[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]
Philosophen rechtfertigen ihre Existenz damit, daß sie den „einfachen Menschen“ das Denken beibringen. Diese Geistesgrößen ahnen nicht mal, daß ihre philosophischen Diskurse infantile Fragen behandeln, die sich einem „einfachen Menschen“ nicht stellen, weil ihm alle Antworten das Leben selbst ins Ohr flüstert. (Man lese dazu Reichs Die sexuelle Revolution!) Es bleiben die „Erwachsenenfragen“ (wie sie etwa Stirner gestellt hat: „Was kümmert mich das eigentlich?!“), aber die werden systematisch ausgeblendet.
Wer beim Durchblättern einer „Einleitung in die Philosophie“, wer angesichts dieser systematischen Volksverdummung keinen Wutanfall bekommt, ist entweder ein Idiot oder ein Schwein.
In Platons Phaidon preist Sokrates die Philosophie, die er so beschreibt, daß sie das exakte Gegenteil von LSR bzw. Laskas „Paraphilosophie“ ist (die deshalb „Antiphilosophie“ heißen müßte). Platons Sokrates bietet eine perfekte (und natürlich zustimmende) Beschreibung des Über-Ich, der Staat geht vor, Unterwerfung unter die „Vernunft“, schwarze Pädagogik, Frauenfeindlichkeit, radikale Verneinung des Körpers, der Emotionen und des eigenen Ich. Der perfekte Anti-Stirner. Was Gewicht hat, weil mit den Begriffen Logos, der den Menschen dazu bringt sich mit Eifer (Thymos), der tierischen Begierde (Epithymia) entgegenzustellen, weitgehend Freuds Triade vorweggenommen wird: das Über-Ich (die überweltlichen Wirkprinzipien, denen wir uns angleichen sollen), das Ich und das Es. Man denke auch an den „kategorischen Imperativ“ Kants, wo das Kriterium lautet „jederzeit und für alle gültig“. Mit anderen Worten: „Reiß dich zusammen! Wenn das alle machen würden!“ Wo Ich war, soll Über-Ich sein! Kant selbst hat sich stets auf Rousseau berufen, der den „Gemeinwillen“ vertrat. Rousseau wiederum, hat diesen „Gemeinwillen“ implizit als Abwehr gegen LaMettries Lehre von der Schädlichkeit des Schuldgefühls für den Einzelnen und die Gesellschaft ins Feld geführt und damit die Aufklärung, kaum daß sie begonnen hat, zurück in antiaufklärerische Bahnen gelenkt. Der Rest bis hin zu meinetwegen Habermas ist dann nur noch hochtrabender Klamauk!
Ich bin kein Philosoph und kann das alles mangels Bildung und Kenntnissen unmöglich ausführen. Das überlasse ich getrost anderen. Hier soll es nur darum gehen, daß der Freudsche Begriff „Über-Ich“, den Laska sozusagen als Verlegenheitslösung übernommen hat, um das Gemeinsame von LaMettrie, Stirner und Reich umschreiben zu können, – daß dieser Begriff im abendländischen Denken zutiefst verankert ist. Die Philosophie ist nichts anderes, als die vermeintliche Vernunft, den kategorischen Imperativ, den Gemeinwillen, d.h. das Über-Ich ideologisch zu verankern. Sie ist Religion mit den Mitteln des Intellekts! Um Freud zu paraphrasieren: sie schuf der Illusion eine Zukunft! Laska ist DER Antiphilosoph, der eigentliche Zertrümmerer der Illusion, der eigentliche Aufklärer! Mit Stirner verscheucht er die Gespenster, mit Reich fängt erst bei ihm die Kultur an.
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Anfang 1845 verfaßte Marx seine berühmten elf „Thesen über Feuerbach“. Die dritte These ist auf die französischen Materialisten des 18. Jahrhunderts und damit auch bzw. vor allem auf LaMettrie gemünzt:
Die materialistische Lehre von der Veränderung der Umstände und der Erziehung vergißt, daß die Umstände von den Menschen verändert und der Erzieher selbst erzogen werden muß. Sie muß daher die Gesellschaft in zwei Teile – von denen der eine über ihr erhaben ist – sondieren. Das Zusammenfallen des Änderns der Umstände und der menschlichen Tätigkeit oder Selbstveränderung kann nur als revolutionäre Praxis gefaßt und rationell verstanden werden.
