Posts Tagged ‘Marx’

Email [Hegel] (2003)

6. Mai 2024

Email [Hegel] (2003)

Peter liest die Laska/Schmitz-Korrespondenz (Das Ende)

3. Mai 2024

Das Versinken der gesamten europäischen Kultur „folgt“, so Laska, „der Agenda, die Thilo Sarrazin mit der Formel ‚Deutschland schafft sich ab‘ prägnant erfaßt hat (…). Ich [Laska] sehe den tieferen Grund dafür in der von mir fokussierten Selbstsabotage der Aufklärung (indem Marx und Nietzsche über Stirner triumphierten, zuvor Rousseau über La Mettrie); der Grund für diese [Selbstsabotage] allerdings bleibt mir ein Rätsel“ (S. 482f).

Nun, man muß es nur („L – S – R“) durch Freuds, Marcuses, Fromms, Adornos Triumph über Reich ergänzen. Wie hat Reich den „Todestrieb“ erklärt? Immerhin hat Freud den entsprechenden Artikel zum Anlaß genommen, Reich aus der Psychoanalyse und damit aus der Geistesgeschichte zu verbannen! Der Masochist (als Extremform des gepanzerten Menschen) nimmt lieber die vergleichsweise kleineren Schmerzen hin, provoziert sogar deren Zufügung, nur um der einen großen Gefahr zu entgehen: von der orgastischen Zuckung in tausend Fetzen zerrissen zu werden.

Reich schrieb ein ganzes Buch darüber, Christusmord, warum die Aufklärung das schlimmste wäre, was der Gesellschaft widerfahren könnte. Sie bleibt lieber im mechano-mystischen Obskurantismus gefangen, da die Wahrheit sie zerfetzen würde. Sie wäre die ultimative Katastrophe. Schmitz versucht sie zu verhindern. Er ist der ultimative Katechon, der „Aufhalter“, Laska ist sein (vermeintlicher) Antichrist. Dieses Buch dokumentiert die Geschichte dieser beiden archetypischen Schicksalsgestalten der Menschheit.

Schmitz selbst hat nur eine vage Ahnung von dem Strom, der uns ins unausweichliche Verderben spült: aber immerhin – was auch zeigt, warum Laska überhaupt mit ihm diskutiert. Schmitz:

Nach meiner Konstruktion schwimmt Stirner mit im Strom, der von Fichte ausgeht, nämlich von der Entdeckung der strikten Subjektivität (d.h. dem Umstand, daß z.B. in meinem Fall mir eine Auskunft über Hermann Schmitz wesentlich weniger Information gibt, als wenn hinzukommt, daß ich selbst Hermann Schmitz oder sonst etwas bin) zusammen mit ihrer Verkennung als rezessiv entfremdete Subjektivität (d.h. als über oder zwischen allen Tatsachen schwebendes Ich). Dieser Strom führt von der romantischen Ironie über die Dandys und den Weltschmerz tief in das ironistische Zeitalter absoluter Wendigkeit zur Coolness der modernen Jugend und zum „Zappen“ an elektronischen Geräten aller Art und sonstigen Freizeitvergnügen. Die Auszeichnung Stirners besteht in meinen Augen nur darin, daß er die rezessive Entfremdung mit trockener Humorlosigkeit blutig ernst nimmt, während die Ironisten damit eher ein Spiel treiben, das harmlos wirken kann, während Stirner mit seinem Ernst zeigt, wohin die Reise wirklich geht. Er ist ein Offenleger des tiefen Sinns des ironistischen Zeitalters, ein Mahnmal, nicht ein suggestiver Anstifter. Er wirkt abschreckend, so daß sich die von Ihnen entlarvten „Exorzisten“ an ihm vorbeizudrücken suchen. Der Schrecken hat aber reales Gewicht, ohne daß Stirner als Autor der Anstifter wäre. (S. 492)

Laska sieht den Strom von LaMettrie, Stirner und Reich ausgehend und das Verhängnis in der falschen Weichenstellung durch Diderot, Marx und Freud, die das Über-Ich doch noch gerettet haben, das uns heute beispielsweise dazu führt, vom Schuldwahn („Über-Ich-Wahn“) benebelt und restlos verunsichert den Holocaust der Umvolkung wiederstandlos über uns ergehen zu lassen. Das Warum kann Laska, wie erwähnt, nicht beantworten. Das kann, wie erläutert, nur Reich. Entsprechend ist, richtig gelesen, die Laska/Schmitz-Korrespondenz das Requiem der Menschheit:

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 126)

1. Mai 2024

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Ende der 1990er Jahre in der wöchentlichen In und Out-Liste der BILD-Zeitung: „Ja zu den philosophischen Aphorismen von Adorno! ‚Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen. Es gibt kein richtiges Leben im falschen.‘ (Minima Moralia, 32,90 DM)“

Adorno meint sicher, er habe die (fast!) unlösbare Aufgabe gelöst. Er hat also richtig im Falschen gelebt!

