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Orgonkultur (Teil 1)

16. Mai 2022

Was den eingedrungenen Wüstennomaden ihre „Religion“ („Der hat meine Religion beleidigt!“) ist ihren linksintellektuellen Willkommensklatschern die „Kultur“. Kaum einer wagt zu sagen, was offenkundig ist: daß die moderne Malerei, das moderne Theater und die moderne ernste Musik fast durchweg nichts anderes sind als minderwertiger Dreck. So sah jedenfalls Reich die Sache.

Die Hamburger Morgenpost rezensiert die Uraufführung eines zeitkritischen Theaterstücks Die Kontrakte des Kaufmanns von Elfriede Jelinek, die 2004 den Literatur-Nobelpreis erhalten hatte:

Die muntere Schauspielertruppe tat ihr Bestes, um das Publikum am Einschlafen zu hindern. Eisenstangen knallten auf die Bühne, Luftballons wurden zerstochen, und schließlich kletterte das Ensemble sogar über die Köpfe der Zuschauer hinweg. Ganz ehrlich, man kann es schaffen bis zum Ende.

Was würde Reich über Jelinek und die masochistische „Kultur“-Schickeria sagen, die diesen entarteten Müll über sich ergehen läßt? Wahrscheinlich dasselbe, was er über Kafka gesagt hat. Als Myron Sharaf ein Kafka-Zitat für das Orgone Energy Bulletin benutzen wollte, protestierte Reich: „Er (Kafka) war ein Neurotiker und andere Neurotiker sammelten sich um ihn und machten ihn zu einem großen Helden“ (M.R. Sharaf: “Some Remarks of Reich (1949-1952)”, Journal of Orgonomy, Vol. 8, No. 1, May 1974).

Wirkliche Kunst entspricht „Löchern“ in der Panzerung, ist also in jedem Fall unneurotisch. Die nervende Kakophonie der Neurotiker, der sogenannten „Künstler“, die, statt sich eine Kugel durch den Kopf zu jagen, uns ihre Alpträume ins Gesicht kotzen, trägt nur zur allgemeinen Verpanzerung bei, gebiert neue Verzweiflung; ist Niedertracht, Menschenverachtung, Emotionelle Pest und sonst nichts! Immerhin hatte Kafka die innere Größe, darum zu bitten, daß nach seinem Tod seine Manuskripte verbrannt werden – statt dessen machten sie ihn zum Helden….

Zur neurotischen Schriftstellerei siehe auch Wilhelm Reich, das Schreiben, meine Neurose und ich von Jan Decker.

Der Gegenpol zu Kafka, den Erzneurotiker, bildet der „Naturmystiker und Dichtermaler“ William Blake (1757-1827). Dazu das Bild „Venus und Anchises“ des viktorianischen Malers Sir William Blake Richmond (1842-1921), der von seinem Vater nach dessen Freund William Blake benannt worden war:

Hier sieht man, wie die Liebesgöttin in einen herbstlichen Wald tritt und neues Leben spendet. Sowohl Blake als auch der nach ihm benannte Maler waren im Christentum verankert gewesen, gleichzeitig ging es ihnen aber um den Zauber der Natur und um sinnliche Leidenschaft, die nicht im Widerstreit steht zu Gott und den Botschaften der Bibel. Für William Blake offenbarte sich Gott erst in der menschlichen Lebensfreude.

Blake war einer der seltsamsten und „fremdesten“ Menschen, die je gelebt haben. Von seinen Graphiken geht eine bezwingende Kraft aus, der man sich kaum entziehen kann. Seine Gedichte wirken, als wären sie von Wilhelm Reich inspiriert. Gewisserweise ist Blake Teil der Orgonomie.

In seiner Einführung in die Orgonometrie Before the Beginning of Time meint Jacob Meyerowitz, daß Blake der einzige Künstler gewesen sei, den man mit Fug und Recht als „genitalen Charakter“ beschreiben kann. Dies erkläre, warum uns, die wir gepanzert sind, sein Werk so fremdartig, geradezu „außerirdisch“ erscheine.

Tatsächlich wirken Blakes Werke auf den ersten Blick „mystisch“ und „verschroben“, doch offensichtlich war das seine einzige Möglichkeit, mit seinem Gefühlsleben umzugehen, das so radikal anders war als das seiner gepanzerten Umgebung. Genauso interpretiere ich das Wirken Jesu im zweiten Band von Der verdrängte Christus.