Mit anderen Worten LaMettrie wird historisiert und damit auch seine These von den Schuldgefühlen. Niemand steht über der Geschichte und man muß sich in das Kollektiv, die gesellschaftliche bzw. geschichtliche Entwicklung einordnen. Der Stachel ist gezogen, die Befreiung vom Über-Ich, also die Aufklärung, dergestalt „durch Aufklärung“ unmöglich gemacht! – Unmittelbar darauf setzte Marx sich mit Die deutsche Ideologie an seine „historisch materialistische“ Kritik von Stirners Der Einzige und sein Eigentum…
Um das richtig einordnen zu können, d.h. Marx als den „Ur-Stalin“ zu begreifen und damit Reichs Kampf gegen den „roten Faschismus“, folgendes: LaMettrie hat, sozusagen „ganz ahistorisch“, eine Orgasmustheorie vertreten: „Die Lust“, so schrieb er, „gehört zum Wesen des Menschen & zur Ordnung des Universums.“ Und weiter:
Nur die Ausschweifung & alles, was den Interessen der Gesellschaft schadet, fällt aus dieser Ordnung heraus und ist verboten; es gibt keinen anderen Gesichtspunkt der Tugend, als derjenige, was dem Staat nützlich ist. Die Fähigkeit, Lust zu empfinden, ist allen Tieren als gleichsam primäres Attribut gegeben; sie streben nach Lust um der Lust willen, ohne weiter darüber nachzudenken. Einzig der Mensch, dieses vernunftbegabte Wesen, kann sich bis zur Wollust erheben; und dies ist die wunderbarste Mitgift der Vernunft. … Wir verdanken unser Wohlbefinden einzig der Lust; sie hat die einzigartige Kette geschmiedet, die die Tiere & die Menschen verbindet; die Lust spricht zu mir über meine Organe & verbindet mich mit dem Leben. (z.n. Ursula Pia Jauch: Jenseits der Maschine, S. 346)
Der sexuellen Enthaltsamkeit schenkt LaMettrie sein besonderes Interesse, könne sie doch, wie Jauch referiert, „zu Persönlichkeitsveränderungen, zu Raserei, Hysterie und krankhaften Realitätsverzerrungen führen“ (S. 344). „Der Entzug von Liebesfreuden verursacht“, so schreibt LaMettrie, „Krankheiten“, weshalb sich die Wissenschaft um die Empfängnisverhütung kümmern müsse (S. 419).
Halten wir Begierden, die einer übersteigerten Phantasie entspringen, nicht mehr für unsere wirklichen Bedürfnisse, und es wird weniger Schlemmer, Zecher und Wüstlinge geben! Doch geben wir der Natur, was ihr gebührt! Man trinkt, wenn man Durst hat; man ißt, wenn man Hunger hat; und in der Liebe spürt man manchmal einen doppelt starken Drang: wer hätte nicht bisweilen Hunger und Durst zugleich nach gewissen Lüsten gehabt? Und wie viele trübe Wolken der Unzufriedenheit und Launenhaftigkeit ziehen, wenn diese Bedürfnisse unbefriedigt bleiben, am Himmel der Seele auf, wo sie allein durch die Sonne der Lust wieder aufgelöst werden können (…). Ich übersehe durchaus nicht, daß gewisse schwächliche Naturen sich der Lust enthalten können oder vielmehr müssen, um sich wohl fühlen oder andere Vergnügungen besser genießen zu können. In allen übrigen Fällen aber ist die vernünftige Befriedigung der Wollust ebenso notwendig wie die der anderen Bedürfnisse; denn die Natur verwendet die gleichen Mittel, sie zu wecken (…). Das ist der Grund, weshalb (…) alle medizinisch versierten Philosophen in ihren Schriften ohne weiteres den Beischlaf empfehlen und kluge Ratschläge in Liebesdingen hinzufügen. (Anti-Seneca, S. 106f)
LaMettrie hatte ein Konzept von „Über-Ich“ und damit der Panzerung. In den Worten von Jauch:
Überhaupt hat der Bretone [also LaMettrie] ein für die Zeit unübliches Verständnis der Zensur. das sich freilich aus der Perspektive seiner psychologischen Anthropologie nachvollziehen läßt: Der Mensch ist ein Wesen, das Vorurteile und Denkbehinderungen „mit der Muttermilch“ (will heißen: schon mit den ersten sozialen Prägungen) aufnimmt. Die unhinterfragte Adaptation von „Autoritätsmeinungen“ entspricht einem Trägheitsgesetz des menschlichen Geistes, das seinerseits wiederum auf der mimetischen, imitierenden Struktur des menschlichen Lernverhaltens beruht. Daß einer nicht mehr „nachahmt“, sondern „selber“ zu denken beginnt, ist die Ausnahme, nicht die Regel. Analog dazu ist die Zensur zu betrachten als ein natürliches Übel, das zu jeder menschlichen Gesellschaft gehört. (S. 466)
