
Archive for Januar 2023
DER VERDRÄNGTE CHRISTUS / Band 2: Das orgonomische Testament / 19. Die Dogmatik der Christusmörder: Christus und Hitler (Teil 2)
21. Januar 2023Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 43)
20. Januar 2023[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]
Die westliche und östliche „Spiritualität“ (also das, was Reich als Mystizismus bezeichnet hat) strebt danach das eigene vergängliche, ohnmächtige Ich in etwas größerem Aufgehen zu lassen – um dann um so mächtiger aufzuerstehen: „So ihr euch jetzt unterwerft, werdet ihr im Himmel thronen und alles Sterbliche richten!“ Wie in der SS: die Vernichtung des eigenen Ich (deshalb die Totenkopf-Symbolik) – und seine Auferstehung zu einem allmächtigen KZ-Schergen.
Imgrunde ist das alles, ganz im Sinne von Reichs Massenpsychologie des Faschismus, fehlgeleitete Sehnsucht.
Die Aufklärung a la Kant und Freud wollte diesen Mechanismus von vornherein unterbinden, indem sie das souveräne, selbstverantwortliche, verstandesgeleitete Individuum gegen die „Schlammfluten des Okkultismus“ aufrichtete. Groteskerweise ging das nur dadurch, daß das Individuum negiert wurde: „imgrunde sind unsere Aufklärer doch recht fromme Leute“ (Stirner).
Man kommt aus dem was Reich als „Mechano-Mystizismus“ (Einheit von neuer „Aufklärung“ und altem „Mystizismus“) bezeichnet hat einfach nicht heraus – weil man aus der Sexualität nicht heraustreten kann.
Was diese Aussage bedeutet? Nun:
Nur LaMettrie, Stirner und Reich haben den Ausgang aus der mechano-mystischen Falle gewiesen. Um mit Stirner zu reden: die Hierarchie dringt nicht ins Innere, das Individuum ist nicht Gedanke, sondern hat Gedanken, die es jederzeit loslassen kann, um im „schöpferischen Nichts“ zu versinken (Der Einzige und sein Eigentum, Stuttgart 1981, S. 385): die Fähigkeit Wollust zu empfinden, orgastische Potenz.
Problem bei diesen Ausführungen ist, daß immer noch der „Beobachter“, das Ego übrigbleibt, doch egoistische Wollust im ganzen Umfang kann man nur erleben, wenn man die Rolle des Beobachters aufgibt, mit dem Körper eins wird, mit dem Partner eins wird, mit dem Kosmos eins wird – zum buchstäblichen „Einzigen“ wird.
„Spiritualität“ ist nichts anderes als sadomasochistisch entstelltes LSR!
Die Frage, ob LaMettrie, Stirner und Reich orgastisch potent waren bzw. das ausleben konnten, stellt sich nicht, bzw. ist unwichtig. Worauf es ankommt, ist, daß man spürt, wie es sein könnte – daß die Welt, wie sie ist, „ver-rückt“ ist und daß man eine „Utopie“ hat, ein Gefühl dafür, wie sie sein könnte. Diese innere Welt ist entscheidend, während alle „Enthüllungen“ über das mehr oder weniger armselige äußere Leben, bzw. „schwache Punkte“ im Leben von LaMettrie, Stirner und Reich – nicht wichtig sind. – Jene, die feixend über das konkrete Leben von LaMettrie („hemmungsloser Gierlappen“), Stirner („armselige Existenz“) und Reich („paranoider Trottel“) herziehen, zielen in Wirklichkeit auf jenes, das LaMettrie, Stirner und Reich intuitiv gespürt haben: „das Lebendige“ wie es sich z.B. im Kleinkind verkörpert, daß noch nicht „die Hierarchie“ in sich internalisiert hat, das noch nicht gepanzert ist, d.h. kein Über-Ich entwickelt hat. – Nur wer kein Über-Ich hat, kann sich wie ein ungepanzertes Kind restlos in der Wollust und im Gegenüber auflösen.