Tatsächlich ist es manchmal schwer zu sagen, ob man es mit Mystizismus (durch die Panzerung verzerrter Kontakt zum Kern) oder mit einem genuinen Kontakt mit dem bioenergetischen Kern zu tun hat. Das betrifft etwa den bekannten Schriftstelle Paulo Coelho, der mit seiner Weltsicht, die von einer „Weltseele“ bestimmt wird, sich geren als William Blake der Neuzeit stilisiert.

Am 15.8.03 berichtete das ZDF-Kulturmagazin Aspekte über das damals erschienene Buch Elf Minuten (die durchschnittliche Dauer des Geschlechtsakts) von Paulo Coelho. Es geht ohne „aufklärerischen“ Sozialkitsch um die Geschichte einer jungen Prostituierten, die nach der „Sprache des Körpers“ auch die „Sprache der Seele“ kennenlernt und so erfährt, was Erotik und Liebe wirklich ist.

Doch leider versteigt sich „der weltberühmte katholische Kulturalchimist“ gegenüber Aspekte:

Sexuelle Ekstase ist dasselbe wie mystische Ekstase. Wenn man Bücher von Mystikern liest wie der heiligen Theresia von Avila oder dem heiligen Johannes, die zu beschreiben versuchen, was religiöse Ekstase ist, dann liest man: „Ich verliere das Gefühl für diese Welt“ – und dasselbe geschieht beim Sex. Beim Orgasmus, wenn man in Ekstase gerät, verliert man sich, nimmt nichts mehr wahr, findet man aus sich heraus. Und das ist, denke ich, die heilige Erfahrung von Sex.

Reich schrieb, „daß das religiöse Empfinden gehemmter Sexualität entspringt, daß in gehemmter Sexualerregung die Quelle der mystischen Erregung zu suchen ist“ (Hervorhebungen hinzugefügt). Und er unterstreicht: „Daraus folgt der zwingende Schluß, daß klares sexuelles Bewußtsein und natürliche Ordnung des sexuellen Lebens das Ende des mystischen Empfindens jeder Art sein muß, daß also die natürliche Geschlechtlichkeit der Todfeind der mystischen Religion ist“ (Massenpsychologie des Faschismus, Fischer TB, S. 168).

Die Spaltung in der Kultur zwischen „Kafka“ und „Blake“ findet sich, wohin man schaut. Etwa, wenn Der Spiegel sich mit der Urgeschichte befaßt.

2005 berichtete Der Spiegel unter der Überschrift „Triebstau im Neandertal“ über den „Adonis von Zschernitz“ und andere Funde, die vom Sexualleben in der Frühzeit zeugen. Der Artikel liest sich, als wären wir noch im Jahre 1932, als Reich sein Buch Der Einbruch der Sexualmoral veröffentlichte. Ganz im Sinne Freuds sehen die „Tabuisten“ den Urmenschen in einem System aus Triebverzicht und Enthaltsamkeit mit einem streng reglementierten Fruchtbarkeitskult gefangen, in dem das geschlechtliche Verlangen sublimiert und zu ritueller Kunst umgeformt wird. Die Soziobiologen glauben hingegen, der haltlose Frühmensch habe dem genetischen Diktat folgend der Promiskuität gefrönt.

Von sexualökonomischen Überlegungen findet sich keine Spur. Stattdessen… – die Sprache des Pseudoliberalen (modern liberal) Kulturfatzkes: „Pornofiguren“, „Erotiktempel“, „Bewegung in der Sexfront“, „Reizwäsche aus der Bronzezeit“, es „wird gerammelt und geschleckt“, „Dildos“, „SM-Sklavin“, „Kloschmierereien“, „trunkene Orgie“, „Erotikriten“, „Eros-Center“.

Nach all dem gesellschaftlichen und wissenschaftlichen „Fortschritt“ der letzten Jahrzehnte sind Reich-Titel wie Der triebhafte Charakter, Die Funktion des Orgasmus und Geschlechtsreife, Enthaltsamkeit, Ehemoral aktueller als in den 1920er Jahren!

