
Humana conditio ex orgonomico prospectu: Stichwort „Wahlverhalten“ und folgende
Marx Grundauffassung war die, daß rationale materielle Bedingungen schließlich die irrationalen Ideen der Menschen verschwinden lassen würden. Reichs Grundimpetus war das genaue Gegenteil: die irrationalen Ideen der Menschen machen eine rationale Entwicklung der materiellen Bedingungen unmöglich. Dabei war an sich Marx für eine derartige „charakteranalytische“ bzw. „massenpsychologische“ Betrachtungsweise geradezu prädestiniert: David McLellan macht in seiner Untersuchung über Die Junghegelianer und Karl Marx die interessante Bemerkung, „daß Marx sich die verschiedenen Erscheinungsformen der Entfremdung als Vielzahl von Schichten um einen innersten Kern herum dachte, die eine nach der anderen abgelöst werden müßten, wobei die jeweils tiefer liegende Schicht immer erst dann sichtbar werde, wenn die äußere Schicht entfernt worden wäre“ (S. 94).
Der Unterschied ist natürlich der, daß Marx das reale, materielle und damit nicht entfremdete Wesen freilegen will, das nur unter bestimmten materiellen Voraussetzungen agieren kann, sich dessen bewußt wird und sich infolge von seiner illusorischen „Eigenheit“ befreit. Genau das ist Thema von Marx‘ Die Deutsche Ideologie. Reich wäre für Marx nichts anderes als ein „wahrer Sozialist“ gewesen, der nicht, wie Marx im Kommunistischen Manifest schreibt, „statt wahrer Bedürfnisse das Bedürfnis der Wahrheit und statt der Interessen des Proletariers die Interessen des menschlichen Wesens, des Menschen überhaupt [vertritt], des Menschen, der keiner Klasse, der überhaupt nicht der Wirklichkeit, der nur dem Dunsthimmel der philosophischen Phantasie angehört“.
Was nun die am Ende des letzten Beitrags erwähnte „Maschine“ betrifft: in Das Kapital konstatiert Marx zunächst, ganz im Sinne Reichs, daß die Maschine sich nur im Gegensatz zur lebendigen Arbeit entwickeln kann und sich schließlich in Gestalt des Kapitals gegen den Arbeiter stellt. Gleichzeitig befreit die Maschine aber den Arbeiter von der Arbeit – er muß nur das Kapital in seine Hände bekommen, d.h. letztendlich eins werden mit der Maschine. Dialektik!
1849 schrieb Marx in seiner Neuen Rheinischen Zeitung: „Wir haben es von Anfang an für überflüssig gehalten, unsere Ansicht zu verheimlichen. (…) Wozu also eure heuchlerischen, nach einem unmöglichen Vorwand haschenden Phrasen? Wir sind rücksichtslos, wir verlangen keine Rücksicht von euch. Wenn die Reihe an uns kommt, wir werden den Terrorismus nicht beschönigen“ (MEW 6, S. 504). Denn, so Marx zuvor, 1848: „Es gibt nur ein Mittel, die mörderischen Todeswehen der alten Gesellschaft, die blutigen Geburtswehen der neuen Gesellschaft abzukürzen, zu vereinfachen, zu konzentrieren, nur ein Mittel – den revolutionären Terrorismus!“ (MEW 5, S. 457). Marx ergänzte: „Jeder provisorische Staatszustand nach einer Revolution erfordert eine Diktatur, und zwar eine energische Diktatur“ (MEW 5, 5. 402).
