistischen Paradies leben, in dem die vom Kapitalismus übriggebliebene Maschinerie alle Güter und Dienstleistungen für die Massen produziert, ohne daß die Notwendigkeit menschlicher Arbeit weiterhin besteht oder zumindest nur ein minimaler Restbedarf daran. Nun, das Problem ist, daß nur das menschliche Gehirn in der Lage ist, auf funktionelle Weise zu denken. Wenn der menschliche Input wegfällt (wie die menschliche Arbeit im Allgemeinen), wird, wie erläutert, dieser „Mehrwert“ des menschlichen funktionellen Denkens durch die Idiotie der Maschine verdrängt und alles, inklusive der besagten vollautomatischen Fabriken, bricht zusammen. Computer scheinen Wunder zu vollbringen, aber im Grunde sind sie dumm wie Brot.

Marx sagte das Ende des Kapitalismus voraus, weil der Mehrwert tendenziell gegen Null geht. „Ich“ sage auch das Ende der postkapitalistischen Welt voraus, kaum daß sie begonnen hat, weil der menschliche Intelligenz-Mehrwert verschwindet. Jeder kann beobachten, wie die Menschen selbst durch die Nutzung von Smartphones und KI zunehmend verblöden – und weil die KI schließlich nur noch mit sich selbst spricht, wird alles in völligem Chaos und in absoluter Dunkelheit enden.

In der industriellen Revolution wurden zunehmend die besagten „Hände“ der menschlichen Arbeit durch Maschinen ersetzt. In der KI-Revolution wird jetzt auch das „Gehirn“ ersetzt. Die Architektur, die in den letzten 100 Jahren immer häßlicher, langweiliger und qualitativ schlechter geworden ist, spiegelt den schwindenden Faktor der lebendigen menschlichen Arbeit wider. In den letzten Jahren ist auch das Innenleben der Menschen häßlich, langweilig und leer geworden. Man höre sich nur die „Musik“-Jauche an, die heutzutage aus den Radios sickert! Bald wird auch KI, dem die „bürgerliche Wissenschaft“, die vorher den Kapitalismus nicht durchschaute, im Moment Wunderdinge zuschreibt, ohne den menschlichen-lebendigen Input, letztendlich also ohne Orgonenergie, vollständig veröden. OR ist auf dem Weg zu verschwinden, DOR befindet sich auf der Bahn zum Triumph!

Nur funktionelles Denken und die Orgonomie können die Menschheit retten. Die Antwort liegt bei LSR: LaMettrie, Stirner, Reich.

Ergänzung 1 zu „Nietzsche: MEINE SCHWESTER UND ICH (Besprechung)“

2. Juli 2025

In der gestrigen Besprechung erwähnte ich Volker Gerhardts weitverbreitete und in mehreren Auflagen erschienene Monographie Friedrich Nietzsche (Verlag C.H. Beck, 1992). Sie zeigt, egal wieviel man bei Nietzsche, nicht zuletzt anhand von Gerhardts Ausführungen, LaMettrie-, Stirner- und Reich-Gemäßes findet, Nietzsche im Kern doch Anti-LSR ist. Das heißt aber noch lange nicht, daß ich Nietzsche aus dem „orgonomischen Fundus“ streichen werde, genausowenig wie ja auch Freud, Marx und andere!

Wer einen weitgehend LSR-konformen Nietzsche lesen will, sei auf meinen alten Artikel Der verdrängte Nietzsche verwiesen. Dazu bietet Volker Gerhardt sehr gute Einführung in Nietzsches Werk einen interessanten Punkt hinsichtlich des Willens zur Macht. 1885 notierte sich Nietzsche, daß die physikalisch aufgefaßte „Kraft“ einer „Ergänzung“ bedürfe. Es müsse diesem Begriff, so Nietzsche, „eine innere Welt zugesprochen werden“, im Sinne eines Triebes, Strebens, Willens. Für diesen inneren, sozusagen „psycho-physischen“ (Reich hätte gesagt „bioenergetischen“) Ursprung wählte Nietzsche den Begriff „Wille zur Macht“. „Dieser bezeichnet“, so führt Gerhardt weiter aus, „die ursprüngliche Einheit aller geistigen und physischen Kraft.“ Das soll die absolute Diesseitigkeit der Welt wahren, d.h. das Werden soll nicht nur erklärt, sondern auch verstanden werden. Gerhardt: „Erst heute können wir ermessen, wie modern Nietzsches Fragestellung ist, die über die Abgrenzung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften hinaus ist und die den Ursprung unserer Erkenntnis in uns selber nicht vergißt.“ Gerhardt verweist in diesem Zusammenhang auf den Aristotelischen Begriff der „dynamis“ bzw. „potentia“ (S. 182f). Reich hat ähnlich argumentiert, als er etwa in The Einstein Affair, darauf insistierte, daß mit seiner Arbeit sich die Psychologie, Psychiatrie, Medizin nicht mehr an der Physik orientiere, sondern umgekehrt.

Aber zurück zur notwendigen Entzauberung Nietzsches: „Wille zur Macht“ hat Nietzsche bei Stirner abgeschaut. Stirner: „Macht – das bin Ich selbst, Ich bin der Mächtige und Eigner der Macht“ (Der Einzige und sein Eigentum, S. 230), wobei Nietzsche die entscheidende Wendung unter den Tisch fallen läßt: „Ich bin nur dadurch Ich, daß Ich Mich mache, d.h. daß nicht ein Anderer Mich macht, sondern Ich mein eigen Werk sein muß“ (ebd., S. 256, Hervorhebungen hinzugefügt).

Gerhardt führt aus, daß bei Nietzsche aus der bloßen „Selbsterhaltung“ der „Wille zur Macht“ wird, der so überwältigend sein kann, daß man die Selbsterhaltung darüber vergißt. „Die Lust an der Expansion wird zu einer eigenständigen Größe“ (Gerhardt, S. 129). Der Wille zur Macht trete, so Gerhardt, „im Medium von Befehl und Gehorsam auf (…) und tendiert mit dem Anspruch auf Unterordnung zu hierarchischer Organisation“ (S. 186f).

Das ist nichts anderes als die Apologetik des sadomasochistischen Wahns der gepanzerten Welt! Sexualfeindlich! Rechtfertigung des Über-Ich! Was auch deutlich wird, wenn Nietzsche in Menschliches, Allzumenschliches schreibt: „Die Bestie in uns will belogen werden, Moral ist Notlüge, damit wir von ihr [d.h. der besagten Bestie] nicht zerrissen werden“ (z.n. S. 131). Das ist das exakte Gegenteil der Jahrtausendentdeckung von der Laska und Christian Fernandes sprechen!