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„Laskas LSR“ läßt sich auf den Satz reduzieren: „Wo Über-Ich war, soll Ich sein!“ gegen Freuds Satz: „Wo Es war, soll Ich sein!“ und den Satz so mancher verpeilter Reichianer: „Wo Ich war, soll Es sein!“
Als Reich zur Psychoanalyse kam, war ihm von Anfang an das Suhlen im Prägenitalen fremd, wie es etwa die Psychoanalytiker Isidor Sadger und Paul Federn verkörperten. Für den letzteren war der Mensch das einzige „sadomasochistische Tier“ und er war einer der wenigen konsequenten Anhänger von Freuds Todestriebtheorie. Es war natürlich Federn, den Reich als „Modju“ festmachte, ohne zu wissen, daß es Freud war, der Reichs Genitalitätstheorie als „Steckenpferdreiterei“ denunzierte und der die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten auf denkbar zynische Weise ausnutzte, um Reich ohne peinliche Diskussionen loswerden zu können. Die Nazis, vor denen man sich doch angeblich schützen wollte, bekamen das gar nicht mit – anfangs nicht mal Reich selbst…
Jene, die heute absurderweise Reich wegen dieses Ausschlusses „rehabilitieren“ wollen, bekunden nichtsdestotrotz weiterhin ihre persönliche Distanz zu Reich und daß sie „menschlich“ Freud vorziehen würden. Man suhlt sich weiter lieber im Prägenitalen, was heute, angesichts des Genderwahns, einfach „progessiver“ ist denn je.
Laska hat dieses Ausweichen vor dem Wesentlichen des Reich-Freud-Konflikts und diese klammheimliche Sympathie mit Freud immer im Sinne von „Wo Über-Ich war, soll Ich sein!“ interpretiert, d.h. der Angst vor einer konsequenten Aufklärung. Ich kann dem nur zustimmen, „aber“ m.E. gibt es hier einen zweiten Aspekt, für den Laska keinen Blick hat, weil er die weitere Entwicklung Reichs Richtung Entdeckung des Orgons und kosmische Überlagerung weitgehend ausblendet.
Dieser zweite Aspekt ist tatsächlich das „Es“, d.h. der Ozean der Triebe, aus denen das Ich wie eine Insel hervorgegangen ist. Im Netz findet sich folgende Definition des Es:
Es ist vorerst das Insgesamt von allem natürlich Gegebenen wie Konstitution, Vererbung, Geschlechtszugehörigkeit, Triebe und archaische Bilder (…). Sodann ist es das Auffangbecken von allem Verdrängten, das weiterhin aus dem Es heraus wirkt und psychisches Geschehen beeinflußt. Das Es ist einem Hexenkessel vergleichbar: einem Konglomerat von Triebregungen, Anlagen, Wünschen, Gefühlen, Strebungen ohne Logik, ohne Moral, ohne Sinn für Ordnung und Maß, ohne Rücksicht sogar auf die Selbsterhaltung, einzig dem Bestreben nach Lustgewinn und Unlustvermeidung verpflichtet.
Wie das Ich aus diesem Chaos „ohne Sinn für Ordnung und Maß“ hervorgehen soll, wird nicht recht ersichtlich, zumal auch noch der „Todestrieb“ eine Rolle spielt. Reichs Genitalitätstheorie impliziert aber genau „Sinn für Ordnung und Maß“. Konkret heißt das, daß man sich von Anfang an, auf die Selbstregulierung „des Lebendigen“ verlassen kann, wie Reich es beispielsweise in der „sexualökonomischen Lebensforschung“ (Bione) und in der Untersuchung der Eigenschaften des Orgons (kosmische Überlagerung) freigelegt hat. Wenn man so will hat Reich den formbildenden „Logos“, das Gesetz von „Ordnung und Maß“ freigelegt – und instinktiv von Anfang an vertreten. Auf ziemlich verquere Weise bringen die besagten „Reichianer“ das mit ihrem „Wo Ich war, soll Es sein!“ zum Ausdruck.
