Posts Tagged ‘Philosophiegeschichte’

Warum sollte ich mich für Philosophie interessieren?

11. November 2025

Gemeinhin liest man einen Philosophen, etwa Nietzsche, um daraus irgendwelche Lebensweisheiten zu schöpfen. Man schaut etwa, was Nietzsche über Künstler geschrieben hat, und wägt das dann mit den eigenen Erfahrungen mit Künstlern im eigenen Leben ab. Gemeinhin merkt man schnell, daß das nirgendwo hinführt und die eigene Positionierung in der Welt in keinster Weise erleichtert, sondern eher zu mehr Verwirrung führt. Fruchtbarer hingegen ist es die betreffende Stelle von Nietzsches Biographie her zu lesen, also beispielsweise als Kommentar über Wagner. In diesem Kontext wird alles plastischer und man findet alle möglichen Parallelen in der eigenen Wirklichkeit, denkt an den passionierten Wagnerianer Hitler oder die Verwirklichung des „Gesamtkunstwerks“ in Hollywood. Ein ansonsten läppischer Aphorismus aus der so ganz anderen Welt eines verkrachten Altphilologieprofessors vom Ende des 19. Jahrhunderts öffnet dergestalt den kritischen Zugang zu einer ganz neuen Sichtweise.

Oder man nehme läppisch wirkende Aussagen über Polypen in Teichen oder die Auswirkungen von Drogen auf das Gehirn. Der oberflächliche Leser zuckt nur mit den Schultern, während sich der vorgebildete Leser unvermittelt in einem aufregenden Gedankenstrudel wiederfindet, weil Nietzsche hier Teil der Aufklärung ist, die seit DesCartes das Lebendige und das Bewußtsein im Rahmen der Naturgesetze verstehen wollte. Nietzsche und mit ihm der Leser sind dann nicht mehr irgendwelche Spintisierer, sondern werden Teil einer sich durch die Geschichte ziehenden quasi autonomen „Bewußtwerdung“ der vegetativen Strömung, die dem Geschichtsprozeß zugrunde liegt, seit die Menschen vor Urzeiten das Sprechen und das Denken lernten.

Die Philosophiegeschichte ist dann nicht mehr eine langweilige, abseitige und im Grunde überflüssige Beschäftigung von Philosophiestudenten, die sich auf eine Existenz als Taxifahrer vorbereiten, sondern rückt in das Zentrum unserer Existenz als Mensch, wenn diese mehr sein soll als sinnleeres Fressen, Fernsehen und Ficken!

Warum Nietzsche oder irgendeinen anderen Denker lesen? Aus dem gleichen Grunde warum man sich für Ökonomie interessieren sollte: um sich im „ideellen“ (und materiellen) Fluß des Geschichtsprozesses zu positionieren. Entweder wird man Teil des nach vorne strebenden Lebensimpulses oder man geht zugrunde. Es ist wie der einzelne Soldat im Gefecht: entweder weiß er, wo genau der Feind und der Freund steht, wo er Deckung findet und wie er den jeweiligen Feind vernichten kann oder er bleibt als Kanonenfutter auf der Strecke; oder der, der sich noch immer auf die Stabilität der Fiatwährungen verläßt, während am Horizont sich bereits die wirtschaftliche Apokalypse abzeichnet.

Hinzu kommt der Trost, Teil von etwas zu sein, das umfassend ist, weit zurückweist und Zukunft hat. Ich könnte jetzt schreiben, daß sich im Menschen das Orgon seiner selbst bewußt wird und ich im Kern das Orgon bin, das sich in dem entfaltet, was wir als „Geschichtsprozeß“ bezeichnen… Das Problem dabei wäre, daß alles zu sehr an Hegel („Weltprozeß“), Heidegger („Seinsgeschichte“) und Konsorten (weitere neoplatonistische Vorstellungen) erinnerte, d.h. an mystisch verzerrte und pervers entstellte Ahnungen dessen, was ich hier zum Ausdruck bringen will – und es grundlegend verfehlt. Diese Systeme sind nämlich direkter Ausdruck von Kontaktlosigkeit und Augenpanzerung, während es hier um das diametrale Gegenteil geht. Es geht um das dreidimensionale Sehen, d.h. die umfassende Positionierung in Raum und Zeit. Es geht schlichtweg ums LEBEN, um Tiefe und Weite, um den Nietzscheschen Pathos im besten Sinne, sozusagen um… …den Pathos der Eigentlichkeit!

Man lese Werke wie F.A. Langes Geschichte des Materialismus, Reichs Äther, Gott und Teufel und Menschen im Staat, um einen Zugang zu dem hier angedeuteten zu finden.

