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Der neue Prometheus: Christian Fernandes‘ LA METTRIES „TUGENDHAFTE LUST“ – und Mary Shelleys FRANKENSTEIN

14. Oktober 2024

Das große Verdienst von Christian Fernandes ist es, mit seiner bahnbrechenden philosophiegeschichtlichen Studie über die „tugendhafte Lust“ die Orgasmustheorie, Charakteranalyse („Lehre von der Schuldgefühlen“) = Sexualökonomie = Orgonomie neu begründet zu haben, ohne auf Wilhelm Reich rekurrieren zu müssen, der zum Glück (sic!) nur am Rande erwähnt wird, LaMettrie reicht dazu nämlich vollkommen aus. Hier ein beliebiges Zitat aus Fernandes‘ Doktorarbeit:

In einer atheistischen Gesellschaft wären die Sterblichen „ruhig“. „Tranquilles“ bedeutet im Kontext friedlich, frei von der durch Religion kriegerisch gewordenen Natur. Die Religion nimmt im Homme machine genau die Stelle ein, die ein Jahr später im Discours sur le bonheur den Schuldgefühlen zukommt. Die „ruhige und tugendhafte Lust“ der idealen Gesellschaft dort entspricht der Ruhe der Sterblichen in der atheistischen Gesellschaft hier. Sie verhalten sich nicht bösartig, sondern ruhig, friedlich, tugendhaft, weil sie ohne den negativen Einfluß der Religion nur den „spontanen Ratschlägen ihres eigenen Ichs“, ihrer unverfälschten, reinen Natur, den angeborenen Triebfedern, ihrer per se tugendhaften Lust folgen. Für „jede andere Stimme“ sind sie „taub“. Da die Verunreinigung, die Infizierung der Natur durch Einflüsterung „anderer Stimmen“ der Ursprung des Bösen ist, sind sie immun dagegen, eine Neigung zum Bösen zu entwickeln. Anderen zu schaden, kommt für sie nicht infrage. Die von La Mettrie gemeinte Strafe, die auf die Mißachtung jener Ratschläge der Natur folgt, sind persönliches Leid, aber auch ein gesteigertes Aggressionspotential und das schreckliche gesamtgesellschaftliche Unglück, das daraus entsteht.

Daß die Tugend der Weg zum Glück sei, könnte als Gemeinplatz mißverstanden werden. Das Spezifikum La Mettries, die Parallele zur „Moral der Natur“ des Discours préliminaire verbirgt sich in der Aussage, daß diese „Pfade der Tugend“ selbst bereits „angenehm“ sind. Der Weg zum Glück führt also über das Glück selbst, über das dem natürlichen Luststreben Angenehme, nicht über Entsagung, Opfer, Unterdrückung des Eigenwillens. Das Angenehme, das Glück ist mit der Tugend verknüpft. Die Lust selbst ist tugendhaft und begründet das Wohlergehen des Einzelnen sowie der Gesellschaft, weil die Natur des Menschen so beschaffen ist, daß die eigene Lust von der des anderen abhängt und sie daher aus eigenem Antrieb befördert. Darin besteht „das natürliche Gesetz“ der Moral. Wird ihm gemäß erzogen, entsteht der „rechtschaffene Mensch“, auf den man sich verlassen, dem man vertrauen kann. (S. 23f)

Dieses Buch sollte Pflichtlektüre jedes „Reichianers“ sein, denn allzuleicht wird die Beschäftigung mit Reich zur Routine, nur bloßen intellektuelle Geste und zur Gebetsmühle, die ständig „orgonomisch korrektes“ Zeugs absondert. Mit Fernandes‘ nach 300 Jahren erstmaliger Freilegung des Kerns der LaMettrie’schen Philosophie, wurde uns die Chance eines Innewerdens unseres Eigensten möglich gemacht und damit die Chance eines Neuanfangs geboten, sozusagen „Orgonomie ohne Wilhelm Reich“.

Die Ehre LaMettrie (zusammen mit Max Stirner) für die Orgonomie entdeckt zu haben, kommt natürlich Bernd A. Laska zu, doch das beschränkte sich auf die Lehre von den schädlichen Schuldgefühlen = Charakteranalyse = Panzerung = Über-Ich. Daß dies bei LaMettrie (genauso wie bei Wilhelm Reich) mit der Lehre von der tugendhaften Lust = Orgasmustheorie = Sexualökonomie untrennbar verbunden ist, hat (nach ersten Andeutungen bei Laska) erst Fernandes im vollen Umfang gezeigt.

LaMettrie war der „Wilhelm Reich des 18. Jahrhunderts“ und wurde deshalb mit aller Wahrscheinlichkeit auch ermordet. Beide sahen sich jeweils als „neuer Prometheus“, der die Flamme der Wollust bringt und damit gleichzeitig die Zivilisation begründet. Bisher herrscht die bloße Barbarei!

DANKE Bernd A. Laska! DANKE Christian Fernandes! Wenn jetzt noch jemand eine Brücke von LaMettrie nach, keine Ahnung, Luigi Galvanis „animalischer Elektrizität“ oder Franz Anton Mesmers „animalischem Magnetismus“ = Orgonenergie schlägt…

Man erlaube mir dazu einen Anhang, denn mir fällt dazu folgendes ein:

Victor Frankenstein war in Mary Shelleys Roman „der neue Prometheus“ – der so, praktisch in der gleichen Funktion, in La Mettries Der Mensch als Maschine (Laskas Ausgabe, S. 83) auftritt. Seine Maschine bzw. sein „Monster“ wurde durch eine „atmosphärische Lebenskraft“ ins Leben gerufen, zu der Shelley von Galvanis Experimenten und der Praxis des Mesmerismus inspiriert worden war – kurioserweise auch durch die Arbeit von Mesmers Nemesis, Benjamin Franklin, mit Gewitterblitzen. Und drittens: ihr Roman dreht sich, vor dem Hintergrund der Geschichte der Aufklärung seit LaMettrie und der durch Rousseau initiierten Romantik um die tugendhafte Lust bzw. deren Negation.