Ähnliches, nämlich die Grundannahme, daß das Lebendige jederzeit seine eigenen Seinsbedingungen schaffen kann, läßt sich über Laskas beide anderen Helden LaMettrie und Stirner sagen. LaMettrie ging es darum, daß man sich letztendlich auf die Natur verlassen könne, weil das Maximum an Lust, daß sie erstrebt, nur mit Delikatesse, Rücksicht und Zärtlichkeit erreichbar ist – das exakte Gegenteil der Folterkeller des vermeintlichen „Libertines“ De Sade. Genitalität vs. Prägenitalität.
Und was schließlich Stirner betrifft, der seine Sache auf nichts gestellt hat: Der konkrete Einzelne steht jeweils für sich im Mittelpunkt seiner Welt und bildet ein Netz von Beziehungen. Stirner sprach von „Vereinen“, die den Interessen ihrer Mitglieder dienen und aufgelöst werden, wenn der einzelne bessere Optionen findet. Die Selbstorganisation der Gesellschaft. Reich sprach von der „Arbeitsdemokratie“. Marx, Stirners Gegenspieler, dreht dieses Bild um und „überwand“ auf diese Weise diese „Kleinbürgerei“: die Strahlen kommen sozusagen aus dem mystischen Nichts („die Gesellschaft“, man denke nur an „die Wähler“: eine Entität mit einem Willen…) und ihre Schnittstellen, sind die einzelnen Menschen, die dergestalt nichts sind als Ensembles gesellschaftlicher Verhältnisse. Niemand ist für irgendwas verantwortlich. Genitalität vs. Prägenitalität. Zur Illustration schaue man sich ein beliebiges Marxistisches Gesellschaftssystem in der Geschichte an.
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Immer wieder liest man, daß die Religion die schlimmste Geißel der Menschheit sei und wir glücklich wir doch wären, gäbe es diesen mörderischen Aberglauben nicht. Es ist leider etwas vertrackter, als sich das linke Träumer ausmalen, denn selbst wenn die „Freiheit von der Religionsfreiheit“ bestünde, d.h. Atheismus im Sinne, daß kein Über-Ich mehr implantiert wird, fängt das Elend erst wirklich an. Einfach weil es immer Restbestände der alten über-ich-igen Welt geben wird, die wie unwiderstehliche Kristallisationskeime für die lebensfeindliche Reaktion wirken. Das hat ja Stirner selbst gesagt: „unsere Atheisten sind fromme Leute“. Oder etwa, kaum ist die sexuelle Freiheit gegeben, fangen die Leute an mit ihrer „Geschlechtsidentität“ zu experimentieren (manche mit ausdrücklichem Verweis auf Stirner!). Das ist wie bei der Hysterikerin; an sich ein genitaler Charakter, der aber aus Angst vor der Genitalität wirklich alles und jedes „genitalisieren“ kann – nur halt nicht die Genitalität selbst.
Mit anderen Worten: jede Revolution mündet in die Reaktion. Ganz platt „Angst vor der Freiheit“ und deshalb Flucht zurück in noch mehr, in verschärfte Unfreiheit. In diesem Sinne muß auch jede Aufklärung scheitern. Worauf die Katholen, beispielsweise „Pater Brown“, schon immer triumphierend verweisen konnten: der Glauben verschwindet und dafür zieht der pure Aberglaube ein.
Die Lösung kannte Reich aus seiner psychotherapeutischen Praxis: die langsame Akklimatisierung an die gewonnene Freiheit. Evolution. Was natürlich im gesellschaftlichen Feld bedeutet, daß sich die Aufklärung niemals wird durchsetzen können, weil alles so langsam vor sich geht, daß sich die Gegenaufklärung bequem wird durchsetzen können und sich wirklich gar nichts ändert.
Es bleibt dann nur, gemäß Reichs ursprünglichem „Leninismus“, eine Art „Wächterrat“, der das Projekt Aufklärung doch noch am Leben erhält, d.h. den besagten Akklimatisierungsprozeß am Leben erhält, einfach indem er ein Stachel im Fleisch bleibt. Und genau das ist der gesellschaftliche Ort des LSR-Projekts – meiner Meinung nach.