Max Stirner und das Orgon

9. August 2025

Wenn Reich sein Forschungsprogramm beschreibt, gemahnt das „irgendwie“ an Max Stirner. Reich schreibt:

Die Orgonphysik geht von vollkommen neuen Beobachtungen und neuen theoretischen Annahmen aus. Von einem prinzipiellen orgonomischen Standpunkt her muß das Denken selbst als eine Funktion der Natur im allgemeinen begriffen werden. Dementsprechend müssen die Ergebnisse bloßen Denkens als sekundär gegenüber den beobachtbaren Naturfunktionen angesehen werden. Als Funktionalisten sind wir in erster Linie an beobachtbaren Naturfunktionen interessiert; von da aus gelangen wir zu den Funktionen des menschlichen Denkens mittels der emotionalen (bioenergetischen) Funktionen im beobachtenden Menschen. Solange die beobachtbare Natur nicht den Ausgangspunkt für menschliches Denken bildet, und mehr noch, solange die Funktion des Denkens selbst nicht logisch und konsistent aus den beobachtbaren Naturfunktionen im Beobachter selbst abgeleitet wird, solange stellen sich gegenüber allen Resultaten bloßen Denkens, das nicht durch Beobachtung gestützt ist, grundlegende methodologische und faktische Fragen. (Äther, Gott und Teufel, S. 150f)

Mit „bloßem“, von den tatsächlichen Naturvorgängen abweichendem Denken meint Reich offensichtlich zweierlei: erstens ein Denken, das indirekt und eines das direkt fremdbestimmt ist. Bei ersterem handelt es sich um „gepanzertes Denken“, d.h. ein Denken, das auf das durch die Erziehung entstellte Funktionieren des Organismus zurückgeht, wobei die Eltern als Einflußagenten der Gesellschaft fungieren. Beim direkt fremdbestimmten Denken geht es um die unhinterfragte Übernahme der Meinungen von Autoritäten unabhängig von der Wirklichkeit, d.h. statt selbst zu beobachten und selbst zu forschen. Man folgt dem „Über-Ich“, weil man die gesellschaftlichen Vorgaben verinnerlicht hat und durch diese charakterstrukturell umgeformt wurde. Tierarten existieren, weil sie ihre Umwelt richtig wahrnehmen und sich entsprechend anpassen, sonst wären sie schon längst ausgestorben. Homo sapiens hingegen taumelt dem Untergang entgegen, da er weitgehend blind und verkrüppelt ist und irgendwelchen wirklichkeitswidrigen Wahngebilden hinterher tappt, statt auf den Weg zu achten. Er ist mit dem Kopf in den Wolken des „bloßen Denkens“.

Ansonsten haben der Stirnersche Eigner/Einziger und Reichs Orgon formal zweierlei gemeinsam:

1. Das Orgon funktioniert weder mechanisch (Aktion und Reaktion) noch mystisch (überweltliche „Wirkstrukturen“), also nicht sozusagen „nach Befehl und Gehorsam“, sondern es bewegt sich spontan aus sich selbst heraus, ist sozusagen „eigen“. Es ist sozusagen das Substrat der Selbstregulation.

2. Das, was wir als „Orgon“ bezeichnen, sind, so Reich, „die physikalischen Funktionen, die in der Orgonphysik als ‘Orgonenergie’ abstrahiert werden“ (ebd., S. 146). Es handelt sich nicht um ein geheimnisvolles „Sein“, sondern es sind konkrete Funktionen. Physik statt „Metaphysik“! Über sein Ich schreibt Stirner entsprechend bezugnehmend auf Feuerbachs pseudomaterialistische Philosophie: „‚[D]as Sein‘ ist Abstraktion, wie selbst ‚das Ich‘. Nur Ich bin nicht Abstraktion allein, Ich bin alles in allem, folglich selbst Abstraktion oder Nichts, Ich bin alles und Nichts; Ich bin kein bloßer Gedanke, aber Ich bin zugleich voller Gedanken, eine Gedankenwelt“ (Der Einzige und sein Eigentum, reclam, S. 381)

Das Orgon ist nur konkret greifbar, genauso wie der Eigner/Einzige. Das Orgon ist damit nicht schlichtweg identisch mit irgendwelchen „anderen“ Lebensenergie-Konzepten (Qi, Prana) oder dem „Äther“, also kein fixes metaphysisches oder mechanisches (bzw. „hydrodynamisches“ Modell), sondern nur unmittelbar, unvermittelt in der Beobachtung und im Experiment greifbar. Beispielsweise war der „Äther“ im 19. Jahrhundert bloß der Lückenbüßer für eine Leerstelle im mechanistischen Weltbild (die elektromagnetischen Wellen brauchten ein mechanisches Medium, so wie Wasserwellen Waser brauchen).

Das letzte, was Reich wollte, war ein weiteres „Weltmodell“ zu präsentieren, genausowenig wie Stirner eine weitere „Philosophie“ neben all die anderen zur Diskussion stellen wollte. Beiden ging es nicht um ein neues „Paradigma“, d.h. um eine neue Sicht auf die Welt oder eine neue „Brille“, sondern eben um die Beseitigung aller „Brillen“ (vgl. Clark, Frauchiger: Paradigm-Maker or Paradigm-Breaker: A Comparison between the Paradigm and Orgonomic Functionalism as Scientific Tools. The Journal of Orgonomy, 1986). Es ging um – Liquidar Super-Ego Radicalmente, um das Ausschalten „bloßen Denkens“, d.h. des Über-Ichs = der Panzerung.

Eine Parallele in der Philosophiegeschichte wäre die Phänomenologie (Stichwort Husserl, Heidegger, Hermann Schmitz), die den Anspruch erhob, die gesamte Philosophie neu anzufangen, indem sie beim unmittelbar Gegebenen frisch ansetzt und die – „Seinsvergessenheit“ angeht. Dazu ist zu sagen, daß die Phänomenologie zur Dezeptionsgeschichte Stirners gehört, daß das ihre einzige Bedeutung ist, (Bernd A. Laska: Ein dauerhafter Dissident, 1996) und Reichs Bonmot über Husserl („Zwangsgrübelei“, Äther, Gott und Teufel, S. 43) auf den eigentlichen Kern des Problems verweist: die Panzerung, insbesondere die Augenpanzerung – wieder: „bloßes Denken“!

