Posts Tagged ‘Theismus’

Peter Töpfer (Teil 7)

26. November 2025

Wir waren bei dem Bündnis mit dem Theismus. Töpfer sieht die Annäherung insbesondere in der Frage des Gewissens gegeben – ausgerechnet:

Das Gewissen ist das Autonome schlechthin – die tiefste Stimme. Gott, so verstanden, hat nicht nur einen Sinn und Nutzen, er ist dann der oberste oder tiefste Befehlsgeber in existentiell unklaren Lagen und Fragen. Auch wenn es den Anschein haben könnte, als sei das Gewissen eine externe Instanz (Gott), so ist es doch die innerste Instanz – die innere und eigentliche Instanz par excellence. (Hervorhebung hinzugefügt)

Und noch unglaublicher:

Eine Teileinpflanzung des Gewissens muß (…) gar nicht unbedingt schlecht sein, muß der Eigenheit des Kindes nicht widersprechen, ja, das Kind braucht zu seiner Sozialisierung und Kultivierung einen Appell an sein Gewissen. (S 78, Hervorhebung hinzugefügt)

Das ist dermaßen hanebüchen, dermaßen das diametrale Gegenteil von allem wofür LaMettrie, Stirner, Reich und Laskas gesamtes LSR-Projekt stehen… Mir fehlen schlichtweg die Worte! DAS meint also Töpfer mit „Bündnis“: Verrat an LSR!

Apropos Emotionelle Pest: Eines der Hauptmankos derartiger Unternehmungen wie Töpfers Pan-Agnostik ist das Verfehlen der Emotionellen Pest. Stattdessen wird von der angeblich unausweichlichen Tragik des menschlichen Lebens mit seinen „unaufhebbaren Gegensätzen“ schwadroniert, die man „mannhaft“ zu tragen habe. In diesem Zusammenhang zitiert Töpfer Kierkegaard: „Heirate, und du wirst es bereuen. Heirate nicht, und du wirst es ebenfalls bereuen“ (S. 55). Aber erst angesichts des absoluten Nichts würde man wirklich anfangen zu beten, denn „Nichts und Gott (sind) funktional identisch“ (S. 56). Es geht hier nämlich um die letzten Fragen der ins Nichts geworfenen menschlichen Existenz. Aber genau DAS, diese Perspektive, ist „Metaphysik“, die vom Wesentlichen, nämlich der Emotionellen Pest ablenkt – und damit die offensichtliche Funktion der Töpferschen „Pan-Agnostik“ erfüllt, – die doch vorgeblich die Wertlosigkeit der Metaphysik für die Existenz erweisen will.

Wir haben es im Leben immer genau dann mit der Emotionellen Pest zu tun, wenn wir, was immer wir auch tun, wie immer wir uns auch entscheiden, das Falsche machen, etwa heiraten oder Single bleiben. Genauso ist es stets und in jedem Fall nichts weiter als Emotionelle Pest, wenn wir vor „existentielle Dilemmata“ gestellt werden, aus denen es prinzipiell kein entkommen gibt. Am Ende würdest du doch sterben, jede Sinngebung bzw. Sinnhaftigkeit sei letztendlich Illusion, es wäre besser du wärst nie geboren worden, etc. Beides, die Ausweglosigkeit des Alltags und die „metaphysische“ Ausweglosigkeit unserer Existenz, blockiert und verunmöglicht die Lösung konkreter Probleme insbesondere die sexualökonomischer Natur. Reich hat darüber ein ganzes Buch geschrieben, Die sexuelle Revolution. Ich verweise ausdrücklich auf das Motto „Aus dem Tagebuch des Schülers Kostja Rjabzew“: Leben ist die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Die Probleme des Alltags werden wir entsprechend mit einer wirklichen sexuellen Revolution lösen. Und was die unlösbare „existentielle Not“ betrifft: zur Hölle mit Kierkegaard, Heidegger und den restlichen Dunkelmännern mit ihrem unerträglichen lebensuntüchtigen Geseier über den „Urschmerz“! Wir haben es mit dem wirklichen Leben zu tun, nicht mit den „existentiellen“ Problemen lebensferner Randexistenzen.

Ja, das sind auch Probleme, mit denen man sich auseinandersetzen kann, aber es ist wie bei den öffentlichen Sexpol-Abenden Reichs in Wien und Berlin: die genitalen Probleme der Massen werden öffentlich debattiert, während die prägenitalen Perversionen im persönlichen Gespräch mit dem Arzt besprochen werden. Außerdem wird verhindert, daß die perversen Sonderlinge den öffentlichen Raum dominieren, wie es im damaligen Berlin ansatzweise tatsächlich gegeben war. Ja, die Seelenleiden, die „existentielle Not“ und der „Urschmerz“ von schizophrenen Charakteren sind ernst zu nehmen, haben aber im öffentlichen Diskurs nichts, aber auch rein gar nichts zu suchen. Leider ist es so, daß sie heutzutage alles bestimmen und das Lebendige marginalisieren. Reich und Laska haben diese Befindlichkeiten stets ihrerseits marginalisiert!

Ein dritter Punkt, der mich ganz persönlich umtreibt, hat tatsächlich explizit mit „Gott“ zu tun, den der Agnostiker ehrfurchtsvoll auf Abstand hält, wie es die Juden mit ihrem Gott tun, dessen Namen sie nicht mal auszusprechen wagen. Hier tut sich die Lücke auf, in der der Agnostiker Raum für die Moral und „Metaphysik“ schafft, die doch LSR angetreten ist, radikal zu liquidieren. Entsprechend sollten wir „Gott“ im Gegenteil ganz genau und vollkommen distanzlos betrachten. Lieber Theist, ich analysiere, seziere und rekonstruiere deinen „Gott“, diese Über-Ich-Mißgeburt selbstherrlich ohne den leiseste Anflug von Ehrfurcht und „erkenntniskritischer“ Bescheidenheit!