Wenn ich es recht überlege, kennzeichnet das (daß der eine Satz den anderen Satz ad absurdum führt) die ganze Diderot/Marx/Freud-Dialektik: für sich und isoliert klingen die Sätze wie „LSR“, im Zusammenhang jedoch sind sie entweder verwirrender Unsinn oder Anti-LSR. Man nehme nur Freud! Da ist ein Satz wie der folgende aus Die Zukunft einer Illusion, der ebensogut von Bernd Laska stammen könnte:

Während die Menschheit in der Beherrschung der Natur ständige Fortschritte gemacht hat und noch größere erwarten darf, ist ein ähnlicher Fortschritt in der Regelung der menschlichen Angelegenheiten nicht sicher festzustellen, und wahrscheinlich zu jeder Zeit, wie auch jetzt wieder, haben sich viele Menschen gefragt, ob denn dieses Stück des Kulturerwerbs überhaupt der Verteidigung wert ist. (Studienausgabe Bd. 9, S. 140f)

Es wird geradezu grotesk, wenn man dann weiterliest:

Es ist nicht richtig, daß die menschliche Seele seit den ältesten Zeiten keine Entwicklung durchgemacht hat und im Gegensatz zu den Fortschritten der Wissenschaft und der Technik heute noch dieselbe ist wie zu Anfang der Geschichte. Einen dieser seelischen Fortschritte können wir hier nachweisen. Es liegt in der Richtung unserer Entwicklung, daß äußerer Zwang allmählich verinnerlicht wird, indem eine besondere seelische Instanz, das Über-Ich des Menschen, ihn unter seine Gebote aufnimmt. Jedes Kind führt uns den Vorgang einer solchen Umwandlung vor, wird erst durch sie moralisch und sozial. Diese Erstarkung des Über-Ichs ist ein höchst wertvoller psychologischer Kulturbesitz. Die Personen, bei denen sie sich vollzogen hat, werden aus Kulturgegnern zu Kulturträgern. Je größer ihre Anzahl in einem Kulturkreis ist, desto gesicherter ist diese Kultur, desto eher kann sie der äußeren Zwangsmittel entbehren. (ebd., S. 145)

Oder etwa Freuds „LSR-Satz“: „Denken Sie an den betrübenden Kontrast zwischen der strahlenden Intelligenz eines gesunden Kindes und der Denkschwäche des durchschnittlichen Erwachsenen“ (ebd., S. 180). Eine halbe Seite weiter gefolgt vom „Anti-LSR-Satz“: „Nun haben wir aber kein anderes Mittel zur Beherrschung unserer Triebhaftigkeit als unsere Intelligenz. Wie kann man von Personen, die unter der Herrschaft von Denkverboten stehen, erwarten, daß sie das psychologische Ideal, den Primat der Intelligenz, erreichen werden?“ (ebd., S. 181).

Diese ganze Perfidie (erst LSRisch lächeln, dann antiLSRisch in den Magen treten) von obskurantistischen Pseudo-Aufklärern wie Freud und Adorno…

Im nächsten Teil dazu mehr.

Nachbemerkung: Beim letzten Freud-Zitat werde ich etwas unsicher. Einerseits geht es darum, daß die vermeintliche „Aufklärung“ (etwa gegen den Katholizismus) benutzt wird, um den „Primat der Intelligenz“, d.h. in diesem Zusammenhang das Über-Ich zu stärken. Andererseits könnte hier so etwas durchscheinen wie die Laskasche Unterscheidung zwischen irrationalem und rationalem Über-Ich.

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 125)

24. April 2024

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Ist es nicht vielleicht sogar so, daß das Adorno‘sche „kein Wahres im Falschen“ implizit gegen Stirner und Reich gemünzt war? Schließlich läßt sich so die gesamte Kritik an den „Kleinbürgern“ Stirner und Reich zusammenfassen, von Marx‘ Ausführungen in Die Deutsche Ideologie bis hin zu denen der Marxologen der 1970er Jahre!