Für Nietzsche sorgte, so Gerhardt, „das moralische Bewußtsein“ „im Gang der mit unerhörten Opfern und Einschränkungen verbundenen Disziplinierung und Kultivierung der menschlichen Gattung“ für „die Sicherung der Individualität“. Die historische Leistung der Moral liege darin, den Menschen zu einer „selbstverantwortlichen Person“ gemacht zu haben (S. 133). Gerhardt zitiert dazu aus Menschliches, Allzumenschliches: „Ohne die Irrtümer, welch in der Annahme der Moral liegen, wäre der Mensch Tier geblieben.“ Nietzsche spricht in diesem Zusammenhang vom „heroischen“ Menschen und verweist auf Herakles, der sich „gegen die (äußeren) Reize der Schönheit und für die (inneren) Werte der Tugend entscheidet“ (S. 141). Bei Nietzsche zerstört die Moral (also das Über-Ich) nicht das Individuum, sondern sie erschafft das Individuum. Ein krasserer Gegensatz zu LSR ist schlichtweg nicht denkbar!

Es ist bezeichnend, daß in Gerhardts Buch Stirner nur im Kapitel über Nietzsches Nachwirkung im 20. Jahrhunderts auftaucht: neben Schopenhauer und Feuerbach sei Deutschland durch Stirner auf Nietzsche vorbereitet gewesen… (S. 219). Stirner als Nietzsches Wegbereiter! Bezeichnend ist auch, daß im Register von Gerhardts Buch bei „Stirner“ nicht etwa auf diese Stelle verwiesen wird, sondern auf S. 57, wo Stirner gar nicht auftaucht! Wer mit der Literatur vertraut ist, weiß, daß derartige Fehlleistungen in Bezug auf Stirner ständig auftreten. Unsere Kulturbewahrer stolpern ständig über ihn und geraten dabei aus dem Gleichgewicht…

My sister and I hat dazu nur einen Kommentar:

Zum Gedenken an Bernd A. Laska, 4. August 1943 – 8. April 2025 (Teil 3)

16. April 2025

Ich habe mich anfangs gesperrt, einen derartigen „persönlichen“ Nachruf zu schreiben, weil sich über vier Jahrzehnte erstreckende Beziehung zwischen Laska und mir nie eng war. Dazu waren wir einfach zu unterschiedlich. Der Katholik Laska war über Karlheinz Deschners Religionskritik und die Anfänge der linken Studentenbewegung Mitte der 1960er Jahre als einer der ersten Nachkriegsdeutschen überhaupt auf Reich gestoßen. Ich war denkbar areligiös und „akulturell“ aufgewachsen und gerade deshalb hatten mich Religion und Kultur (Bildende Kunst und Musik) von früh an in ihren Bann gezogen – Dinge, die Laska, zunächst Bauzeichner und dann Ingenieur (Baustatiker), zeitlebens wirklich vollkommen kalt ließen. Nachdem meine kindlich-jugendlichen „Studien“ im „religiös-kulturellen“ Bereich und auch im naturwissenschaftlichen (ich laß eifrig das „X-Magazin“, „Bild der Wissenschaft“, die Bücher von beispielsweise Hoimar von Ditfurth etc.) nur meine wachsende Verachtung für all dieses Zeugs nährten, stieß ich schließlich auf Reich („Bingo!“) und wollte fortan nichts anderes sein als ein orthodoxer Anhänger der Orgonomie. Für mich war und ist sie die endgültige Wahrheit.

Mein Problem war damals, daß ich als Arbeiterkind (Laska war auch eins!) niemanden kannte, der auch nur im allerentferntesten meine wirklich extrem absonderlichen, da hochgestochenen Interessen teilte, und ich auf die paar Mitte der 1970er Jahre erhältlichen Reich-Bücher und irgendein „Reichianisches“ Zeugs a la Alexander Lowen reduziert war. In einem dieser Bücher stieß ich schließlich auf eine Annonce für Laskas Zeitschrift „Wilhelm Reich Blätter“, fand über diesen Umweg schnell Kontakt zu Jerome Eden, bestellte das „Journal of Orgonomy“ etc. Laska hatte eine ganze Welt für mich geöffnet, die Orgonomie war noch lebendig, wovon ich vorher keinerlei Ahnung hatte. Aber schon bald begann mein Konflikt mit Laska: ich verdammte ihn ob des Einflusses der amerikanischen Orgonomen auf mich sehr bald als „Reichianer“. Er war dabei, zu einem „Feind“ zu werden. Daß er es wagte, Artikel von Alexander Lowen zu veröffentlichen und gewisse andere Leute auch nur zu Wort kommen zu lassen! Ich erlebte über seine Zeitschrift sozusagen „live“ mit, wie er sich immer mehr Max Stirner zuneigte, was für mich der Anlaß war, Stirner auseinanderzunehmen. Einfach nur, weil Laska sich auf ihn berief! Das baldige, wirklich klägliche Scheitern meines Unterfangens Stirner zu „dekonstruieren“ und meine Einsicht, daß Laska in dieser Beziehung vollkommen recht behalten hatte, waren eine nachhaltige Lektion.

1982 stellte er wegen solcher hoffnungslosen Figuren wie mir seine Zeitschrift ein und begann zu erforschen, was die Essenz seiner beiden Helden Reich und Stirner sei. Schon bald kam LaMettrie hinzu und Laskas „LSR-Projekt“ nahm langsam Gestalt an. Ich war einer der erstaunlich wenigen alten Leser, die ihm auf diesem Weg treu blieben und seine Bücher von und über LaMettrie kauften, sowie das eine Buch mit Stirners Parerga. Er bewegte sich aber sozusagen am Rande meiner eklektischen Interessen (Orgonbiophysik, UFOs, Roter Faschismus, Saharasia, Orgonometrie, Hans Hass, christliche Theologie, Nietzsche, etc.), die kaum bis keinerlei Überschneidungspunkte mit ihm hatten. Unser persönliches Verhältnis blieb stets unterkühlt, obwohl wir uns einige Male trafen, wobei ich aber jeweils sozusagen nur „Anhängsel“ anderer war. Seine Website ließ meine alte Begeisterung für seine geistige Klarheit und nicht zu übertreffende „akademische“ Integrität immer wieder von neuem aufflammen bis hin zu regelmäßigen begeisterten „Bekenntnissen“ zu seinem LSR-Projekt. Er war sichtlich konsterniert, derartig enthusiastische Treueschwüre ausgerechnet von meiner Seite zu hören.

Im Vergleich zu ihm, habe ich mich immer als hemmungslosen „Dampfplauderer“ empfunden und es stets bedauert, daß er nicht „mehr Worte gemacht hat“. Welch ein Privileg ihn gekannt zu haben. Er war mein distanzierter Erzieher, ich sein letztendlich doch loyaler Schüler. Danke, Herr Laska!

Zum Gedenken an Bernd A. Laska, 4. August 1943 – 8. April 2025 (Teil 2)

12. April 2025

Wir waren bei Sade, dem „Star unter heutigen Intellektuellen“.