Namen haben eine Bedeutung, da sie einen ganzen Kontext herstellen, der sich in einer Persönlichkeit verkörpert. Töpfer tut so, als wäre „Gott“ etwas, das so jenseitig ist, daß man sich nicht drum kümmern muß. Tatsächlich ist es aber etwas grundlegend anderes, ob eine Gesellschaft ständig „Allah“ evoziert bzw. „herabbeschwört“, den „Waheguru“ der Sikhs, den Wotan der Neuheiden, den Seth der Satanisten oder Jesus, der eine Person des „dreifaltigen Gottes“ ist. Religionen sind so etwas wie „Energiefelder“, die etwas mit der Gesellschaft und dem Einzelnen machen. An seinen Früchten wird man den jeweiligen Gott erkennen. Beispielsweise war der Nationalsozialismus nichts anderes als ein Wotanskult:

Peter Töpfer (Teil 6)

25. November 2025

Wenden wir uns Töpfers Buch Pan-Agnostik von 2023 zu (Für ein theistisch-agnostisches Bündnis im Kampf gegen den Great Reset und Transhumanismus. Erscheinungsformen der Metaphysik und deren Wertlosigkeit für die Existenz).

Auf ein und derselben Seite zu schreiben, daß die Evolution „ein lächerliches Märchen ist“ und gleichzeitig zu behaupten, „die Existenz Gottes in Frage zu stellen (…) wäre ja dermaßen eine Dummheit zum Quadrat, wie man es sich gar nicht vorstellen kann“ (S. 24) – dazu gehört schon Chuzpe! Ich frage mich ernsthaft, welche merkwürdige Verstrickung einen Menschen mit derartigen Ansichten ausgerechnet zu LaMettrie, Stirner, Reich und Laska geführt hat. Zumal er auch noch explizit den Ironisten und Autor der Naturgeschichte der Seele, LaMettrie, als Zeugen Gottes heranzieht und wie folgt zitiert: „Damit will ich nicht sagen, daß ich die Existenz eines höchstens Wesen in Zweifel ziehe; mir scheint im Gegenteil, daß der höchste Grad der Wahrscheinlichkeit für sie spricht“ (S. 25).

Mit jeder Seite wird es schlimmer, denn mit einer verqueren Dialektik bringt es Töpfer nicht nur fertig, LaMettrie als Theisten dastehen zu lassen, sondern darüber hinaus die Theisten gegenüber den Atheisten mit Hilfe Stirners zu verteidigen: während die Atheisten ein Nichts verträten, verträten die Theisten ein Etwas, wenn auch nur einen Gedanken. „Man mag ihn wie Max Stirner als ‚Sparren‘ oder als ‚Spuk‘ bezeichnen, aber dennoch ist dieser Gedanke in der Welt: in den Köpfen der Theisten“ (S. 26). – Man kann dem Wesentlichen nicht radikaler ausweichen, dem LSR-Projekt nicht hinterhältiger die Beine wegziehen!

Um dem ganzen die Krone an Absurdität aufzusetzen schreibt Töpfer über sich selbst:

Die Frage nach der Existenz Gottes und Gott selbst ist für den Agnostiker [womit Töpfer stets sich selbst meint!] nicht interessant, denn er sieht in einem solchen Gedanken keinen Sinn und keinen Nutzen. Er sieht keinen Grund dafür sich mit diesem Gedanken überhaupt zu beschäftigen. (S. 25)

Für LaMettrie, Stirner, Reich und Laska war das die einzige Frage, die überhaupt von Interesse war! Es geht schließlich um das Über-Ich und die mystische Fehldeutung der „vegetativen Strömung“ aufgrund des Über-Ich! Aber Töpfer wirkt wie taub gegenüber dem eigentlichen Thema seines Buches. Es geht immer nur um die Verarbeitung von „Information“ und um den kleinkrämerischen „Nutzen“, so als handele es sich um ein Softwareproblem bei einem Roboter. („…durch Theismus an mehr Informationen rankommen. Aber den ‚Glauben an Gott‘ als ‚Kraft‘ brauche ich nicht“ [S. 58].) Entsprechend wird der Theismus rein rationalistisch betrachtet, statt nach den Gefühlen zu fragen. Selbst da, wo es um Autonomie (Selbstregulierung) und Heteronomie (Über-Ich) beim Theismus geht, verfehlt Töpfer den Knackpunkt. Er erläutert, daß die theistische Herangehensweise an Gott auf eine „Abwesenheit des Subjekts“ hindeute:

Das ist keine Psychologisierung, sondern logisch: Das Subjekt wendet sich ganz offenbar an etwas außer sich Liegendes, das heißt an ein Objekt, im vorliegenden Falle möglicherweise ein Personalobjekt. Das Objekt befindet sich offenbar nicht im Subjekt. (S. 44)

Ich kann aber prinzipiell nur auf ein Objekt hören! Unser Innenleben ist verinnerlichtes Sozialleben. Ohne dieses hätten wir gar kein Ich, „auf das wir hören können“, wären kein Subjekt, sondern nur reiner unreflektierter Affekt.

Einerseits ist, wie wir gesehen haben, für Töpfer die Existenz Gottes absolut evident, andererseits meint er mit „Gott“ „immer alles metaphysisch und spirituell Fremdregulierende“ (S. 55). Dieser Widerspruch ist nur möglich, weil er von seiner ganzen Denkungsart gar nicht erfassen kann, was Gott ist: einerseits die mystifizierte vegetative Strömung, die uns antreibt, und andererseits das hypostasierte Über-Ich. Je nachdem ist das entweder „Gott“ oder der „Teufel“. Stattdessen verfängt sich Töpfer in nicht enden wollenden Spitzfindigkeiten.