Auf diesen Einwurf antwortete mir Bernd Laska vor nunmehr zwei Jahrzehnten: „Könnte was dran sein, weil: Der Satz ist der letzte in Abschnitt 18 der Minima Moralia, in dem vorher, wie ich gerade gesehen habe, die Wendung ‚…der Einzelne zu seinem Eigentum‘ vorkommt.“

„Kein Wahres im Falschen“, ist das nicht ein Verweis auf die Falle? Nun, der Ariadne-Faden ist gerissen und so macht man es sich im Labyrinth (in der Falle) gemütlich, genießt das Wirrwarr. Ganz so wie Marx und Nietzsche. Aber im Zentrum des unentrinnbaren Labyrinths lauert nach wie vor das finale Grauen, der Minotaurus: LaMettrie/Stirner/Reich. Exakt so, wie von Laska analysiert. Aber wie stets: der eine, der es durchschaut und den Weg zeigt, wird ignoriert, allenfalls belächelt: „Es gibt kein Wahres im Falschen!“

Peter liest die Laska/Schmitz-Korrespondenz (Teil 15)

19. April 2024

Schmitz bietet eine grundsätzliche Kritik an Laska, die sich gewaschen hat:

Ihr Standpunkt ist mir durch unseren Briefwechsel nicht weniger rätselhalft geworden, als er es anfangs war, weil (mir) augenscheinliche Widersprüche darin, obwohl ich Sie oft genug darauf hingewiesen habe, unerledigt liegengeblieben sind. Vor allem geht es dabei um den mir höchst verdächtigen Begriff eines rationalen Überichs. Erst wollen Sie das Überich als das Heilige mit Stirner abschaffen und dann doch wieder installieren, unter dem Vorgeben, nun sei es rational. (…) Das ist jetzt nicht unser Thema, aber ich benütze es zum Hinweis auf eine in Ihren Briefen und Publikationen häufig wiederkehrende Geste: Sie verweigern klare und präzise Angaben mit dem Vorbehalt, indirekt und andeutend sprechen zu wollen, z.B. Ihre Ansicht der wegweisenden Bedeutung Stirners nicht klar darzustellen und zu belegen, sondern durch Aufdeckung einer vermeintlichen „Dezeptionsgeschichte Stirners“ (die aber, besonders bei Nietzsche, mit Fiktionen arbeitet) nur durchschimmern zu lassen. Dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn Sie mißverstanden werden. (S. 319f)

Gegen Laskas LSR-Gedanken, also eine radikalisierte Aufklärung, setzt Schmitz die Rehabilitation von einpflanzenden Verhältnissen („implantierenden Situationen“), also letztendlich den orgonotischen Kontakt. Das erinnert etwas an Reichs Entwicklung von „Eltern als Erzieher“ von 1926 (ein Aufsatz, auf den Laska immer wieder rekurriert), wo sich alles um den Erziehungszwang der Eltern und eine gewisse kritische Distanz zwischen Eltern und Kindern dreht, – bis Reich zwei Jahrzehnte später, in seinem Buch Der Krebs von 1948, einsehen mußte, daß all die Aufklärung und Emanzipation rein gar nichts bringt, wenn es am liebenden und nährenden orgonotischen Kontakt zwischen Säugling bzw. Kleinkind und der Mutter mangelt. Das kann man auf alle gesellschaftlichen Bereiche ausweiten, weshalb auch jeder ernstzunehmende Student der Orgonomie seit ungefähr 1948 eher konservativ eingestellt ist.

In einem seiner Antwortschreiben schlägt Laska gegen Schmitz mit noch größerer Härte zurück:

Sie schreiben (…), Sie sähen, wie [Ludwig, PN] Klages, die „gewaltige Gefahr“, die Stirner der Menschheit „anbietet“, seien aber [aber?!, BAL] bereit, ohne schockiert zu sein offen darüber zu sprechen, dies, weil (?) Sie selbst ein Gedankengebäude errichtet hätten, das „nicht weniger umfangreich“ sei als das Klages‘sche; Sie fügen hinzu, daß Sie Ihr Gedankengebäude nicht errichtet hätten, um Stirner zu verdrängen – und scheinen damit bekräftigen zu wollen, daß es eben eine „fixe Idee“ sei, solche Stirner-Verdrängung bei Klages und vielen anderen großen Denkern zu unterstellen. Zugleich lese ich aber aus Ihren Zeilen, aus jenem „aber“, daß Sie es sehr wohl für möglich halten, daß all diese Köpfe ersten Ranges, Marx, Nietzsche, Klages u.v.a., von Stirner so „schockiert“ waren, daß Sie nicht „offen“ gegen ihn antreten wollten, und zwar, weil sie eben nicht in der Lage waren, jenes Gedankengebäude zu errichten, dank dessen Sie sich stark genug fühlen, eben das zu tun. Sie seien also der erste Philosoph, der sich nicht mehr genötigt sieht, Stirner zu verdrängen – im Gegenteil: Sie würdigen Stirner ja ausdrücklich wegen seiner konsequenten Ehrlichkeit und seines Ernstes. (S. 328f)

Auf denkbar geschickte, bravouröse Weise entlarvt hier Laska als jemanden, der vor dem Wesentlichen ausweicht. Wie all die anderen, nur in letzter Konsequenz, hat Schmitz sein Leben damit verbracht, durch ein alle Dimensionen sprengendes Werk (gleich mehrere Bücher pro Jahr!) LSR zu verdrängen: Aufklärung und Emanzipation.

Dieses Buch dokumentiert ein denkbar tiefgründiges Ringen, dessen Bedeutung kaum überschätzt werden kann!

Peter liest die Laska/Schmitz-Korrespondenz (Teil 12)

14. April 2024

Die Korrespondenz zwischen Hermann Schmitz und Bernd Laska ist allein schon deshalb interessant, weil sie auf verblüffende Weise ziemlich genau den Konflikt zwischen den Psychoanalytikern und Reich wiederholt.

Wie in den 1920er Jahren in Wien und Berlin geht es auch hier um eine neue „Ich-Psychologie“. Nicht von ungefähr will Schmitz Laskas Ausdruck „rationales Über-Ich“ durch den Begriff „rationale Ich“ ersetzt sehen (S. 275). – Schmitz diagnostiziert am Anfang des europäischen Denkens eine Art Zersplitterung des menschlichen Innenlebens, bei der alles, ob in uns oder in unserer Umgebung, als ein Sammelsurium objektiver Dinge betrachtet wird, zwischen denen sich ein Kampf um Vorherrschaft abspielt. Um das Jahr 1800 kam es zu einer entscheidenden Wende, als die „subjektiven Tatsachen“ entdeckt wurden, aber weiterhin alles wie „objektive Dinge“ behandelt wurde. Das Subjekt ist damit einerseits „ich selbst“, andererseits aber, da objektiv ungreifbar, zerrinnt es zu einem Nichts. Mit diesem „Ich hab‘ mein Sach‘ auf nichts gestellt!“ (Stirner) begann, so Schmitz, der Nihilismus, dessen zerstörerische Kraft wir heute in einer immer haltloseren und „kindischeren“ Gesellschaft hautnah miterleben. Ironie und Zynismus, entsprechend der angeschnittenen Entfremdung am Beginn des europäischen Denkens, und das alles beherrschende Machtspiel beginnen buchstäblich alles zu atomatisieren.

Ähnlich den „Ich-Psychoanalytikern“ zu Reichs Zeiten, die die „objektivistische“ Libido durch Soziologie (das Einbinden des Individuums in die Gemeinschaft) ersetzten, versucht Schmitz unter Wahrung der kritischen, aufklärerischen Distanz, die dem europäischen Projekt inhärent ist, die beschriebene Spaltung aufzuheben, indem er dem „Heiligen“ bzw. dem „unbedingten Ernst“ eine erneute Chance gibt, vor allem aber, indem er auf die „einpflanzenden Gesamtumstände“ setzt, bei denen der Unterschied zwischen Subjekt und Objekt weitgehend aufgehoben ist, d.h. imgrunde setzt er auf eine Einbindung in die Gemeinschaft, wie sie beispielsweise beim Spracherwerb gegeben ist. Das erinnert sehr an die Entwicklung der Psychoanalyse sozusagen „jenseits des Ödipuskomplexes“, insbesondere mit ihrem Fokus auf Frühstörungen, die Mutter-Kind-Bindung etc.