Der Normalfall lautet: „Jede Frau muß selber wissen, was sie verantworten kann.“ Der Grundsatz der totalen Selbstbestimmung über seinen Körper, selbst wenn ein anderer Körper darunter leiden muß, stammt vom frühesten Pionier der Freigabe von Abtreibung, Homosexualität, Pädophilie, Prostitution und Promiskuität: dem Marquis Donatien de Sade, einem Zeitgenossen Rousseaus, auch von Wilhelm Reich und vor dreißig Jahren von deutschen Grünen und Reformpädogen ernst genommen.
Daß in Sachen Sexualität, ihrer Praxis und ihrer Folgen, jeder selber wissen müsse, was richtig sei, weil es Privatsache ist, hat niemand philosophisch „sauberer“ formuliert als de Sade. Als Befreier der Sexualität ging er davon aus, daß Vergewaltigungsopfer und Kinder, wären sie über ihr Glück aufgeklärt, durchaus mitmachen würden, was letztlich sein Emanzipationsziel war. Auch der Feminismus und der Sozialismus meinen es mit den abgetriebenen Kindern gut: Ungewollte Kinder, erst noch in schlechten sozialen Verhältnissen, wären zu bemitleiden. Es ist besser für sie, nicht geboren zu werden, als zu einem Leben ohne Chancen gezwungen zu werden. Insofern wird dem ungeborenen Kind der höchste linke Grundwert, die Solidarität, auf makabre Weise nicht vorenthalten. (Weltwoche)

Man kann Marquis de Sade und LaMettrie durchaus als Ururväter der Sexuellen Revolution betrachten. Gleichzeitig läßt sich an ihnen der Widerspruch dieser Revolution festmachen.

2003 eine Diskussion im ZDF-Nachtstudio über „Marquis de Sade und die Folgen“. Der Sade-Übersetzer Stefan Zweifel:

….in den 68 haben sie eine Sade-Ausgabe gemacht, die hört immer mit einem Orgasmus auf. Also, auch eine [philosophische] Rede dazwischen, aber es hört immer mit einem Orgasmus – nicht Wilhelm Reich, wir müssen Orgasmen haben und so [Diskussionsteilnehmerin Ursula Pia Jauch leicht amüsiertes Gesicht, ein zustimmendes „Jaja“] – bei Sade ist das nicht so, das geht einfach: genau diese Erregung greift dann wieder über ins Denken. Und das ist eine endlose Erregung.

Heute herrsche Anhedonie, trotz plakativem Sexus, „weil“, so Jauch, „das lustvolle und auch denk-lustvolle Umfeld weg ist“.

Die Sade’sche Sexualität des pseudoliberalen modern liberal… (vgl. Der politische Irrationalismus aus Sicht der Orgonomie).

2004 ist der Roman Der Augenblick der Liebe von Martin Walser erschienen. Im Spiegel (30/04) wurde die zentrale Stelle hervorgehoben: in einer Rede über LaMettrie spricht der Romanheld, ein LaMettrie-Experte, davon, diesem sei es darum gegangen, „die menschliche Gattung von Schuldgefühlen zu befreien“. Walser lasse, so der Spiegel, seinen Redner „regelrecht ins Schwärmen geraten“. Der sagt:

Ein Frühlingsausbruch sondergleichen. Genuß als Denkbedingung. Lust als Seinserfahrung. Und Glück als Sinn des Daseins.

Und als Fazit:

Eben diese erfahrungsgesättigte Kenntlichkeit, diese immer aus dem eigenen Leben stammende Stilistik hat ihn [LaMettrie] in Verruf gebracht.

LaMettrie habe geradezu davon gelebt, „das öffentlich zu bezeugen, was bisher jeder ausgeklammert hat“.

Man vergleiche Bernd Laskas Website https://www.lsr-projekt.de/ oder Max Stirner und die Kinder der Zukunft mit folgender Stelle aus Jauchs wirr-„intellektueller“, will sagen postmoderner Habilitationsschrift über LaMettrie (Jenseits der Maschine, München 1998, S. 555), in der der zentrale LSR-Punkt bei LaMettrie abgehandelt wird:

Die entwicklungspsychologisch freilich undifferenzierte Forderung, künftig in der Erziehung darauf zu achten, daß die Gewissensbisse nicht mehr weiter zum Lehrstoff gehören – „den Menschen von den Gewissensbissen befreien“ (DB 153) –, stammt aus LaMettries ureigenster Erfahrung mit der religiösen Zerknirschung. Sei es im Jansenismus, sei es im Protestantismus, sei es [im Katholizismus].

Der zentrale Punkt wird von Jauch bis zur Unkenntlichkeit zerredet, inhaltlich und dann „biographisch“ relativiert: LaMettrie übertreibe etwas, aus eigener Betroffenheit (wie bei Nietzsches Leiden am Christentum), man darf es nicht verallgemeinern; dann das denkbar unpassende Bild „Gewissensbisse als Lehrstoff“…

Dieses ziellose „Denken“ von „Intellektuellen“ wie Jauch ist Ausfluß ständiger Nichtbefriedigung.

Das Denken der „Intellektuellen“ weltweit gruppiert sich weitgehend um die beiden Antipoden Marx und Nietzsche oder um eine Vereinigung der beiden, wie sie etwa vom russischen Bolschewismus, italienischen Faschismus und den französischen Wirrköpfen im Umfeld von Foucault, Deleuze und Derrida vorexerziert wurde. Heimlich goutieren sie sich an den Vernichtungsphantasien von Marx und Nietzsche, der die Ausmerzung der „Mißratenen“ propagierte, den „Mord aus höchster Liebe zu den Menschen“; „heilig“ sei man, wenn man „Räuber und grausam“ ist und aus der „Härte“ seine Tugend und seinen Gott mache.

Es läßt sich zeigen, daß Marx und Nietzsche ihre Gedankengebäude als Abwehrreaktion auf das anthropologische Konzept Max Stirners entworfen haben.

In Der verdrängte Nietzsche habe ich erläutert, inwiefern Stirners „Einziger“ im Zentrum der Philosophie Nietzsches steht – der „ewigen Wiederkehr des Gleichen“. Man vergegenwärtige sich nur, wie Nietzsche in raunendem Ton, voller Angst und Panik von dieser „alles zermalmenden Idee“ spricht und vergleiche das mit seiner Notiz aus der Zeit seiner „initialen Krise“ 1865:

Was ich fürchte, ist nicht die schreckliche Gestalt hinter meinem Stuhle, sondern ihre Stimme: auch nicht die Worte, sondern der schauderhaft unartikulierte und unmenschliche Ton jener Gestalt. Ja, wenn sie noch redete, wie Menschen reden!

Eine Notiz, die, wie Bernd Laska in seinem Aufsatz Nietzsches initiale Krise überzeugend argumentiert, von dem „Dämon“ Stirner handelt.

Marx hat einen dicken Wälzer geschrieben, um Stirner zu widerlegen: Die deutsche Ideologie. Wer sich die Mühe gibt, dieses dann doch unveröffentlicht gebliebene Konvolut zu lesen, wird sehen, daß der Marxismus aus einer barock ausufernden Rezension von Stirners Der Einzige und sein Eigentum hervorgegangen ist. Siehe dazu Bernd Laskas Aufsatz über Marx und die Marxforschung.