Der neue Prometheus: Christian Fernandes‘ LA METTRIES „TUGENDHAFTE LUST“ – und Mary Shelleys FRANKENSTEIN

14. Oktober 2024

Das große Verdienst von Christian Fernandes ist es, mit seiner bahnbrechenden philosophiegeschichtlichen Studie über die „tugendhafte Lust“ die Orgasmustheorie, Charakteranalyse („Lehre von der Schuldgefühlen“) = Sexualökonomie = Orgonomie neu begründet zu haben, ohne auf Wilhelm Reich rekurrieren zu müssen, der zum Glück (sic!) nur am Rande erwähnt wird, LaMettrie reicht dazu nämlich vollkommen aus. Hier ein beliebiges Zitat aus Fernandes‘ Doktorarbeit:

In einer atheistischen Gesellschaft wären die Sterblichen „ruhig“. „Tranquilles“ bedeutet im Kontext friedlich, frei von der durch Religion kriegerisch gewordenen Natur. Die Religion nimmt im Homme machine genau die Stelle ein, die ein Jahr später im Discours sur le bonheur den Schuldgefühlen zukommt. Die „ruhige und tugendhafte Lust“ der idealen Gesellschaft dort entspricht der Ruhe der Sterblichen in der atheistischen Gesellschaft hier. Sie verhalten sich nicht bösartig, sondern ruhig, friedlich, tugendhaft, weil sie ohne den negativen Einfluß der Religion nur den „spontanen Ratschlägen ihres eigenen Ichs“, ihrer unverfälschten, reinen Natur, den angeborenen Triebfedern, ihrer per se tugendhaften Lust folgen. Für „jede andere Stimme“ sind sie „taub“. Da die Verunreinigung, die Infizierung der Natur durch Einflüsterung „anderer Stimmen“ der Ursprung des Bösen ist, sind sie immun dagegen, eine Neigung zum Bösen zu entwickeln. Anderen zu schaden, kommt für sie nicht infrage. Die von La Mettrie gemeinte Strafe, die auf die Mißachtung jener Ratschläge der Natur folgt, sind persönliches Leid, aber auch ein gesteigertes Aggressionspotential und das schreckliche gesamtgesellschaftliche Unglück, das daraus entsteht.

Daß die Tugend der Weg zum Glück sei, könnte als Gemeinplatz mißverstanden werden. Das Spezifikum La Mettries, die Parallele zur „Moral der Natur“ des Discours préliminaire verbirgt sich in der Aussage, daß diese „Pfade der Tugend“ selbst bereits „angenehm“ sind. Der Weg zum Glück führt also über das Glück selbst, über das dem natürlichen Luststreben Angenehme, nicht über Entsagung, Opfer, Unterdrückung des Eigenwillens. Das Angenehme, das Glück ist mit der Tugend verknüpft. Die Lust selbst ist tugendhaft und begründet das Wohlergehen des Einzelnen sowie der Gesellschaft, weil die Natur des Menschen so beschaffen ist, daß die eigene Lust von der des anderen abhängt und sie daher aus eigenem Antrieb befördert. Darin besteht „das natürliche Gesetz“ der Moral. Wird ihm gemäß erzogen, entsteht der „rechtschaffene Mensch“, auf den man sich verlassen, dem man vertrauen kann. (S. 23f)

Dieses Buch sollte Pflichtlektüre jedes „Reichianers“ sein, denn allzuleicht wird die Beschäftigung mit Reich zur Routine, nur bloßen intellektuelle Geste und zur Gebetsmühle, die ständig „orgonomisch korrektes“ Zeugs absondert. Mit Fernandes‘ nach 300 Jahren erstmaliger Freilegung des Kerns der LaMettrie’schen Philosophie, wurde uns die Chance eines Innewerdens unseres Eigensten möglich gemacht und damit die Chance eines Neuanfangs geboten, sozusagen „Orgonomie ohne Wilhelm Reich“.

Die Ehre LaMettrie (zusammen mit Max Stirner) für die Orgonomie entdeckt zu haben, kommt natürlich Bernd A. Laska zu, doch das beschränkte sich auf die Lehre von den schädlichen Schuldgefühlen = Charakteranalyse = Panzerung = Über-Ich. Daß dies bei LaMettrie (genauso wie bei Wilhelm Reich) mit der Lehre von der tugendhaften Lust = Orgasmustheorie = Sexualökonomie untrennbar verbunden ist, hat (nach ersten Andeutungen bei Laska) erst Fernandes im vollen Umfang gezeigt.

LaMettrie war der „Wilhelm Reich des 18. Jahrhunderts“ und wurde deshalb mit aller Wahrscheinlichkeit auch ermordet. Beide sahen sich jeweils als „neuer Prometheus“, der die Flamme der Wollust bringt und damit gleichzeitig die Zivilisation begründet. Bisher herrscht die bloße Barbarei!