Laska hingegen beharrt darauf, daß das Ich unter dem Druck von außen zersplitterte, indem es dieses Außen in Gestalt des „irrationalen Über-Ichs“, einer nicht mehr kritisch hinterfragbaren inneren Instanz, aufnahm. Die heutigen Verhältnisse sind, so Laska, nicht etwa auf Stirner zurückzuführen, der universell als der bzw. das Böse hingestellt wird, sondern auf dessen „Bewältigung“ durch insbesondere Marx und Nietzsche. Laska versucht aber immerhin eine Brücke zu Schmitz zu schlagen, indem er erstens bestimmten „implantierenden Situationen“ durchaus nicht die Notwendigkeit abspricht und zweitens auf eine hier noch nicht genannte, dritte Instanz bei Schmitz neben dem Heiligen und der einpflanzenden Situation verweist: den „starken Daimon“, also so etwas wie einen autonomen inneren zielgerichteten Antrieb. Dieser Daimon dürfe, so Laska, nicht unterdrückt, sondern müsse gehegt und gepflegt werden, durchaus auch durch „implantierende Situationen“, um „Eigner“ im Sinne Stirners aufwachsen zu lassen.

Schmitz wendet ein, daß ein „starker Daimon“ nur bei wenigen Menschen anzufinden ist und, hätten alle ihn, gäbe es nur ein Hauen und Stechen zwischen lauter Rechthabern. Außerdem habe auch beispielsweise Hitler einen „starken Daimon“ besessen, dieser sei also nichts von vornherein Positives. Das erinnert fatal an das Menschenbild der orthodoxen Psychoanalytiker: der Mensch als sadomasochistisches Tier, das durch das Heilige und „implantierende Situationen“ gebändigt werden muß, bzw., bei den Neo-Psychoanalytikern, der Mensch als formbare Masse, der an die Hand genommen werden muß.

Übrigens ist Laskas Verständnis von „Daimon“ sehr irreführend, denn der „Dämon“ entspricht eher den „isolierten Über-Ich“, wie ihn Reich beim triebhaften Charakter beschrieben hat. Er steht keineswegs für einen starken inneren Kern. Beispielsweise meint Schmitz Goethe haben einen schwachen Daimon besessen.

Wie gesagt: das ganze wirkt wie eine um hundert Jahre versetzte Debatte zwischen den Psychoanalytikern (Schmitz) und Reich (Laska)! Sie wirft übrigens auch ein Licht zurück auf die 1920er Jahre. Schmitz  zufolge ist es „Stirner: Ich gegen eine fremde Welt“, während es für Laska „Stirner: Ich gegen das Fremde in mir“ ist. Genauso wie Schmitz dachten die Psychoanalytiker damals: den „schizoiden“ Menschen mit der Welt zu versöhnen, während Reich der „Schizophrene“ war, der gegen die Welt wütete.

Aus Laskas Email-Verkehr Anfang der 2000er Jahre: Über die Einsamkeit

11. April 2024

Aus Laskas Email-Verkehr Anfang der 2000er Jahre: Über die Einsamkeit

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 122)

10. April 2024

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Reich trat auf der einen Seite gegen die ihm aus dem Kollegen- und Bekanntenkreis offensichtliche Dekadenz im Wien und Berlin der 1920/30er Jahre an mit ihren „de Sadisten“ und „Zynisten“ und andererseits … Reich stand in Opposition gegen Freuds „Mensch als sadomasochistisches Tier“, „die Reaktion“ („Erbsünde“), die damals wirklich allesbestimmende Eugenik und die „kapitalistische Geschäftemacherei“ (die er aus der eigenen Ursprungsfamilie kannte). Die Natur hatte in der Selbstverortung Reichs entsprechend friedfertig zu sein und ohne den Menschen ein Paradies. Tatsächlich ist insbesondere Äther, Gott und Teufel ein durchaus „Rousseauistisches“ Buch. Er mußte gegen einen universellen „Darwinismus“ antreten (Hitler war nichts als ein „Darwinist der Praxis“!), über den Reinhard Eichelbeck schreibt: „Er (der besagte „Darwinismus“) hat sozialneurotische Unarten des Menschen – Egoismus, Aggressivität, Rücksichtslosigkeit, Geilheit, die alten Macho-Untugenden, möglichst viele Nachkommen und möglichst viele tote Feinde zu hinterlassen – als naturgegeben, ja sogar als Grundprinzipien der Evolution dargestellt“ (Das Darwin-Komplott, München 1999). In einer anderen, weniger rundherum bösartigen geistigen Umwelt hätte es einen anderen Reich gegeben, da er sich anders verortet hätte!