Die tugendhafte Lust in der Biologie

15. November 2024

LaMettrie war Arzt und entsprechend sind seine ersten philosophischen Schriften Naturgeschichte der Seele und Der Mensch als Maschine plus Der Mensch als Pflanze von der Physiologie geprägt. Hier führte er eine „Proto-Evolutionstheorie“ aus. Die Krux an seinem Maschinen-Bild ist die Kontinuität, die er zwischen Mensch und allen anderen Naturerscheinungen herstellt, bzw. wie er sie herstellt, es geht nämlich in beide Richtungen: der Mensch ist „auch nur eine Maschine“, aber umgekehrt kann die Maschine nur vom Menschen und seinem „Innenleben“ her verstanden werden, d.h. die Materie hat intrinsisch bereits „seelische“ Eigenschaften, die schließlich im Menschen, bedingt durch dessen Komplexitätsstufe, voll zutage treten. Das Bindeglied, das diese Konstruktion zusammenhielt, sollte schließlich der erste wirkliche Evolutionstheoretiker, Jean-Baptiste de Lamarck, finden. Dabei ist bemerkenswert, daß genauso wie LaMettrie im Zwischenbereich zwischen Physiologie, Psychologie und Soziologie mit seiner „tugendhaften Lust“ Reichs Orgasmustheorie vorwegnahm, Lamarck ein halbes Jahrhundert später das gleiche leistete in der erst von ihm von der Physiologie separierten Wissenschaft Biologie.

Aus Lamarcks Aussage, die Arten wären aus einem „inneren Bedürfnis“ (das er mit Aristoteles „Entelechie“ nennt) nach Weiterentwicklung entstanden, sollte Henri Bergson den Begriff „élan vital“ bilden, der Reich den Weg zur Entdeckung der Orgonenergie wies.

Es muß jeden Leser befremden, wenn er bei Reich liest, der Orgasmus sei das Grundphänomen des Lebens und daß die biologische Forschung und ganz allgemein die Wissenschaft nicht vorankomme, solange die Gesellschaft es unterlasse, diese Grundfunktion bei ihren Mitgliedern zu schützen und zu fördern. Dieses Befremden kommt nicht etwa daher, weil diese Aussage an sich befremdlich wäre. Ganz im Gegenteil, die Wissenschaft und das allgemeine Bewußtsein der Menschen in den letzten 200 Jahren hat eine denkbar befremdliche, leben(digkeit)sferne Richtung eingeschlagen.

In seiner 1809 erschienenen Zoologischen Philosophie hat Lamarck ausgeführt, der Orgasmus sei das „allgemeine Phänomen, von dem das Leben abhängt“. [Ich verdanke diesen Hinweis den entsprechenden Ausführungen des Kulturwissenschaftlers Peter Berz („Die andere Biologie des Wilhelm Reich“, In: Johler 2008, S. 109f).] Lamarck spricht in seinem Buch von „wirkenden und ausdehnenden Fluida, die die erregende Ursache der Lebensbewegungen bilden“. Sie dringen, so Lamarck, von außen in den Körper ein und werden wieder „ausgedünstet“ (Johler 2008, S. 55). In diesem Zusammenhang führt er den Begriff „Orgasmus“ ein. Dabei sei jedoch nicht „von dem besonderen Affekt, den man Orgasmus nennt“, die Rede, sondern von dem „eigenartigen Spannungszustand“ der Organe und Organsysteme, „der ihnen die Fähigkeit gibt, zu erschlaffen und sogleich zu reagieren, wenn sie irgendeinen Eindruck erhalten“ (Johler 2008, S. 56). Und weiter: „Der Orgasmus der bildsamen und inneren Teile der Tiere trägt mehr oder weniger zur Erzeugung der organischen Erscheinungen dieser lebenden Organismen bei; er wird hier durch ein (vielleicht auch mehrere) unsichtbares, ausdehnendes und durchdringendes Fluidum unterhalten, das mit einer gewissen Langsamkeit die Teile durchdringt und in ihnen die Spannung oder […] Erethismus [Erregbarkeit] hervorbringt […]“ (Johler 2008, S. 56).

Berz führt aus:

Vor ihm habe man, so Lamarck, „Sensibilität“ und „Reizbarkeit“ allen Organismen zugesprochen. Dann sei die Unterscheidung zwischen einer Sensibilität für Sinneseindrücke, die von einem eigenen Organ, dem Nervensystem, abhängt, und einer Sensibilität ohne Nervensystem eingeführt worden. Sie ist es, die Lamarck neu denkt und Orgasmus nennt. Aufs Ganze des Tierreichs gesehen ist nämlich die Existenz des Nervensystems, also eines Organs mit „Beziehungsmittelpunkt“, nach Lamarck eine äußerst seltene Erscheinung. Verstreute Reizbarkeit dagegen beobachtet man überall, schon „bei den einfachsten tierischen Organismen“. Damit Reizbarkeit bei ihnen sein kann, muß es Orgasmus geben. Plötzliches Zusammenziehen bei Reizung hat ein rasches „Ausströmen des unsichtbaren Fluidums“ an der gereizten Stelle zur Folge, während über die benachbarten Stellen ein „vorübergehendes Zittern“ geht; dann dehnt ein neues Quantum Fluidum die Teile aus: der Organismus wird wieder reizbar. Da sich die Pflanzen nur ganz langsam ausdehnen und zusammenziehen, sie weder reizbar noch sensibel sind, haben sie auch nur einen „dunklen Orgasmus“. Bei den Tieren dagegen, die durch Lungen atmen, ist der Orgasmus sehr stark. Schon das „abwechselnde Ausdehnung und Zusammenziehen“ der Höhle, die ihr Atmungsorgan enthält, zeugt von dieser Stärke. (Johler, S. 110)

Wirklich in jeder Beziehung vermeint man Reich zu lesen! Die tugendhafte Lust entspricht den kosmischen Formgesetzen, für die die konventionelle Biologie blind ist.

Humana conditio ex orgonomico prospectu: Stichwort „Ironie” und folgende

22. Oktober 2024

Humana conditio ex orgonomico prospectu: Stichwort „Ironie“ und folgende

LaMettrie, der „Wilhelm Reich des 18. Jahrhunderts“ – oder warum für jeden Studenten der Orgonomie Christian Fernandes unbedingte PFLICHTLEKTÜRE ist

21. Oktober 2024

Priorität beanspruchte LaMettrie ausschließlich für seine Lehre von den Schuldgefühlen, „und da kein Philosoph zu diesem Thema etwas beigetragen hat, kann mir diesen bescheidenen Erfinderruhm auch keiner nehmen“ (Anti-Seneca, S. 11). Wie Bernd A. Laska ausgeführt hat, entspricht das exakt dem von Freud geprägten Begriff „Über-Ich“ und weiter Reichs Entdeckung der charakterlichen und biophysiologischen „Panzerung“. Das wird dadurch noch bemerkenswerter, daß im Abstand von zwei Jahrhunderten bei beiden dieses Element ihrer jeweiligen Anthropologie unlösbar mit einer „Orgasmustheorie“ verbunden war.