DANKE Bernd A. Laska! DANKE Christian Fernandes! Wenn jetzt noch jemand eine Brücke von LaMettrie nach, keine Ahnung, Luigi Galvanis „animalischer Elektrizität“ oder Franz Anton Mesmers „animalischem Magnetismus“ = Orgonenergie schlägt…

Man erlaube mir dazu einen Anhang, denn mir fällt dazu folgendes ein:

Victor Frankenstein war in Mary Shelleys Roman „der neue Prometheus“ – der so, praktisch in der gleichen Funktion, in La Mettries Der Mensch als Maschine (Laskas Ausgabe, S. 83) auftritt. Seine Maschine bzw. sein „Monster“ wurde durch eine „atmosphärische Lebenskraft“ ins Leben gerufen, zu der Shelley von Galvanis Experimenten und der Praxis des Mesmerismus inspiriert worden war – kurioserweise auch durch die Arbeit von Mesmers Nemesis, Benjamin Franklin, mit Gewitterblitzen. Und drittens: ihr Roman dreht sich, vor dem Hintergrund der Geschichte der Aufklärung seit LaMettrie und der durch Rousseau initiierten Romantik um die tugendhafte Lust bzw. deren Negation.

Was ich meine wird zunächst hier deutlich:

Der Entstehungszeitraum von Mary Shelleys Frankenstein fällt in eine (…) Phase hoher technischer, medizinischer und allgemein naturwissenschaftlicher Fortschrittsdynamik. L’Homme machine des französischen Arztes und Philosophen Julien Offray de La Mettrie scheint ebenso die Zeit zu prägen und die Idee eines Maschinen-Menschen zu beflügeln wie die Erfindung der Elektrizität und die Versuche mit der solchen von Luigi Galvani (Galvanismus).

Und zusätzlich durch folgendes Abstract:

Beeinflußt von Philosophen der Aufklärung wie Rousseau und Smith, feiern romantische Schriftsteller wie Coleridge und Percy Shelley die erhabene Kraft der sympathischen Liebe, die das Selbst und den anderen (sei er menschlich oder unmenschlich) zu einem wundersamen Ganzen verschmelzen läßt und damit die Gefahren der Einsamkeit und des Solipsismus ausschließt. Nicht alle romantischen Schriftsteller teilen jedoch die gleiche sanguinische Sicht der Liebe. In Frankenstein zum Beispiel bietet Mary Shelley eine Alternative zur optimistischen Sichtweise auf die Fähigkeit zur (gegenseitigen) Sympathie. Sie formt den Roman zu einer Geschichte bitterer Einsamkeit, die durch den Mangel an sympathischem Verständnis zwischen Victor und der Natur, zwischen dem Monster und den De Laceys und zwischen dem Monster und seinem Vater Victor verursacht wird. In diesen wechselseitigen Beziehungen, so meine These, beschwört Shelley Elemente der aufklärerisch-romantischen Liebe herauf, nur um deren erhabene Kraft zu widerrufen und sie darüber hinaus in Verzweiflung zu verwandeln. Anstelle der romantischen Freude der transzendenten Fülle ist der Roman von gothic Verzweiflung, der völligen Negation der Erlösung, umhüllt.

Da das Monster nicht liebenswert ist, sich aber nach Liebe sehnt, rastet es aus und wird zum – Monster. „Das Wesen, das [Frankenstein] erschafft, trägt die ganze menschliche Natur in sich. Es verlangt nach Liebe, ist aber physisch nicht liebenswert, und Dr. Frankenstein verweigert ihm jede Möglichkeit der Liebe. Im Gegenzug und aus freiem Willen entscheidet es sich, die Liebesbeziehungen anderer zu zerstören“ (hier). Es ist bezeichnend, wie sehr Mary Shelleys abgründiger Horrorroman über einen „LaMettrie“ (gleichzeitig auch „Anti-LaMettrie“) und die tugendhafte Lust (bzw. die dramatischen Folgenden unterdrückter Lust) seit 200 Jahren die Menschen absolut unwiderstehlich in seinen Bann zieht…

Der Roman ist eine Erzählung über den Maschinenmenschen mit einer „romantischen“ Wendung („Lebenskraft“), über das Schuldgefühl (das Victor zerfrißt und von dem sein namenloses „Monster“ vollkommen frei ist – mit verheerenden Folgen) und nicht zuletzt eine über die „aufklärerisch-romantische Liebe“, die auf LaMettries „tugendhafte Lust“ zurückgeht und die verheerenden Folgen, wenn das Liebesbedürfnis zerstört wird. Victor liebt seinen künstlichen „Sohn“ nicht und tötet dessen künstliche Gefährtin sofort nach deren Erschaffung. Vielleicht lese ich zuviel hinein, aber zu diesem Thema paßt auch etwas, das für einen LaMettrie-Kenner kein Zufall sein kann: daß Victor Frankensteins Romanze mit Elizabeth Lavenza (die aus Rache vom „Monster“ getötet wird), jedenfalls in der ursprünglichen, unveränderten Originalversion des Romans von 1818, inzestuöse Geschwisterliebe war.

Die große Marx-Verarsche der „Reichianer“

26. Mai 2024

Erstmal, ohne Friedrich Engels hätten wir nie und nimmer von Marx gehört! Er wäre, wenn überhaupt, ungefähr so bedeutsam wie Moses Hess oder Bruno Bauer – eine Fußnote der Sozial- und Philosophiegeschichte des 19. Jahrhunderts, mit der nur Spezialisten etwas anfangen können. Es war der Unternehmersohn und vierschrötige Lebemann Engels, der den weltfremden Marx zeitlebens ökonomisch über Wasser gehalten hat. Sogar eine nicht unbeträchtliche Anzahl der Artikel, die der „Journalist“ Marx verkaufte, hatte tatsächlich Engels geschrieben. Später war es Engels, der die frühe SPD finanzierte – unter der Bedingung, daß sie Marx als Partei-Ideologen akzeptierten. Engels hat nicht nur den die „Marxistische Weltanschauung“ erfunden, er war auch der erste Marxistische Apparatschik, der den gesamten Marx-Mythos künstlich fabrizierte.