Dabei wäre es so einfach! Man schaue sich Reichs Buch Äther, Gott und Teufel an und vergegenwärtige sich, daß der Erzatheist Reich den Theisten durchaus ein „Bündnis“ angeboten hat und zwar zum Entsetzen seiner treuen Schüler. Immerhin konnte er nachvollziehen, daß es etwas „jenseits“ der Alltagserscheinungen gibt, wenn auch nicht mystisch und ungreifbar „wie in einem Spiegel“, aber Reich hatte doch einen gemeinsamen Boden mit den Theisten gefunden – im Gegensatz zum Verhältnis zu den mechanistischen Materialisten. Daß sich Töpfer als letzterer erweist und sich dann auch noch auf die mechano-mystischen „Gottesbekenntnisse“ von Einstein und Planck beruft (S. 23f), für die Gott ein bloßer Lückenbüßer ist wie einst für die „gefühllosen“ Deisten des 18. Jahrhunderts, für die die Welt ein perfektes Uhrwerk war, daß zwar einen Schöpfer erforderte, der sich danach aber zur Ruhe setzen konnte…

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 151)

25. August 2024

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Im Kern des Gottesglaubens sah LaMettrie das Schuldgefühl, Stirner die verinnerlichten Hierarchien, bzw. das jenseits in uns, und Gott Reich das Über-Ich bzw. die Panzerung: das Fremde verdrängt das Eigene. Es geht nicht darum, ob es „horizontal“, also in unserer Umwelt einen „Gott“ gibt, d.h. irgendwelche ominösen Mächte, die man auch als „die Materie“ bzw. „Allmutter“ bezeichnen könnte, sondern um die „vertikale“ Frage, ob es ÜBER mir einen Gott gibt, ein „Über-Ich“, das mich besetzt, besitzt wie ein Dämon. Dann ist es auch egal, ob ich mich als „Atheist“ bezeichne, wie etwa die Marxisten, die trotzdem fromm sind, „vertikal“ von Schuld und Moral beherrscht werden, oder ob ich an die beseelte Natur glaube (Animismus), also formal „Theist“ bin, aber dabei im Sinne Reichs „ungepanzert“ bin.

Natürlich ist auch beides möglich bzw. ist beides meist ineinander verschränkt wie etwa in der Griechischen Stoa: der Mensch ist „horizontal“ eingebunden in einen Kosmos, in dem alles mit allem verknüpft ist, und (bzw. aber) es geht „vertikal“ um die Beherrschung der Begierden. Ob man dieses „Über-Ich“ personifiziert, wie dann später im Christentum, ist letztendlich egal, weshalb auch die Frage nach dem (A-)Theismus in die Irre führt. Deshalb konnte auch Reich von Marx und insbesondere Lenin so in die Irre geführt werden: weil Reich zumindest anfangs nicht klar zwischen „Gottlosigkeit“ und „Über-Ich-Losigkeit“ unterschieden hat.

Das bringt mich abschließend noch einmal zum leidigen Thema „irrationales Über-Ich“ vs. „rationales Über-Ich“: Stirner unterschied zwischen von oben eingegebenen und von der Umwelt angeregten Ideen. Das „irrationale Über-Ich“ ist sozusagen „vertikal“, gibt Befehle wie ein Puppenspieler, der seine Marionette dirigiert, das „rationale Über-Ich“ hingegen ist „horizontal“. Ich muß mich im gesellschaftlichen Raum orientieren und einpassen, was ich automatisch seit Kindheitstagen beim gemeinsamen Spielen und allgemein im Umgang über die Goldene Regel und etwa den Straßenverkehr lerne. Dadurch entwickele ich etwas (das „rationale Über-Ich“), das ich gerne als „Neben-Ich“ bezeichnen möchte: es ist nicht die „vertikale“ Stimme meines Vaters von oben („Über-Ich“), sondern die „horizontale“, d.h. die auf Augenhöhe befindliche Stimme meines Nebenmannes („Neben-Ich“). Keine (ver)inner(licht)e Instanz über mir im Sinne Stirners, sondern neben mir, d.h. ich identifiziere mich nicht mit dem Vater, sondern mit dem Bruder. Das Über-Ich ist „unappelierbar“ – mit dem Nebenmann hingegen „kann man sprechen“. Ich trage damit nicht meinen fremden Feind (Über-Ich), sondern meinen gleichgesinnten Freund (Neben-Ich) in meinem Inneren. Erinnert sei an Stirners „Verein“!

Beim Über-Ich spricht Stirner von den internalisierten Hierarchien, dem Jenseits oder vielmehr Gott in uns und, in Bezug auf die „frommen Atheisten“ von der Gesellschaft in uns. Beim Neben-Ich ist auch etwas in uns: Wollust ist nur möglich, wenn ich mich auf den Partner einlasse, mich mit ihm bzw. natürlich ihr identifiziere, ähnlich in der gemeinsamen Arbeit oder überhaupt in einem gedeihlichen zwischenmenschlichen Miteinander, Stichwort „Spiegelneuronen“. Beim Über-Ich sind meine Ich-Grenzen sozusagen nach oben hin („vertikal“) verschmiert, d.h. das Ich wird vom Über-Ich okkupiert, der Mensch ist nicht mehr er selber, sondern nimmt einen „Charakter“ an, spielt eine bloße Rolle und vergißt dabei, daß er dabei nur Schauspieler ist. Beim Neben-Ich sind meine Ich-Grenzen sozusagen zur Seite hin („horizontal“) verschmiert. Und genau hier ist auch eine Lücke in Stirners Gedankengebäude, denn ohne die Menschen „neben mir“, meine Mitmenschen gäbe es gar kein „Ich“, keine Sprache, kein Bewußtsein, kein Begriff von „selbst“ bzw. vom „Selbst“: ohne ein Außen gibt es kein Innenleben. Und selbst das ist noch rein akademisch, denn ohne soziale Umwelt gäbe es mich von Anfang an gar nicht, da ein einzelner Mensch nicht nur biologisch und materiell, sondern vor allem auch emotional gar nicht lebensfähig wäre. Beim Säugling ist das offensichtlich. Ich weiß natürlich, daß für Stirner die Familie und all das kein „Verein“ in seinem Sinne ist… – wie gesagt, da ist eine Lücke in seinem Denken. Sowohl bei La Mettrie (wie Christian Fernandes in seinem neuen Buch ausführt) und Reich (jedenfalls dem späten Reich – den Laska nicht mehr als so wichtig empfand) sehe ich diese Lücke nicht.