DER VERDRÄNGTE CHRISTUS / Band 2: Das orgonomische Testament / 19. Die Dogmatik der Christusmörder: Christus und Hitler (Teil 1)
19. Januar 2023Peter liest die kommentierte Neuauflage der Originalausgabe von Reichs MASSENPSYCHOLOGIE DES FASCHISMUS (Teil 6)
18. Januar 2023Reich spricht von Gegensatz zwischen moralischer Hemmung und der drängenden Sexualität. Reich: „Im Anfangsstadium wird das sexuelle Bedürfnis, später die moralische Hemmung Oberhand gewinnen, sicher aber wird bei politischen Erschütterungen der gesamten gesellschaftlichen Organisation der Konflikt zwischen Sexualität und Moral an die Oberfläche und auf die Spitze getrieben werden, was dem einen als moralischer Untergang, dem anderen als sexuelle Befreiung oder ‚sexuelle Revolution‘ erscheinen wird, ohne es in Wirklichkeit noch zu sein (…)“ (S. 95). Reich beschreibt hier schon 1933 die ersten Dynamiken der antiautoritären Gesellschaft, die erst mit der eigentlichen „sexuellen Revolution“ der 1960er Jahre voll zum tragen kamen. Als die Nazis im Berlin Anfang der 1930er Jahre die „Lüsternheit, Geilheit und sexuelle(n) Schmutz“ sahen, entsprach dies
nicht nur der Phantasie des faschistischen Betrachters, sondern auch der realen Situation des brennenden Widerspruchs in der Erlebnisweise der Menschen dieser Epoche. Die dionysischen Feste [des Altertums] entsprechen den verschiedenen Redouten und Maskenbällen unserer Bourgeoisie. Man muß nur genau wissen, was sich auf solchen Festen begibt, um nicht dem Fehler zu verfallen, der ganz allgemein begangen wird, in diesem ‚dionysischen‘ Tun den Gipfel sexuellen Erlebens zu erblicken. Nirgends enthüllen sich die im Rahmen dieser Gesellschaft unlösbaren Widersprüche zwischen gelockertem sexuellen Begehren und moralisch zersetzter Erlebnisfähigkeit gründlicher als auf solchen Festen. (S. 96)
Es war wirklich ein Witz, daß später die Kommune 2, Langhans und dieser ganze bourgeoise Dreck ausgerechnet mit Reich in Verbindung gebracht wurde oder daß heute Reich als obsolet betrachtet wird, weil die Menschen ja ach so „sexuell frei“ sind. Reich 1933:
Keine noch so laute und „frei“ scheinende sexuelle Betätigung kann den Kundigen über [die] tief sitzende Hemmung hinwegtäuschen; mehr, viele krankhafte Äußerungen im späteren Geschlechtsleben, wie wahllose Partnerwahl, sexuelle Unrast, Neigung zu Ausschweifungen etc. leiten sich gerade aus der Hemmung der sinnlichen Erlebnisfähigkeit her. (S. 133)
Reich argumentiert, daß der Staat von der Reaktion als „organisches Ganzes“ gesehen wird, weil für den Kleinbürger Familie und soziale Daseinsformen weitgehend identisch sind, für den noch nicht verkleinbürgerlichten Proletarier ist der Staat aber ein Instrument der Klassenherrschaft, ein Klassenstaat. Er ist, so Reich, „in der Lage, das Wesen des Staates als eine Zweiheit von Klassen zu sehen“ (S. 113).
Heute, ein Jahrhundert später in der antiautoritären Gesellschaft, ist es jedoch genau umgekehrt: die Familie zerfällt zusehends, der Staat wird zur Ersatzfamilie und die Massen sind wie blind dafür, daß heute der Staat mehr denn je ein verbrecherisches Ausbeutungsorgan der herrschenden Klasse ist, die, Stichwort „Klaus Schwab“, den Interessen, ja sogar der physischen Existenz selbst der arbeitenden Volksmassen exakt entgegengesetzt ist. TODFEINDE!
