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Eine Notiz über James DeMeos Saharasia-Theorie (1999) (Teil 2)

28. Juni 2022

Bei der Lektüre von Saharasia flippe ich immer hin und her, man nehme etwa die Makkabäer: der Makkabäer-Aufstand siegte 161 v.Chr. gegen die hellenistische seleukidisch-syrische Herrschaft; er hatte nichts mit irgendwelchen Römern zu tun. Und nun steht in Saharasia auf S. 275 etwas über die „Maccabees rebellion of 167 BCE (sic!) wherein Judea became independent from Rome (sic!)“. Ganz im Gegenteil waren die Juden damals verbündete der Römer gegen die Seleukiden. Das macht DeMeos Anmerkung geradezu komisch. Ein gefundenes Fressen für die Feinde DeMeos. – Übrigens verwundert mich, daß DeMeo praktisch ganz den hellenistischen Einfluß auf den Nahen Osten unterschlägt.

Überhaupt hat DeMeos Lektor, also seine Frau, schlecht gearbeitet.

Hier noch vier Überlegungen zur Saharasia-Theorie:

1. In Ländern wie China und Indien ist Nacktheit und Sexualität in Filmen Tabu, Gewalt jedoch nicht: deshalb kommt Nacktheit und Sexualität nur in Gewaltszenen vor, die die Zensur anstandslos durchgehen läßt. Selbst in Amerika lassen sich „Sex-Szenen“ á la Basic Instinct nur via Gewalt in Filme einbauen, die auch Jugendliche sehen dürfen. Das ist symptomatisch für eine gesellschaftliche Vergewaltigungsmentalität: Angst der Männer vor der autonomen Sexualität der Frauen und Angst der Frauen vor der Autonomie („Ich bin ja nicht verantwortlich!“).

2. Interessant wäre auch eine geographische Aufschlüsselung des Kindesmißbrauchs. Ich glaube, man wird feststellen, daß die Päderastie genau dort häufig sein wird, wo auch die Homosexualität groß ist: in Saharasia. Interessanterweise waren im Sprachgebrauch des 19. Jahrhunderts „Päderastie“ und „Homosexualität“ vollkommen synonyme Begriffe. Was ziemlich interessant hinsichtlich der jetzigen Diskussion über sexuellen Kindesmißbrauch ist. Wer behauptet, daß Homosexualität keine Krankheit ist, muß folgerichtig auch die Päderastie akzeptieren – und vernünftigerweise seinen eigenen Sohn zur Verfügung stellen! Sicherlich wird mir die Psychiatrie nicht zustimmen, aber ich bin trotzdem davon überzeugt, daß ausnahmslos jeder Homosexuelle ein Päderast ist. Wenn nicht im Leben, dann doch in der Phantasie. Historisch war das jedenfalls stets so, etwa bei den Griechen: ein älterer Mann und ein Jüngling bzw. Knabe.

Übrigens kann man so Liberale fertigmachen: wenn sie A (Homosexuelle) sagen, sollen sie gefälligst auch B (Kinderficker) sagen! Das haben Konservative auf der einen Seite und Kommunisten (etwa Lenin) auf der anderen Seite an den Liberalen immer so verachtet: das sie eine Sache nie zuende denken, nie die Konsequenzen ziehen.

Aber zurück zu Saharasia: nicht ohne Grund hat Nietzsche in Italien gelebt, denn da gab es wie selbstverständlich die kleinen Jungs – wie im übrigen Mittelmeerraum. Heute ist Marokko der Geheimtip. Dort wird nur die genitale heterosexuelle Sexualität der Jugendlichen erbarmungslos verfolgt.

3. Was meine Sache mit den Linksalternativen und Saharasia betrifft: mir wurde von einem Uni-Seminar berichtet, wo der Dozent ganz Herbert Marcuseisch für Cannabis & Co. warb und als glühendes Beispiel die saharasiatischen Länder ausmalte, wo die Menschen dank dieser Drogen friedlich und entspannt seien und nicht so alkoholisch-aggressiv wie im nördlichen Europa. DeMeo hat Haschisch eindeutig mit den patristischen Mörder-Nomaden Zentralasiens in Zusammenhang gebracht (z.B. S. 252).