Was ich meine wird zunächst hier deutlich:

Der Entstehungszeitraum von Mary Shelleys Frankenstein fällt in eine (…) Phase hoher technischer, medizinischer und allgemein naturwissenschaftlicher Fortschrittsdynamik. L’Homme machine des französischen Arztes und Philosophen Julien Offray de La Mettrie scheint ebenso die Zeit zu prägen und die Idee eines Maschinen-Menschen zu beflügeln wie die Erfindung der Elektrizität und die Versuche mit der solchen von Luigi Galvani (Galvanismus).

Und zusätzlich durch folgendes Abstract:

Beeinflußt von Philosophen der Aufklärung wie Rousseau und Smith, feiern romantische Schriftsteller wie Coleridge und Percy Shelley die erhabene Kraft der sympathischen Liebe, die das Selbst und den anderen (sei er menschlich oder unmenschlich) zu einem wundersamen Ganzen verschmelzen läßt und damit die Gefahren der Einsamkeit und des Solipsismus ausschließt. Nicht alle romantischen Schriftsteller teilen jedoch die gleiche sanguinische Sicht der Liebe. In Frankenstein zum Beispiel bietet Mary Shelley eine Alternative zur optimistischen Sichtweise auf die Fähigkeit zur (gegenseitigen) Sympathie. Sie formt den Roman zu einer Geschichte bitterer Einsamkeit, die durch den Mangel an sympathischem Verständnis zwischen Victor und der Natur, zwischen dem Monster und den De Laceys und zwischen dem Monster und seinem Vater Victor verursacht wird. In diesen wechselseitigen Beziehungen, so meine These, beschwört Shelley Elemente der aufklärerisch-romantischen Liebe herauf, nur um deren erhabene Kraft zu widerrufen und sie darüber hinaus in Verzweiflung zu verwandeln. Anstelle der romantischen Freude der transzendenten Fülle ist der Roman von gothic Verzweiflung, der völligen Negation der Erlösung, umhüllt.

Da das Monster nicht liebenswert ist, sich aber nach Liebe sehnt, rastet es aus und wird zum – Monster. „Das Wesen, das [Frankenstein] erschafft, trägt die ganze menschliche Natur in sich. Es verlangt nach Liebe, ist aber physisch nicht liebenswert, und Dr. Frankenstein verweigert ihm jede Möglichkeit der Liebe. Im Gegenzug und aus freiem Willen entscheidet es sich, die Liebesbeziehungen anderer zu zerstören“ (hier). Es ist bezeichnend, wie sehr Mary Shelleys abgründiger Horrorroman über einen „LaMettrie“ (gleichzeitig auch „Anti-LaMettrie“) und die tugendhafte Lust (bzw. die dramatischen Folgenden unterdrückter Lust) seit 200 Jahren die Menschen absolut unwiderstehlich in seinen Bann zieht…

Der Roman ist eine Erzählung über den Maschinenmenschen mit einer „romantischen“ Wendung („Lebenskraft“), über das Schuldgefühl (das Victor zerfrißt und von dem sein namenloses „Monster“ vollkommen frei ist – mit verheerenden Folgen) und nicht zuletzt eine über die „aufklärerisch-romantische Liebe“, die auf LaMettries „tugendhafte Lust“ zurückgeht und die verheerenden Folgen, wenn das Liebesbedürfnis zerstört wird. Victor liebt seinen künstlichen „Sohn“ nicht und tötet dessen künstliche Gefährtin sofort nach deren Erschaffung. Vielleicht lese ich zuviel hinein, aber zu diesem Thema paßt auch etwas, das für einen LaMettrie-Kenner kein Zufall sein kann: daß Victor Frankensteins Romanze mit Elizabeth Lavenza (die aus Rache vom „Monster“ getötet wird), jedenfalls in der ursprünglichen, unveränderten Originalversion des Romans von 1818, inzestuöse Geschwisterliebe war.

Peter auf dem Weg zur Orgonomie (Teil 12)

8. August 2024

Man schaue sich die Kommentare unter den Videos mit Konzertausschnitten des Mahavishnu Orchestra (1971-1973) auf Youtube an. Auffällig oft bekunden die heute mittlerweile vielleicht 75 oder 80jährigen Kommentatoren, daß ihre damaligen Konzertbesuche lebensverändert gewesen waren. Ein Abend Mahavishnu Orchestra und es gibt ein Leben davor und ein Leben danach. Genauso ging es mir, als ich in den NDR-Radio-Sendungen des Jazz-Pianisten und -Journalisten Michael Naura 1972 das Mahavishnu Orchestra hörte. Selbst der Zyniker Frank Zappa zeigte, wie Zeitzeugen berichten, eine tiefgreifende Erschütterung, als er und seine Band kurz mit dem Mahavishnu Orchestra tourten. Nicht nur rein formal musikalisch, sondern auch was die emotionale „Betroffenheit“ und der existentielle Ernst betrifft, änderte sich seine Musik ab diesem Zeitpunkt fundamental.

Damals begann mein zweiter Lebensabschnitt und aus einem interesselosen und auffällig minderbegabten angehenden Jugendlichen wurde die heutige Person. Es war, als wäre ein Feuer in mir entfacht worden. Ähnliches beschreiben heutzutage Menschen über ihre Konzerterlebnisse mit der Gruppe Heilung. Jeder kann selbst die Kommentare unter den Youtube-Videos lesen. Das ist etwas anderes, als das normale „Fan-tum“ mit Led Zeppelin oder wie heute derartige Gruppen und Künstler heißen mögen. Im Jahrhundert davor war es Wagner. Es wird durch das „Ritual“ auf der Bühne, das um „Ätherisches“ wie „Götter“ kreist, etwas auf einer grundlegenden bioenergetischen Ebene im Organismus angesprochen und zwar nachhaltig wirkend über Jahrzehnte hinaus. Was das ist?

Der energetische, „feinstoffliche“ Körper wird angesprochen, die organismische Orgonenergie wird zum Erstrahlen gebracht und manchmal kommt es zu einer regelrechten Explosion: eine langsame Konzentration der Energie, gefolgt von einem überwältigenden Feuerwerk.