Wenn die Bourgeoisie mit einer bestimmten ideellen Propaganda Erfolg hat, so kann es nicht bloß eine Vernebelung sein, sondern in jedem Falle muß ein massenpsychologisches Problem vorliegen, muß etwas von uns noch Unerkanntes in den Massen vorgehen, das sie befähigt, entgegen ihren eigenen Interessen zu denken und zu handeln. Die Frage ist entscheidend, denn ohne dieses Verhalten der Massen wäre die herrschende Klasse völlig machtlos; nur die Bereitschaft der Massen, diese Ideen aufzunehmen, was wir den „massenpsychologischen Boden“ der Klassenherrschaft nennen könnten, macht die Stärke der Bourgeoisie aus. Es ist daher dringende Aufgabe, hier volles Verständnis zu erzielen. Mit den Steigerungen des materiellen Drucks auf die beherrschte Klasse pflegt sich immer auch der moralische zu verstärken. Das kann nur die Funktion haben, einer eventuellen Rebellion der Massen gegen den ökonomischen Druck durch eine Steigerung ihrer ideologischen und moralischen Abhängigkeit von der herrschenden Ordnung vorzubeugen. Auf welche Weise geschieht das? (S. 119)
Reich machte 1933 die „religiöse Verseuchung“ der Massen verantwortlich und spricht von der „Kirche als internationale sexualpolitische Organisation des Kapitals“. Nun, heute existiert das Christentum nur noch als Versorgungswerk von Pfaffen und anderen Beamten. Was heute massenpsychologisch wirksam ist und die Massen im Sinne der Herrschenden mürbe macht, ist ein ganz anderer Mystizismus, der sich teilweise ein christliches Gewand gibt, teilweise explizit antichristlich auftritt: der Ablaßhandel, daß du mit der richtigen Gesittung (etwa „Willkommenskultur“ und ähnliche Buntheiten) deine „weiße Schuld“ abträgst. Heute ist das Fernsehen und das „betreute Internet“ die Kirche dieser neuen Religion, die nicht zuletzt durch Pornographie und Genderideologie systematisch deine Sexualität zerstört, denn nur derartig im bioenergetischen Kern geschädigt, kann die „ideele Propaganda“, diese ständige Kackscheiße, die auf uns niedergeht, von den Massen akzeptiert werden. (Dazu gehört auch die flächendeckende Ruhigstellung durch Psychopharmaka und Marihuana.)
Genauso wie in der autoritären Gesellschaft, die Reich beschreibt, wird selbst vor den Kleinsten nicht halt gemacht. Zur Verankerung sexueller Angst in der Kindheit und dadurch die Verankerung der Religion in den Kinderseelen zitiert Reich folgendes Abendgebet für Kinder:
Lieber Gott, nun schlaf ich ein, schicke mir ein Engelein. Vater, laß die Augen Dein, über meinem Bette sein. Hab ich Unrecht heut getan, sieh es, lieber Gott, nicht an. Vater, hab‘ mit mir Geduld und vergib mir meine Schuld. Alle Menschen groß und klein mögen Dir befohlen sein. (S. 142f)
Wer erinnert sich da nicht an die Worte unseres rotfaschistischen Kulturrevolutionärs im Kanzleramt: „Die Regierung will mit dem Ausbau der Ganztagsbetreuung eine ,kulturelle Revolution‘ erreichen. Wir wollen die Lufthoheit über unsere Kinderbetten erobern!“
Religion? Das ständige Virtue Signaling der Erwachsenen, etwa durch Lastenfahrräder, das ständige Belästigen durch irgendwelche Rotznasen, die einem zu ihrer Öko- und Genderreligion missionieren wollen. Das ist eine politische Religion, genauso wie es der Nationalsozialismus war. Es ist, wie immer, der Gegensatz zwischen „Tier“, das sich nicht zügeln kann, und dem rötgrünen verantwortungsvollen „Geistesmenschen“ (vgl. S. 152).