Immerhin schlägt der Bericht im Spiegel über die „Venus vom Hohle Fels“ einen anderen Ton an. Einen, bei dem man sich wohl fühlt. Die Statuette sei „– drall und erotisch (…), was wie ein Symbol für Wonne und Wohlleben, sattes Glück und sicheres Gebären scheint“.

Es gibt einen Unterschied zwischen Kultur, die in Einklang mit der Natur ist, und der entarteten Unkultur!

Orgonomie und Metaphysik (Teil 61)

13. Mai 2022

Es gibt prinzipiell zwei Erklärungen, warum und wie sich die Menschheit abgepanzert hat.

  1. Der Urmensch sei, so Reich im Anschluß an seine Erforschung der Schizophrenie, daran gescheitert, das autonome organische Funktionieren, das ihm bewußt wurde, mit eben diesem Bewußtsein zu koordinieren. Dieses Konzept war wenig spezifisch. Erst Charles Konia konnte einen konkreten Mechanismus angeben. Es geht um die Atmung und das Sprechen. Beispielsweise ist der Mensch das einzige Säugetier, das nicht gleichzeitig atmen und schlucken kann.
  2. Im Anschluß an das ORANUR-Experiment formulierte Reich vollkommen unabhängig davon die Idee, daß DOR und die Entwicklung von Wüsten dafür verantwortlich gewesen wäre, daß sich ein Panzer (= sequestriertes DOR) bildete. Auch dieser Ansatz blieb recht nebulös, bis James DeMeo seine Saharasia-Theorie vorstellte.

Die erste Theorie erinnert etwas an Reichs Zeitgenossen Ludwig Klages und „den Geist als Widersacher der Seele“. Die zweite Theorie an seinen Zeitgenossen Hanns Hörbiger.

So mancher sogenannte „Reichianer“ wehrt sich gegen DeMeos Saharasia-Theorie. Diese Leute scheinen nicht zu wissen, daß Reichs Werk von den keimhaften Grundzügen dieser Theorie durchwirkt ist. In Ea und die Wellenfunktion wird auf entsprechende Stellen in Contact with Space von 1957 verwiesen. Genauso könnte man Reichs Einbruch der Sexualmoral von 1931 nennen, wo er auf S. 101 schreibt:

Spuren der Urgeschichte, die man in der Mythologie auffindet, weisen auf Elementarkatastrophen hin, die die wirtschaftliche Existenz der Urmenschen bedrohten und gesellschaftliche Bewegungen auslösten, aus denen sich der erste Anstoß zur Sexualeinschränkung (…) herleitete.

Darauf folgt eine Fußnote, die Reich (zu recht) aus dem ins Amerikanische übersetzten Buch strich, weshalb sie auch in den revidierten deutschen Ausgaben nicht mehr erscheint:

Ich kann die Richtigkeit der Hörbigerschen „Glazialkosmogonie“ nicht fachlich beurteilen. Seine Erklärung der bei den meisten Völkern der Erde in irgendeiner Form festgestellten Sintflutsagen, die er auf reale kosmische Katastrophen zurückführt, verdienen aber entschieden unsere Beachtung. Sie werfen ein völlig neues Licht auf die Eigenart der Daseinsbedingungen der urmenschlichen Gesellschaft.

Es ist schon Saharasia-Theorie, wenn Reichs Mitarbeiter Karl Teschitz in seinem Buch von 1935 die neuheidnische „Deutsche Glaubensgemeinschaft“ zitiert:

Eine der schlimmsten Verfälschungen, die sich gerade auf dem Glaubensgebiete verheerend ausgewirkt hat, ist die Vermorgenländerung der Frau im Norden. Während sie nordisch Kamerad und Gehilfe des Mannes ist und Mann und Weib erst durch das Beieinander und Miteinander eine Ganzheit bedeuten, von der jeder Teil trotz seiner Verschiedenheit vom anderen gleich wertvoll ist: … ist sie vorderasiatisch etwas Heiliges nur in Bezug auf den Mann, dem sie gehört, im übrigen aber das „böse Fleisch“, das dem „guten Geist“ des Mannes widerstreitet … Und wüstenländisch ist sie die „Ware“, für die es einen möglichst hohen Preis zu erzielen gilt … Nicht einen Wert an sich hat sie, sondern nur als Besitzstück des Mannes. Sie hat, wenn sie ausgewachsen ist und also ihren Wert als Ware erreicht hat, keine Entfaltungsmöglichkeit, keine Möglichkeit, aus sich selbst heraus sich im Laufe des Lebens zu entwickeln. (Friedrich Prinz zur Lippe: „Rasse und Glaube“. Vortrag gehalten auf der Arbeitswoche der Deutschen Glaubensbewegung in Scharzfeld am 20. Mai 1934, Seite 27.) (z.n. Teschitz: Religion, Kirche, Religionsstreit in Deutschland. Kopenhagen: Sexpol-Verlag, 1935, S. 88)