Wenn das im Becken geschieht, macht das bei der Frau den Unterschied zwischen einem klitoralen „Orgasmus“ und einem vaginalen Orgasmus aus. Der erstere kann, wie der Höhepunkt beim Mann, durch eine rein mechanische Reizung auch onanistisch „hervorgerufen“ werden, der letztere geschieht, wenn „die Chemie“ zwischen den Sexualpartnern stimmt; Magie, Intimität, Hingabe, das Ego sich auflöst. Durch den Rhythmus, der wellenförmige Melodieverlauf, der Zauber der Harmonie und vor allem durch eine überwältigende Dynamik läßt Musik ähnliches in uns anklingen. Wirklich tragend und durch die Bank, also praktisch bei jedem Hörer, tritt das aber nur bei ganz wenigen „Bands“ bzw. Komponisten auf. Jenseits der drei genannten fällt mir kein anderes Beispiel ein. Es geht hier natürlich nicht um das besagte „orgasmische Feuerwerk“, sondern um eine Ahnung desselben.

Damit so etwas auftritt, muß ein Element hinzutreten, für das Rationalisten und Atheisten keinerlei Gespür haben, weshalb auch ihre gesamte „Aufklärung“ von vornherein null und nichtig ist. Jungfrauen, die von Sex und Liebe schwatzen! Reich hat das in der Massenpsychologie des Faschismus von 1933 anklingen lassen: der Appell der „Wagnerianischen“ Hitler-Faschisten an das „mystische Gefühl“, „politische Religion“; etwas, mit dem jeder Sektenführer spielt. Das ganze läßt sich nur sexualökonomisch und orgon-energetisch erklären.

Wagner hat so etwas explizit geplant: seine Festspiele in Bayreuth sollten „die deutsche Seele erwecken“. Entsprechendes findet sich bei John McLaughlins Mahavishnu Orchestra (Neo-Hinduismus) und Heilung (Neo-Heidentum). Hinzu muß jeweils eine nicht kontrollierbare, spontan auftretende „Chemie“ auftreten, ein Zauber, der einen überspringenden Funken zum Publikum erzeugt. Dabei geht es eben nicht nur, um das Erzeugen starker Emotionen, sondern durch den Appell an einen nebulösen „Mythus“ um das Öffnen der Wahrnehmung, daß es eine Ebene der Wirklichkeit gibt, die bioenergetisch ist. Als ich das Mahavishnu Orchestra hörte, machte ich mich sofort auf die Suche und landete – über, was naheliegend war, Sri Aurobindo et al. und Tantra schnell bei der Orgonomie. Reichs Aufsatz über die „Ausdruckssprache des Lebendigen“ in der Charakteranalyse erklärte mit einem Schlag alles.

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 144)

24. Juli 2024

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Ein entscheidender Dissens zwischen Laska und mir war alt und grundsätzlich. Reich hatte in Christusmord gesagt, daß, wäre er 1928-1933 mit seiner Sexpol erfolgreich gewesen, dies eine absolute Katastrophe „für die Menschheit“ gewesen wäre. Laska konnte das nie nachvollziehen, denn was wäre etwa an Reichs Aufsatz über „Eltern als Erzieher“ (1926) falsch? Ich verwies auf das, was nach Reichs Tod tatsächlich eingetreten ist: die „sexuelle Revolution“, die ganze Generationen zerstört hat und irgendwann über die gegenwärtige „neosexuelle Revolution“ (Transgender) im Transhumanismus münden wird: Ende der Menschheit. (By the way: Reich hat sich mit dem Transhumanismus schon Anfang der 1940er Jahre in Massenpsychologie des Faschismus [Ausgabe von 1946] auseinandergesetzt. Ich wies Laska darauf hin – der fand es läppisch.)

Reich sah sich „nur“ als konsequentester Ausdruck bzw. als konsequentester Vertreter einer nach Lebensbefreiung strebenden gesellschaftlichen Strömung. Laska sprach von den drei einzigen konsequenten Vertretern der drei Phasen der Aufklärung. Die Enzyklopädisten, Junghegelianer und Psychoanalytiker waren sozusagen Wellenberge in der besagten Strömung; L und S und R sozusagen die jeweiligen Schaumkronen.

Laska selbst ist eine andere Kategorie. Entsprechend kann er auch kein „Verhängnis“ sein. Ohnehin paßt er nicht ins Schema, weil er bereits zu Reichs Lebzeiten („d.h. in dessen Welle“) geboren wurde. Ist Laska also „harmlos“? Durchaus nicht, will sagen: hier haben wir das Dynamit von L und S und R zu einer gewaltigen Bombe zusammengebunden… Aber wie angedeutet geht es nicht um eine reine Ideengeschichte im üblichen Sinne, sondern um geschichtliche Strömungen: die vegetative Energie strebt nach Expression. Der „Denker“ erschafft nicht etwa diese Strömungen, sondern er nimmt sie nur wahr, faßt sie in Worte und setzt sich dergestalt an ihre Spitze. Man wird einwenden, daß L und S und R doch gescheiterte Existenzen waren, die jeweils im Elend und Vergessen verreckt sind, aber ich spreche natürlich von einem jeweils „heimlichen Hit“, einer untergründigen Wirkungsgeschichte.

Wenden wir uns der besagten „Geschichtsströmung“ zu: Wir befinden uns mitten im Zusammenbruch von 6000 Jahren „gepanzerter Gesellschaft“ (oder, wenn man so will, „6000 Jahre Über-Ich“). Das ist so, als wenn man einem Krüppel die Krücken wegstößt: er wird straucheln, aufheulen und schwebt in Gefahr sich das Genick zu brechen. Er hat aber auch die Chance sich zu fangen und fürderhin aufrecht durchs Leben zu wandeln. Was ich gerade in der Welt sehe, ist folgendes: die Linke pusht unverantwortlich voran, so daß sich der Krüppel unausweichlich das Genick brechen wird, während die Rechte von den alten Krücken träumt, neue Krücken bauen will bzw. die alten zerbrochenen und unreparierbaren Krücken, die auch gar nicht mehr passen würden, irgendwie doch noch reaktivieren will. Das letztere ist ein, so auch Laskas Einschätzung, absolut hoffnungsloses Unterfangen, denn es gibt prinzipiell kein Zurück mehr – und es wäre ohnehin nicht wünschenswert. Die wirkliche Funktion der Rechten ist eine ganze andere: Aufklärung über die Krücken, wie sie uns abhanden gekommen sind, über ihr heutiges Fehlen und daß es nun gilt, ohne Krücken langsam und ohne Hast das Laufen zu lernen. Laska hatte diesen „charakteranalytischen“ Ansatz – und es ist kein Zufall, daß er, der Linke „65er“ (sic!) zunehmend „nach rechts abgedriftet“ ist.