4. Eine Soziologie-Professorin aus Münster argumentiert vollkommen sexualökonomisch: „Laut neueren ethnologischen und historischen Untersuchungen setzt das Patriarchat mit der männlichen Kontrolle über die Gebärfähigkeit und Sexualität der Frauen ein. Abwertung der weiblichen Sexualität, Aneignung der Kinder durch die Väter und Vergewaltigungen erscheinen als Symptome bei der Diagnose von Männerherrschaft“ (Ilse Lenz/Ute Luig (Hg.): Frauenmacht ohne Herrschaft. Geschlechtsverhältnisse in nichtpatriarchalischen Gesellschaften, Berlin: Orlanda Frauenverlag, 1990, S. 66).

Uns wurden etwa die Buschmänner der Kalahari stets als eher patriarchalisch vorgestellt, was auch mich hinsichtlich der Saharasia-Theorie etwas durcheinandergebracht hat. Aber eine genauere ethnologische Analyse zeigt das Gegenteil oder allein schon, wenn man die obigen Kriterien von Ilse Lenz heranzieht.

Die Saharasia-Theorie ist durch und durch stimmig – und gerade die neueren und neusten Forschungsergebnisse unterstützen dies immer mehr. Man vergleiche etwa, den Stand der Forschung zu Freuds und selbst noch zu Reichs Zeiten mit der heutigen Lehrmeinung.

Was mir beim Studium ethnologischer Literatur, etwa Malinowskis immer wieder aufgefallen ist, ist, wie modern und westlich und vollständig anti-Erich-Fromm-isch doch die Lebenseinstellung der matriarchalen Völker ist, etwa bei den Büschmännern: „Dem aktiven, erfolgreichen und fürsorglichen Jäger entspricht die begehrenswerte und selbstbewußte Frau“ (Lenz/Luig: S. 101).

Es stimmt auch nicht, daß diese Völker keinen „Stirnerschen“ Individualismus kennen. Etwa die Hadza, ein kleines Jägervolk im nördlichen Tansania, sind extreme Individualisten, bei denen es kaum einen Gruppendruck gibt. „Die Hadza haben viele Ähnlichkeiten mit den San [den Buschmännern], obwohl bei ihnen eine stärkere Tendenz zur Anarchie besteht. Ihr schon fast extremer Individualismus basiert auf einer territorialen und sozialen Organisation, die durch größtmögliche Offenheit und Freizügigkeit gekennzeichnet ist“ (Lenz/Luig: S. 112).

Überhaupt sind diese Völker erstaunlich „westlich“: „Wegen [der] Freiheit von ökonomischen Zwängen haben die Hadza-Ehen durchaus Gemeinsamkeiten mit der bürgerlichen Vorstellung einer Liebesheirat. Diese Unabhängigkeit von materiellen Bindungen ist jedoch auch ein Grund für die Instabilität dieser Ehen, deren Scheidungsrate noch höher als bei den San zu sein scheint“ (Lenz/Luig: S. 118).

Übrigens kennen die Buschmänner auch die Orgonenergie. Sie nennen sie „Num“, das dem polynesischen Mana entspricht.

DeMeo behauptet wenn nicht explizit, so doch ganz eindeutig implizit, daß das ACO mit seiner Unterstützung der konservativen Weltanschauung in jeder Hinsicht rückschrittlich wäre und hinter Reich zurückfalle. DeMeo selbst aber vertritt abgestandene Uralt-Theorien. Als man Reich einmal über den Anarchisten Kropotkin ausfragte, der doch ganz „arbeitsdemokratische“ Lehren vertreten hätte, antwortete Reich: „Sie vergessen, daß die Zeiten sich ändern und daß die Wahrheit von gestern, die Lüge von heute ist“ (Ollendorff: Reich, S. 104). Reich hat sich weiterentwickelt, das ACO (dessen erste Generation sich fast durchweg aus ehemaligen Linken und gar Trotzkisten, etwa Prof. Bell, zusammensetzte) hat sich weiterentwickelt – nur DeMeo hängt nachwievor uralten linken Gedanken an. Zum Beispiel finde ich es schier unerträglich, wie von DeMeo hinsichtlich einer selbstregulatorischen Erziehung noch immer so argumentiert wird, wie Reich es in den 40er Jahren tat. Nicht, daß daran prinzipiell irgendetwas falsch wäre, aber die Verhältnisse haben sich wahrhaftig geändert und damit das, was wirklich wichtig ist. Heute ist weniger nackte Autorität das Problem, sondern Permissivität, emotionale Erpressung und ideologische („emanzipatorische“) Indoktrination von Kindern, die leer, zerrissen, desorganisiert sind und sich verzweifelt nach Autorität sehnen. Deshalb rebellieren sie, was mit noch mehr „emanzipatorischer“ Permissivität beantwortet wird, was die Kinder noch wütender macht, etc. Das wäre heute wichtig, aktuell, und würde den Lesern wehtun, sie treffen. Aber nein, DeMeo präsentiert die uralten Theorien, als hätte sich die Orgonomie in den letzten 40 Jahren nicht weiterentwickelt oder als würde er zu den konservativen Bewohnern eines anatolischen Bergdorfes reden.