Die erst von Christian Fernandes ins Gespräch gebrachte „These Jacques“ in der Version LaMettries (ab 1746) ist in der Tat eine Orgasmustheorie! Die 1722 von dem Medizin-Professor Gabriele-Antonio Jacques vorgebrachte medizinische Dissertation Ob aus dem Mangel des Beischlafs Krankheiten entstehen (die im krassen Gegensatz zu heute der zu prüfende Student verteidigen mußte!) dreht sich vor allem um die „Säfte“ („Humoralpathologie“), die durch regelmäßigen Geschlechtsverkehr umgeschichtet werden müssen, um keinen körperlichen und psychischen Schaden anzurichten, wozu Eifersucht, Neid, Ungeselligkeit, Gehässigkeit, Rachsucht, Mitleidslosigkeit, Lästereien etc. zählen. Umgekehrt erhält regelmäßiger Geschlechtsverkehr körperlich gesund und fördert in jeder Hinsicht „tugendhaftes“ Verhalten, nicht nur wegen der Entspannung, sondern auch, weil der Geschlechtsakt das Urbild der Gemeinschaft ist: ich kann nur glücklich sein, wenn mein Partner glücklich ist. Fernandes:

Aufgrund des kausalen Zusammenhangs von Sexualität und Tugend sagt Jacques zu Beginn auch, der Geschlechtsverkehr sei „der Gemeinschaft verlockendes Band“. La Mettrie muß fasziniert gewesen sein von dieser neuen Sichtweise auf die Sexualität als Grundlage von Moral und Gesellschaft. (S. 20)

In wenigen Sätzen haben wir hier die Orgasmustheorie mit ihren medizinischen, psychologischen und soziologischen Aspekten sowie das fundamentale Gegensatzpaar von Emotioneller Pest (Eifersucht, Neid, Ungeselligkeit, Gehässigkeit, Rachsucht, Mitleidslosigkeit, Lästereien etc.) und Arbeitsdemokratie vor uns. Zu letzterer zitiere ich wieder Fernandes:

In La Mettries „tugendhafter Lust“ (…) ziehe ich den Nutzen direkt aus dem Glück des anderen (…). Mein Glück hängt unmittelbar von seinem ab. Diese Anthropologie der Mitfreude gründet er auf das Phänomen der sexuellen Lust als „Glück, das sich verdoppelt, indem es sich teilt“, bzw. wichtigstes Instrument der Natur, „um uns glücklich zu machen, indem sie das Objekt glücklich macht, das sich das Glück mit uns teilt“. Die sexuelle „jouissance mutuelle“ [gegenseitiger Genuß] ist aus seiner Sicht verallgemeinerungsfähig und Prinzip der für mich und [für] alle optimalen gesellschaftlichen Ordnung: „Hätte sich die Natur ein köstlicheres Band ausdenken können, um die Gesellschaft zu bilden?“

Auf die erstaunliche Parallelität, die sich bei LaMettrie zur Charakteranalyse findet, werde ich morgen im Zusammenhang mit dem Stichwort „Ironie“ eingehen!

Der Rest, nämlich eine praktisch komplette Vorwegnahme der Sexualökonomie ergibt sich fast von selbst:

Zunächst ist da die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Trieben. In den Worten Fernandes‘: „Wird“, LaMettrie zufolge, „die Lust über das gesunde Maß hinaus eingeschränkt, geht zusammen mit ihr auch die Tugendfähigkeit verloren und es entstehen lasterhafte Charakterzüge.“ Dabei wird aus „Wohl-Lust“, um ein Wort zu verwenden, das Laska in diesem Zusammenhang geprägt hat, „Wüst-Lust“ (S. 86).

Dies geht einher mit der Unterscheidung zwischen eigentlicher, natürlicher Moral und der Zwangsmoral. Fernandes erläutert LaMettries Sichtweise wie folgt: „Die ‚erfundene‘, ‚religiöse‘, ‚gebieterisch befehlende‘ Moral der Kultur erzeugt antisoziale Neigungen, die vorher gar nicht vorhanden waren, die ‚Moral der Natur‘ hegt und pflegt die natürlichen Neigungen, die bereits sozial orientiert sind.“ Fernandes hebt dabei wiederholt hervor, daß „La Mettrie zufolge [die] lustfeindliche Moral das asoziale Verhalten allererst erzeugt, das sie dann zwar unterdrücken soll, aber häufig nicht mehr unterdrücken kann“ (S. 89).

All das hat, wie beim Arzt Wilhelm Reich Ende der 1920er Jahre, auch bei seinem Kollegen LaMettrie politische Konsequenzen, denn dieser „definiert Gesundheit im klinischen Sinne und [sie] ist [für ihn] zugleich Prinzip einer qualitativ besseren Gesellschaft“ (S. 144). Fernandes führt näher aus:

Wenn der medizinische Ansatz so universell ist, daß er auch Sittlichkeit und Vernunftfähigkeit umfaßt, liegt es nahe, sich als Arzt in die Politik einzumischen. Basiert die soziale Ordnung auf der Tugendhaftigkeit der Einzelnen und hängt diese von der Fähigkeit zur „Empfindung der Wollust“ ab, welche durch die soziale Umwelt stark beeinträchtigt wird, so ergibt sich daraus eine konsequente politische Forderung. (…) Einen gewaltsamen Umsturz der Verhältnisse kann La Mettrie aufgrund seiner tiefenpsychologischen Einsichten nicht gemeint haben. Denn eine nach Maßgabe der „tugendhaften Lust“ qualitativ andere Gesellschaft ist nur möglich, wenn die massenhaft manipulierte psychophysische Struktur der Individuen sich ändert. Daher hatte er zuallererst eine Revolution der Pädagogik im Auge, einen Verzicht auf die traditionelle Form der Enkulturation, die in einem „irrationalen Über-Ich“ (Laska) resultiert. (S. 68)

Wir sind beim krönenden Abschluß von Reichs sozialem Engagement, dem Konzept „Kinder der Zukunft“ angelangt. Bei La Mettrie 1746… Fernandes referiert:

Junge und Mädchen werden hier gedanklich in den Naturzustand versetzt. „Allein“, „ohne Erziehung“ würden sie nur der „zärtlichen Neigung der Natur“ folgen, der Lust, „die eine Tugend ist“. Außerhalb des Naturzustandes, unter sozialem Einfluß hätten sie „Vorurteile“ und „Schuldgefühle“, könnten darum dieser tugendhaften Lust nicht uneingeschränkt folgen, was zum Bösewerden ihrer Neigungen führte. Warum? Weil die „Seele“ der „jungen Herzen“ nur deswegen „rein“ ist, weil sie noch nicht von „Reue vergiftet“ wurde. Reue, die auf gesellschaftlich bedingte Vorurteile und Schuldgefühle zurückgeht, macht die Herzen „unrein und verdorben“, also böse, indem sie ihnen die „Freude“ nimmt. Im Naturzustand hingegen würden sie ein glückliches Liebesverhältnis miteinander eingehen. (…)* Sie lebten „glücklich“ unter den „Gesetzen der Natur“. Diese „glücklichen Kinder“ rief La Mettrie zu Beginn der École de la volupté [1746] an. Von ihnen als Inbegriff der „tugendhaften Lust“ wollte er sich bei der Abfassung des Werks inspirieren lassen. (S. 26f)