Das „Horizontale“ ist auch beim Militär wichtig: das „vertikale“ Befehl und Gehorsam ist, klar, unverzichtbar, aber imgrunde wichtiger für die Kampfkraft ist die „horizontale“ Kameradschaftlichkeit: ich muß mich auf meinen Nebenmann verlassen können, im Zweifelsfall mein Leben für ihn geben, und wir müssen ein eingespieltes Team sein. Potentiell stört da alles „Vertikale“ eher. Das machte absurderweise auch die Stärke der Wehrmacht aus, die dezidiert „horizontal“ funktionierte, mit weitgehender Entscheidungsfreiheit der unteren Ränge und einer landsmannschaftlichen Homogenität der Züge (beispielsweise waren der Unteroffizier und alle anderen im Zug meines Vaters Hamburger, die sich blind verstanden und in jeder Hinsicht die gleiche Sprache sprachen). Während die Alliierten, insbesondere die Amis und die Russen, starr auf zentrale Führung setzten und auf eine Durchmischung der Kader, damit die Einzelnen nur über die Führung verbunden waren. Problem ist, die Zentrale weiß gar nicht, kann gar nicht wissen, was gerade an der Front vor sich geht und die Soldaten können untereinander kaum kommunizieren. Ähnliches läßt sich über die Betriebsführung im täglichen Wirtschaftsleben sagen. Diversität ist unsere schlimmste Schwäche! – Das Über-Ich ist vollkommen kontaktlos banane, während das Neben-Ich nichts anderes ist, als eben das: Kontakt mit der Wirklichkeit.

Im platonischen Dialog Protagoras erläutert Hippias in einer sehr kurzen Rede ethische und politische Ansichten. Wie auch andere zeitgenössische Sophisten stellt er dort die Natur (phýsis) in einen Gegensatz zum in der menschlichen Gesellschaft geltenden Gesetz (nómos). Wenn Dinge einander ähnlich sind, so seien sie es von Natur aus; einige Menschen seien von Natur aus Verwandte, Freunde und Mitbürger. Das Gesetz hingegen sei ein Tyrann der Menschen und erzwinge vom Menschen Unnatürliches. https://de.wikipedia.org/wiki/Hippias_von_Elis

Hier gehört auch die Frage von Theismus und Über-Ich hin: Laska hat sich explizit gegen den bei Reich so wichtigen Komplex (Bachofen, Matriarchat, Trobriander, DeMeos Saharasia-Theorie, Historischer Materialismus – „Urkommunismus“) verwahrt und alles auf eine Utopie ausgerichtet. Diesen Unterschied zwischen „Gott über mir“ und „Gott neben mir“, findet sich beispielsweise noch bei den germanischen Göttern. Grabfunde, Überlieferungen, etc. weisen darauf hin, daß sich unsere heidnischen Vorfahren nicht groß um das Christentum scherten. Ein weiterer Gott, ein weiterer Kult, der problemlos in die existierenden Tempel und Kulte und Überlieferungen integriert werden konnte. Man war sozusagen auf Augenhöhe mit den Göttern. Ganz anders bei den Christen, die radikal alles „Heidnische“ zurückwiesen und schließlich sogar die Inquisition ins Leben riefen und den Staatsapparat einschalteten, um „Ungläubige“ grausam töten zu lassen. Für mich ich das ein fernes Echo des Unterschieds zwischen einer „Neben-Ich-Gesellschaft“ und einer „Über-Ich-Gesellschaft“.

— Ende der Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte

Peters unerträgliche Diktion

17. September 2023

Ich habe angefangen Peter Töpfers gerade frisch erschienenes Buch über ein Bündnis von Agnostik und Theismus zu lesen: Pan-Agnostik (eigner verlag).

Töpfer ist über sich selbst verwundert, warum er beispielsweise von „satanistisch“ spricht. Der in dieser Hinsicht Leid geprüfte regelmäßige Leser des NACHRICHTENBRIEFES wird sich vielleicht fragen, warum der dezidiert a-religiöse Nasselstein schon immer dieser merkwürdigen Wortwahl gefrönt hat. Das hat vier Gründe:

1. Meine Eltern haben die Kirche wirklich gehaßt. Mein Vater, weil eine uneheliche Cousine von seiner katholischen Familie ihr Leben lang wegen ihrer „inhärenten Sündigkeit“ schlecht behandelt wurde. Und meine Mutter, weil sie unmittelbar an der Reeperbahn aufgewachsen ist, dort weder als Kind, noch als Jugendliche und junge Frau jemals schlechte Erfahrungen gemacht hat, außer durch den evangelischen Pastor der Gemeinde. Die abgrundtiefe Verachtung für jedwede Religion war dergestalt quasi in meine DNA eingeprägt. Dann kam 1971/72 über das NDR-Radio der „spirituelle Schock“ in Gestalt des Mahavishnu Orchestras („the greatest band that ever was“). Seitdem habe ich mich durchgehend mit „religiösen Erfahrungen“ beschäftigt, ohne jemals wirklich „religiös“ gewesen zu sein. Man liest immer wieder und wieder, beispielsweise unter entsprechenden Videos auf Youtube, daß der, der damals das Mahavishnu Orchestra gehört hatte, nie wieder derselbe Mensch war. Selbst der ultra-diesseitige Frank Zappa, der absurderweise zeitweise mit dem Mahavishnu Orchestra tourte, war nach Aussage seiner Musiker danach ein anderer. Seine Musik veränderte sich, wurde emotional ernster und intensiver, dunkler, „existentieller“. Es ist schwer zu beschreiben, was mit „uns“ damals geschah. Ein „Esoteriker“ würde sicherlich sagen, „feinstoffliche Kanäle“ und „Chakras“ seien geöffnet worden. Auf nicht näher zu bestimmende Weise hatte das tatsächlich etwas mit der organismischen Orgonenergie zu tun. Jedenfalls bin ich mir sicher, daß ich ohne diese quasi „religiöse“ Erfahrung nie und nimmer bei der Orgonomie gelandet wäre.

2. Als zweiter entscheidender Einfluß wäre ausgerechnet Bernd A. Laska zu nennen. Offensichtlich vollkommen absurd, aber wahr. Ich hatte mich zu einem Experten in Sachen Hinduismus, Buddhismus und ein wenig Taoismus insbesondere aber Tantra entwickelt – so landete ich bei Reich und bei Laskas Wilhelm Reich Blättern. Ich erinnere mich bis heute, wie sehr mich ein Satz in seiner Rezension von Edward Manns Buch The Man Who Dreamed of Tomorrow geradezu vom Stuhl gerissen hat.  Laska fragt sich nämlich (WRB 3/81), warum Mann, der doch behauptet, Reich habe sich der Religion gegenüber immer aufgeschlossener gezeigt, nicht Reich zitiert: „Meine Sympathien gehören eher der christlichen Geisteswelt und der katholischen Sphäre.“ Was daran so bemerkenswert war? Mir ging auf: du kannst insbesondere über den Buddhismus labern soviel du willst, nirgendswo wirst du anecken, weder links, noch rechts, noch in der Mitte. Fang aber an zu schreiben, wie es im Johannesevangelium oder in der Johannesoffenbarung zu lesen ist, und die Leute werden schier ausrasten! Selbst Pfarrer reden nicht mehr so. Das war gegenüber dem üblichen „spirituellen Wischiwaschi“, das niemanden wehtut, irgendwie „Punk“, ähnlich wie das Mahavishnu Orchestra in seiner ganzen Brutalität „Punk“ war.