Zu dieser Zeit träumte er von einem, wörtlich, „Weltkrieg“ als einzige Hoffnung für eine Revolution in Frankreich und damit in ganz Europa. Marx: „In Frankreich tut der Kleinbürger, was normalerweise der industrielle Bourgeois tun müßte; der Arbeiter tut, was normalerweise die Aufgabe des Kleinbürgers wäre, und die Aufgabe des Arbeiters, wer löst sie? Niemand. Sie wird nicht in Frankreich gelöst, sie wird in Frankreich proklamiert. Sie wird nirgendwo gelöst innerhalb der nationalen Wände, der Klassenkrieg innerhalb der französischen Gesellschaft schlägt um in einen Weltkrieg, worin sich die Nationen gegenübertreten. Die Lösung, sie beginnt erst in dem Augenblick, wo durch den Weltkrieg das Proletariat an die Spitze des Volks getrieben wird, das den Weltmarkt beherrscht, an die Spitze Englands. Die Revolution, die hier nicht ihr Ende, sondern ihren organisatorischen Anfang findet, ist keine kurzatmige Revolution. Das jetzige Geschlecht gleicht den Juden, die Moses durch die Wüste führt. Es hat nicht nur eine neue Welt zu erobern, es muß untergehen, um den Menschen Platz zu machen, die einer neuen Welt gewachsen sind“ (MEW 7, S. 79)
Menschen müssen, so Marx und Engels, ausgemerzt werden, um den neuen Menschen Platz zu machen. Marx und Engels baden in ihrer Imagination in Ozeanen von Blut! Sie träumten von dem, was im 20. Jahrhundert wirklich kommen sollte. Dazu muß man wissen, daß Marx‘ Neue Rheinische Zeitung von Antisemitismus nur so strotzte und das Blatt auch ansonsten eine genaue Vorwegnahme des Völkischen Beobachters war. Engels 1849 rrrrrrücksichtlos: „Aber bei dem ersten siegreichen Aufstand des französischen Proletariats, den Louis-Napoleon mit aller Gewalt heraufzubeschwören bemüht ist, werden die östreichischen Deutschen und Magyaren frei werden und an den slawischen Barbaren blutige Rache nehmen. Der allgemeine Krieg, der dann ausbricht, wird diesen slawischen Sonderbund zersprengen und alle diese kleinen stierköpfigen Nationen bis auf ihren Namen vernichten. Der nächste Weltkrieg wird nicht nur reaktionäre Klassen und Dynastien, er wird auch ganze reaktionäre Völker vom Erdboden verschwinden machen. Und das ist auch ein Fortschritt” (MEW 6, S. 505).
Und, nein, das ist nicht dem Furor des Revolutionsjahrs von 1848 zu schulden, sondern ist der Kern, der eigentliche Kern des – Roten Faschismus. Wie es im Kapital so schön heißt: „Die Gewalt ist der Geburtshelfer jeder alten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger geht“ (MEW 23, S. 779).

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]
Daß Burkes Ansichten über die Natur des Menschen sich kaum mit denen Reichs vereinbaren lassen dürften, ist mir durchaus bewußt. Es stört mich auch, daß Robert Harman das in seinem Aufsatz über Burke gar nicht zur Sprache bringt (Edmund Burke and the French Revolution. The Journal of Orgonomy 30(1), Spring/Summer 1996, S. 20-32). Das scheint symptomatisch zu sein, wenn ich etwa an John Bells orgonomische Analyse von Shakespeares Der Sturm denke (Shakespeare’s THE TEMPEST: Cosmic Dimensions, Comedic Transformations. The Journal of Orgonomy 16(2), November 1982, pp. 244-259). Diese ist zwar stimmig und sicherlich richtig, aber Shakespeares Ansichten über die Natur des Menschen… – der verworfene „Caliban“ ist eben nicht der „gepanzerte Mensch“, sondern Shakespeares Vorstellung des Menschen im Naturzustand – der „Kannibale“, der unter zivilisatorische Kontrolle gebracht werden muß. Konkret waren die nordamerikanischen Indianer gemeint (was ganz praktische Folgen hatte…). Genau dasselbe, sogar explizit in Bezug auf die Indianer, findet sich in Burkes Betrachtungen.
Und trotzdem bleibt da bei Shakespeare und Burke ein unaufgelöster Rest: beide berufen sich dann doch ständig und zentral auf die menschliche Natur – auf die imgrunde rationale menschliche Natur, auf das „Gute und Naturwüchsige“. Das ist ein klarer Widerspruch. Man kann ihn übersehen – und hat einen „Reichianisch“ verkürzten Shakespeare und Burke vor sich. Aber immerhin: es ist bemerkenswert, daß diese „Verkürzung“ überhaupt möglich ist.
Was die heutige „Ideologiefeindschaft“ betrifft: mich erinnert der hemdsärmelige Pragmatismus manchmal fatal an ideologiegesteuertes Verhalten. Man hatte das Ziel (etwa die „klassenlose Gesellschaft“) fest im Auge, da man aber keine Beziehung zur Realität besaß, hat man willkürlich und „pragmatisch“ drauflos agiert. Das gemahnt doch fatal an vieles, was heute so abgeht: „Energiewende“, Gentechnik, Euro, etc. Man springt (aus „ideologischen“ Gründen) „pragmatisch“ ins Wasser, ohne zu wissen, wie tief das Wasser ist und ob man mit Bleischuhen und festgebundenen Armen überhaupt schwimmen kann.