Das ist der Kern von LaMettries „Wollustschriften“. Im dazu komplementären Anti-Seneca (1748) hingegen „geht es um die Bekämpfung der repressiven Moral der Kultur, die in der frühkindlichen Erziehung verinnerlicht wird und sich auch später beim Erwachsenen auswirkt, nämlich in unnötigen Schuldgefühlen, die ihm das Leben vergällen“ (S. 88). Ich verweise zurück auf den Anfang dieses Blogeintrags.

* Nachbemerkung: Die mit einem Stern gekennzeichnete Streichung betrifft folgenden Satz, der LaMettries Lehre getreu widergibt: „Sind sie blutsverwandt, so käme das ihrer Liebe sogar zugute. Das soziale Tabu der Geschwisterliebe spielte für sie keine Rolle.“ Siehe dazu den gestrigen Blogeintrag unter den Stichworten „Inzest“ und „Inzucht“!

Der neue Prometheus: Christian Fernandes‘ LA METTRIES „TUGENDHAFTE LUST“ – und Mary Shelleys FRANKENSTEIN

14. Oktober 2024

Das große Verdienst von Christian Fernandes ist es, mit seiner bahnbrechenden philosophiegeschichtlichen Studie über die „tugendhafte Lust“ die Orgasmustheorie, Charakteranalyse („Lehre von der Schuldgefühlen“) = Sexualökonomie = Orgonomie neu begründet zu haben, ohne auf Wilhelm Reich rekurrieren zu müssen, der zum Glück (sic!) nur am Rande erwähnt wird, LaMettrie reicht dazu nämlich vollkommen aus. Hier ein beliebiges Zitat aus Fernandes‘ Doktorarbeit:

In einer atheistischen Gesellschaft wären die Sterblichen „ruhig“. „Tranquilles“ bedeutet im Kontext friedlich, frei von der durch Religion kriegerisch gewordenen Natur. Die Religion nimmt im Homme machine genau die Stelle ein, die ein Jahr später im Discours sur le bonheur den Schuldgefühlen zukommt. Die „ruhige und tugendhafte Lust“ der idealen Gesellschaft dort entspricht der Ruhe der Sterblichen in der atheistischen Gesellschaft hier. Sie verhalten sich nicht bösartig, sondern ruhig, friedlich, tugendhaft, weil sie ohne den negativen Einfluß der Religion nur den „spontanen Ratschlägen ihres eigenen Ichs“, ihrer unverfälschten, reinen Natur, den angeborenen Triebfedern, ihrer per se tugendhaften Lust folgen. Für „jede andere Stimme“ sind sie „taub“. Da die Verunreinigung, die Infizierung der Natur durch Einflüsterung „anderer Stimmen“ der Ursprung des Bösen ist, sind sie immun dagegen, eine Neigung zum Bösen zu entwickeln. Anderen zu schaden, kommt für sie nicht infrage. Die von La Mettrie gemeinte Strafe, die auf die Mißachtung jener Ratschläge der Natur folgt, sind persönliches Leid, aber auch ein gesteigertes Aggressionspotential und das schreckliche gesamtgesellschaftliche Unglück, das daraus entsteht.

Daß die Tugend der Weg zum Glück sei, könnte als Gemeinplatz mißverstanden werden. Das Spezifikum La Mettries, die Parallele zur „Moral der Natur“ des Discours préliminaire verbirgt sich in der Aussage, daß diese „Pfade der Tugend“ selbst bereits „angenehm“ sind. Der Weg zum Glück führt also über das Glück selbst, über das dem natürlichen Luststreben Angenehme, nicht über Entsagung, Opfer, Unterdrückung des Eigenwillens. Das Angenehme, das Glück ist mit der Tugend verknüpft. Die Lust selbst ist tugendhaft und begründet das Wohlergehen des Einzelnen sowie der Gesellschaft, weil die Natur des Menschen so beschaffen ist, daß die eigene Lust von der des anderen abhängt und sie daher aus eigenem Antrieb befördert. Darin besteht „das natürliche Gesetz“ der Moral. Wird ihm gemäß erzogen, entsteht der „rechtschaffene Mensch“, auf den man sich verlassen, dem man vertrauen kann. (S. 23f)

Dieses Buch sollte Pflichtlektüre jedes „Reichianers“ sein, denn allzuleicht wird die Beschäftigung mit Reich zur Routine, nur bloßen intellektuelle Geste und zur Gebetsmühle, die ständig „orgonomisch korrektes“ Zeugs absondert. Mit Fernandes‘ nach 300 Jahren erstmaliger Freilegung des Kerns der LaMettrie’schen Philosophie, wurde uns die Chance eines Innewerdens unseres Eigensten möglich gemacht und damit die Chance eines Neuanfangs geboten, sozusagen „Orgonomie ohne Wilhelm Reich“.

Die Ehre LaMettrie (zusammen mit Max Stirner) für die Orgonomie entdeckt zu haben, kommt natürlich Bernd A. Laska zu, doch das beschränkte sich auf die Lehre von den schädlichen Schuldgefühlen = Charakteranalyse = Panzerung = Über-Ich. Daß dies bei LaMettrie (genauso wie bei Wilhelm Reich) mit der Lehre von der tugendhaften Lust = Orgasmustheorie = Sexualökonomie untrennbar verbunden ist, hat (nach ersten Andeutungen bei Laska) erst Fernandes im vollen Umfang gezeigt.

LaMettrie war der „Wilhelm Reich des 18. Jahrhunderts“ und wurde deshalb mit aller Wahrscheinlichkeit auch ermordet. Beide sahen sich jeweils als „neuer Prometheus“, der die Flamme der Wollust bringt und damit gleichzeitig die Zivilisation begründet. Bisher herrscht die bloße Barbarei!

DANKE Bernd A. Laska! DANKE Christian Fernandes! Wenn jetzt noch jemand eine Brücke von LaMettrie nach, keine Ahnung, Luigi Galvanis „animalischer Elektrizität“ oder Franz Anton Mesmers „animalischem Magnetismus“ = Orgonenergie schlägt…

Man erlaube mir dazu einen Anhang, denn mir fällt dazu folgendes ein:

Victor Frankenstein war in Mary Shelleys Roman „der neue Prometheus“ – der so, praktisch in der gleichen Funktion, in La Mettries Der Mensch als Maschine (Laskas Ausgabe, S. 83) auftritt. Seine Maschine bzw. sein „Monster“ wurde durch eine „atmosphärische Lebenskraft“ ins Leben gerufen, zu der Shelley von Galvanis Experimenten und der Praxis des Mesmerismus inspiriert worden war – kurioserweise auch durch die Arbeit von Mesmers Nemesis, Benjamin Franklin, mit Gewitterblitzen. Und drittens: ihr Roman dreht sich, vor dem Hintergrund der Geschichte der Aufklärung seit LaMettrie und der durch Rousseau initiierten Romantik um die tugendhafte Lust bzw. deren Negation.