Ob Konservative hier eine Rolle spielen können, hängt davon ab, ob sie lächerliche Reaktionäre sind, die sich der Strömung entgegenstellen, und früher oder später von ihr vernichtet werden, oder ob sie die Problematik der Panzerung/des Über-Ich zumindest erahnen. Übrigens gibt (bzw. gab) es mit dem heideggerisierenden Outdoor Illner jemanden, der – explizit nicht diese, aber – ein ähnliche Sicht bzw. Herangehensweise der rechten Speerspitze des deutschen Konservatismus vermitteln wollte: „Seinsgeschichte“ an die man sich akklimatisieren müsse… Hier zeigt sich, daß der Rechte immerhin ahnt, worum es geht, während der Linke einfach frisch und fröhlich, verpeilt und blind in den sicheren Untergang vorwärts stürmt.

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 136)

7. Juni 2024

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

In der Aufklärung gab es die Möglichkeit den subjektiven (= „geoffenbarten“) Geist des Christentums durch die „objektive“ Vernunft zu ersetzen (Diderot, Kant) – oder das Christentum (= die Moral) ganz fahrenzulassen.

Am Ende des deutschen Idealismus konnte man das „Idealistische“ (den objektiven Geist = das Über-Ich) materialistisch erden – oder ganz verwerfen.

Bei Freud/Reich ähnlich: nach dem frühen Freud (der ja nur der Kulminationspunkt einer „Bewegung“ ist, die mit Nietzsche und dem künstlerischen „Aufbruch in die Moderne“ umrissen ist) gab es nur zwei Wege weiter: Kultur oder Natur. Den ersten beschritten Freud, Alexander, Federn, et al., den zweiten Ferenzci (der zufällig mal kurz in diese Wegspur geriet), Gross und Reich.

Man könnte sagen, bei Stirner bildet sich der „Verein“ aus den Schnittstellen der Wirkungen, die von den, Marx zufolge, „abstrakten“ Individuen ausgehen. Bei Marx sind umgekehrt die Individuen die Schnittstellen gesellschaftlicher Wirkungen = Historischer Materialismus. Das führt letztendlich dazu, daß „die Gesellschaft“ zum Abstraktum wird – zum „irrationalen Über-Ich“.

Reich zufolge setzt das Leben bzw. „das Lebendige“ seine eigenen Regeln auf, organisiert sich die Gesellschaft spontan. Es bildet sich sozusagen ein „rationales Über-Ich“ (Laska) aus. Beim vermeintlichen „Atheisten“ Freud muß eine letztendlich überweltliche Vernunft ordnend und regulierend eingreifen, damit das Leben nicht an seiner eigenen Irrationalität zugrundegeht. Dabei verkennt er, daß diese Eingriffe die Selbstregulation zerstören und dadurch erst das erzeugt wird, was das „irrationale Über-Ich“ doch bekämpfen will.

Peter liest die Laska/Schmitz-Korrespondenz (Das Ende)

3. Mai 2024

Das Versinken der gesamten europäischen Kultur „folgt“, so Laska, „der Agenda, die Thilo Sarrazin mit der Formel ‚Deutschland schafft sich ab‘ prägnant erfaßt hat (…). Ich [Laska] sehe den tieferen Grund dafür in der von mir fokussierten Selbstsabotage der Aufklärung (indem Marx und Nietzsche über Stirner triumphierten, zuvor Rousseau über La Mettrie); der Grund für diese [Selbstsabotage] allerdings bleibt mir ein Rätsel“ (S. 482f).

Nun, man muß es nur („L – S – R“) durch Freuds, Marcuses, Fromms, Adornos Triumph über Reich ergänzen. Wie hat Reich den „Todestrieb“ erklärt? Immerhin hat Freud den entsprechenden Artikel zum Anlaß genommen, Reich aus der Psychoanalyse und damit aus der Geistesgeschichte zu verbannen! Der Masochist (als Extremform des gepanzerten Menschen) nimmt lieber die vergleichsweise kleineren Schmerzen hin, provoziert sogar deren Zufügung, nur um der einen großen Gefahr zu entgehen: von der orgastischen Zuckung in tausend Fetzen zerrissen zu werden.

Reich schrieb ein ganzes Buch darüber, Christusmord, warum die Aufklärung das schlimmste wäre, was der Gesellschaft widerfahren könnte. Sie bleibt lieber im mechano-mystischen Obskurantismus gefangen, da die Wahrheit sie zerfetzen würde. Sie wäre die ultimative Katastrophe. Schmitz versucht sie zu verhindern. Er ist der ultimative Katechon, der „Aufhalter“, Laska ist sein (vermeintlicher) Antichrist. Dieses Buch dokumentiert die Geschichte dieser beiden archetypischen Schicksalsgestalten der Menschheit.