Zum Beispiel klagt er an, daß die Orgonomen Anfang der 70er Jahre nicht Nixon, sondern „die Linken“ bekämpft hätten. Liest man die zeitgenössischen Berichte z.B. von Patricia Green über ihre praktischen Erfahrungen als Schulleiterin oder Koopmans Erfahrungen in der praktischen psychiatrischen Sozialarbeit sieht man, daß diese hochpolitische Nixon-Affäre in ihrer funktionellen Bedeutung zu nichts gerinnt angesichts einer Gesellschaft, die in einen „linken“ zerstörerischen Taumel geraten ist. DeMeo zeigt stets nur die eine Hälfte des Bildes – das in seiner Gesamtheit DeMeo widerlegen würde. Diese „verschleierte und verschleiernde“ Argumentationsweise ist typisch für DeMeo. Es kennzeichnet praktisch alles, was er von sich gibt. Zum Beispiel behauptet er auf S. 52 von Nach Reich Reich habe „sein Interesse an den Problemen der breiten Öffentlichkeit nie aufgegeben“ und rechtfertigt damit seine Argumentation, daß Reich bis zum Schluß imgrunde ein marxistischer Sozialist war. Gut, die eine Seite des Bildes stimmt, Reich war bis zum Schluß ein soziales Tier: aber praktisch alles (außer Jugendsexualität, Umweltschutz und Religion), wofür bzw. wogegen Reich am Ende kämpfte, entsprach einem strammen amerikanischen „Republikanismus“.

S. 42: Imgrunde behauptet DeMeo, die Orgonomen hätten Reichs gesellschaftspolitische Ideen verraten, indem sie z.B. sozialistische Ideen schlechtweg als „krank“ abqualifizierten. Man lese dazu jedoch Reichs Briefe an Neill oder nehme etwa folgende Erinnerung von Charles Kelley: „I met Reich in 1950. (…) I told Reich I was a socialist, and Reich looked at me with a kind of pity. He shook his head and said: ‚You don’t know how sick it is. You’ll find out“.

Wirklich lachen mußte ich aber, als DeMeo darauf hinwies, daß für die soziopolitische Haltung der Orgonomen keine „systematischen und wissenschaftlichen Grundlagen“ vorhanden sind. Offenbar haben grundsätzlich nur liberale und sozialistische Ideen eine „systematische und wissenschaftliche Grundlage“. Das haben ja auch immer die „Dialektischen Materialisten“ behauptet.

Übrigens kann man diese spezifische Charakterdeformation entgegen DeMeos arroganter Behauptung im Kulturvergleich durchaus „systematisch und wissenschaftlich“ feststellen (z.B. haben dies Humanethologen wie Hans Hass und Eibl-Eibesfeld getan), aber dies ist wegen der Natur der Sache nicht so einfach zu bewerkstelligen, wie die Saharasia-Untersuchung. Ich habe Hass‘ entsprechende Untersuchung kurz referiert. (Übrigens erwähne mal die Humanethologie und insbesondere Eibl-Eibesfeld in der Gruppe, die für Nach Reich verantwortlich ist. Ich garantiere, daß sie sofort abblocken, daß das alles Stockkonservative, wenn nicht sogar Nazis seien, etc.)