Was ich meine wird zunächst hier deutlich:

Der Entstehungszeitraum von Mary Shelleys Frankenstein fällt in eine (…) Phase hoher technischer, medizinischer und allgemein naturwissenschaftlicher Fortschrittsdynamik. L’Homme machine des französischen Arztes und Philosophen Julien Offray de La Mettrie scheint ebenso die Zeit zu prägen und die Idee eines Maschinen-Menschen zu beflügeln wie die Erfindung der Elektrizität und die Versuche mit der solchen von Luigi Galvani (Galvanismus).

Und zusätzlich durch folgendes Abstract:

Beeinflußt von Philosophen der Aufklärung wie Rousseau und Smith, feiern romantische Schriftsteller wie Coleridge und Percy Shelley die erhabene Kraft der sympathischen Liebe, die das Selbst und den anderen (sei er menschlich oder unmenschlich) zu einem wundersamen Ganzen verschmelzen läßt und damit die Gefahren der Einsamkeit und des Solipsismus ausschließt. Nicht alle romantischen Schriftsteller teilen jedoch die gleiche sanguinische Sicht der Liebe. In Frankenstein zum Beispiel bietet Mary Shelley eine Alternative zur optimistischen Sichtweise auf die Fähigkeit zur (gegenseitigen) Sympathie. Sie formt den Roman zu einer Geschichte bitterer Einsamkeit, die durch den Mangel an sympathischem Verständnis zwischen Victor und der Natur, zwischen dem Monster und den De Laceys und zwischen dem Monster und seinem Vater Victor verursacht wird. In diesen wechselseitigen Beziehungen, so meine These, beschwört Shelley Elemente der aufklärerisch-romantischen Liebe herauf, nur um deren erhabene Kraft zu widerrufen und sie darüber hinaus in Verzweiflung zu verwandeln. Anstelle der romantischen Freude der transzendenten Fülle ist der Roman von gothic Verzweiflung, der völligen Negation der Erlösung, umhüllt.

Da das Monster nicht liebenswert ist, sich aber nach Liebe sehnt, rastet es aus und wird zum – Monster. „Das Wesen, das [Frankenstein] erschafft, trägt die ganze menschliche Natur in sich. Es verlangt nach Liebe, ist aber physisch nicht liebenswert, und Dr. Frankenstein verweigert ihm jede Möglichkeit der Liebe. Im Gegenzug und aus freiem Willen entscheidet es sich, die Liebesbeziehungen anderer zu zerstören“ (hier). Es ist bezeichnend, wie sehr Mary Shelleys abgründiger Horrorroman über einen „LaMettrie“ (gleichzeitig auch „Anti-LaMettrie“) und die tugendhafte Lust (bzw. die dramatischen Folgenden unterdrückter Lust) seit 200 Jahren die Menschen absolut unwiderstehlich in seinen Bann zieht…

Der Roman ist eine Erzählung über den Maschinenmenschen mit einer „romantischen“ Wendung („Lebenskraft“), über das Schuldgefühl (das Victor zerfrißt und von dem sein namenloses „Monster“ vollkommen frei ist – mit verheerenden Folgen) und nicht zuletzt eine über die „aufklärerisch-romantische Liebe“, die auf LaMettries „tugendhafte Lust“ zurückgeht und die verheerenden Folgen, wenn das Liebesbedürfnis zerstört wird. Victor liebt seinen künstlichen „Sohn“ nicht und tötet dessen künstliche Gefährtin sofort nach deren Erschaffung. Vielleicht lese ich zuviel hinein, aber zu diesem Thema paßt auch etwas, das für einen LaMettrie-Kenner kein Zufall sein kann: daß Victor Frankensteins Romanze mit Elizabeth Lavenza (die aus Rache vom „Monster“ getötet wird), jedenfalls in der ursprünglichen, unveränderten Originalversion des Romans von 1818, inzestuöse Geschwisterliebe war.

Besprechung der Anthologie DAS LSR-PROJEKT

9. August 2024

Das neue Laska-Buch ist da!

Irgendwie fehlt das „Abstract“ zum LSR-Projekt. Man weiß nicht recht, worauf man sich einläßt und worauf man achten soll. Das scheint mir generell das Problem zu sein, wenn man „so allein vor sich hin tüftelt“: daß man sozusagen sich die Sahnestücke für zuletzt aufbewahren will – es fehlt der heilsame Zwang die Zusammenfassung an den Anfang der Arbeit zu stellen. Der Autor sitzt zuhause und reibt sich genüßlich die Hände bei der Vorstellung, wie der Leser jene Landschaft durchschreitet und in sich organisch aufnimmt, die der Autor für ihn geschaffen hat, um ihn zu ganz bestimmten Ausblicken zu führen. Und wie fühlt sich der Leser? WENN er überhaupt angefangen hat, das unbeschilderte Land zu betreten, d.h. zu lesen, fühlt er sich als würde er durch ein sinnlosen finsteren Irrgarten stolpern, wobei er sich ständig fragt: „Was mach ich hier eigentlich? – und was soll das ganze überhaupt?“

Also: zuerst die Resultate präsentieren! Auch wenn es weh tut: „Perlen vor die Säue werfen!“, „Jetzt verpufft meine hart erarbeitete Wahrheit!“ Die gleich am Anfang präsentierten Früchte kann der Leser wohl nicht würdigen, vielleicht nicht mal verstehen, aber er weiß, worauf er bei der Lektüre achten soll. Zumindest sollte man erklären, was man mit ihm vorhat.

Ein solches „Abstract“ liegt nun mit dem von dem Würzburger Philosophen Dr. Christian Fernandes herausgegebenen Laska-Anthologie Das LSR-Projekt vor.