Schmitz selbst hat nur eine vage Ahnung von dem Strom, der uns ins unausweichliche Verderben spült: aber immerhin – was auch zeigt, warum Laska überhaupt mit ihm diskutiert. Schmitz:

Nach meiner Konstruktion schwimmt Stirner mit im Strom, der von Fichte ausgeht, nämlich von der Entdeckung der strikten Subjektivität (d.h. dem Umstand, daß z.B. in meinem Fall mir eine Auskunft über Hermann Schmitz wesentlich weniger Information gibt, als wenn hinzukommt, daß ich selbst Hermann Schmitz oder sonst etwas bin) zusammen mit ihrer Verkennung als rezessiv entfremdete Subjektivität (d.h. als über oder zwischen allen Tatsachen schwebendes Ich). Dieser Strom führt von der romantischen Ironie über die Dandys und den Weltschmerz tief in das ironistische Zeitalter absoluter Wendigkeit zur Coolness der modernen Jugend und zum „Zappen“ an elektronischen Geräten aller Art und sonstigen Freizeitvergnügen. Die Auszeichnung Stirners besteht in meinen Augen nur darin, daß er die rezessive Entfremdung mit trockener Humorlosigkeit blutig ernst nimmt, während die Ironisten damit eher ein Spiel treiben, das harmlos wirken kann, während Stirner mit seinem Ernst zeigt, wohin die Reise wirklich geht. Er ist ein Offenleger des tiefen Sinns des ironistischen Zeitalters, ein Mahnmal, nicht ein suggestiver Anstifter. Er wirkt abschreckend, so daß sich die von Ihnen entlarvten „Exorzisten“ an ihm vorbeizudrücken suchen. Der Schrecken hat aber reales Gewicht, ohne daß Stirner als Autor der Anstifter wäre. (S. 492)

Laska sieht den Strom von LaMettrie, Stirner und Reich ausgehend und das Verhängnis in der falschen Weichenstellung durch Diderot, Marx und Freud, die das Über-Ich doch noch gerettet haben, das uns heute beispielsweise dazu führt, vom Schuldwahn („Über-Ich-Wahn“) benebelt und restlos verunsichert den Holocaust der Umvolkung wiederstandlos über uns ergehen zu lassen. Das Warum kann Laska, wie erwähnt, nicht beantworten. Das kann, wie erläutert, nur Reich. Entsprechend ist, richtig gelesen, die Laska/Schmitz-Korrespondenz das Requiem der Menschheit:

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 124)

21. April 2024

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Im Ukraine-Krieg war untergründig stets Immanuel Kants Stimme vernehmbar: „Handle nur nach dieser Maxime, wobei du gleichzeitig wollen kannst, daß sie zu einem universellen Gesetz wird.“ Wenn Rußland es tut, wird es schließlich jede Nation tun, usw. Der Punkt ist, daß a) die Realität so nicht funktioniert, d.h. niemand wird tatsächlich so handeln; und b) ein „universelles Gesetz“ ist unsinnig, weil es eine Vielzahl von Umständen gibt. Kant träumte schließlich von einer einzigen Weltregierung, um den universellen Frieden zu sichern. Kant war ein verdammter globalistischer Kommunist.

Diese vermeintliche „Aufklärung“ ist doch nur Religion mit anderen Mitteln, d.h. es läuft immer auf das Gegenteil von ungepanzerter Selbstbestimmung hinaus. In die gleiche Kategorie fällt Adornos Diktum, „es kann kein gutes Leben im Schlechten geben, nichts Wahres im Falschen“. Nicht nur, daß es hervorragend zu seinem Elitedenken und seinem großbürgerlichen Hochmut paßte. Man kann sich gut ausmalen, wie Adorno auf die drei letzten „kitschigen“ Seiten von Reichs Rede an den kleinen Mann reagiert hätte, wo Reich das gute, einfache, anständige, „kleinbürgerliche“ Leben preist: die exakte Gegenposition zum besagten Diktum, das ebenfalls auf den kommunistischen Terror hinausläuft.

Wie grundsätzlich anders Reichs Herangehensweise war, zeigte sich bei seinen Sexpol-Veranstaltungen: daß, wenn sie sich geschützt und in der Gruppe geborgen fühlen und durch die Sanktionierung durch die Gruppe vom individuellen Über-Ich befreit sind, einfache Menschen genau die gleichen Gedanken und Empfindungen äußern, wie sonst nur die ganz raren genitalen Charaktere. (Manche behaupten, Reich wäre damit der Begründer der Gruppentherapie gewesen.) Man kann den Menschen und der Natur vertrauen jenseits aller von Meisterdenkern, die keinerlei Kontakt zu den Massen und zur Natur haben, ausgeheckten bzw. erträumten Idealwelten – die sich letztendlich immer als Höllen erweisen.

Adorno konnte seinen berühmten Satz nur Formulieren, weil er einer jener Marxisten war, die Reich so sehr verabscheut hatte: zu denen, die sich nie bei Demonstrationen und Massenveranstaltungen sehen ließen, sondern lieber wie Marcuse bei Heidegger promovierten und in Intellektuellenzirkeln ihre Gehirnsekrete absonderten. Jene, die keinerlei Kontakt zu den Zadnikers, Templetons und Ross‘ hatten.

Wer „bildet“ diese Gesellschaft: diese Gesellschaft wird von den Lehrern „gebildet“ (inklusive den Eltern, den Nachbarn, Kollegen und den Medien: „Über-Ich“). Alle folgen der „Kultur“ und alle geben den gleichen Schwachsinn von sich. Aber wenn sie zur Ruhe kommen, sich entspannen und im intimen Kreis ihr Herz öffnen, wird fast jeder Dinge von sich geben, als hätte er Reich „etc.“ gelesen.

Reich hatte die Hoffnung, daß der Zweite Weltkrieg auch die allerletzte Illusion von den Menschen nehmen würde und deshalb in der Nachkriegszeit die „Arbeitsdemokratie“ ausbrechen würde. Gewisserweise hatte er recht, denn die Generation unserer Väter und Mütter, die für nichts und wieder nichts durch die Hölle gegangen waren, war wirklich ein für allemal „fertig“. Ich weiß doch, was in meiner Familie, mit meinen Eltern abgelaufen ist – und so war es in jeder einzelnen deutschen Familie! So sehe ich die Apathie, kalte Verachtung und die grundsätzliche Verweigerung von Engagement die dem Enthusiasmus und der Aufbruchstimmung der „68er“ entgegenschlug: es war die absolut gesunde Verweigerung irgendwelchen neuen „Kulturprojekten“ zu folgen. (Wohin das führt, zeigt heute der Grüne Abschaum!) „Bioenergetisch“ betrachtet ist damals das genaue Gegenteil dessen vorgegangen, als was es oberflächlich erschien.