Paul Mathews: Der genitale Charakter und die genitale Welt

19. September 2019

 

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Der genitale Charakter und die genitale Welt

 

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13. April 2018

DIE ZEITSCHRIFT FÜR ORGONOMIE

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Der genitale Charakter und die genitale Welt (Teil 2)

12. Oktober 2017

DIE ZEITSCHRIFT FÜR ORGONOMIE

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Funktionalismus und Arbeitsdemokratie, unsere einzige Hoffnung!

8. Mai 2015

Während die Tiere traumwandlerisch eine apokalyptische Katastrophe nach der anderen überleben, tapsen wir fremd und hilflos durch die Welt, als wären wir auf einen fremden Planeten gestrandet.

In Der politische Irrationalismus aus orgonomischer Sicht wird der Volksstamm der Shom Pen auf Groß-Nikobar als Beispiel für ein ungepanzertes Leben angeführt.

Da die von Indien verwalteten Nikobaren und Andamanen direkt beim Epizentrum des verheerenden Seebebens lagen, das Ende 2004 Südasien in Mitleidenschaft gezogen hat, standen diese letzten Rückzugsgebiete einer Menschheit im Naturzustand, sozusagen der Gegenpol Saharasias, damals erstmals überhaupt im Zentrum des Weltinteresses.

In der ARD wurde über die Shom Pen berichtet:

Eine Art „Sechster Sinn“ habe die Völker gerettet, vermuten Ethnologen. (…) Gerettet hat sich z.B. das Volk der Shom Pen auf der Insel Great Nicobar. Angeblich besteht das ganze Volk aus gerade mal noch 200 Clanmitgliedern. Die Jäger und Sammler flohen offenbar in die Berge ihrer Inseln oder kletterten auf Palmen. Die Tier- und Wasserbeobachtungen der Urvölker [aus der sie Anzeichen für die unmittelbar bevorstehende Springflut ablasen] hat die hochtechnisierte Welt ersetzt durch milliardenteure Rechenzentren und Forschungsstationen…

Die Naturvölker leben ein funktionelles Leben (vgl. Interview mit Jerome Eden), d.h. sie leben wirklich in ihrer Umgebung, sind Teil der sie umgebenden Welt, während wir (einschließlich der uns nacheifernden Menschen auf Sri Lanka und in Indonesien) wie hilflose Touristen durch die Landschaften eines fremden Planeten stolpern…

Gnade uns Gott, wenn das weltweite Finanzsystem kollabiert und beispielsweise tatsächlich eine Klimakatastrophe eintreten sollte. Wir können uns weder auf die Stabilität des Klimas, noch der Erdkruste unter uns oder gar die Regelhaftigkeit der Himmelsmechanik verlassen. Seit längerem können wir uns nicht mal mehr darauf verlassen, daß wir abends unbehelligt durch unsere Städte gehen können. Griechenland zeigt uns, daß der „Sozialstaat“ sehr bald kollabieren wird. Das Leben selbst zwingt uns in Kontakt mit uns selbst und unserer Umwelt zu treten. Kontakt! Nichts anderes bedeutet „funktionell“ zu leben. Leider treibt uns das „Ersatzleben“, das wir führen systematisch in die Kontaktlosigkeit.

Die Entwicklungspsychologin Lieselotte Ahnert wurde im Spiegel gefragt, was sie denen antwortet, die die Kinderkrippe in den ersten drei Lebensjahren für widernatürlich halten. Das sei, so Ahnert, Unsinn. Es gäbe kein naturgegebenes Betreuungssystem. Dabei verweist sie auf zwei Naturvölker: die Efe-Pygmäen in Zentralafrika und die !Kung-Buschmänner in der Kalahari. Die Efe würden ihre Säuglinge „von Schoß zu Schoß weiterreichen“.

So ein Efe-Baby verbringt manchmal nur ein Fünftel der Zeit bei der leiblichen Mutter und hat im Schnitt 14 Betreuerinnen. Einige der Frauen stillen es sogar. Wir sehen aber auch Mütter wie die der !Kung (…), die ihre Kleinen drei Jahre lang praktisch immerzu am Körper tragen. Was ist jetzt das Natürliche?

Ganz offensichtlich ist der zentralafrikanische Urwald eine vollkommen andersgeartete Umgebung als die südwestafrikanische Wüste. Entsprechend haben sich die Pygmäen und Buschmänner an ihre Umwelt angepaßt, inklusive was den Umgang mit Säuglingen anbetrifft.

