Man kann der Marxschen Wertlehre nur gerecht werden, wenn man das berücksichtigt, was ich als „funktionellen Raum“ bezeichnet habe. Wichtiger als der Raum, den man mit mechanischen Instrumenten mißt, ist der „Raum“ deiner Beziehungen: deine Familie, deine Kollegen, deine Freunde, die allgemeine Arbeitsdemokratie usw. Einiges davon ist nicht einmal physischer, sondern immaterieller Natur wie Bräuche, Meme, Regeln, mathematische Fähigkeiten, was auch immer. Auch die meisten deiner „Organe“ befinden sich tatsächlich außerhalb des „Raumes deines Körpers“: dein Ofen (Eingeweide), dein Auto (Beine), deine Seife (Immunsystem), dein Büro (Energie- [Geld-] Produktion) usw. All dies bildet den Funktionsraum, in dem du lebst. Selbst die rechteckigen „kartesischen“ Räume in denen du lebst: primär ist, daß sie „Funktionsräume“ sind, d.h. deine externe Haut, die dich vor Sonne, Kälte, Wind und Regen schützt. (Siehe dazu meine Ausführungen in Hans Hass und der energetische Funktionalismus.)
Wir sehen unsere Umwelt als die Bühne, auf der all dies geschieht, und betrachten diese Bühne als das Wesentliche. Das kartesische Koordinatensystem ist unser Bezugssystem. Es ist so, als würden wir die Bühne für wichtiger nehmen als das eigentliche Drama von, sagen wir, Shakespeare, das auf dieser Bühne gespielt wird. Orgonometrisch gesehen ist aber der funktionelle Raum der primäre Bezugsrahmen, nicht der materielle Raum aus Beton und Holz! Man schaue sich die Landschaft Deutschlands an: Es stimmt, daß irgendwann zu Urzeiten unsere Urväter einen bestimmten geographischen Raum besiedelten, aber inzwischen, im Jahr 2020, ist alles, jeder Baum und jeder Stein, wegen der menschlichen „Terraformung“ dort, wo er ist. Deutschland ist zuallererst ein funktioneller Raum und nicht einfach nur ein Siedlungsraum („Landstrich“). „Deutschland“ macht nur Sinn im Hinblick auf Geschichte, Wirtschaft, Soziologie und sogar Psychologie! Die tatsächlichen („mechanischen“) Raumkoordinaten sind nicht mehr so wichtig. Oder wie Reich betonte: die Biologie ist fundamentaler als die Physik!
Nun, die Marx’sche Werttheorie kann nur im Sinne dieses funktionellen Raumes verstanden werden, weil Arbeit eine soziale Funktion ist, die nicht richtig verstanden werden kann, wenn man sie auf eine einfache mechanische Tätigkeit reduziert. Arbeit ist immer Teil eines grenzenlos komplizierten Gefüges gesellschaftlicher Zusammenhänge (Arbeitsdemokratie!), so daß die Zeit nicht die „individuelle Arbeit“ (ein Begriff, der überhaupt keinen Sinn macht), sondern den Querschnitt des funktionellen Raumes mißt. Wie mißt man den Funktionsraum eines beliebigen Arbeiters, etwa eines psychotherapeutisch tätigen Psychiaters? Oder besser gesagt: wie kann man einen Querschnitt durch den Funktionsraum, den wir „Orgontherapeut“ nennen, erstellen? Die einzige Möglichkeit, die wir haben, ist, sagen wir, „45 Minuten Orgontherapeut Dr. xyz“, also ein Zeitmaß zu nehmen, genau wie es seine Patienten ja ohnehin tun! Aber wie ich bereits gezeigt habe, ist selbst dieser Ansatz fehlerhaft, wenn man seine Arbeit isoliert betrachtet und von der Gesellschaft trennt (Infrastruktur, all die Menschen, die für ihn direkt und vor allem indirekt arbeiten, usw.).
Die Arbeitswertlehre hantiert also nicht einfach mit „Arbeitszeiten“, sondern mit sozusagen „Querschnitten“ durch einen kollektiven Funktionsraum. Dazu ein Bild – das man nicht überstrapazieren sollte: Wenn ich (beispielsweise) von Hamburg nach Bremen fahre und dazu eine Stunde benötige, spiegelt dieser Wert den Straßenverkehr wider, ist also Ausdruck des kollektiven Verhaltens aller Verkehrsteilnehmer. Was im Einzelnen auf meinem Tacho passiert ist, d.h. wie schnell ich jeweils in kleineren Zeitabschnitten gefahren bin, wie ich gebremst und beschleunigt habe, etc. ist dabei vollkommen gleichgültig. Oberflächlich betrachtet wäre es zwar eine „qualitativere“ Betrachtungsweise, aber tatsächlich gibt der scheinbar rein quantitative Wert „1 Stunde“ die Qualität dieses letztendlich kollektiven Ereignisses weitaus besser wider: dieser Wert hängt nicht so sehr von mir, als von der „Verkehrslage“ ab. Die „Verkehrslage“ wird aber am besten wiedergegeben, wenn man die durchschnittliche Reisezeit aller Verkehrsteilnehmer betrachtet.

Der Untergang der Medizin als Profession.
Das Eindringen der Emotionellen Pest und die Zerstörung der medizinischen Praxis
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Jeder wird sich über diesen Beitrag aufregen: weil Leute genannt werden und weil Leute nicht genannt werden, weil die Liste zu orthodox und weil sie zu unorthodox ist, etc. Zunächst möchte ich sagen, daß ich mich (mit einer Ausnahme) ausschließlich auf amerikanische Gruppen konzentriert habe und mich bemühe das ganze objektiv und aus weiter Ferne zu betrachten.