Es geht um die Grundidee, nicht speziell um (ausgerechnet!) Klages‘ und Hörbigers Theorien. Warum „ausgerechnet!“? Zu Klages und Hörbiger siehe Der Blaue Faschismus!

Ein naheliegender dritter Ansatz, den Michel Odent in Die Natur des Orgasmus (München 2010, Kapitel: „Evolutionsvorteile der Orgasmosphobie“) vorbringt, ohne den Anspruch einer „dritten Theorie“ zu erheben, war Reich konzeptionell unzugänglich, weil er aufgrund seiner „Rousseauistischen“ Grundanschauung mit der „faschistischen“ Genetik und der Theorie vom Überleben des Stärkeren, die Hitler beseelte, auf Kriegsfuß stand. Für ihn waren das „mechano-mystische“ Mythen, die eines Tages durch eine lebensbejahende funktionelle Theorie ersetzt werden würden. Doch trotz aller Epigenetik und überzeugenden Kritiken am überkommenen Darwinismus, die Reich weitgehend Recht gegeben haben, bleibt der Kerngehalt der Genetik und der Evolution durch Anpassung an die Umwelt doch unumstritten.

Das besondere ist, daß diese sich als richtig erwiesenen Theorien vollkommen mechanistisch sind. Man kann sich kaum etwas Mechanischeres vorstellen als eine Software (die Gene), die abgelesen wird und dabei ständig von Umweltfaktoren „durchsiebt“ wird. Nur Software, deren Produkt durch das Sieb der Umweltforderungen hindurchgeht, bleibt erhalten.

Hier haben wir ein rein mechanisches Prinzip im Kern der Biologie, d.h. buchstäblich im Zellkern! Entsprechend kann man fragen, welchen Evolutionsvorteil „mechanische“ Panzerung („Orgasmosphobie“) für die diversen Kulturen hatte. Eine Frage, die, wie gesagt, Reich konzeptionell unzugänglich war. Odent führt aus:

  1. Die Konkurrenz bei der Partnerwahl droht die überlebensnotwendige Kohärenz der Gruppe zu gefährden. Außerdem haben sowohl erzwungene Exogamie als auch Endogamie jeweils gegebenenfalls für das Überleben der Gruppe unverzichtbare Vorteile. Im ersten Fall wird die Verbindung mit anderen Gruppen gefestigt, im zweiten Fall wird verhindert, daß die Ressourcen der Gruppe sozusagen „diffundieren“. In diesem Sinne kann die Einschränkung der Genitalität, bis hin zur Genitalverstümmelung, nur von Vorteil sein.
  2. Dadurch wird nicht zuletzt das menschliche Aggressionspotential erschlossen. Siehe dazu meine Ausführungen in Die Sexualökonomie der Cheyenne, insbesondere geschieht das aber dadurch, daß in praktisch allen Kulturen die Mutter-Kind-Bindung mehr oder weniger stark hintertrieben wird: die Menschen werden von Anfang an „hart“ gemacht. (Ein Faktor, den Odent nicht erwähnt, ist die „postnatale Abtreibung“. Das Kind wurde von der Mutter ferngehalten, bis der Stamm entschieden hatte, ob der Neuankömmling im Stamm aufgenommen oder den wilden Tieren überlassen wird. Man konnte es sich nicht leisten, jeweils restlos verzweifelte suizidale Mütter zu hinterlassen. Deshalb durfte die emotionale Bindung nicht gleich nach der Geburt einsetzen.)

Erst heute, wo wir uns weitgehend vom evolutionären Druck befreit haben, kann (könnte!) sich „das Lebendige“ im Sinne Reichs frei entfalten.