Hier zeigt sich der Unterschied zwischen der mechanistischen und der funktionellen Lebensauffassung. Obwohl Ahnert selbst ausdrücklich betont, die Efe würden ihre Säuglinge „von Schoß zu Schoß weiterreichen“ und diese dabei, so Ahnert, „sogar“ gestillt werden, bleibt sie doch vollkommen abstrakt und „mechanisch“ an dem nebensächlichen Umstand haften, daß die Efe-Mütter anders als bei den !Kung ihre Säuglinge aus der Hand geben. Dabei übersieht sie ganz das Wesentliche: den engen Körperkontakt, der sowohl bei den Efe als auch bei den !Kung gegeben ist. Aus funktioneller Sicht gibt es demnach gar keinen Unterschied, d.h. keinen wesentlichen Unterschied, im Umgang mit Säuglingen: sie bleiben stets in engem Körperkontakt.

Es ist vollkommen hoffnungslos mit Leuten wie Ahnert zu diskutieren.

Der amerikanische Sozialwissenschaftler John McKnight beschreibt in seinem Buch The Careless Society: Community and its Counterfeits, wie die Behörden mit all ihren Sozialprogrammen nachweislich zum sozialen Chaos, zur wachsenden Armut und Kriminalität beitragen, statt sie einzudämmen. Verschärft wird der Trend dadurch, daß, dank Arbeitsplatzabbau in der Industrie, Jobs im sozialen Dienstleistungsgewerbe immer attraktiver werden. Ein neuer Markt wird erschlossen und immer neue Bedürfnisse ausgemacht, unabhängig davon, ob es sie wirklich gibt. Aufgaben für die einst Nachbarschaft und Familie zuständig waren, werden zur ökonomischen Grundlage einer neuen sozialen Schicht.

Die Folgen verdeutlicht McKnight anhand einer faszinierenden Parabel. Als die amerikanischen Pioniere die Prärie erreichten, waren die alten gußeisernen Pflüge nicht mehr zu gebrauchen. Deshalb entwickelte 1837 ein gewisser John Deere den ersten selbstreinigenden Stahlpflug, mit dem man wie mit einem Messer durch die klebrige Erde schneiden konnte. In dem County in Wisconsin, in dem McKnight lebt, wurden die bodenständigen Sauk-Indianer von den Siedlern, die die Prärie mit dem neuen Pflug urbar machen wollten, in die Reservation verdrängt, wo sie sehr schnell die alten Anbaumethoden vergaßen. Der Landstrich hatte die Indianer über unzählige Generationen hinweg ernährt, doch nun war der Boden dank des agronomischen Fortschritts in einem Zeitraum von nur 30 Jahren ausgelaugt, so daß viele der Siedler weiterziehen mußten. McKnight faßt das Geschehen dahin zusammen, daß John Deeres Erfindung innerhalb einer Generation drei Wüsten produziert hatte: Wisconsin, die Reservation und das geistige Erbe der Indianer.

Zwar habe Wisconsin sich durch den Übergang zur Milchviehwirtschaft wieder erholt, aber heute bräche über Sauk County eine neue verheerende Invasion herein. Die Sozialbürokratie schicke bereavement counselors (Trauerbeistände) ins Land, die mit einer eigens entwickelten „Trauertechnik“ nun jenen beistehen, die einen ihrer Lieben verloren haben. Vor dem Auftauchen der Trauerarbeiter standen Nachbarn und Verwandte den Hinterbliebenden bei. Durch Teilen der Trauer und die gemeinschaftlichen Zeremonien war ein Todesfall etwas, das die Gemeinschaft enger zusammenschweißte und vermehrte Kraft zum Weitermachen schenkte. Doch nun werde, so McKnight, der Hinterbliebene den Trauerarbeiter mit einem Freund verwechseln und die Menschen, die dafür schließlich ihre Steuern zahlen, auf ihr Recht zur professionellen Trauerbegleitung pochen. Aus Angst, die Arbeit des professionellen Trauerarbeiters zu stören, werden die Nachbarn nicht mehr vorbeischauen.