3. Mein „stilbildender“ Haupteinfluß war Jerome Eden. Durch ihn wurde ich von einem „Reichianer“ zu einem ultra-orthodoxen „Studenten der Orgonomie“.

4. Schließlich gibt es eine sachliche Begründung. Nur mittels einer quasi „biblischen“ Sprache wird wirklich das ausgedrückt, was tatsächlich gemeint ist. „DOR“, „Emotionelle Pest“, „emotionale Wüste“ etc. machen nur als ENERGETISCHE Begriffe, d.h. konkret als emotionale Ereignisse Sinn. Über diese Dinge „nüchtern“ sprechen zu wollen, ist eine Absurdität. Wenn der „kosmische Orgonenergie-Ozean“ mit „Gott“ gleichgesetzt wird und das DOR mit „Satan“, bedeutet das, daß es sich hier nicht um „neutrale Substanzen“ handelt, sondern, wie gesagt, um etwas Energetisches, das adäquat weniger abstrakt über den Kopf, sondern eher existentiell über den Solar plexus wirklich erfaßt werden kann. Der liberale Charakter ist dem prinzipiell nicht zugänglich – und der konservative Charakter ist meist leider zu gepanzert und erlebt das ganze nur auf eine mystisch verzerrte Weise. Meine Sprache stößt den Liberalen instantan ab – und das ist gut so…

Wie soll ich die heutige Lage anders beschreiben, wenn nicht als SATANISTISCH, da hat Töpfer vollkommen recht. Ich werde morgen näher darauf eingehen.

DER VERDRÄNGTE CHRISTUS / Band 2: 1. Die Apokalypse / Die Synagoge Satans

18. März 2022

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DER VERDRÄNGTE CHRISTUS / Band 2: Das orgonomische Testament / 1. Die Apokalypse / Die Synagoge Satans

Orgonometrie (Teil 3): Kapitel 62

7. Mai 2020

orgonometrieteil12

62. Die Falle „Konsistenz“

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Orgonomie und Christentum: Die Abfolge Heidentum – Christentum – Neoheidentum – Orgonomie (Teil 8)

21. Januar 2020
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DER VERDRÄNGTE CHRISTUS / Band 2: Das orgonomische Testament / 1. Die Apokalypse / Die Synagoge Satans

Reich und Nietzsche

26. April 2015

Eine Nachbildung von Nietzsches Totenmaske hing an prominenter Stelle in Reichs Arbeitszimmer in Wien.

Also sprach Zarathustra war eines von Reichs „10 Büchern“. Nietzsche stand er in mancher Beziehung näher als Freud, z.B. sagte er in Reich Speaks of Freud ein Strindberg, Ibsen oder Nietzsche hätten keine Angst vor jenen intensiven Gefühlen des Lebens, wo „Freud anscheinend in seinem eigenen Bedürfnis zu ’sublimieren‘ befangen war.“

Für Reich stand Nietzsche mit Marx gegen den Zeitgeist Anfang des Jahrhunderts, als die Schuldidee und die absolute Moralität in den Vordergrund geschoben wurden. Nietzsches Kritik an der Moral öffnete den Weg „in den Bereich des unbewußten Seelenlebens, das von Freud erfaßt und erforscht wurde“ (Äther, Gott und Teufel).

Den Begriff „Es“ hatte Freud bei Georg Groddeck und dieser bei Nietzsche entliehen.

Reich schreibt in Der triebhafte Charakter:

„Im Manne ist ein Kind verborgen, welches spielen will.“ Mit diesen Worten hatte Nietzsche die klassische Formel Freuds über den neurotischen Konflikt antizipiert.

Reichs erster größerer Aufsatz über „Libidokonflikte und Wahngebilde in Ibsens Peer Gynt“ (Frühe Schriften) fängt mit einem Nietzsche-Zitat an, welches wohl auf die Leiden des Menschen an seinen inzestuösen Bindungen anspielen soll:

Ich lehre Euch den Übermenschen. Was ist der Affe für den Menschen? Ein Gelächter oder eine schmerzliche Schau. Und ebenso soll der Mensch für den Übermenschen sein: Ein Gelächter oder eine schmerzliche Schau.

Das Genie ist seinen orgonotischen Strömungen gewahrer als Homo normalis, er empfindet die gepanzerte Agonie stärker. Nietzsche war ein solch zutiefst kranker Mensch – der gleichzeitig gesünder war. Reich schreibt:

Die Fähigkeit, Unlust und Schmerz zu ertragen, ohne enttäuscht in die Erstarrung zu flüchten, geht einher mit der Fähigkeit, Glück zu nehmen und Liebe zu geben. Um mit Nietzsche zu reden: Wer das „Himmel-hoch-Jauchzen“ lernen will, muß sich auch für das „Zum-Tode-betrübt“ bereithalten.“ (Die Funktion des Orgasmus)

Als zu viel zu ertragen war, brach der „Wissende“ schließlich doch an seiner Gesund-/Krankheit psychotisch (siehe Charakteranalyse, KiWi, S. 583).

Der homo normalis, der seinen ersten Sinn verloren hat, macht das Leben für derartige Individuen zu schwer und unerträglich.

Nietzsche wurde gebrochen, indem man ihn isolierte, ihn in die Einsamkeit abdrängte. (Reich Speaks of Freud)

In seiner Autobiographie (Die Funktion des Orgasmus) kommt Reich auf seine Beschäftigung mit der Ibsenfigur zurück und beschreibt sie als einen Menschen, der „aus der marschierenden Reihe dieser Menschen herausspringt. Man verlacht ihn, wenn er harmlos ist, man versucht ihn zu vernichten, wenn er kräftig ist.“ Was sie aber nicht davon abhielt den Peer Gynt zu einem Teil ihres „Kultur“gutes zu machen.