Die drei Theorien schließen sich nicht gegenseitig aus, vielmehr ergänzen sie einander. Beispielsweise erhöht die Wüste den evolutionären Druck ungemein. Außerdem handelt es sich bei diesen Anpassungen, etwa die Mutter anfangs vom Neugeborenen fernzuhalten, um wohldurchdachte, kalkulierte Überlegungen: das Bewußtsein als Kontrollinstanz über autonomes Geschehen.

odentpanzer

Die Menschheit konnte diese Falle erst verlassen, nachdem die Natur und damit die natürliche Anarchie des Individuums entdeckt war. Die Natur und das Individuum wurden nicht mehr nach dem Maßstab der Nützlichkeit betrachtet. Dies wurde von Rousseau geleistet.

Man kann viel Negatives über Rousseau sagen. Etwa, daß es ohne ihn die Französische Revolution und den Marxismus nicht gegeben hätte. Man kann sein persönliches Verhalten anprangern. Oder man kann ihn mit LaMettrie vergleichen, wobei er nicht gut wegkommt. Doch es bleibt etwas, das anhand eines bestimmten Problems der amerikanischen und deutschen Forstverwaltungen ins rechte Licht gerückt werden kann.

Jeder Naturenthusiast wird bestätigen, daß man auf Wiese, Wald und Flur buchstäblich nie südländischen Kulturbereichern begegnet. Wenn du keine Kopftücher sehen willst, gehe in den deutschen Wald! In den USA macht sich die Verwaltung der Nationalparks wirklich Sorgen angesichts des demographischen Wandels: ausschließlich Weiße interessieren sich für die unberührte Natur Nordamerikas, während Schwarze, Latinos und andere „Farbige“ die Parks meiden, als wäre die unberührte Natur hochtoxisch. Wenn einmal die Kaukasier die Mehrheit verloren haben werden, wird dieser Planet flächendeckend abgeholzt und ausgeplündert werden! So wie es bereits heute in der Dritten Welt geschieht, die der weiße Mann unverantwortlicherweise sich selbst überlassen hat.

Der chinesische Kulturkreis ist keine Ausnahme, weil es bei ihm nicht um die Natur „an sich“ (oder besser gesagt „für sich“) geht, sondern stets um den Menschen. Schaut der Chinese oder Japaner in die Natur, sieht er sich selbst und nichts sonst. Chinesische Landschaftsmalerei handelt nicht von der Landschaft, sondern von vorgefaßten ethischen (sic!) Vorstellungen, etwa über Yin und Yang, die man in die Natur hineinmalt, wenn man nicht gleich entsprechende Motive wählt. Solche Orte sind heilig – wenn an einem anderen, sozusagen „unheiligen“ Ort die Wälder abgeholzt und ganze Gebirgszüge eingeebnet werden, interessiert das kein Schwein. Japaner aus ganz Hamburg kommen nach Langenhorn-Nord, um hier in einer Allee voller Kirschbäume im Mai die Kirschblüte zu erleben. Das ist kein Natur-, sondern ein Kulturereignis. Für nicht mit Bedeutung aufgeladene Naturschauspiele haben sie keinerlei Gefühl. Sie haben keinen Sinn für die Natur! Man vergleiche nur einen japanischen Ikebana-Blumenstrauß, mit einem beliebigen europäischen Strauß. Im Ikebana ist alles mit Bedeutung aufgeladen, die durchweg aus der menschlichen Sphäre kommt, während der Europäer schlicht die unberührte Natur ins Haus holt.

Übrigens versuchen die Amerikaner Nichtweiße doch noch in die Natur zu locken, indem sie sie mit menschlicher Symbolik aufladen: die Geschichte der indigenen Völker, der „Befreiungskampf“ der Nichtweißen, eine von Weißen nicht kontaminierte Natur, Blablabla. Selbst wenn dieser hanebüchene Unsinn funktionieren sollte – für die Natur hätten die Farbigen immer noch kein Empfinden.

Vor Rousseau war Europa nicht anders als heute das „Südland“. Der sprichwörtliche deutsche Wald ist erst neueren Datums. Im Mittelalter war Deutschland zwischen den Alpen und der Nordsee kahl (soweit das ohne Kreissägen und Geländewagen zu bewerkstelligen war!) und praktisch frei von Wild. Einzige Ausnahme waren die Wildreviere der Adligen, die mit drastischen Strafen geschützt werden mußten.