Wie der ehemalige hochrangige „DDR“-Funktionär Hermann von Berg in den 1980er Jahren konstatierte, konnte Marx nur unter zwei Gruppen „wissenschaftlich“ reüssieren: erstens unter Historikern, die keine Ahnung von Ökonomie hatten, und zweitens Ökonomen, die keine Ahnung von dem tatsächlichen Entwicklungsstand der ökonomischen Wissenschaften Anfang und Mitte des 19. Jahrhunderts hatten. Beide konnten nicht einschätzen, daß Marx in der Wirtschaftslehre null Neuwert geschaffen hatte und nichts anderes als ein peinlicher Blender war. Insbesondere war in Friedrich Wilhelm Schulz‘ Buch von 1843, Die Bewegung der Production: eine geschichtlich-statistische Abhandlung zur Grundlegung einer neuen Wissenschaft des Staats und der Gesellschaft, alles zu finden, was ein Vieljahrhundert später Marx in seinem Kapital als wissenschaftliche Revolution verkaufen wollte. Nicht ohne Grund mußte er von seinen Anhängern und insbesondere Engels aus seiner Lethargie gerissen und praktisch gezwungen werden, endlich abzuliefern… Und zwar ein Produkt, das anfangs auf keinerlei Interesse stieß!

Von Berg hebt auch hervor, daß man sich von dem imposanten Umfang der Marx-Engelschen Gesamtausgabe nicht blenden lassen sollte, da Marx imgrunde nur drei Werke von Interesse verfaßt hat: Das Kommunistische Manifest von 1848, Das Kapital von 1867 und die Randglossen zum Parteiprogramm der SPD von 1875 – der Rest sind vollkommen vernachlässigbare Gelegenheitsschriften, Polemiken und, ähhh, Randglossen…

Mit dem Manifest fängt der Skandal schon an, denn knapp vier Jahre hatte sich der Nichtsnutz mit Ökonomie und Sozialismus beschäftigt und schon legte er die Summe seiner „Lebensarbeit“ vor, die er genau so auch hätte 30 Jahre später schreiben können. Die Ideologie war nicht Ausfluß seiner „wissenschaftlichen“ Bemühungen, sondern umgekehrt! Die Theorie des ganze zwei Jahrzehnte später erschienenen Kapitals hätte er bequem auf vielleicht 50 Seiten ausbreiten können – ohne irgendjemanden beeindrucken zu können. „Überzeugen“ tut einfach nur der Umfang, die alles erstickenden schier zahllosen Fußnoten und eine schlichtweg nicht nachvollziehbare Schreibe. Und was schließlich die „Randglossen“ zum Gothaer Parteiprogramm der SPD betrifft: die sind nicht ohne Grund erst posthum erschienen, denn sie sind wirklich nur Murx, den die Funktionäre der SPD nur peinlich berührt zur Kenntnis nehmen und beiseite legen konnten.

Das ist also der großartige Marx, mit dem linke „Reichianer“ die Orgonomen seit jeher plagen und als ignorante Idioten hinstellen wollen, die Reich gar nicht verstehen können.

Marx ist einfach nur Emotionelle Pest. Man nehme etwa das Ende von Das Elend der Philosophie von 1847, die Quintessenz des „Marxismus“ – sogar noch ein Jahr vor dem Manifest:

Inzwischen ist der Gegensatz zwischen Proletariat und Bourgeoisie ein Kampf von Klasse gegen Klasse, ein Kampf, der, auf seinen höchsten Ausdruck gebracht, eine totale Revolution bedeutet. Braucht man sich übrigens zu wundern, daß eine auf den Klassengegensatz begründete Gesellschaft auf den brutalen Widerspruch hinausläuft, auf den Zusammenstoß Mann gegen Mann als letzte Lösung? Man sage nicht, daß die gesellschaftliche Bewegung die politische ausschließt. Es gibt keine politische Bewegung, die nicht gleichzeitig auch eine gesellschaftliche wäre. Nur bei einer Ordnung der Dinge, wo es keine Klassen und keinen Klassengegensatz gibt, werden die gesellschaftlichen Evolutionen aufhören, politische Revolutionen zu sein. Bis dahin wird am Vorabend jeder allgemeinen Neugestaltung der Gesellschaft das letzte Wort der sozialen Wissenschaft stets lauten: „Kampf oder Tod; blutiger Krieg oder das Nichts. So ist die Frage unerbittlich gestellt.“ (George Sand)

Man vergleiche das mit der dezidiert antipolitischen sozialen Orgonomie Reichs… Seit weit über 40 Jahren beschäftige ich mich jetzt mit diesem Murx – und möchte mehr denn je jedem „Marxistischen“ „Reichianer“ „Mann gegen Mann“ höchstpersönlich die Fresse polieren! Die Chuzpe dieser verpeilten Ignoranten verschlägt mir nach all den Jahren immer noch den Atem.