Nur ein grundsätzlich anderes „68“ hätte zum Erfolg führen können, nämlich das, was Reich vorschwebte: Schluß, endgültig Schluß mit aller Politik, allen großen Ideen und Ideologien, die Menschen nehmen ihr Leben selbst in die Hand, angefangen von den kleinsten Einheiten.

Peter liest die Laska/Schmitz-Korrespondenz (Teil 6)

3. April 2024

Mit seiner „Leibphilosophie“ besteht Hermann Schmitz darauf, daß wir nicht Gefühle haben, sondern von Gefühlen ergriffen werden. Damit ähnelt er durchaus Reich, der seit den bio-elektrischen Experimenten Mitte der 1930er Jahre darum bemüht war, Gefühle zu „objektivieren“ und umgekehrt Subjektivität in die Forschung zu integrieren: der Forscher selbst als wichtigstes Forschungsinstrument. Laska liegt eine solche Sichtweise fern oder, besser gesagt, ihm ist das Ergriffenwerden selbst das Grundproblem: Fremdsteuerung, Manipulation, Heteronomie, Über-Ich. Und tatsächlich sind alle „Lehren“, die die Objektivität von Gefühlen vertreten (der Mensch wird zu einem bloßen „Radioempfänger“!), etwa der tibetische Buddhismus oder Steiners Anthroposophie, dezidiert, wie soll ich sagen, „über-ich-affin“. Das zeigt sich ganz konkret an der Kindererziehung, die diametral dem orgonomischen „Summerhill-Modell“ widerspricht.

Für Schmitz ist die große, alles entscheidende Wende in der Menschheitsgeschichte die Philosophie Fichtes (zugespitzt durch Stirner): die radikale Subjektivität, wie sie in der romantischen Bewegung evident wurde, eine alles zersetzende Ironie, die in vielem unsere heutigen antiautoritären Verhältnisse, die alles beherrschende Beliebigkeit, vorwegnahm. Man spielt nur noch eine beliebige Rolle, kann sogar sein Geschlecht nach Belieben ändern und sogar neue „Geschlechter“, wenn nicht „neue Genitalien“ frei erfinden. Tatsächlich wird ja Stirner von vielen neosexuellen Transleuten vereinnahmt: „Ich habe meine Sache auf nichts gestellt!“ „Ich bin, wer ich bin!“

Aus dieser Perspektive blickt Schmitz auf Laska: als jemand der sich der Ergriffenheit, Betroffenheit entzieht. Beispielsweise hat Schmitz die „Utopie“, daß Europa eines Tages von „Hndugöttern“ ergriffen werden könnte, worauf Laska nur konsterniert kopfschüttelnd reagieren kann. Was Schmitz meint, wird wohl am besten durch das Phänomen „Heilung“ verkörpert. Man lese die Kommentare unter dem Video und beachte, wie viele Menschen es sich schon angeschaut haben!

Heilung im Sinne Schmitz‘! An sich ist der Mummenschanz lächerlich und fordert zur Ironie auf, aber die bleibt einem buchstäblich im Halse stecken, wenn man den Mut hat sich der Erfahrung zu öffnen – den Gefühlen zu öffnen.

Hier haben wir exakt das, was Wagner anstrebte und nicht zuletzt sein Adept Hitler. In Massenpsychologie des Faschismus hat sich Reich ausgiebig mit dem Phänomen des „Ergriffenseins“ beschäftigt. Gleichzeitig hat er eine Alternative angeboten; eine Alternative, die explizit gegen das Über-Ich gerichtet ist. Die Rede ist davon, daß in seinen „Sexpol-Gruppen“ die sexualpositive Massenatmosphäre, die durch die wortwörtliche „Aufklärung“ erzeugt wurde, die individuellen Hemmungen überwunden hat und den Impuls zur kollektiven Befreiung freisetzte. Ähnliches strebte er später mit seinem Konzept der „Arbeitsdemokratie“ in der Sphäre der Arbeit an. Das ist der sozusagen „menschentierliche“ „unbedingte Ernst“, der „‘tierisch‘ verankerte Lebenswille“, den Laska Schmitz nahebringen will, aber Schmitz sieht nur Kultur, verteidigt die Kultur, die „einpflanzende Situation“ – das Über-Ich. Faschismus! Seine Zukunftsvision sind „Hindugötter“! Heilung…

Peter liest die Laska/Schmitz-Korrespondenz (Teil 3)

26. März 2024

Bernd Laska sagt: „(W)as kümmert mich, der ich nicht ‚Gott‘ bin, das Schicksal der Menschheit“ (S. 117). Ähhh, weil ich ICH bin? Ich bin perspektivisch immer im Zentrum der Welt. Ihre Tiefe macht mich aus, was jeder schmerzlich am eigenen Leib erfährt, der in Isolationshaft irgendwo in einem Kellerloch sitzt. Und was das „Schicksal“ dieser Welt betrifft: Ich bin nichts anderes als Spannung! Teil eines Spannungsbogens, der von der Vergangenheit in die Zukunft reicht. Weshalb würde ich sonst diesen Blog oder irgendwas betreiben, wenn ich nicht etwas vollende, dessen Keim in der Vergangenheit gelegt wurde und ich versuche einen Keim für die Zukunft zu legen? Seit der ersten Amöbe beruht darauf das Leben: die „Keimbahn“. Ohne die Tiefe und ohne die Spannung macht es gar keinen Sinn von „ich“, „Eigner“ oder „Selbst“ zu sprechen. Und das Schreckliche ist, daß wenn ich mir die junge Generation anschaue, ihr jedwede Tiefe und jedwede Spannung abgeht. Es ist tatsächlich nicht wichtig Bismark auf einer Landkarte ungefähr verorten zu können oder zu wissen, wann Bismarck ungefähr gelebt hat (das sage ich ohne Ironie!), aber wenn man sich gar nicht verorten kann und auch kein Interesse „an Raum und Zeit“ zeigt, dann ist jedes Gerede von Selbstinteresse gegenstandlos: Es ist schlichtweg „niemand zuhause“!