Die Parks der Adligen waren ein kubistischer Alptraum. Mit Gewalt wurde der Natur die Natur ausgetrieben. Wer es sich leisten konnte, kaufte sich eine Amme (typischerweise Prostituierte), um die Kinder zu stillen, denn die höheren Damen wollten keine „Milchkühe“ sein, ihre Figur nicht verderben und ohne Ballast gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkommen. Die Natur und die natürlichen körperlichen Funktionen waren dermaßen verpönt, daß es auf den Schlössern keine Toiletten gab. Das Geschäft, das offiziell gar nicht existierte, wurde diskret in dunklen Ecken mit Hilfe von Dienern erledigt, ähnlich wie heute in Krankenhäusern bei bettlägerigen Patienten.

Das änderte sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts drastisch mit Rousseau. Es setzte ein Kult der Natürlichkeit ein, der bis heute ungebrochen anhält. Im Rokoko mimten die hohen Herrschaften das (idealisierte) Dasein von Hirten und Mägden. Gärten wurden plötzlich so gestaltet, daß sie möglichst „naturwüchsig“ wirkten und die Damen fingen an ihre Kinder zu stillen. Tatsächlich wurde erst damals „das Kind“ entdeckt! Körperpflege wurde zu einem Statussymbol. Aus dem Rokoko entwickelten sich die Romantik und schließlich die Lebensreformbewegung, die bruchlos in die Orgonomie überging. Man höre sich Mozart an, das klanggewordene späte 18. Jahrhundert! Er hat wie sonst keiner den damaligen Durchbruch des Lebendigen vertont. Seine Musik ist eine einzige Huldigung der Natürlichkeit, weshalb sie bis heute so ein Seelenbalsam ist.

Für Menschen, die vom westlichen Bildungsbürgertum unbeleckt geblieben sind, d.h. die Unterschicht und die besagten „Farbigen“, bedeutet die Natur hingegen NICHTS. Überlaßt Deutschland den Hartz-4-lern und den Migranten: nach wenigen Jahren werdet ihr ein restlos ausgebeutetes und vollgemülltes Ödland vor euch haben! Jeder Blick auf die Freiflächen in den sozialen Brennpunkten unserer Städte sollte Beweis genug sein! (Übrigens sieht man auf orgonomischen Veranstaltungen in den USA ausschließlich Weiße aus dem oberen Mittelstand!) Und wie sieht die Zukunft aus? Glaubt irgendjemand, daß die jugendlichen Vollidioten, die heute auf ihren Ei-Pott starrend durch die Straße gehen… (Ich schreibe diesen Blogeintrag während einer Bahnfahrt. Vor mir sitzt eine Amerikanerin. Ihre Zeit vergeht mit Dösen, Herumfummeln am Handy und Herumschauen im Wagen. Scheinbar kein einziges Mal richtet sich ihr Blick auf die vorbeiziehende Landschaft, die sie doch wahrscheinlich noch nie gesehen hat.)

Man vergleiche diese Ausführungen über das Naturgefühl mit meinen Ausführungen über den Kapitalismus, der einen ähnlichen Ursprung hat!

Nachtrag: Warum ist Rousseau so zweigesichtig? Auf der einen Seite der Vater der Romantik (und gewisserweise auch des Schwarzen Faschismus!), auf der anderen des Roten Faschismus. In seinem Haß auf die unnatürliche Zivilisation war er auf den Wahn verfallen, man könne künstlich eine gerechte, meinetwegen „natürliche“ Gesellschaft erschaffen. Er hatte keinen Sinn dafür, daß die Gesellschaft organisch gewachsen ist und auch die irrationalsten Institutionen eine Funktion haben. Der prototypische Freiheitskrämer!

nachrichtenbrief150

26. April 2020

Der Einbruch des Inzestes

4. April 2016

Nicht zuletzt angesichts des Islam ist mir ein bestimmter Aspekt des Reichschen Lebenswerks schlichtweg unerträglich.