Peter liest die Laska/Schmitz-Korrespondenz (Teil 3)

26. März 2024

Bernd Laska sagt: „(W)as kümmert mich, der ich nicht ‚Gott‘ bin, das Schicksal der Menschheit“ (S. 117). Ähhh, weil ich ICH bin? Ich bin perspektivisch immer im Zentrum der Welt. Ihre Tiefe macht mich aus, was jeder schmerzlich am eigenen Leib erfährt, der in Isolationshaft irgendwo in einem Kellerloch sitzt. Und was das „Schicksal“ dieser Welt betrifft: Ich bin nichts anderes als Spannung! Teil eines Spannungsbogens, der von der Vergangenheit in die Zukunft reicht. Weshalb würde ich sonst diesen Blog oder irgendwas betreiben, wenn ich nicht etwas vollende, dessen Keim in der Vergangenheit gelegt wurde und ich versuche einen Keim für die Zukunft zu legen? Seit der ersten Amöbe beruht darauf das Leben: die „Keimbahn“. Ohne die Tiefe und ohne die Spannung macht es gar keinen Sinn von „ich“, „Eigner“ oder „Selbst“ zu sprechen. Und das Schreckliche ist, daß wenn ich mir die junge Generation anschaue, ihr jedwede Tiefe und jedwede Spannung abgeht. Es ist tatsächlich nicht wichtig Bismark auf einer Landkarte ungefähr verorten zu können oder zu wissen, wann Bismarck ungefähr gelebt hat (das sage ich ohne Ironie!), aber wenn man sich gar nicht verorten kann und auch kein Interesse „an Raum und Zeit“ zeigt, dann ist jedes Gerede von Selbstinteresse gegenstandlos: Es ist schlichtweg „niemand zuhause“!

Dagegen setzt Laska den „‘tierisch‘ verankerten Lebenswillen“ und das „rationale Über-Ich“. Dadurch käme „ein wirklich solider (sich nicht durch z.B. suizidalen oder masochistischen Opferwillen manifestierender) unbedingter Ernst in die Welt (…), ebenso wie eine solide Verankerung des individuellen Lebens im Hier und Jetzt (und nicht in einer starren ‚Identität‘ aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Wahngemeinschaft) und ein vom rationalen Über-Ich assistiertes Leben (ohne Suche nach Sinn, sondern) mit unverlierbarem Sinn“ (S. 123f).

Lassen wir dazu Schmitz ausführlich zu Worte kommen:

Wir teilen die Sorge um das glänzende Elend eines Zeitgeistes, der die Menschheit in ziellos betriebsamer Vernetzung verstrickt, so daß sich die Stricke um die Gestaltungskraft lähmend zusammenziehen und kein großes, leidenschaftlich erfüllendes Wollen mehr durchlassen. Wir trennen uns im Durchblick durch diese Sorge auf hoffnungsvollere Möglichkeiten. (…) Die Radikalisierung, die wir beide der Aufklärung wünschen, besteht für Sie (…) in einer Engführung, auf dem im 18. Jahrhundert schon eingeschlagenen Weg mit mehr Courage und weniger Halbherzigkeit energisch fortzuschreiten, für mich dagegen in einer Verbreiterung und Vertiefung zur Wurzel (radix) der Philosophie hin, die nach meiner Definition das Sichbesinnen des Menschen auf sein Sichfinden in seiner Umgebung ist. Dieses Sichbesinnen war nach meinem Dafürhalten bei den modernen Aufklärern von Anfang an doppelt verkürzt: durch das Erbe des Christentums mit Zersetzung implantierender Situationen, autistischer und dynamistischer Verfehlung [damit meint Schmitz das Loslösen vom Weltzusammenhang, PN], und durch die (schon antike) Abspaltung einer vermeintlich autonomen Vernunft von der Autorität der Gefühle in leiblich-affektivem Betroffensein. (S. 122)

Man sieht, daß beide, Laska und Schmitz, der Orgonomie nahekommen und trotzdem ständig aneinander vorbeireden, weil Laska im „Hier und Jetzt“ gefangen bleibt und Schmitz partout Laskas Begriff von Rationalität nicht begreifen will bzw. kann, weil er in der Philosophiegeschichte sozusagen gefangen ist und nicht zu den bioenergetischen Wurzeln durchdringen kann, trotz allem „leiblich-affektivem Betroffenseins“. Wenn er etwa einwendet, daß alles „personale Erleben und Verhalten“ tierisch verankert ist (S. 125), sieht man, daß er von Panzerung nicht den Hauch einer Ahnung hat. Das Problem ist aber auch, daß Laska nicht als sozusagen „konkretistischer“ „Reichianische Sektierer“ dastehen will und deshalb auf einer Abstraktionsebene argumentiert, die den Knackpunkt, den Unterschied zwischen dem Reichschen „Menschentier“ und dem „Maschinenmenschen“ dem ahnungslosen Schmitz gar nicht nahebringen kann.