Dagegen setzt Laska den „‘tierisch‘ verankerten Lebenswillen“ und das „rationale Über-Ich“. Dadurch käme „ein wirklich solider (sich nicht durch z.B. suizidalen oder masochistischen Opferwillen manifestierender) unbedingter Ernst in die Welt (…), ebenso wie eine solide Verankerung des individuellen Lebens im Hier und Jetzt (und nicht in einer starren ‚Identität‘ aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Wahngemeinschaft) und ein vom rationalen Über-Ich assistiertes Leben (ohne Suche nach Sinn, sondern) mit unverlierbarem Sinn“ (S. 123f).

Lassen wir dazu Schmitz ausführlich zu Worte kommen:

Wir teilen die Sorge um das glänzende Elend eines Zeitgeistes, der die Menschheit in ziellos betriebsamer Vernetzung verstrickt, so daß sich die Stricke um die Gestaltungskraft lähmend zusammenziehen und kein großes, leidenschaftlich erfüllendes Wollen mehr durchlassen. Wir trennen uns im Durchblick durch diese Sorge auf hoffnungsvollere Möglichkeiten. (…) Die Radikalisierung, die wir beide der Aufklärung wünschen, besteht für Sie (…) in einer Engführung, auf dem im 18. Jahrhundert schon eingeschlagenen Weg mit mehr Courage und weniger Halbherzigkeit energisch fortzuschreiten, für mich dagegen in einer Verbreiterung und Vertiefung zur Wurzel (radix) der Philosophie hin, die nach meiner Definition das Sichbesinnen des Menschen auf sein Sichfinden in seiner Umgebung ist. Dieses Sichbesinnen war nach meinem Dafürhalten bei den modernen Aufklärern von Anfang an doppelt verkürzt: durch das Erbe des Christentums mit Zersetzung implantierender Situationen, autistischer und dynamistischer Verfehlung [damit meint Schmitz das Loslösen vom Weltzusammenhang, PN], und durch die (schon antike) Abspaltung einer vermeintlich autonomen Vernunft von der Autorität der Gefühle in leiblich-affektivem Betroffensein. (S. 122)

Man sieht, daß beide, Laska und Schmitz, der Orgonomie nahekommen und trotzdem ständig aneinander vorbeireden, weil Laska im „Hier und Jetzt“ gefangen bleibt und Schmitz partout Laskas Begriff von Rationalität nicht begreifen will bzw. kann, weil er in der Philosophiegeschichte sozusagen gefangen ist und nicht zu den bioenergetischen Wurzeln durchdringen kann, trotz allem „leiblich-affektivem Betroffenseins“. Wenn er etwa einwendet, daß alles „personale Erleben und Verhalten“ tierisch verankert ist (S. 125), sieht man, daß er von Panzerung nicht den Hauch einer Ahnung hat. Das Problem ist aber auch, daß Laska nicht als sozusagen „konkretistischer“ „Reichianische Sektierer“ dastehen will und deshalb auf einer Abstraktionsebene argumentiert, die den Knackpunkt, den Unterschied zwischen dem Reichschen „Menschentier“ und dem „Maschinenmenschen“ dem ahnungslosen Schmitz gar nicht nahebringen kann.

Der Knackpunkt zeigt sich, wenn Schmitz ausführt, er halte die Annahme „für verhängnisvoll (…), daß es eine konfliktfreie Entfaltung einer gesunden reinen Menschennatur geben könne, sofern nur schädigende Einflüsse der Gesellschaft ferngehalten werden und eine stützende, nicht hemmende Führung geboten wird“. Das sei eine „anthropologische Illusion“ (S. 118), aus der „emotionale Krüppel“ (S. 119) hervorgehen würden. Die „Krüppel“ sind die Ungepanzerten, die nicht wie Roboter in ihrer rostigen Ritterrüstung rumstaken…

Schmitz Bezug auf das „Leiblich-Affektive“ ist letztendlich nur Gerede, ohne jedes wirkliche bioenergetische Fundament, da er, wie gesagt, keine Ahnung von der Panzerung und ihren Wirkungen hat, während Laskas, wenn man so sagen kann, „tierische Solidität“ in der Luft hängt, also ganz und gar nicht „solide“ ist, wie ich anfangs erläutert habe.

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 115)

10. März 2024

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

In der normalen, d.h. triebgehemmten Neurose, wie Freud sie beschrieben hat, wendet sich das Ich gegen das Es. Beim triebhaften Charakter, wie ihn Reich beschrieben hat, wendet sich das Ich gegen das Über-Ich.

Freud war gegen die „Kämpfer gegen das Über-Ich“ (der frühe Ferenczi, Gross, Reich), weil er – nicht ganz zu unrecht – ein solches Vorgehen mit dem Untergang von (nicht nur dieser, sondern aller) Kultur, Zivilisation und aller Menschlichkeit assoziierte.

Das besondere an Reich ist nun, daß er diese rationale Gegenposition Freuds unterlaufen hat, indem „ausgerechnet“ er jenen Charakter, nämlich den triebhaften Charakter, untersucht hat, der genau das verkörpert, was Freud befürchtet hat: „revolutionäres Chaos“.

Worauf beruht der untherapierbare triebhafte Charakter? Auf einer inkonsequent durchgeführten „Revolution“. Man kann die Kinder nicht „ein bißchen“ frei erziehen, sondern es gibt nur die Alternative zwischen ganz frei (–> genitaler Charakter) oder ganz repressiv (–> neurotischer Charakter). Entweder ganz „LSR“ oder gar kein „LSR“! [ = Liquidation des Super-Ego, radikal!]

Freud und die Freudianer haben sich dieser Alternative entzogen und haben sich für ein bißchen Freiheit und ein bißchen Repression entschieden – was letztendlich (man betrachte nur die bis vor etwa 50 Jahren von der Psychoanalyse dominierten USA) zu einer Generation von triebhaften Charakteren führte: Freud mit seinem dilettantischen Pseudo-„LSR“ (Freud als angeblich radikaler Aufklärer!) ist also letztendlich für das verantwortlich, weswegen er Ferenczi, Gross, Reich sozusagen prophylaktisch angegriffen hat.