Für Reich erklärt sich das Mutterrecht „aus der natürlichen Generationsfolge, mit der Tatsache des Inzestes und der primitiven Arbeitsdemokratie [in der Urfassung: Urkommunismus] in der Urzeit“. Der „Inzest in der Urzeit“ sei eine „unwiderlegliche Tatsache“ (Der Einbruch der sexuellen Zwangsmoral, KiWi, S. 95). Reich geht einen Schritt weiter und setzt vor das Mutterrecht das „Naturrecht“. „Das ‚Naturrecht‘ könnte der inzestuösen Urhordensituation, das Mutterrecht der exogamen Clanorganisation zugeordnet werden“ (S. 124). Die „Urhorden“ seien „naturrechtlich und arbeitsdemokratisch [in der Urfassung: urkommunistisch] sowie inzestuös“ organisiert gewesen (S. 123). Er bezieht sich dabei auf Morgan und dessen Konzept der „Blutverwandtschaftsfamilie (die Elterngeneration, die Brüder-Schwester-Generation und deren Kinder, jede untereinander in genitalem Verkehr stehend)“ (S 108).

Hier ist demnach einzufügen, daß Reich bei „Inzest“ in erster Linie an den Geschlechtsverkehr innerhalb der Generationen denkt. Anders als bei Freud ist bei ihm nicht der „Sohn-Mutter-Inzest“, sondern der „Bruder-Schwester-Inzest“ das entscheidende (S. 143). Freud ging von einer „Urhorde“ aus, bei der sich alles darum dreht, daß der „Urvater“ verhindern muß, daß seine Söhne mit ihrer Mutter schlafen. Darauf wollte Freud den Ödipus-Komplex zurückführen. Tatsächlich haben genetische Untersuchungen gezeigt, daß die Menschen vor 50 000 Jahren noch so rar gesät waren, daß es tatsächlich zur Inzucht kam, – gleichzeitig kam es aber auch zu Geschlechtsverkehr mit Neandertalern und anderen Menschenunterarten. Das Tierreich zeigt, daß es nur infolge von geographischer Isolierung zu Inzucht kommt und es sich deshalb um alles andere als um „Naturrecht“ handelt. Man schlief sogar mit Neandertalern, um der eigenen Familie zu entgehen! Heute kommt es bei Menschen zu Inzucht nur unter extremen sozialen Druck wie etwa in der zutiefst pathologischen islamischen Welt. Siehe auch hier.

Reich selbst hatte gezeigt, daß in der gepanzerten Gesellschaft die Bindung an die Mutter zur unlösbaren sexuellen Fixierung wird und verhindert, daß andere Bindungen eingegangen werden. Wie kommt er dann dazu die Inzucht unter Geschwistern zu „vernatürlichen“? Reich geht so weit zu behaupten: „Die Schädlichkeit der Inzucht ist nirgends nachgewiesen“ (S. 136). Im Zustand der „Wildheit“ hätten die Menschen „jahrtausendelang im Inzest (gelebt), ohne daß der geringste Anhaltspunkt für eine Schädigung vorliegt“ (S. 136f). Der Inzest sei „als jahrtausendelang dauernde Regel mythologisch und durch direkte Beobachtung nachgewiesen“ (S. 142). Reich gibt u.a. ausgerechnet die Saudi-Araber, die „Wahabi-Stämme des Njed, des Gebirgsplateaus im Inneren von Arabien“ als Beispiel dafür an, wie der gesellschaftliche Zusammenhang zwischen ihnen „nur durch Heiraten aufrechterhalten (wird), die zwischen Geschwisterkindern ersten Grades … geschlossen werden“ (S. 135).

Reichs Der Einbruch der sexuellen Zwangsmoral ist wirklich ziemlich weit von James DeMeos Saharasia-Theorie entfernt. Was die Vorgeschichte, d.h. die Zeiten des „Naturrechts“ betraf, herrschte, Reich zufolge, „Frieden nach innen, Gewalt nach außen – das war die Situation der Urzeit“ (S. 132). Innerhalb der Horde galt Inzest und „Urkommunismus“ mit vollständiger Gleichberechtigung der Frau, während außerhalb die von langen Jagdexpeditionen sexuell frustrierten Männer mordschatzend die Gegend unsicher machten, die Männer fremder Stämme massakrierten und deren Frauen vergewaltigten!