Der Knackpunkt zeigt sich, wenn Schmitz ausführt, er halte die Annahme „für verhängnisvoll (…), daß es eine konfliktfreie Entfaltung einer gesunden reinen Menschennatur geben könne, sofern nur schädigende Einflüsse der Gesellschaft ferngehalten werden und eine stützende, nicht hemmende Führung geboten wird“. Das sei eine „anthropologische Illusion“ (S. 118), aus der „emotionale Krüppel“ (S. 119) hervorgehen würden. Die „Krüppel“ sind die Ungepanzerten, die nicht wie Roboter in ihrer rostigen Ritterrüstung rumstaken…

Schmitz Bezug auf das „Leiblich-Affektive“ ist letztendlich nur Gerede, ohne jedes wirkliche bioenergetische Fundament, da er, wie gesagt, keine Ahnung von der Panzerung und ihren Wirkungen hat, während Laskas, wenn man so sagen kann, „tierische Solidität“ in der Luft hängt, also ganz und gar nicht „solide“ ist, wie ich anfangs erläutert habe.

Orgonbiophysik und LSR (Teil 5)

3. Februar 2023

Ja, was ist denn nun „LSR“? Bernd Laska schrieb mir 2004:

Für mich eine uralte Erfahrung seit wrb[Wilhelm Reich Blätter]-Zeiten 1975: die Leute, die zu Reich stoßen, sind nicht die Richtigen (= sehen Reich völlig anders als ich 😉 ). (…) Eine weitere Erfahrung seit auch schon ca. 20 Jahren: die Leute, die zu Stirner stossen, sind nicht die Richtigen (= sehen Stirner völlig anders als ich 😉 ). Sie „tolerieren“ mich, diskutieren aber nicht meine einschlägigen Bücher und Artikel (obwohl ich in „Der Einzige“ schreiben darf). Im „Gästebuch“ der MS-Ges. [Max Stirner Gesellschaft] tauchte seit Jahren mein Name nicht einmal auf. Dito im Stirner-Forum. (…) Für La Mettrie gibt’s keine Szene, glaube ich. Ab und zu jemand, der enthusiastisch die 4 Bände [von und über LaMettrie] bestellt – dann Funkstille, keine Kritik, keine Nachfrage, kein Schulterklopfen, nix. Das soll kein Gejammer sein. Es ist eine sachliche Feststellung, die „an sich“ nicht verwunderlich, sondern sogar folgerichtig ist: jedenfalls die Ratlosigkeit des Publikums, das entweder Philosophie lernen will oder Philosophiegeschichte. LSR ist keins von beiden. Was dann ???“

Was ist LSR in seiner Essenz? Laska schrieb mir ebenfalls vor nunmehr fast 20 Jahren in einem bestimmten konkreten Zusammenhang:

(der und der und der) sehen sich als heute zeitgemäße Kämpfer für Aufklärung und Rationalität, wie einst die Psychoanalytiker (Freud, Federn…) und Marxisten (KP, Fromm, Bernfeld, Fenichel…). Sie sehen in Reich einen ganz speziellen Feind und bekämpfen ihn (seine von ihnen geahnte Idee, in deren Licht ihr Rationalismus irrational erscheint) fanatischer als sie ihre Alltagsgegner bekämpfen – und vor allem nicht offen.

Das ist es: LSR wird sozusagen „beschwiegen“. LaMettrie wurde als unwürdig aus der Gemeinschaft der Aufklärer ausgestoßen, Marx’ Mammutbuch zu Stirner vergammelte in der Schublade, Nietzsche verschwieg ihn peinlich krampfhaft, Reich wurde schlichtweg aus dem Gedächtnis der Psychoanalyse getilgt. Der endgültige Todesstoß war die Rehabilitierung der drei: LaMettrie als Vordenker DeSades und Rousseaus, Stirner als Prophet des modernen Egoismus und Reich als Antifaschist. Helden des demokratischen und vor allem bunten Westens! (Wüüürggghhh!) Hauptsache es wird nie der Kern berührt oder auch nur durch das bloße Begründen der Sequestration dieser drei Aufklärer angedeutet.

Den besagten Kern hat Reich genannt, als er schrieb, daß „keine andere Stelle meiner Theorie meine Arbeit und Existenz derart gefährdet (hat) wie gerade die Behauptung, daß Selbststeuerung möglich, natürlich vorhanden und allgemein durchführbar ist“ (Die Funktion des Orgasmus, Fischer TB, S. 141). Er „betone die Rationalität der primären Emotionen des Lebendigen” (Äther, Gott und Teufel, S. 54) und behauptet entsprechend: „Alle Ethik ist im Grunde antisexuell” (Menschen im Staat, 1995, S. 143).

Die Menschen rasten darob aus, weil es sie gar nicht gibt! SIE SIND BESESSEN! Will sagen, aus ihnen spricht die verinnerlichte gepanzerte Gesellschaft, die verzweifelt um ihre Existenz ringt. Reich und Laska waren nie Teil dieser Gesellschaft der lebenden Toten. Was ich hier von Reich zitiert habe, ist der gemeinsame Ursprung der Orgonbiophysik und des LSR-Projekts.