Aber Sexualunterdrückung? Heute?! Man lasse folgendes Zitat auf sich wirken und denke an einen jungen Buntling. Reich:
Der Gottesglauben, der selbst in früher Kindheit anläßlich der ersten sexuellen Regungen aufgenommen wurde, versetzt in einen Zustand sexueller Erregung, der nicht nur einen Ersatz für die sinnliche Genitalbefriedigung bildet, sondern vielmehr derart ist, daß dadurch tatsächlich die normale, reife Sexualstrebung gelähmt wird. Der Jugendliche muß sich nämlich, um das Gebot der Kirche zu verwirklichen, in eine passiv-homosexuelle Triebrichtung begeben bzw. die entsprechenden Anlagen hierzu voll entwickeln; die passive Homosexualität ist triebenergetisch der wirksamste Widerpart der phallischen männlichen Sexualität, denn sie ersetzt die Aktivität und Aggression durch Passivität und masochistische Haltungen, also gerade diejenigen, die die massenstrukturelle Basis der christlichen wie jeder patriarchalischen Religion bestimmen. Das bedeutet aber gleichzeitig auch Setzung von Neigung zu kritikloser Gefolgschaft, Autoritätsgläubigkeit und Anpassungsfähigkeit an die Institution der Ehe. Die Kirche spielt also in Wirklichkeit, indem sie die revolutionäre genitale Kraft niederringen will, eine andere sexuelle Triebkraft gegen sie aus. Sie bedient sich selbst sexueller Mechanismen zur Durchsetzung ihrer Ziele. Diese von ihr teils in Gang gesetzten, teils zur Blüte gebrachten nichtgenitalen sexuellen Regungen bestimmen dann die Massenpsychologie der kirchlichen Anhängerschaft: moralischer (sehr oft auch deutlich körperlicher) Masochismus und passive Homosexualität. Es ist daher unvollständig, zum Teil sogar falsch, wenn die Religion und ihre Macht aus der infantilen Vaterbindung erklärt wird. Sie bezieht ihre Macht aus der genitalen Sexualeinschränkung, die erst sekundär zur Regression auf die Linie der passiven und masochistischen Homosexualität drängt. Sie basiert sich also triebdynamisch auf doppelte Weise: durch Erzeugung von genitaler Angst und Ersatz der Genitalität durch infantile, für den Jugendlichen nicht mehr normale Triebrichtungen, die ihre Kraft aus der versagten Genitalität beziehen. Für die sexualpolitische Arbeit unter christlichen Jugendlichen halten wir vorläufig fest, daß im Kampfe gegen die Religion, wenn er mit geeigneten Mitteln geführt werden soll, der genitale Anspruch der Jugendlichen gegen den passivhomosexuellen ausgespielt werden kann und muß. Diese massenpsychologische Aufgabe deckt sich vollkommen mit den objektiven Entwicklungslinien des Kommunismus auf sexualpolitischem Gebiet: Aufhebung der genitalen Versagungen und Bejahung des genitalen Geschlechtslebens der Jugendlichen. (S. 153)
Oder das: man braucht nur einige Worte an heutige Verhältnisse umwandeln, um zur internationalistischen rotgrünen Gender-Politreligion und deren Phrasen zu passen – und Reich beschreibt die heutige Massenpsychologie:
In der Wahrnehmung der sexuellen Lust und der Endlust selbst gesperrt, muß die religiöse Erregung eine dauernde Veränderung der psychischen Apparatur herbeiführen. Nicht nur daß das reale Sexualerleben selbst als erniedrigend erlebt wird, es kann auch nie zu einem Vollerleben kommen. Die Abwehr des sinnlichen Begehrens muß im Ich-Ideal gefühlsbetonte Vorstellungen von ethischer Reinheit und Vollkommenheit einbauen. Was die gesunde Sinnlichkeit und Befriedigungsfähigkeit an Selbstgefühl vermittelt, ergibt sich beim religiösen und mystischen Menschen aus diesen Abwehrformationen. Wie beim nationalistischen Empfinden wird auch beim religiösen das Selbstgefühl aus diesen Abwehrhaltungen geschöpft. Es unterscheidet sich jedoch vom genital basierten Selbstgefühl schon äußerlich durch seinen zur Schau getragenen Charakter, durch den Mangel an Natürlichkeit im Auftreten, durch die tiefenpsychologisch leicht feststellbare Unterbauung durch ein sexuelles Minderwertigkeitsgefühl, das zur Kompensation mithilfe entlehnter tugendvoller Eigenschaften drängt. Das erklärt, warum der christlich oder national „sittlich“ erzogene Mensch den Phrasen der politischen Reaktion wie „Ehre“, „Reinheit“ etc. so leicht zugänglich ist. (S. 158)
Schreibt hier Reich über die heutigen woken Gender- und Klimajünger? DIALEKTISCH LESEN, LEUTE!
Und den systemtreuen Schreiberlingen an den Universitäten und in den Massenmedien sei hinterhergerufen:
Beim Durchschnitt der Intellektuellen, „die mit der Politik nichts zu tun haben wollen“, lassen sich unmittelbar wirtschaftliche Interessen und Ängste um ihre von der Meinung der Großbourgeoisie abhängige Existenz leicht nachweisen, denen sie die groteskesten Opfer an Wissen und Überzeugung bringen. (S. 187f)
Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 42)
14. Januar 2023[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]
Was das Verhältnis von Stirner zu Marx und Nietzsche betrifft, findet sich eine sehr schöne Stelle in Camus Der Mensch in der Revolte: Camus zieht einen lehrreichen Vergleich zwischen Marx und Nietzsche, indem er darauf hinweist, daß das Denken von Marx die Unterwerfung der Natur voraussetzt, um der Geschichte zu gehorchen, während das Denken von Nietzsche die Unterwerfung der Geschichte voraussetzt, um sicherzustellen, daß der Natur (unmoralisch, jenseits von Gut und Böse) gehorcht wird.