Dazu gehört auch, daß sein Publikum sich zu 99% aus linksliberalen und sozialistischen Gutmenschen rekrutierte, die etwa in Stirner instinktiv das sahen (bzw. gesehen hätten), was die Linke von Marx bis Hans Günther Helms immer in ihm sah und sehen: DEN „kleinbürgerlichen“ Ideologen des Raubtierkapitalismus, DEN Bösen schlechthin. Wie sollte Reich in einer solchen Umwelt eine Identität als „Stirnerianer“ bewahren? Man muß sich das mal vorstellen: sein ganzes Leben und auch noch posthum nur von „Grünen“ Spinnern („Reichianern“) umgeben zu sein (vermeintlichen Altruisten) – und um die Gruppe herum nur reaktionäre „Darwinisten“ (vermeintliche Egoisten)!

Brief an Prof. Henri Arvon (11.11.92)

5. April 2024

Brief an Prof. Henri Arvon (11.11.92)

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 115)

10. März 2024

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

In der normalen, d.h. triebgehemmten Neurose, wie Freud sie beschrieben hat, wendet sich das Ich gegen das Es. Beim triebhaften Charakter, wie ihn Reich beschrieben hat, wendet sich das Ich gegen das Über-Ich.

Freud war gegen die „Kämpfer gegen das Über-Ich“ (der frühe Ferenczi, Gross, Reich), weil er – nicht ganz zu unrecht – ein solches Vorgehen mit dem Untergang von (nicht nur dieser, sondern aller) Kultur, Zivilisation und aller Menschlichkeit assoziierte.

Das besondere an Reich ist nun, daß er diese rationale Gegenposition Freuds unterlaufen hat, indem „ausgerechnet“ er jenen Charakter, nämlich den triebhaften Charakter, untersucht hat, der genau das verkörpert, was Freud befürchtet hat: „revolutionäres Chaos“.

Worauf beruht der untherapierbare triebhafte Charakter? Auf einer inkonsequent durchgeführten „Revolution“. Man kann die Kinder nicht „ein bißchen“ frei erziehen, sondern es gibt nur die Alternative zwischen ganz frei (–> genitaler Charakter) oder ganz repressiv (–> neurotischer Charakter). Entweder ganz „LSR“ oder gar kein „LSR“! [ = Liquidation des Super-Ego, radikal!]

Freud und die Freudianer haben sich dieser Alternative entzogen und haben sich für ein bißchen Freiheit und ein bißchen Repression entschieden – was letztendlich (man betrachte nur die bis vor etwa 50 Jahren von der Psychoanalyse dominierten USA) zu einer Generation von triebhaften Charakteren führte: Freud mit seinem dilettantischen Pseudo-„LSR“ (Freud als angeblich radikaler Aufklärer!) ist also letztendlich für das verantwortlich, weswegen er Ferenczi, Gross, Reich sozusagen prophylaktisch angegriffen hat.

Um diese Dialektik geht es mir: das oberflächlich Rationale bei Freud, als er „LSR“ angriff – das abgrundtief Irrationale bei Freud, als er „LSR“ angriff – und Reichs absolut unangreifbar rationale Position. Reich war der einzige, der kein Quacksalber, Scharlatan und gemeingefährlicher Narr war.

Reich vs. Freud ist nicht nur irgendeine obskure intellektuelle Beschäftigung:

  1. Ohne eine geregelte Abpanzerung kommt es zum vollkommenen Desaster: „entweder die guten alten Zeiten“ oder „freedom, not licence“ – aber eben keine „licence“.
  2. Ohne eine geregelte Entpanzerung kommt es zum vollkommenen Desaster: Charakteranalyse statt wilder Psychoanalyse, Lowensche „Bioenergetik“, etc.
  3. Es gibt nur einen einzigen Weg zu einer wirklichen Veränderung der Gesellschaft: die Freiheitskrämer ausschalten.

Und selbst da wo Freud recht hatte: Wäre es wenigstens ein konsequenter Reaktionär gewesen! Aber nein, er mußte den Aufklärer spielen und sozusagen eine Teilmenge von LSR loslösen und unter die Leute bringen, was zweierlei Effekt hatte:

  1. erstens konnte er Reich damit blenden, der den „wahren Freud“ vertreten wollte; und
  2. hat Freud genau als das gewirkt, was er „Ferenczi, Gross, Reich“ vorhielt: als Zersetzer der Kultur, der mit einem Pseudo-LSR die Gesellschaft in Richtung „triebhafter Charakter“ trieb.