Reich hat die Popularisierer seines Werkes schon in Nietzscheanischer Gewandung durchschaut:

Es gibt geistreichelnde junge Leute, die man in ernsten Kreisen in Europa als „Kulturschmöcke“ zu bezeichnen pflegte. Sie waren klug, aber ihre Intelligenz diente einer Art Kunstbetätigung um ihrer selbst willen, ohne die todernsten Probleme eines Goethe oder Nietzsche je praktisch begriffen oder erlebt zu haben, lieben sie es, einander Klassik vorzuzitieren. Gleichzeitig ist ihr Wesen von Visionen geprägt. Sie betrachten sich als moderne, freisinnige von keiner Konvention belastete Lebewesen. Da sie ernsten Erlebnissen unfähig sind, ist ihnen die Geschlechtsliebe eine Art Kinderspiel. (Charakteranalyse)

Reich und Nietzsche ist es nicht gelungen, die Schweine und Schwärmer aus ihren sauberen Gärten zu halten. Doch trägt Nietzsche ohne Zweifel selber beträchtliche Schuld an dem was später kam. Reich schreibt:

Es hat wenig Sinn (…) sich einen Übermenschen zu erträumen, der sich von den Menschen in der Falle total unterscheidet, wie es Nietzsche getan hat, bis er, selbst in der Falle eines Irrenhauses gefangen, endlich die volle Wahrheit über sich selber schrieb – zu spät… (Christusmord)

So geht es den meisten, die nicht stillehalten, und die anderen wollen sich gar nicht erst blamieren. Sie sind von vornherein klug und überlegen gewesen. (Die Funktion des Orgasmus)

Dem deutschen Orgontherapeuten Walter Hoppe zufolge verband Schopenhauer seinen Begriff des Willens, der eine zentrale Bedeutung in der Philosophie Nietzsches erlangen sollte,

mit der Sexualenergie, die er [Schopenhauer] als identische Kraft mit der Natur schlechthin zur Darstellung bringt. Der Wille schreibt er, ist ebenso wie die Sexualität eine Kraft, der der gesamten Natur zugrunde liegt, die Kraft, die Liebhaber und Planeten anzieht. (Wilhelm Reich und andere große Männer der Wissenschaft im Kampf mit dem Irrationalismus, München 1984)

So ist auch Nietzsches „Wille zur Macht“ zu verstehen, als Ausdruck des orgonomischen Potentials, das Energie vom niedrigeren zum höheren Niveau fließen läßt. Er schreibt 1888:

Das Leben als die uns bekannteste Form des Seins ist spezifisch als Wille zur Akkumulation der Kraft –: alle Prozesse des Lebens haben hier ihren Hebel: Nichts will sich erhalten, alles soll summiert und akkumuliert werden. (Umwertung aller Werte, der gesammelte Nachlaß)

Und „sollten wir diesen Willen nicht als bewegende Ursache auch in der Chemie annehmen dürfen? – und in der kosmischen Ordnung?“

Im Nachlaß sind auch Anklänge an den spezifisch orgonomischen Bewegungsbegriff zu finden:

Die Bewegungen sind nicht „bewirkt“ von einer „Ursache“ (das wäre wieder der alte [aristotelische, PN] Seelenbegriff!) – sie sind der Wille selber, aber nicht ganz und völlig!

1881 oder 82 hat Nietzsche seinen folgenden „Hauptgedanken“ formuliert, der zeigt, wie er wohl den anthropoiden „theistisch patriarchalen Gott“ für tot erklärte, aber gleichzeitig die Entdeckung des wirklichen „Gottes“ als Ausdruck der Vereinigung von organismischer und kosmischer Orgonenergie ohne „mystische Abweichung“ vorwegnahm (der große Mittag und die Ewigkeit“, „das kosmische Ich“, etc.) und damit nach Kopernikus, Bruno und Darwin das letzte illusionäre Zentrum (das Ich) aufhob:

Hauptgedanke! Nicht die Natur täuscht (…) die Individuen (…), sondern die (…) legen sich alles Dasein nach individuellen, das heißt, falschen Maßen zurecht (…) In Wahrheit gibt es keine individuellen Wahrheiten, sondern lauter individuelle Irrtümer – das Individuum selber ist ein Irrtum. (…) Wir sind Knospen an einem Baume, – was wissen wir von dem, was im Interesse des Baumes aus uns werden kann! Aber wir haben ein Bewußtsein, als ob wir alles sein wollten und sollten, eine Phantasterei von „Ich“ und allem „Nicht-Ich“. Aufhören, sich als solches phantastisches Ego zu fühlen! (…) Den Egoismus als Irrtum einsehen! Als Gegensatz ja nicht Altruismus zu verstehen! das wäre die Liebe zu den anderen vermeintlichen Individuen. Nein! Über „mich“ und „dich“ hinaus! Kosmisch empfinden! (Kritische Studienausgabe, Bd. 9, S. 442f)

Wo Nietzsche 1875 schrieb: „auf immer trennt uns von der alten Kultur, daß ihre Grundlage durch und durch für uns hinfällig geworden ist“ und bis auf die Vorsokratiker zurückging, schrieb Reich: „der orgonomische Funktionalismus steht von vornherein außerhalb des Rahmens der maschinell-mystischen Zivilisation“ der letzten 6000 Jahre (Äther, Gott und Teufel).

Beide hatten jenen „Durst nach großen und tiefen Seelen – und immer nur dem Herdentier zu begegnen!“ (Nietzsche) – Reichs „Kleiner Mann“. Beide sind schließlich an gebrochenem Herzen gestorben „alone, like a dog“ (Reich); im Bewußtsein des Kleinen Mannes, der es schon immer besser wußte, in Scham und Schmach verreckt. Nietzsche nannte sich in einer, einen Tag nach seinem endgültigen Zusammenbruch verfaßten, Postkarte „Der Gekreuzigte“.