Liquidar

Super-Ego

Radicalmente

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 25)

17. Oktober 2022

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Alle Frontlinien sind nur Teil des „sozialen Panzers“: ein „Trieb“ hält den anderen in Schach, auf daß sich nichts verändert. Wie läßt sich diese Panzerung aufbrechen? Indem man nicht mehr bei dieser Frontbildung mitspielt und z.B. den Gegner ernster nimmt, als er sich selbst. Reich am 2. September 1941:

Meine dritte Frau hat mir gerade gesagt, daß ich die Dinge „zu ernst“ nehme. Ich hatte mich darüber beschwert, daß so viel Geld für die zukünftigen Väter des Proletariats verschwendet wird. Das gleiche habe ich vor zwanzig Jahren von mehreren Vorgesetzten gehört. Was soll ich denn ernstnehmen, wenn nicht die sogenannten Retter der Menschheit, die Millionen in die Irre führen, an die die Menschen glauben und für die sie bereit sind, ihr Leben zu opfern! Wenn man das Vertrauen in die Menschen nicht verlieren will (und das zu verlieren, bedeutet, alles zu verlieren), dann muß man alle ihre Aussagen ernstnehmen, todernstnehmen, sie sozusagen festnageln, sie an jedem Wort festhalten und nicht loslassen! (American Odyssey, S. 119)

Im Falle Freuds heißt dies, etwa den unausgesprochenen Vorwurf gegen Reich auszusprechen, daß Reich genau jenen dunklen Mächten den Weg ebnet, gegen die „anständige Menschen“ seit je gekämpft haben, als sie alles mit dem Bann belegten, was nicht zu kontrollieren ist (sei es religiöse Ekstase, sozialer Aufruhr oder sexuelle Zügellosigkeit). Diesen Vorwurf gilt es ernstzunehmen – und sich auf die Seite des Gegners, also in diesem Fall die Seite Freuds zu stellen und die „sexualökonomischen“ Konsequenzen zu ziehen, die in Freuds (Marx’, Diderots) Konzept stecken. Und genau das hat Reich getan, mit „jeder hat irgendwo recht!“ und als er streng zwischen primären und sekundären Trieben unterschied, die Rolle der „Gegenwahrheit“ erkannte und sich auf einen „konservativen“ Standpunkt stellte. Das ist keine kompromißlerische Haltung. Ganz im Gegenteil, denn sie verweigert sich dem gesellschaftlichen Abpanzerungsprozeß, der das System durch „prinzipielle“ Gegnerschaft gegen das System aufrechterhält – das nichts anderes ist als ein festgefügtes Geflecht eben solcher „prinzipiellen Gegnerschaften“.

Doch die Gesellschaft erschöpft sich nicht in ihrer Panzerung (sonst könnte sie auch gar nicht überleben!), sondern die Arbeitsdemokratie und die individuelle Anständigkeit wirken weiter. Daran wollte Reich anschließen.

Natürlich glaube ich nicht, daß Freud (mal abgesehen von dem „automatischen“ Wissen, das jedem Menschentier eingeboren ist) zwischen primären und sekundären Trieben unterschied. Ich meine nur, daß jede reaktionäre oder pseudorevolutionäre Weltanschauung (z.B. der Katholizismus und der Marxismus) einen wahren Kern haben und daß, wenn man sie (d.h. jede reaktionäre oder pseudorevolutionäre Weltanschauung) zuende denkt, was etwa die Katholiken und Marxisten wohlweißlich nie tun werden, sich diese Weltanschauungen als „LSR“ (LaMettrie, Stirner, Reich) erweisen würden. Das hat Reich in Christusmord aufgezeigt, als er z.B. den Urvater des Katholizismus, Paulus, und dessen Unterscheidung von „Fleisch“ und „Leib“ auseinandernahm. Und „selbst“ Stirner hat im Einzigen und sein Eigentum über hunderte Seiten, in denen er die Religions- und Philosophiegeschichte aufdröselt, das gleiche gemacht.

Eben wegen dieser tiefen Verankerung wird LSR (LaMettrie, Stirner, Reich) die Massen ergreifen. Es hat sie schon ergriffen, bzw. haben es die Menschen schon immer gewußt, da LSR ihre eigentliche Natur ist. Die rätselhafte Intensität der Abwehr gegen LSR ist Beweis genug, daß die Menschen die LSR-Wahrheit intuitiv kennen, denn ansonsten wäre es ihnen egal. Reich hat sich gewundert, daß seine schlimmsten Gegner intuitiv die Konsequenzen seiner Forschungsarbeit gezogen hatten, bevor er, Reich, es selbst getan hat!

LSR ist kein neues Paradigma, oder meinetwegen Superparadigma, das alte Paradigmen ablöst, sondern die präexistente Wahrheit, die nur zeitweise durch eine „Paradigmenwirtschaft“ überlagert wurde (wann, wie und warum hat James DeMeo mit seiner Saharasia-Theorie erklärt). Deshalb kann ich auch das Label „Hegelianismus“ für mich nicht akzeptieren, denn ich sehe in der Abfolge der Paradigmen keine Entwicklung zum besseren. Ich sehe, daß das Leben diese Paradigmenwirtschaft und ihre Pseudo-Entwicklung nicht ewig akzeptieren, sondern immer wieder durchbrechen wird. LaMettrie und Stirner und Reich waren solche Durchbrüche.

Es ist kein Kampf der Paradigmen, sondern etwas grundsätzlich anderes. Angenommen du würdest als einziger auf der Welt LSR vertreten, dann wärst du der eine und einzige wahre Sprecher, der die wahren Intentionen der 8 Milliarden anderen Menschen ausspricht. Und nicht du, sondern die verrückten 8 Milliarden würden sich lächerlich machen. Leninismus im Extrem (meinetwegen kann man das „Hegelianisch“ nennen).

Orgonometrie (Teil 3): Kapitel 49

22. Januar 2020

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49. Hegels Funktionalismus

Hellmann: Perspektiven der Lebensenergieforschungen (2012)

10. März 2017

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