Burke hat zum Thema folgendes zu sagen:
Sie sehen, mein Freund, daß ich dreist genug bin, um in diesem erleuchteten Jahrhundert frei zu gestehen, daß wir im ganzen eine Nation von naturwüchsigen Gefühlen sind, daß wir, statt alle Vorurteile wegzuwerfen, sie vielmehr mit Zärtlichkeit lieben und, was noch strafbarer sein mag, daß wir sie eben darum lieben, weil sie Vorurteile sind, und nur um so wärmer lieben, je länger sie geherrscht und je allgemeiner sie sich verbreitet haben. (…) Viele unserer denkenden Köpfe, weit entfernt, im ewigen Kriege mit den Vorurteilen zu leben, wenden ihren ganzen Scharfsinn an, um die verborgene Weisheit, die darin liegen mag, zu erforschen. Wenn sie entdecken, was sie suchten (…), dann finden sie es klüger, das Vorurteil beizubehalten mit der Weisheit, der es zur Hülle dient, als das Gewand wegzuwerfen und die nackte Weisheit stehen zu lassen, weil ein Vorurteil, das ein Prinzip der Weisheit enthält, zugleich eine Kraft, um dies Prinzip zu beleben, und ein Gefühl der Zuneigung, um ihm Dauer zu verschaffen, bei sich führt. (Betrachtungen, Suhrkamp 1967, S. 146f)
DMF (Diderot, Marx, Freud) waren Radikalinskis der „nackten Wahrheit“, die für die Burkes nur Verachtung übrig hatten. Siehe Marx‘ Ausfälle gegen Burke in Das Kapital und Freuds Ausfälle gegen das ozeanische Gefühl.
[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]
Reich schrieb am 3. Februar 1952, 4 Uhr morgens, unter der Überschrift „Der stille Beobachter“ eine Art Tagebucheintrag:
Die Anarchisten in Paris haben die UN-Delegierten mit Eiern und Tomaten beworfen und riefen, korrekt, aber dumm, „weder Truman noch Stalin“. Sie würden mich sicher erschießen, wenn sie an die Macht kämen, obwohl sie mich jetzt bewundern und mir rechts und links Juwelen politischer Slogans abnehmen, ohne die Quelle zu nennen, außer in einer sehr minimalen Weise, und bereits meinen Namen verunglimpfen, indem sie mich einen Bolschewiken nennen und behaupten, ich wüßte nichts vom Anarchismus. Sie kennen meine Stirner- und Kropotkin-Zeit von 1919 nicht. Das paßt zu ihrem Versuch, aus der sexuellen Jugendfrage politisches Kapital zu schlagen, indem sie die „Freiheit der LIEBE“ für die Jugend proklamieren … den politischen Weg, den Weg, den ich nicht klar von MEINEM Weg getrennt und 1928 bis 1934 bekämpft habe; den aussichtslosen Weg des politisch lästigen Freiheitshausierers. Sie wüßten nicht, wie sie mit einem einzigen Fall von Zusammenbruch aufgrund von Orgasmusangst bei einem fünfzehnjährigen Mädchen umgehen sollten. Sie können in kritischen Zeiten aus purer Unwissenheit, gepaart mit politischem Eifer, zu einer Bedrohung werden. Mit „gut meinen“ allein ist es nicht getan.
Reichs Biograph hat das wie folgt übermittelt: In Bezug auf die Anarchisten (eine englische Gruppe von Anarchisten schrieb häufig an Reich und veröffentlichte Artikel über seine Arbeit) sagte er: „Wir wollen keine Anarchie, wir wollen Ordnung. Wir nehmen den rationalen Kern aus dem Anarchismus, dem Kommunismus. Ich habe große Bewunderung für Kropotkin. Aber sie vergessen, daß sich die Zeiten ändern, daß die Wahrheit von gestern die Lüge von heute ist“ (M.R. Sharaf: „Some Remarks of Reich: Summer 1948“, Journal of Orgonomy 2(2), November 1968, pp. 215-224, siehe auch Ilse Ollendorffs Wilhelm Reich, S. 104).