Freud hatte sich auf die Zoologie berufen, doch Reich verbietet sich Beispiele aus dem Tierreich, die auf ein von einem Leitmännchen geführte hierarchische Strukturen verweisen:

Die einzige hypothetische Grundlage dieser Auffassung ist die supponierte Eifersucht des führenden Mannes und das notabene seltene Vorkommen von Tierhorden (wilde Pferde, Hirsche, Affen), bei denen es einen „Führer“ gibt. Diese immer wieder aus dem Tierreich herangezogenen biologischen Beweise verschwinden aber gegenüber der Tatsache, daß die Millionen anderer Tierarten erwiesenermaßen, mit Ausnahme gelegentlicher Paarungen für die Zeit der Brut, geschlechtlich ungeregelt leben; trotzdem müssen sie immer wieder zur Stützung der patriarchalischen Ideologie herhalten. (S. 95)

Bei Säugetieren und Vögeln, andere Gattungen brauchen uns nicht interessieren, ist es jedoch fast durchweg so, daß um die Weibchen gekämpft wird und der Sieger eifersüchtig über seine erkämpften Privilegien wacht, dabei aber trotzdem ein gewichtiger Teil der Nachkommen der Weibchen von Nebenbuhlern stammt – was Biologen teilweise erst durch Gentests entdeckt haben… Das „geschlechtlich Ungeregelte“ ist deutlich eine Tendenz, aber die Regel ist das eifersüchtige Alphamännchen, das (sozusagen „offiziell“) alleinigen Zugang zu den Weibchen hat. Angesichts der Bonobos ist es durchaus möglich, daß sich beim Urmenschen die besagte Tendenz Bahn brach, aber sicherlich nicht im Sinne eines inzestuösen „Jeder mit Jedem“!

Inzest (Inzucht) kommt allenfalls bei degenerierten Haustieren vor, denn natürlicherweise geht die sexuelle Spannung zwischen genetisch weitgehend identischen Tieren gegen Null. Warum dann das starke Inzesttabu etwa bei den Trobriandern? Dem Psychoanalytiker Reich zufolge verweist das doch auf entsprechend starke unbewußte Wünsche! Dazu ist zu sagen, daß Reich selbst bei den Trobriandern alle möglichen „Tabus“ beschreibt, die nicht gerade auf starke Wünsche verweisen, etwa den Geschlechtsverkehr mit häßlichen Frauen und ähnliche unappetitliche Sexualpraktiken, etwa Vergewaltigung oder Onanie, die der Trobriander verachtet, da sie seinen Stolz verletzen.

Reich geht vom ursprünglichen Mutterrecht, Urkommunismus und der „unwiderleglichen Tatsache des Inzestes“ aus. Merkwürdigerweise kann er aber nur für die ersten beiden Elemente ethnographische Belege beibringen. Das einzige Beispiel für so etwas ähnliches wie Inzest ist die Kreuz-Vetter-Basen-Heirat bei den Trobriandern und anderen Primitiven, die aber doch engstens mit dem Heiratsgut verbunden ist, das nach Reich der Hauptmechanismus der Überführung des Matriarchats ins Patriarchat ist. „Inzestuöser Urkommunismus?“

Aber nicht nur durch das Festhalten am Freudschen Dogma vom Inzest als einem Grundtrieb des Menschen gerät Reich mit sich selbst in Widerspruch (er, der die sexuelle Abstumpfung in der Ehe beschrieben hatte – um wieviel mehr muß es diese in der Familie geben), sondern auch durch seinen Marxismus: Dadurch, daß der Trobriander den kleineren Teil seiner Ernte als Gebrauchswert für den eigenen Konsum, den größeren Teil jedoch als Heiratsgut herstellt, das eine Vorstufe der Ware ist, kommt die Trennung von Gebrauchs- und Tauschwert in die Welt. Reichs eigener Text und noch weit stärker Malinowskis Originaltexte zu den Trobriandern läßt jedoch durchblicken, daß der ja wechselseitige Austausch des Heiratsguts (und andere „Tauschgeschäfte“) geradezu das Grundwesen der matriarchalen Ökonomie der Trobriander ausmacht. Marx ökonomische Theorien über guten Gebrauchs- und bösen Tauschwert führen da nur in die Irre.

Reich hätte sich auf seine ihm eigene sexualökonomische Theorie vom Akkumulationsmechanismus Kreuz-Vetter-Basen-Heirat beschränken sollen, den er anhand von Diagrammen aus Malinowskis Text und anderen Quellen rekonstruiert hat. Reich (und mit ihm die Realität) ist mit Freud und insbesondere mit Marx einfach inkompatibel.

einbruch