Ich glaube, daß hier Camus den Nagel auf den Kopf getroffen hat. (Camus‘ Passage über Stirner im gleichen Buch selbst ist schlichtweg konfus!) Ein passender roter Faden, an dem man sich in diesem so verwirrenden Gelände orientieren kann. Zwei gegensätzliche Wege, auf denen Stirner verarbeitet wurde. Beim einen wurde aus der Empörung des Einzigen gegen eine ihm aufoktroyierte Wahnwelt (Über-Ich) der Kampf „des Menschen“ gegen eine seiner Emanzipation hinderliche Natur (der Kapitalismus mit seinen Unmenschlichkeiten als vermeintlicher Naturzustand), während beim anderen aus der besagten Empörung der Kampf des Inkulturierten wurde, der seine vermeintlich „natürlichen“ Triebe endlich ausleben will. Dergestalt ist das 20./21. Jahrhundert mit seinen antifaschistischen und antikommunistischen Kreuzzügen nichts anderes als ver-Murxter Stirner.
Auch ist interessant wie Camus selbst zum Problem steht: die Verweigerung des Ich gegenüber „der Welt“; die einzige Frage, die für ihn zählt, ist die nach dem Selbstmord. Stirner „existentialistisch“ entartet, letztendlich wieder Schopenhauer.
Eine Email von Peter Nasselstein an Bernd A. Laska, 10.09.03
12. Januar 2023PN: Liest sich glatt, keinerlei Häme etc wie sonst so oft. Aber: Von Sexualität kein Wort. Und Merksatz 1: Biopathien sind unbekannten Ursprungs (aber dann orgontherapeutisch zu behandeln).
Dieser Satz ist (Robert A.) Dews klassischer Definition der Biopathien entnommen: using classical medical concepts, the ethiologies of these diseases remain elusive
BAL: Vielleicht berechtigt, when using classical medical concepts ??? Aber hat Dew denn auf nicht-klassische Weise den Ursprung der Biopathien zu erklären versucht?
PN: Ja, denn das ist ja der Sinn des Satzes: Ätiologie unbekannt, weil Pulsationsstörung nicht beachtet wird – denn die würde einen langen Schwanz an Implikationen nach sich ziehen und letztendlich unsere „pulsationsschädigende“ Gesellschaftsordnung infrage stellen.
BAL: Da war der alte Freud doch radikaler: als er sagte (wann eigentlich? wo?), dass seine Psychoanalyse in puncto Heilen mit Lourdes nicht mithalten könne, er sie auch nicht als Heilmethode empfehle, sondern wegen ihres Wahrheitsgehaltes.
PN: Freud war, wenn ich mich recht erinnere, Anatom des Nervensystems, der kaum je mit wirklichem menschenlichen Leiden in Kontakt kam – und wenn, dann war es eine interessante Kuriosität. Bei Reich war das anders (Krieg, bei Wagner-Jauregg auf der Station, im psychoanalytischen Ambulatorium) und bei Dew auch (Internist, der tagtäglich mit den unbeschreiblichsten Grausamkeiten der Innereien konfrontiert ist) – die wollten wirklich heilen. Es war Reich, der Freuds snobistische Gesprächstherapie in eine regelrechte Psychotherapie MIT EINEM THERAPIEZIEL verwandelt hat.
Ich bezweifle nicht, daß die Psychoanalyse einen Wahrheitsgehalt hat – wenn man in sehr allgemeinen Begriffen spricht (Über-Ich, Ödipuskomplex, Unbewußtes, Verdrängung, Übertragung, prägenitale Organisation – das wars dann auch schon – und alles nur in einer holzschnittartigen Primitivversion brauchbar). Das besondere an Freud war eine „Wahrheitssuche“, die ihn stets zu den absurdesten Schwachsinnigkeiten geführt hat: eine grandiose Flucht vor den paar Grundwahrheiten der Psychoanalyse in immer neue verwickelte Absurditäten und geradezu psychotische „Interprätationen“. „Die Psychoanalyse ist die Krankheit, die sie zu heilen vorgibt.“
Aber Sie wollen darauf hinaus, daß die Orgonomie zur Medizin verflacht wird. Das ist so’ne Sache. Egal was man macht: konzentriert man sich auf die Physik, kommt etwa Peter Reich und sagt, man solle sich doch mehr auf die wirklich wichtigen soziologischen Beiträge seines Vaters konzentrieren; macht man das, dann kommen Leute wie (Chester M.) Raphael und schreien „Orgon!“, usw.