Man erlaube mir einen eigenen kleinen Versuch:

Begriffe wie „Selbstsucht“, „Egoismus“, „Eigensinnigkeit“, „Sichgehenlassen“ haben zu recht einen denkbar schlechten Leumund. Gleichzeitig erweist sich jedem denkenden und historisch versierten Menschen „die Gesellschaft“, an die man sich anpassen soll, um nicht „selbstsüchtig“, „rücksichtslos“ etc. zu sein, als denkbar „irrational“, im Sinne von destruktiv, verblendet und dem sicheren Untergang geweiht. Jeder Mensch, der in dieser Gesellschaft aufwächst und durch sie „enkulturiert“ wird, verinnerlicht vom Tage seiner Geburt an diese Irrationalität, so daß seine vermeintliche „Eigensinnigkeit“ schließlich nur Ausdruck dieser Irrationalität sein kann. Die Irrationalität wird dadurch verdoppelt, daß die als „Über-Ich“ verinnerlichten gesellschaftlichen Gebote, das bekämpfen sollen, was es ohne sie gar nicht gäbe. Genau das bezeichnet Bernd A. Laska als „irrationales Über-Ich“. Potenziert wird diese Irrationalität dadurch, daß durch die Bildung des „irrationalen Über-Ich“ die Selbstregulierung jedes Einzelnen durch ein „rationales Über-Ich“ (schlichtweg Rücksicht auf andere gemäß der im ungestörten Sozialverkehr jedem sich von selbst evident werdenden Goldenen Regel) unmöglich gemacht wird.

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 147)

6. August 2024

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

So gut wie alles, was seit 1845 über Max Stirner geschrieben wurde, also über sein Buch Der Einzige und sein Eigentum, ist für die Tonne. Allgemein ist es einfach nur abstoßend, wie sich irgendwelche Sonderlinge in ihrer „Einzigkeit“ wälzen, einem radikalen Nominalismus frönen, über „das Nichts“ meditieren und sich an ihrer eigenen Bilderstürmerei berauschen. All die Bibliotheken die seit fast 200 Jahre mit diesem Zeugs gefüllt wurden, sind allenfalls zu einem einzigen gut: das dingfest zu machen, dem nicht nur alle ausgewichen sind, sondern das durch diese Papierflut auch auf ewig unerreichbar begraben werden sollte.

Was ist am Grunde des Berges, im Zentrum, weit unten unter dem Gipfel des Papierhaufens, sozusagen die geheime Grabkammer des Pharaos? Es ist der Kern von Stirners Nominalismus. Sein „Nominalismus“ bedeutet, daß es keine „abstrakten Objekte“ gibt, d.h. Begriffe bloße Werkzeuge sind, unsere Werkzeuge – und keinerlei Macht über uns haben sollten. In der amerikanischen Fassung der Massenpsychologie des Faschismus hat Reich ein ganzes Kapitel darüber geschrieben: darüber wie aus unseren Werkzeugen unsere Herrscher wurden. Letztendlich geht es um die Panzerung, deren psychischer Aspekt das Über-Ich ist.

Es geht darum, daß wir uns nicht mittels eines bloßen Willensaktes aus dieser imgrunde lächerlichen Sklaverei befreien können, sondern „nur“ darum, (1.) uns unserer Situation bewußt zu werden und (2.) entsprechend ZU HANDELN, was vor allem heißt, jede Generation so aufwachsen zu lassen, daß sie wirklich „eigener“ sind als die jeweils vorausgehende Generation. Es geht um ein Reha-Programm nach 6000 Jahren in einem psychiatrischen Horrorhospital.

Stirner bedeutet eben nicht, daß, frei nach Hume, die Seele keine Substanz hat, d.h. nur Oberfläche ist, oder ähnlich wie bei Nietzsche alles nur wesenlose Worte und Handlungen sind („Alles ist nur Maske und nichts außerdem!“), wir also wie bei einer CSD-Umzug unsere geschlechtliche Identität frei wählen können, sondern Stirner verweist auf eine Realität hinter dem Virtuellen: die Maske verweist auf einen Maskenträger. Mit anderen Worten: die Wirklichkeit ist nicht so wie sie nun mal halt ist, Nietzsches „Amor fati!“, sondern es herrscht der Große Verdacht, daß zwar alles falsch ist, sich aber hinter der Lüge eine Wahrheit verbirgt.

Das erinnert etwas an Marx‘ Wert- und Fetisch-Theorie: die Preise fluktuieren zwar, aber das ist nicht die wirkliche Wirklichkeit, denn sie hängen mit wenig flexiblen sozusagen „Gummibändern“ vom Wert ab, entsprechend leben die Menschen nicht unbekümmert in einer schönen Warenwelt, sondern waten tatsächlich durch das Blut der den Arbeitern abgepreßten Lebenszeit, die den Wert der Waren bestimmt. Das entspricht ziemlich genau Stirners „Gespinsten“, die die Menschen davon abhalten, die wirkliche Wirklichkeit zu sehen. Bei Nietzsche gibt es keine wirkliche Wirklichkeit, sondern nur die Aktualität, nur Oberfläche, nur „Willen zur Macht“ (das eben kein metaphysisches Konzept ist!). Das zu erkennen, ist der „Große Mittag“: du erkennst, daß alles so ist, wie es ist (Amor fati) und ewig so wiederkehren wird, weil es nichts weiter gibt als das Puzzle der Wirklichkeit, das wie eine Uhr mit Notwenigkeit immer zur gleichen Konstellation zurückkehren muß. Bei Nietzsche ist der Einzige damit nicht „unerschöpflich“ wie Gott, sondern identisch mit der Welt.

Marx hat Stirner „überwunden“, indem er alles auf Ökonomie reduzierte und Stirner als „Fetischisten“ entlarvte, während Nietzsche Stirner (und Marx) „überwandt“, indem er aus Stirners „Alles was man von Gott sagt, trifft auf mich zu!“ das „Gott“ strich. Es gibt keinen „Einzigen“ und er kann kein „Eigentum“ haben, da alles eins ist.

Im krassen Gegensatz zu Nietzsche war Laska zeitlebens ein Revolutionär, der die Wirklichkeit, „wie sie nun mal aktuell ist“, bis aufs Blut haßte. Das einzige, was er als authentisch (sozusagen als „nichtvirtuell“) anerkannte, war die Natur (inklusive noch über-ich-freie Kinder) und „theoriefreie“ Technik, wie sie sich einem Ingenieur darstellt. Marxist konnte er nicht sein, weil die Werttheorie letztendlich Metaphysik ist (kaum mehr als Aristoteles und Thomas von Aquin!) und Nietzscheaner konnte er nicht sein, weil er die Menschenwelt nicht als unwandelbare „Natur“ akzeptierte.

Problem ist, daß Laska diese meine Ausführungen nie und nimmer unterschrieben hätte, weil er immer „Mißverständnisse“ vermeiden wollte. Deshalb sein Rückzug auf die Darstellung der Rezeptionsgeschichte, sozusagen auf eine Aktualität, die sich selbst transzendiert, weil ihre inneren Widersprüche so evident sind. – Aber wer läßt sich darauf wirklich ein? Laskas Funde werden zur Kenntnis genommen und dann, wie etwa bei Ursula Pia Jauch (LaMettrie) oder Rüdiger Safranski (Nietzsche), in irgendwelche Theoriekonstruktionen verwurstet. Stirnerianer nehmen sie zur Kenntnis und machen dann unbekümmert weiter mit ihrem bizarren Stirner-Kult, der (genau wie der Mohammed-Kult im Islam) nur ihre eigenen Perversionen, Idiosynkrasien und Beschränktheiten ideologisch untermauern soll.