Mein Argument ist, daß Reich schon 1925 für Disziplin stand und eine „konservative“ Herangehensweise: verkörpert durch die Charakteranalyse. Im Vergleich dazu war Freud der „wilde Analytiker“. – In anderer, nämlich „politischer“ Hinsicht, war zu dieser Zeit Reich der „zu wilde“, was er später ja auch einsah und Freud recht gab. – Das hört sich widersprüchlich an, ist aber ganz einfach und, wie ich finde, einleuchtend.

Nehmen wir doch nur mal die Stracheys, die Reich in Berlin hörten, als er über den triebhaften Charakter sprach (siehe https://nachrichtenbrief.com/2022/10/06/erganzung-zum-24-kapitel-freuds-christusmord-meines-buches-der-verdrangte-christus-bd-1/) – wozu ich Laska schrieb: „Sicherlich haben Sie recht, wenn Sie behaupten, daß diese ‚DMF-Freudianer‘ sofort spürten, daß Reich ein ganz schlimmer LSR-Finger ist, gegen den ‚die Kultur‘ zu verteidigen sei, etc. – gleichzeitig waren die Stracheys aber auch ein schwul-lesbisches ‚Ehepaar‘, das vieles von dem verkörperte, was Reich mit dem Begriff ‚triebhaft‘ umrissen hatte. (BTW: Für Reich war Homosexualität eine schwere Krankheit, für Freud war sie es nicht – und so in vielem: in vielem war im Verhältnis SF/WR Freud der ‚Liberale‘.)“ [DMF ist das Gegenteil von LSR und steht für Diderot, Marx, Freud.]

Ich verweise auf Reichs schematische Gegenüberstellung von triebgehemmten und triebhaften Charakter (Frühe Schriften, S. 321f):

Zwangsneurose

  1. Manifeste Ambivalenz
  2. Reaktive Wandlung der Ambivalenz
  3. Strenges, ins Ich eingebautes Über-Ich
  4. Starke Verdrängung und Reaktionsbildung
  5. Sadistische Impulse mit Schuldgefühl verknüpft
  6. Charakter übergewissenhaft, asketische Ideologien
  7. Das Ich unterwirft sich dem Über-Ich

Triebhafter Charakter

  1. Manifeste Ambivalenz
  2. Keine reaktive Wandlung oder überwiegender Haß
  3. Isoliertes Über-Ich
  4. Mangelhafte Verdrängungen
  5. Sadistische Impulse ohne Schuldgefühl
  6. Charakter gewissenlos, Sexualität manifest, das entsprechende Schuldgefühl eventuell in neurotischen Symptomen verankert oder total verdrängt
  7. Das Ich steht beiderseits ambivalent zwischen Lust-Ich und Über-Ich, de facto Gefolgschaft nach beiden Seiten

Freuds Ideal war die organische Verschmelzung von Ich und Über-Ich (= das gehemmte Ich). Reichs Ideal war das vom Über-Ich befreite Ich (= das ungehemmte Ich). Und er wußte etwas, was Freud nicht wußte: das der triebhafte Psychopath (z.B. der „Generalpsychopath“ Adolf Hitler) entgegen allem Anschein erst recht vom Über-Ich versklavt ist – und daß ein Gutteil seiner (Reichs) psychoanalytischen Kollegen selbst solche Psychopathen waren und Psychopathen erzeugten. Das hat, wie erwähnt, viel vom Gegensatz LaMettrie/DeSade bzw. Stirner/Marx (der „Satanist Marx“).

Heute, in einer von Diderot („liberale Aufklärung“), Marx („Gerechtigkeit = Gleichheit“) und Freud („polymorph-perverse Toleranz“) geprägten Gesellschaft bilden wir uns ein, uns vom Über-Ich zu befreien – in Wirklichkeit geraten wir erst recht in seine Fänge.

Freiheitskrämer sind jene, die polit- und „sexual“-revolutionär gegen das Über-Ich ankämpfen. Sie sind zu bekämpfen, wenn es überhaupt irgendeine Hoffnung geben soll, sich vom Über-Ich zu befreien! Deshalb war Freuds Opposition gegen Reich nicht nur irrational! Deshalb sind konservative Feldzüge nicht nur irrational.