Nach außen hin, mag das wie der ultimative Idealismus aussehen, doch wie Reich, sagte geht aus jedem Sein ein Sollen hervor, aus jeder gegebenen Frage nur eine einzige Antwort. Das ist kein Idealismus, das ist Pragmatismus. Jeder Apfel fällt den „idealen“ kürzesten Weg vom Baum auf die Erde. Alles andere ist Unsinn. Genauso ist alles Unsinn, was nicht LSR entspricht.
Warum hat sich Laska nie erklärt? Nie den Kern seines LSR-Projekts mundgerecht und für alle nachvollziehbar in wenigen programmatischen Sätzen zusammengefaßt und seiner Netzseite vorangestellt?
Meines Erachtens ist das so, weil die Geschichte der Stirnerianer und Reichianer gezeigt hat, daß dabei nur Trivialitäten herauskommen würden, die das ganze ins Gegenteil verkehren. Bei Stirner war das der „Egoismus“, dem doch ohnehin jeder frönt, bei Reich, und auch LaMettrie, die Lust, die doch ohnehin jeder anstrebt. Und selbst, wenn man alles ganz im Sinne Laskas formulieren würde, von wegen „Kinder der Zukunft“. „Über-Ich“ etc. Die Antwort seriöser Menschen auf „LSR in 10 Punkten“ wäre ein: „Bitte belästigen Sie mich nicht mit derartig pubertärem Zeugs!“
Aus einem ähnlichen Grund hat Reich die Psychoanalyse zur Charakteranalyse und dann zur Orgontherapie weiterentwickelt: weil inhaltliche Deutungen wie „Sie haben Ihre Mutter geliebt und Ihren Vater als Konkurrenten angesehen!“ verpuffen und mit einem müden Achselzucken goutiert werden: „Bitte belästigen Sie mich nicht mit derartigem Kinderkram!“
Laskas Projekt entspricht eindeutig dem Vorgehen des Orgontherapeuten. Anders als in der Psychoanalyse werden nicht Ideationen („freie Assoziation“, spontane Erinnerungen) benutzt, um Affekte auszulösen, sondern umgekehrt: die Lockerung der Panzerung und die mit ihnen einhergehenden Affekte produzieren spontan Ideationen (Erinnerungen), oder auch nicht, und die sind dann auch reliabel, bringen den Patienten tatsächlich weiter und erzeugen ihrerseits Affekte. Genauso mit dem LSR-Projekt: Laska wollte nicht „herumphilosophieren“, die Welt mit irgendwelchen letztendlich willkürlichen Theorien beglücken (durch Verwirrung noch mehr ins Unglück stürzen), sondern er wollte zu zwingenden Einsichten führen. Also nicht „Einsichten“ präsentieren, denen man sich anschließen kann, sondern zeigen, wie eine bestimmte, nicht genannte Einsicht bisher systematisch verdrängt wurde. Laska wies dabei auf ganz bestimmte historische Vorkommnisse hin.
Seine These war, daß die Aufklärung gescheitert ist und daß es drei, und zwar ausschließlich diese drei, hochspezifischen Schlüsselereignisse gegeben hat, die dieses Scheitern nicht nur exemplifizieren, sondern auch zeigen, wie man die Aufklärung doch noch retten könnte: LaMettries Verdrängung durch die Enzyklopädisten und deren Umfeld, insbesondere Rousseau, Stirners Verdrängung durch Marx und Nietzsche, und Reichs Verdrängung durch Freud und die Freudo-Marxisten. Es ging jeweils um das Über-Ich als unhinterfragbare Instanz und vor allem als eine Instanz, die sich hinter allen möglichen „aufklärerischen“ Masken verbirgt.