Dabei ist es ziemlich egal, was man macht, solange man nicht den Roten Faden verliert. Und ich weigere mich, dabei auf Ärzte herabzublicken, die „nur“ Leute in den ORAC setzen oder „nur“ psychiatrische Orgontherapie“ machen. Es kommt auf den Geist an, mit dem sie es tun. Zugegeben manche sind erschreckend geistlos….
BAL: Ich will das [Reich, Silvert, Soziopathen] nicht abstreiten. Aber was wusste (Lois) Wyvell, was sogar die linke Europäerin (Ilse) Ollendorff, von dem, was Reich um- und antrieb ? Als die ihn kennen lernten, da war schon viel perdu, da hatte er SICH vor Augen, als er in FO42 bemerkte, man solle Autobiographien in jungen Jahren schreiben, denn: „manche Illusionen [!], die man … noch hat, befähigen einen…“ usw. (k&w, S.16)
PN: Wyvell ist ja nur eine Nebenfigur. Einzig interessant, weil sie wie kaum jemand anderer Einblicke in den privaten Reich hatte. Vielleicht mehr als Ollendorff (Gewöhnung macht blind, stumpft ab). Vor allem in Reichs Beziehung zu Silvert (einem wahrhaftigen Monster), in dem er sicherlich seinen „Mr. Hyde (?)“ sah.
BAL: Dass üble Typen sich zu WR hingezogen fühlten, und er das resigniert akzeptierte (CM: „auch du brauchtest sie…“), OK, menschlich verständlich. Aber dass es kaum Andere gab (und gibt); dass offenbar kaum ein Zeitgenosse von intellektuellemRang das Gespräch mit ihm suchte; dass der „Konflikt mit Freud“, der Ausschluss, so gespenstisch lautlos über die Bühne ging; dass es keine „immanente“ Kritik gab, die er sich ja wohl ernsthaft wünschte, u.v.a.m. DAS ist die weltumspannende „conspiracy“.
PN: Ja. Ich will ja auch nicht die „Silvert-Sache“ ins Zentrum stellen oder gar die Orgonomie mit „Reichs Geheinmnis“ erklären. Für mich ist es nur die naheliegenste Erklärung für eine kleine Nebensache: warum so viele Soziopathen sich zu Reich hingezogen fühlen.
Interessant ist die Beschreibung von Reichs Anfangszeit in New York. Wie alte „Freunde“ aus Berlin und Wien mit ihm Kontakt aufnahmen – und fluchtartig das weite suchten.
Nehmen wir aus aktuellem Anlaß mal Adorno: voll von Freudistischen und Marxistischen Theorien. Und dann ein mögliches Gespräch mit Reich: während Adorno theoretisieren will, kommt Reich mit den biologischen (medizinischen) Grundlagen der Charakterbildung, den Besonderheiten der Kindererziehung („Ist Ihnen aufgefallen, daß in New Yorker Kinderwagen, die Babys auf dem Bauch liegen? Das ist der Anfang des 3. Weltkrieges!“), etc.
Und mit den beschränkten Fach-Psychiatern und lebensfeindlichen Baby-Experten konnte Reich erst recht nicht sprechen.
Hat das was mit LSR zu tun? Nun ja, auf ihre Weise waren auch LaMettrie und Stirner „konkretistisch“: die Kunst des guten Lebens – und darin die Utopie verwoben.
Deshalb ist es nicht so einfach mit der „medizinischen (oder physikalischen, etc.pp) Verflachung des Reichschen Lebenswerkes“. Die gibt es, zweifellos, aber…. Vorsicht! – Was hält einem vom wirklichen, konkreten Leben ab (dem Reparieren des Kühlschranks, einer effektiven psychotherapeutischen Tätigkeit am Patienten, der Erforschung der Atmosphäre, dem Erfinden narrensicherer Computerprogramme, etc.pp.)? Das ÜBER-ICH?