Wie etwa ein Goethe mußten sie sich in ihrer Einsamkeit mit Christus identifizieren, als Gebende denen ewig die Lust des Nehmens verwehrt sein würde, als Werkzeug einer höheren Macht, unfreiwillig sich opfernd für die Sache des „Übermenschen“ – dem „Kind der Zukunft“.

Ich liebe den, dessen Seele sich verschwendet, der nicht Dank haben will und nichts zurückgibt: denn er schenkt immer und will sich nicht bewahren. (Also sprach Zarathustra)

Ich könnte auch viel Schlechtes über Nietzsche schreiben – ich laß es:

Wer das Hohe eines Menschen nicht sehen willl, blickt um so schärfer nach dem, was niedrig und Vordergrund an ihm ist – und verrät sich selbst damit. (Jenseits von Gut und Böse, S. 228)

Robert hat diesen Aphorismus dahin interpretiert, daß „die Schwächen des anderen auch meine Schwächen (sind) und lehne ich dessen Schwächen ab, so lehne ich auch mich ab – verrate mich also selbst“. Ich hab das anders verstanden: Wer bei den Großen, etwa Freud oder Reich, wie heute in Biographien üblich, das sucht, was die Großen klein („niedrig“) und unbedeutend („Vordergrund“) macht, zeigt nur, „verrät“ nur, daß er selbst klein und unbedeutend ist. Die „Entlarver“ entlarven sich selbst!

Ein Jahr vor der Geburt des fanatischen Wagnerianers Hitler hat Nietzsche in seiner Beschreibung des Wagnerianertums praktisch schon alles über den Nationalsozialismus gesagt:

Dazu gehört bloss Tugend – will sagen Dressur, Automatismus, „Selbstverleugnung“. Weder Geschmack, noch Stimme, noch Begabung: die Bühne Wagner’s hat nur Eins nöthig – Germanen!.. Definition des Germanen: Gehorsam und lange Beine… Es ist voll tiefer Bedeutung, dass die Heraufkunft Wagner’s zeitlich mit der Heraufkunft des „Reichs“ zusammenfällt: beide Thatsachen beweisen Ein und Dasselbe – Gehorsam und lange Beine. – Nie ist besser gehorcht, nie besser befohlen worden. Die Wagnerischen Kapellmeister in Sonderheit sind eines Zeitalters würdig, das die Nachwelt einmal mit scheuer Ehrfurcht das klassische Zeitalter des Kriegs nennen wird. (Der Fall Wagner, A 11)

Trotzdem wurde immer wieder versucht, Nietzsches „Übermenschen“ mit für den rassistischen Nationalsozialismus verantwortlich zu machen. Nun, Hitler hat in Mein Kampf Nietzsches Namen, wie den jeder anderen deutschen Geistesgröße auch, nur als Mythus ausgenutzt und später in den Tischgesprächen gar nicht erwähnt. Wahrscheinlich hat er ihn nie gelesen, denn diesen Autor konnte Hitler nicht durchfliegen, wie es seine Art war, um ein ideologisches Destillat herauszuziehen. Der sich jeder Festlegung verweigernde Nietzsche eignet sich denkbar schlecht für die Verwurstung zur „fanatischen“ Weltanschauung:

Der Einwand, der Seitensprung, das fröhliche Misstrauen, die Spottlust sind Anzeichen der Gesundheit: alles Unbedingte gehört in die Pathologie. (Jenseits von Gut und Böse, A. 154)

Es stimmt, daß Nietzsches Schwester (mit ihrem unseligen Machwerk Der Wille zur Macht) und der Philosoph Alfred Baeumler versuchten, Nietzsche zum reaktionären „soziobiologischen“ Philosophen zu verkürzen. Doch der Versuch ihn zum neuen offiziellen Staatsphilosophen zu machen, war alles andere als erfolgreich. Die Nazis stoppten sogar die offizielle Kritische Gesamtausgabe, denn Nietzsche verkörperte all das, was die Nationalsozialisten haßten: Freigeist, Abweichler, Verächter der Volksgemeinschaft, Staats- und insbesondere Reichsfeind, Sympathisant der Judenheit und Frankreichs, etc. Man konnte beim vermeintlichen philosophischen Urvater der nationalsozialistischen Ideologie nachlesen, daß die Deutschen eine Mischrasse mit überwiegend vorarischen Anteilen seien (Jenseits von Gut und Böse, A 244), und was ihre „rassische Verbesserung“ betraf, fand Nietzsche die Juden als „Ingredienz bei einer Rasse, die Weltpolitik treiben soll, unentbehrlich“ (Studienausgabe Bd. 11, S. 457).

Neben Baeumler beriefen sich die beiden deutschtümelnden Existentialisten Karl Jaspers und Martin Heidegger auf Nietzsche. Aber beide zeigten in ihren Vorlesungen über Nietzsche auf, daß er so ungefähr das Gegenteil der Nazi-Ideologie vertrat. Georg Picht (Nietzsche, Stuttgart 1988) hält Heideggers Vorlesungen sogar für eine der mutigsten und wichtigsten Widerstandshandlungen in Hitlerdeutschland, denn Heidegger habe sich konsequent gegen jede oberflächliche Politisierung von Nietzsche, gegen jede biologistische Fehlinterpretation gewandt, das Gerede vom „wotanischen Archetypus der Macht“ verworfen und den Machtbegriff der Nazis verhöhnt.

Hatte Heidegger anfangs angenommen, „die Bewegung“ würde die Logik des von Nietzsche diagnostizierten Nihilismus überwinden und sich ihr zugewandt, weil sie scheinbar eine „grüne“ antitechnokratische Politik vertrat, sozusagen das Gegenteil der Tötungsfabrik Auschwitz, erkannte er in ihr schließlich die Vollendung des Nihilismus. Heidegger führt Nietzsches Diktum an, daß jeder Versuch, dem unvollständigen Nihilismus, in dem wir leben, zu entgehen, das Gegenteil des Erstrebten hervorrufen wird, nämlich den vollständigen Nihilismus, wenn bei diesem Versuch nicht alle bisherigen Werte umgewertet werden (Holzwege, Pfullingen 1963, S. 208).