1. Elsworth F. Baker war seit Ende der 1940er/Anfang der 1950er Jahre derjenige, der für die Ausbildung neuer medizinischer Orgonomen verantwortlich zeichnete, diese, die meist in New York und Umgebung ihre Praxen hatten, organisierte und beispielsweise zu Reichs Lebzeiten die Zeitschrift Medical Orgonomy herausbrachte. Er war der „Haustherapeut“ der Familie Reich. In vielerlei Hinsicht war er der zweite Mann hinter Reich. Zusammen mit den Orgonomen Robert Ing Duvall und Morton Herskowitz und seinen Schülern Richard Blasband, Paul Mathews, John Bell, Barbara Koopman, Norman Levy, Michael Rothenberg und einigen anderen, darunter Reichs Sekretärin und zeitweise Geliebte Lois Wyvell, führte er 10 Jahre nach Reichs Tod seine alte Zeitschrift unter dem neuen Titel Journal of Orgonomy fort und gründete 11 Jahre nach Reichs Tod das American College of Orgonomy, bei dem die beiden außeramerikanischen Orgonomen Ola Raknes und Walter Hoppe Ehrenmitglieder wurden.
2. Zu Reichs Lebzeiten war der Orgonom Chester M. Raphael der engste Freund Bakers. Das sieht man etwa noch an Bakers Buch Der Mensch in der Falle von 1967, wo das Kapitel über Geburten weitgehend von Raphael stammt. Raphael war kein Psychiater, sondern Gynäkologe, der in der gleichen Klinik gearbeitet hatte, in der Baker, bevor er die Orgonomie zu seiner Karriere machte, Leiter der psychiatrischen Frauenabteilung gewesen war. Baker hatte Raphael auf Reich aufmerksam gemacht. Nach Reichs Tod entfremdeten sich die beiden zusehends, wobei sich Raphael mit den Orgonomen Philip Gold und Charles Oller (anfangs auch Victor Sobey) zusammentat und so etwas wie eine informelle Oppositionsgruppe gegen Baker organisierte. Raphaels Patientin (und Geliebte) Mary Boyd Higgins wurde zur Treuhänderin des Reichschen Nachlasses, womit diese Gruppe nunmehr Orgonon und den schriftlichen Nachlaß Reichs kontrollierte. Higgins und Raphael brachten die Reichschen Schriften auf eine denkbar laienhafte Art und Weise neu heraus. Für eine gewisse Aufregung sorgte 1970 Raphaels „Gegenbuch“ zu Bakers Der Mensch in der Falle, in dem Raphael wirklich kein einziges gutes Haar an Baker ließ. Gerade diese groteske Einseitigkeit nahm der 100seitigen Kritik jedoch jedwede Wirkung. Parallel ging Higgins gerichtlich gegen Baker vor, weil dieser Reich plagiiert habe. Der Prozeß endete praktisch sofort in einem Vergleich.
3. Die Beziehung des bereits erwähnten Orgonomen Victor Sobey zu Baker ist bemerkenswert, denn die beiden Männer waren sich stets sympathisch und Baker war wie selbstverständlich davon ausgegangen, daß Sobey sich seiner Gruppe anschließen würde. Dieser ging aber vollständig eigene Wege und bildete Laien, seine eigenen Patienten, zu „Orgontherapeuten“ aus. Während Baker stets der „Rechtsaußen“ der Orgonomie war, war Sobey der „Linksaußen“ und hob stets hervor, daß neben Freud vor allem Marx der Lehrer Reichs war.
4. Die ersten drei Gruppen hätten jeweils die Orgonomie selbständig fortführen können, was praktisch vor allem die Ausbildung neuer medizinischer Orgonomen umfaßt – auch wenn unbestritten nur Baker dazu von Reich autorisiert worden war. Die Gruppe um die beiden Orgonomen Simeon und Oscar Tropp wäre dazu auch in der Lage gewesen, wären die beiden nicht so früh, bereits Anfang der 1960er Jahre, verstorben. Simeon Tropp war vielleicht der einzige Orgonom, der mit Reich durch eine persönliche Freundschaft verbunden war. Er war schlicht ein Genie des sozialen Umgangs. Das zeigte sich auch im Verhältnis zu seinen Patienten, denen gegenüber er die gewöhnliche Distanz zwischen Patient und Therapeut nie aufkommen ließ. Therapiestunden waren eher eine „Teepartie“. Sehr schnell bildete sich eine groteske sektiererische Gruppe heraus, bei der beispielsweise die Makrobiotik eine große Rolle spielte. Ich werde über diese Tragikomödie demnächst separat und ausführlich berichten.
5. Kommen wir zu einer echten Tragödie: Michael Silvert war in den 1950er Jahren der vielleicht engste Mitarbeiter Reichs, einfach weil er der einzige unter den medizinischen Orgonomen war, der sich auch für Reichs bio-physikalische Arbeit interessierte und hier wirklich aktiv mitwirken konnte. Die Orgonomen, insbesondere Baker, haßten ihn wie die Pest, da sie ihn für einen pestilenten Charakter hielten. Reich mußte Silvert beispielsweise verbieten Frauen zu therapieren, da es immer wieder zu Beschwerden gekommen war. Kurz nach Reichs Tod, für den indirekt Silvert verantwortlich war, der schließlich durch sein Verhalten den schwer herzkranken Reich ins Gefängnis gebracht hatte, beging Silvert Selbstmord. Trotz allem hatte sich um ihn herum eine kleine Gruppe treuer Patienten gebildet, die ohne jedwede Öffentlichkeitsarbeit und losgelöst von allen anderen orgonomischen Gruppen fortwirkte und beispielsweise Cloudbusting-Operationen durchführte.

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