LSR ist an die besagten drei Ereignisse gebunden, deren Durchdringung die Aufklärung (d.h. die Aufhebung induzierter Unmündigkeit = die Auflösung des Über-Ich) wieder in Gang setzen könnte. Die Orgonomie hingingen ist weniger eingeschränkt, hat es einfacher, da sie durch Reichs Charakteranalyse über ein Strukturmodell verfügt, das jedem vermittelbar ist. Die Orgonomie kann auf jeder Ebene, zu jeder Zeit, bei jedem Ereignis ansetzen. Dem LSR-Projekt fehlt es vom Grundansatz her an einer solchen „Schablone“. Und überhaupt: wie einem Bäcker, Schreiner, Spezialisten für Quantenchromodynamik, der noch nie von Stirner gehört hat und der nur eine vage Vorstellung von Rousseau hat, – wie dem das LSR-Projekt nahebringen? Laskas Zielgruppe sind die heutigen Entsprechungen zu den „Enzyklopädisten“, „Junghegelianern“, „kritischen Theoretikern“. Die Zielgruppe der Orgonomie hingegen ist eher der „Laie“ als der Spezialist. Das sieht man schon daran, daß sich ab etwa 1928 Reichs Schreibstil drastisch veränderte: von einem mit Fremdworten gespickten „Psychoanalysesprech“ zu einer einfachen Sprache, die wirklich jeder ohne Anstrengung verstehen kann. Bezeichnenderweise ist er zu dieser Zeit auch nie dem typischen „Marxismussprech“ verfallen, den kein Mensch nachvollziehen kann – und der sich in nichts auflöst, wenn man ihn in einfache Sprache überträgt. (Man mache sich mal den Spaß und „übersetze“ auf diese Weise eine Rede Rudi Dutschkes!)
Man lasse sich auf den allgegenwärtigen Nihilismus ein, der einen umgibt! Es ist, als wenn die gesamte westliche Zivilisation von einem todestrieb-artigen „Es hat doch sowieso alles keinen Sinn!“ infiziert ist. Und das schon seit langer Zeit! Ich verweise auf Nietzsches Analyse der allgegenwärtigen „Dekadenz“; den anorgonotischen „Zuständen“, unter denen die Menschen zu Zeiten Freuds litten (hysterische Ohnmachtsanfälle, Neurasthenie, Wagnerianische Todessehnsucht, etc.). Man schaue sich auch das Gruselkabinett der nationalsozialistischen Führungsmannschaft an: der entscheidungsschwache Hitler, der den halben Tag im Bett gammelte und sein ganzes Leben nicht einen Tag gearbeitet hat; Göring, der schwabbelige Morphinist; der verklemmte Phantast Himmler, der Rouge auftrug und all die anderen haltlosen Gestalten. Das ganze „stramme“ Gehabe der SA und vor allem der SS scheint mir wie ein verzweifelter Selbstheilungsprozeß: plakative „Gepanzertheit“, um der inneren „Schlaffheit“ (Anorgonie) entgegenzuwirken. Ähnlich die muskelbepackten „Superhelden“ in der amerikanischen Trivialkultur. Hollywood scheint sich nur noch um „Superhelden“ zu drehen! Karikaturen von Nietzsches „Übermensch“.
Ob das hierhin gehört? Ich habe mal eine Diplom-Psychologin, die jahrelang mit sicherheitsverwahrten Triebtätern gearbeitet hat, gefragt, wie man denn Kinderficker erkennt: klein, „schwabbeliger“, schlaffer Körper, schwammiges, konturloses Gesicht.
Woher diese Dekadenz, die sich heute vor allem im ekelerregenden Gendergetue und Transunsinn zeigt? Nietzsche sprach vom „Tod Gottes“. Der mache in der „aufgeklärten“ Gesellschaft zwar kaum noch jemand betroffen, doch tatsächlich würde uns durch dieses Geschehen langsam aber sicher der Boden unter den Füßen weichen. Aus orgonomischer Sicht ist es die immer stärker werdende Trennung von unserem bioenergetischen Kern, die mit einer immer weiter um sich greifenden Abnahme an Vitalität einhergeht.
Zurückzuführen ist das auf den Zerfall des christlichen Weltbildes, der Ständegesellschaft, vor allem aber auf die bereits von Goethe am Ende von Faust II problematisierte industrielle Revolution. Man betrachte auch die bis auf Rousseau und Goethes Werther zurückgehende Romantik, die im beschriebenen Nationalsozialismus kulminierte. Heute findet sie ihre Entsprechung in all dem Fantasy-Schwachsinn, mit dem uns Hollywood beglückt.