Um diese Dialektik geht es mir: das oberflächlich Rationale bei Freud, als er „LSR“ angriff – das abgrundtief Irrationale bei Freud, als er „LSR“ angriff – und Reichs absolut unangreifbar rationale Position. Reich war der einzige, der kein Quacksalber, Scharlatan und gemeingefährlicher Narr war.

Reich vs. Freud ist nicht nur irgendeine obskure intellektuelle Beschäftigung:

  1. Ohne eine geregelte Abpanzerung kommt es zum vollkommenen Desaster: „entweder die guten alten Zeiten“ oder „freedom, not licence“ – aber eben keine „licence“.
  2. Ohne eine geregelte Entpanzerung kommt es zum vollkommenen Desaster: Charakteranalyse statt wilder Psychoanalyse, Lowensche „Bioenergetik“, etc.
  3. Es gibt nur einen einzigen Weg zu einer wirklichen Veränderung der Gesellschaft: die Freiheitskrämer ausschalten.

Und selbst da wo Freud recht hatte: Wäre es wenigstens ein konsequenter Reaktionär gewesen! Aber nein, er mußte den Aufklärer spielen und sozusagen eine Teilmenge von LSR loslösen und unter die Leute bringen, was zweierlei Effekt hatte:

  1. erstens konnte er Reich damit blenden, der den „wahren Freud“ vertreten wollte; und
  2. hat Freud genau als das gewirkt, was er „Ferenczi, Gross, Reich“ vorhielt: als Zersetzer der Kultur, der mit einem Pseudo-LSR die Gesellschaft in Richtung „triebhafter Charakter“ trieb.

Mein Argument ist, daß Reich schon 1925 für Disziplin stand und eine „konservative“ Herangehensweise: verkörpert durch die Charakteranalyse. Im Vergleich dazu war Freud der „wilde Analytiker“. – In anderer, nämlich „politischer“ Hinsicht, war zu dieser Zeit Reich der „zu wilde“, was er später ja auch einsah und Freud recht gab. – Das hört sich widersprüchlich an, ist aber ganz einfach und, wie ich finde, einleuchtend.

Nehmen wir doch nur mal die Stracheys, die Reich in Berlin hörten, als er über den triebhaften Charakter sprach (siehe https://nachrichtenbrief.com/2022/10/06/erganzung-zum-24-kapitel-freuds-christusmord-meines-buches-der-verdrangte-christus-bd-1/) – wozu ich Laska schrieb: „Sicherlich haben Sie recht, wenn Sie behaupten, daß diese ‚DMF-Freudianer‘ sofort spürten, daß Reich ein ganz schlimmer LSR-Finger ist, gegen den ‚die Kultur‘ zu verteidigen sei, etc. – gleichzeitig waren die Stracheys aber auch ein schwul-lesbisches ‚Ehepaar‘, das vieles von dem verkörperte, was Reich mit dem Begriff ‚triebhaft‘ umrissen hatte. (BTW: Für Reich war Homosexualität eine schwere Krankheit, für Freud war sie es nicht – und so in vielem: in vielem war im Verhältnis SF/WR Freud der ‚Liberale‘.)“ [DMF ist das Gegenteil von LSR und steht für Diderot, Marx, Freud.]

Ich verweise auf Reichs schematische Gegenüberstellung von triebgehemmten und triebhaften Charakter (Frühe Schriften, S. 321f):

Zwangsneurose

  1. Manifeste Ambivalenz
  2. Reaktive Wandlung der Ambivalenz
  3. Strenges, ins Ich eingebautes Über-Ich
  4. Starke Verdrängung und Reaktionsbildung
  5. Sadistische Impulse mit Schuldgefühl verknüpft
  6. Charakter übergewissenhaft, asketische Ideologien
  7. Das Ich unterwirft sich dem Über-Ich

Triebhafter Charakter

  1. Manifeste Ambivalenz
  2. Keine reaktive Wandlung oder überwiegender Haß
  3. Isoliertes Über-Ich
  4. Mangelhafte Verdrängungen
  5. Sadistische Impulse ohne Schuldgefühl
  6. Charakter gewissenlos, Sexualität manifest, das entsprechende Schuldgefühl eventuell in neurotischen Symptomen verankert oder total verdrängt
  7. Das Ich steht beiderseits ambivalent zwischen Lust-Ich und Über-Ich, de facto Gefolgschaft nach beiden Seiten

Freuds Ideal war die organische Verschmelzung von Ich und Über-Ich (= das gehemmte Ich). Reichs Ideal war das vom Über-Ich befreite Ich (= das ungehemmte Ich). Und er wußte etwas, was Freud nicht wußte: das der triebhafte Psychopath (z.B. der „Generalpsychopath“ Adolf Hitler) entgegen allem Anschein erst recht vom Über-Ich versklavt ist – und daß ein Gutteil seiner (Reichs) psychoanalytischen Kollegen selbst solche Psychopathen waren und Psychopathen erzeugten. Das hat, wie erwähnt, viel vom Gegensatz LaMettrie/DeSade bzw. Stirner/Marx (der „Satanist Marx“).

Heute, in einer von Diderot („liberale Aufklärung“), Marx („Gerechtigkeit = Gleichheit“) und Freud („polymorph-perverse Toleranz“) geprägten Gesellschaft bilden wir uns ein, uns vom Über-Ich zu befreien – in Wirklichkeit geraten wir erst recht in seine Fänge.

Freiheitskrämer sind jene, die polit- und „sexual“-revolutionär gegen das Über-Ich ankämpfen. Sie sind zu bekämpfen, wenn es überhaupt irgendeine Hoffnung geben soll, sich vom Über-Ich zu befreien! Deshalb war Freuds Opposition gegen Reich nicht nur irrational! Deshalb sind konservative Feldzüge nicht nur irrational.

Brief [Rudolf Steiner] 2009

18. Februar 2024

Brief [Rudolf Steiner] 2009