McKnight schließt:

Das neue Werkzeug der Berater wird durch die Sozialstruktur schneiden und Verwandtschaft, Beistand, nachbarschaftliche Verpflichtungen und das gemeinschaftliche Erleben und Verarbeiten beiseiteschieben. Wie John Deeres Pflug werden die Werkzeuge der Trauerberatung eine Wüste hinterlassen, wo einst eine Gemeinschaft blühte.

Man sieht, wie abstrakte Zielvorgaben das lebendige Leben zerstückeln und zerstören.

Wisconsin war nur Teil einer den ganzen Kontinent in Mitleidenschaft ziehenden Entwicklung, die erst richtig ingang kam, als nach dem Ersten Weltkrieg die US-Regierung ein gigantisches farming program zur Industrialisierung der Landwirtschaft ins Leben rief, um Getreideexporte im großem Stil möglich zu machen. Die Agrarindustrie brach über den Mittleren Westen herein und verwandelte die vielfältige Landschaft in eine großflächige Getreidemonokultur. Viele Monate im Jahr waren die von schweren Traktoren, Mähdreschern und Motorpflügen malträtierten Böden ungeschützt der Witterung ausgesetzt. Eine große Dürre tat ein übriges und die Katastrophe war da. Staubgeschwängerte „schwarze Blizzards“ trugen die fruchtbare Bodenkrume bis nach New York.

In einem kleineren Maßstab kann man heute ähnliches in Spanien und Portugal beobachten, wo die EUdSSR mit unseren Steuergeldern riesige Flächen irreparabel zerstört. Nutznießer sind letztendlich nur die Agrarindustrie, die Großbanken und die perfekt abgesicherten Bürokraten. In Deutschland geschah in den letzten 80 Jahren ähnliches, nachdem die Nationalsozialisten die „Flurbereinigung“ eingeführt hatten. Nur das feuchte mitteleuropäische Klima hat verhindert, daß aus unseren ausgeräumten Agrarsteppen Wüsten geworden sind. Die dilettantische Agrarpolitik der EUdSSR hat ein Übriges getan, um aus weiten Teilen des flachen Landes eine öde Sozialbrache zu machen. Und die Krankheit breitet sich, via Exportsubventionen, weiter aus in alle Welt durch Zerstörung der bodenständigen Agrarmärkte.

All diesen malignen Erscheinungen liegt ein Nenner zugrunde: das lebendige Geschehen wird in das Prokrustesbett lebensfremder Pläne gezwängt. Was dergestalt allgegenwärtig auf diesem Planeten passiert, wird wohl am ehesten anhand des Mussolinis der Karibik deutlich, der Kuba wie eine große Hazienda leitet und dessen Landwirtschaftspolitik zu einer beispiellosen ökologischen und ökonomischen Katastrophe geführt hat. Castro wird ein in jeder Hinsicht restlos zerstörtes Eiland hinterlassen. Bekannter ist, was Mao in China angerichtet hat oder Chruschtschow in Mittelasien. Man ist erschüttert über den Kommunismus, ohne zu ahnen, daß er nur die grotesk überzeichnete Karikatur unserer eigenen hoffnungslosen Lage darstellt. Zum Beispiel läßt sich mit einiger Sicherheit voraussagen, daß dank der Saatgutmultis die Standardisierung des (mittlerweile nicht nur sortenreinen, sondern auch erbgleichen) Saatgutes eines Tages für eine globale Katastrophe unausdenkbaren Ausmaßes sorgen wird, da durch die Uniformierung Erreger aller Art ein leichtes Spiel haben. Dann wird es auch keine Alternativen mehr geben, mit deren Hilfe man neu anfangen könnte…

Angesichts der Globalisierung der Wirtschaft (was freier Welthandel bedeutet, kann man ermessen, wenn man an die paradoxe Wirkung importierter Arten auf die heimische Artenvielfalt denkt), angesichts wachsender Fremdbestimmung durch parasitäre und inkompetente nationale und gar internationale Administrationen und multinationale Konzerne, dem Wechsel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft und der kontaktlosen „Virtualisierung“ aller Lebensbezüge läßt sich prognostizieren, daß sich die Verwandlung der Erde in einen Wüstenplaneten beschleunigen wird. Die einzige Überlebenschance ist die radikale arbeitsdemokratische Reorganisierung der Gesellschaft von unten nach oben.