Allenfalls kann man Nietzsche mit dem italienischen Faschismus in Zusammenhang bringen, denn Mussolini war in der Tat Nietzscheaner. Betrachtet man Nietzsches Schriften aus diesem Blickwinkel, findet sich dort ohne Zweifel faschistisches Gedankengut. Gleichzeitig hat Nietzsche aber auch die Psychoanalyse (sowohl Freud als auch Adler) vorweggenommen – und manchmal muß man sich beim Lesen die Augen reiben, wenn man über eine der vielen schlechthin orgonomischen Stellen bei Nietzsche stolpert. Wie ist dieser Widerspruch zu erklären?

Am Ende seines bewußten Lebens wollte Nietzsche eine „Partei des Leben“ gründen und sie gegen die Kräfte des Nihilismus mobilisieren, die das unschuldige Leben „jenseits von Gut und Böse“ unterminieren. Diese Kräfte sind der nihilistische Mystizismus und der nihilistische Sozialismus, d.h. die Entwertung des konkreten Lebens durch eine fiktive ideale Welt. Die „Partei des Lebens“ macht „die Physiologie zur Herrin über alle anderen Fragen“, das bedeutet Höherzüchtung der Menschheit und das Ausrotten alles „Entarteten und Parasitischen“, das sich in der „Partei alles Schwachen, Kranken, Missrathenen, An-sich-selber-Leidenden“ findet.

Diese zweite Partei, die mystische und utopische Partei, wolle Rache am Leben nehmen und das Leben auslöschen, wenn die Partei des Lebens ihr nicht zuvorkommen würde (so Nietzsche in seinen letzten Notizen, Studienausgabe Bd. 13, S. 638 und im Ecce homo Bd. 6, S. 374).

Bereits 1882 hatte er sich notiert:

Wir als die Erhalter des Lebens. Unvermeidlich entstehend die Verachtung und der Haß gegen das Leben. Buddhismus. Die europäische Thatkraft wird zum Massen-Selbstmord treiben. (…) Wenn wir nicht uns selber erhalten, geht alles zu Ende. Uns selber durch eine Organisation. Die Freunde des Lebens. (Studienausgabe Bd. 10, S. 43)

Reich hat mit seiner „Partei des Lebens“ Nietzsches Differenzierung zwischen dem neurotischen Mystiker, der das Leben nihilistisch abtötet, und dem freien, gewissenlosen Menschen aufgenommen. Aber Reich unterschied in der letzteren Gruppe weiter zwischen den freien Menschen, die ihre sekundären Triebe leben, und den freien Menschen, die ihre primären Triebe leben (Emotionelle Pest und Genitalität, die in Nietzsches Vorstellung vom Übermenschen noch eins waren), zwischen Faschismus und Arbeitsdemokratie. Ganz entsprechend hatte sich schon der Nietzscheanismus in zwei Gruppen aufgespalten: Vertreter des faschistischen Herrenmenschentums auf der einen und Verteidiger des Lebendigen auf der anderen Seite.

Die faschistischen Nietzscheaner haben nicht nur primäre und sekundäre Triebe miteinander vermengt (was ja auch Nietzsche selbst getan hatte), sondern überhaupt Nietzsche und „die Partei des Leben“ verraten, indem sie sie von neuem mit der nihilistischen, christlichen Moral vergifteten. Nietzsche wurde von all dem eingeholt, was er überwunden hatte. Dieses national-christliche Gedankengebäude faßte Nietzsches Schwester Elisabeth, die spätere Hohepriesterin des nationalsozialistischen Nietzsche-Kults, noch zu Nietzsches Lebzeiten zusammen, als sie schrieb, gemeinsam mit den Wagnerianer Bernhard Förster, ihrem späteren Ehemann, würde sie „schwelgen“ in „Mitleid, heroischer Selbstverleugnung, Christentum, Heldentum, Vegetarismus, Ariertum, südliche Kolonien“ (Peters: Zarathustras Schwester, München 1983, S. 108).

So ebnete sich der Weg für den nationalsozialistischen Mißbrauch Nietzsches. Hermann Josef Schmidt schreibt dazu:

Auch nationalsozialistische „Nietzsche“interpretation wäre ohne vorherige „christliche“ Nietzscheverkleisterungen, beginnend spätestens 1895 mit der opportunistischen „großen“ Nietzschebiographie seiner Schwester – und ohne eine Serie von Textstellen, die, aus ihrem Zusammenhang gerissen, sich schaurig lesen (z.B. das geklitterte Buch Der Wille zur Macht, PN) – zumindest in ihrer Breitenwirkung nicht möglich gewesen. Auch hier hat deutsches Christentum – man lese nur die Reden und „Abschiedsworte“, die am 28.8.1900 an Nietzsches Grab gehalten bzw. vorgetragen wurden (…) – dem Nationalsozialismus glänzend vorgearbeitet. (Nietzsche absconditus, Berlin 1991, S. 274)

Der radikale Nietzsche darf nicht verwässert werden, wenn man nicht alles zerstören und in sein Gegenteil verkehren will, vielmehr muß man, wie Reich es getan hat, Nietzsche weiter radikalisieren. Dies ist der einzige gangbare Weg. Es gibt keinen Weg zurück.

Man betrachte nur die gegenwärtige moralistische Kampagne in Deutschland gegen den „Fremdenhaß“. Von der äußersten Linken bis zum Papst sind sich, unterstützt von den neusten soziobiologischen Erkenntnissen, alle einig, daß man das teuflische „Tier im Menschen“ mit seinem „angeborenen Rassismus“ überwinden müsse. Es ist kaum etwas gegen das wissenschaftliche Fundament dieses Konzeptes zu sagen, zumal Malinowski sogar bei den Trobriandern rassistische Ressentiments gegen angrenzende Stämme und gegen Polen (Malinowski) festgestellt hat. Müssen wir uns also auf unsere humanistische Wertewelt besinnen, diese steinzeitlichen Triebe durch unsere zivilisatorische Energie überwinden und dergestalt die archaischen Sümpfe trockenlegen? Oder haben wir mit Nietzsche die „Partei des Lebens“ zu ergreifen? Die Orgonomie, die mindestens so weitreichende humanitäre Ziele hat wie die Humanisten, will die Sümpfe nicht in eine Wüste verwandeln, aber auch nicht das Gesetz des Dschungels in die Städte tragen, sondern für einen geregelten Abfluß sorgen, so daß sich eine schöne Auenlandschaft ausbilden kann.