Gott und die Natur waren verschwunden, der Mensch „aus der Kirche und vom Acker“ verband, doch statt nun frei sein Leben zu leben, fing er an sozusagen Gott und die Natur zu „zitieren“, als hätte er nicht viel mit ihnen zu tun. Die Natur wurde sozusagen zu einem „Bühnenereignis“ wie bei Caspar David Friedrich und „Gott“ wurde wie bei Ludwig Feuerbach sozusagen zu einer Stimme aus dem Off: die Stimme der „humanistischen Moral“. Das ganze Schmierentheater kulminiert gerade bei unseren Grünen denaturierten vermeintlichen Naturfreunden und gemeingefährlichen Moralisten bzw. Gutmenschen. Sie haben beispielsweise die norddeutsche Tiefebene mittels Vogelschreddern („Windkraftanlagen“) lückenlos in eine Industrielandschaft verwandelt und zukünftige Deutsche einer fremdrassischen Terrorherrschaft ausgeliefert.
Man muß ständig „Aktivist“, etwa „antifaschistischer Klimakleber“, sein, um sich stets von neuem Absolution einzuhandeln, ist man doch für alles persönlich verantwortlich. Das machte auch die Anziehungskraft des Marxismus aus: wenn du versagt hast, lag das nicht an dir, sondern ist den Umständen zu schulden. Dergestalt war der Marxismus der perfekte Religionsersatz – und ist es heute in Gestalt seiner Verwesungsreste, mit denen noch immer ständig irgendwas „dekonstruiert“ wird und sei es die eigene Geschlechtszugehörigkeit.
Aber das ganze ist wie angedeutet nicht wirklich neu. Es ist das alte Elend eines „ausgehöhlten“, substanzlosen, anorgonotischen Daseins, infolge einer drastisch gescheiterten Aufklärung, die „Gott“ (die mystisch verzerrte Wahrnehmung des eigenen Bauchgefühls) zur zerebralen Stimme machte, und infolge einer Mechanisierung des Lebens, das die Natur zum kitschigen Schauspiel degradierte. Am Ende steht die „ethische Führung durch die KI“ und der Kampf gegen „den Kohlenstoff“ – d.h. gegen das Leben selbst im Namen „der Natur“. Das „Ausgehöhltsein“ wird heute sofort augenfällig, wenn man sich die neuste Generation von Studenten anschaut: keine Persönlichkeiten mehr, alle die gleiche Meinung, Haltung, Kleidung, Musikgeschmack, die gleiche INNERE LEERE.
Anfang 1740er Jahre kam es bei dem bretonischen Arzt Julien Offray de La Mettrie zu einer wachsenden Entfremdung gegenüber medizinischen Lehrmeinungen, die sich, wie es weiter in dessen von Ursula Pia Jauch verfaßten Monumentalbiographie Jenseits der Maschine (S. 132f) heißt, in eine Distanz zu metaphysische Dogmen ausdehnen sollte. Ausgangspunkt war das Totalversagen der Medizin angesichts der damaligen Seuchen, die teilweise ganze Dörfer auslöschten.
Zuvor hatte er ein Jahrzehnt darum gerungen, durch medizinische Aufklärung der Kollegen und des breiten Publikums die Welt zu verbessern. Doch schließlich sieht La Mettrie keinen Sinn mehr darin, „weiterhin mit allen Mitteln um das Leben einzelner Patienten zu kämpfen, während doch die ‚hohe‘ Fakultätsmedizin aus ihrem Jahrhundertversagen angesichts der bretonischen Choleraepidemie keine besonderen Konsequenzen abzuleiten für nötig erachtet“.
LaMettries Desillusionierung angesichts einer körperlichen Seuche geht dergestalt unmittelbar in seine Registrierung der seelischen Seuche über. Es geht um die Emotionelle Pest, deren Bekämpfung ab nun in den Mittelpunkt von LaMettries aufklärerischen Arbeit tritt. Wie sich das gestaltete und zu welchen Schlußfolgerungen er gelangte, ist in den von Bernd A. Laska übersetzten und jeweils ausführlich eingeleiteten vier Hauptwerken LaMettries nachzulesen:
DER MENSCH ALS MASCHINE, XL+100 S., 12.00 EURO
ÜBER DAS GLÜCK oder DAS HÖCHSTE GUT („ANTI-SENECA“), XXIX+162 S., 18.00 Euro
PHILOSOPHIE UND POLITIK, XIV+118 S., 12.00 Euro
DIE KUNST, WOLLUST ZU EMPFINDEN, XXX+125 S., 15.00 Euro
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