Sehr grob und sehr platt: der LSR-Gehalt des Reparierens von Kühlschränken ist in Reichs mysteriösem (und irgendwie unpassenden) Begriff „Arbeitsdemokratie“ aufgehoben.
Sie selbst schrieben mir mal über sich: „Als Resultat meines gewiss langen Studiums des Reich’schen Werkes auf der Basis meiner Herkunft aus der arbeitenden/realistischen Sphäre ist LSR entstanden. Mein Verhältnis zum Komplex Philosophie ist vielleicht vergleichbar mit dem, das Reich zum Komplex Neurose hatte. Reich begab sich in diesen Unrat nicht, weil er sich dort — wie Freud et al. — wohl und heimisch fühlte…“ Reich fühlte sich in der „arbeitenden/realistischen Sphäre“ heimisch! Und deshalb kann man die Arbeit des Psychiaters und Internisten nicht so einfach als irrelevant wegwischen!
(…)
BAL: Aber (drei deutsche Reichianer)… Aaaarrrggghh.
Die Schuttschicht auf Reichs Grab wird immer dicker (statt dass Schichten des Reich-gemachten „Palimpsests“ abgetragen werden).
PN: Eva Reich hat all diese Leute ja tatkräftig unterstützt – damit Reichs Name nicht verlorengeht.
BAL: Das lag ganz auf der Linie, dass sie die Nachlassverwaltung an Higgins gegeben hat. (Ob sie selbst weniger schädlich gewirkt hätte, muss freilich dahingestellt bleiben).
PN: Entweder hätte sie alles freigegeben – und dabei obskure Figuren bevorzugt. Oder, was ich eher glaube, sklavisch die Anweisungen ihres Vaters befolgt: das bereits Veröffentlichte unverändert neu herausgeben – und ansonsten die Archive bis 2007 geschlossen gehalten. – Und während dessen auf Orgonon allen möglichen Unsinn getrieben….
BAL: Reichs Name wurde jedenfalls bekannt, aber alles, wofür er steht oder stehen könnte, wurde um so effektiver verschüttet, zu einem grossen Teil auch durch Evas Herumtingeln in aller Welt, wo sie unter Missbrauch der Autorität ihres Namens ein verwaschenes Reich-Bild an viele „Multiplikatoren“ vermittelt haben wird. In Brasilien hat sie auch ihre fans.
PN: Besonders fatal sind Geschichten wie: Auf der Fahrt nach Arizona sprach mein Vater zu mir über Selbsrregulierung und daß sich die Leute von Ärzten unabhängig machen und sich selbst therapieren sollen. – Und daraus macht Eva dann eine Rechtfertigung für all die Geschäftemacher, die ohne die Last eines Studiums und einer Ausbildung auf sich genommen haben, nach ein paar Wochendseminaren als „Reich-Therapeuten“ auftreten. Und was meinte Reich? Das genaue Gegenteil: die Verhinderung einer „Therapie-Szene“.
Wirklich was aus Reichs Anregung zu machen, ist sie mangels eigener Orgontherapieausbildung unfähig. Wie (Richard) Schwartzman mir mal sagte: Ich kann den Patienten nicht helfen! Wie soll ich das tun? Die können sich nur selbst helfen. Ich kann allenfalls assistieren. Was Sie hier auf meiner Couch für viel Geld machen, könnten Sie ebensogut selbst zu Hause machen. Aber Sie werden es nicht tun! – Er hatte recht.
Ein neues „Do-it-yourself-Buch“? Nein, natürlich nicht. Aber ein neues Bewußtsein dessen, was man sich selbst antut: das ewige Weglaufen vor dem Wesentlichen. Aber genau das wäre Eva und Konsoren unerträglich, denn die Sache wäre nicht mehr „frei“ und „bunt“ UND „demokratisch“, sondern FOKUSSIERT. Die Reich-Szene, die maßgebend von Eva kreiert wurde, ist genau das, was zu heilen sie vorgibt: Flucht vor dem Lebendigen.
Warum initiiert der Orgontherapeuten-Ausbilder nicht sowas, was Reich angeregt hat? Weil das dann sofort als „Manual“ von xyz und anderen ausgenutzt werden würde.

