Im Gegensatz zu Marx mit seinen „ehernen Gesetzen der Geschichte“, die letztendlich alles rechtfertigten und die Marxisten zu Todfeinden der Anarchisten machten, stand Kropotkin für die Befreiung von der religiösen Moral, für das „System des Nicht-Regierens“. Keime dieser freien Vereinbarung gäbe es schon heute überall im öffentlichen, zumal im wirtschaftlichen Leben. Reichs späteres Konzept der Arbeitsdemokratie. Der Unterschied ist natürlich, daß Reich, ähnlich wie Marx, „strukturelle“ Probleme sah, auch wenn es bei Reich natürlich keine polit-ökonomischer, sondern solche charakterstruktureller Natur waren. In seiner Jugend sah er die Wahrheiten bei Kropotkin und später bei Marx – doch diese vermeintlichen Wahrheiten erwiesen sich später aufgrund seiner Durchdringung der menschlichen Charakterstruktur als Lüge. Versuch das mal einem dieser schrecklichen vermeintlichen „Reichianer“ zu erklären…
Der entscheidende Einfluß von Marx auf Reich, für den Marx weitgehend mit den Anfangskapiteln von Das Kapital identisch war, liegt weniger in der Kernaussage des Buches, nämlich in der Arbeitswertlehre (die ja auch für Marx selbst der Dreh- und Angelpunkt war), sondern vielmehr im ganzen barocken Zitaten- und Belegfirlefanz, der diesen Kern umgibt: die genauso überflüssigen wie überlangen Beschreibungen der Verflechtungen der Produktion. Für Marx war das alles nur Füllmasse, um irgendwie sein Buch vollzukriegen. Eine Füllmasse, die nichts mit der Arbeitswertlehre zu tun hat – die aber vielleicht Reich dazu gebracht hat (in Rückgriff auf Stirners „Verein“ und Kropotkins „System des Nicht-Regierens“) das Konzept „Arbeitsdemokratie“ zu formulieren.
Wobei ich mir natürlich Reichs Ausführungen über die absonderlich aristotelisch-katholische Arbeitswertlehre in Menschen im Staat bewußt bin! Verkompliziert wird das ganze dadurch, daß Kropotkin ein heftiger Feind Stirners war, jedenfalls dessen, was er für „Stirner“ hielt („rücksichtsloser Egoist“ etc.). Vertrackt. Jedenfalls ging es Reich immer darum, das Primäre (z.B. „primäre Triebe“) vom Sekundären (z.B. „sekundäre Triebe“) zu trennen. Teilelement dieser seiner „Bewältigung der Vertracktheit“ war die Verlagerung der „philosophischen“ Fragen ins Biologische: von Stirner zum Orgon. Dergestalt hat die Entdeckung des Orgons eine (Teil-)Bedeutung (eine „LSR-Bedeutung“), die weder die Orgon-Verächter noch die Orgon-Begeisterten erfassen.
Generell muß ich über Marx und Reich folgendes sagen:
1. Wenn die Leute vor Marx‘ Zeiten, sagen wir, ein hochherrschaftliches Schloß betrachteten, dachten sie an den Fürsten oder König und vielleicht an den Architekten und einige große Künstler als „die Erbauer“. Wenn ein Marxist dasselbe Gebäude (oder etwas anderes von Menschenhand Geschaffene) betrachtet, sieht er nur die „lebendige Arbeitskraft“ in irgendeiner Materie verdichtet bzw. „geronnen“. Es ist ähnlich wie Reichs Konflikt mit den Freudianern, die nur Symbole und „Komplexe“ und anderes verkopftes psychisches Zeugs sahen, während Reich die freie Libido in verspannten Muskeln und Verhaltenssymptomen erstarren sah. Es geht um Arbeitsenergie (Marxismus) und Sexualenergie (Psychoanalyse).
2. Im Vergleich zu vorangegangenen Arbeiten zum Thema habe ich meine orgonometrische Sicht auf die Marxsche Werttheorie geändert, die die Arbeit auf das rein quantitative Maß der Zeit reduziert. Eigentlich steht hinter dieser Theorie das zentrale Konzept des Dialektischen Materialismus von „Quantität schlägt in Qualität um“, die primäre Materie wird gewissermaßen zum daraus abgeleiteten „Geist“, was eben den „Materialismus“ konstituiert. Heute glaube ich, daß hinter dieser Denkfigur etwas Funktionelles steckt, nämlich die orgonotische Kreiselwelle. Bei der Arbeitsenergie geht die über lange Zeit gedehnte Pulsfunktion („Quantität“) plötzlich in die Wellenfunktion („Qualität“) über. Ähnlich wie bei der Sexualität, also dem Bereich der Sexualenergie: lange Reibung, kurzer Höhepunkt.
3. „Reich’s Marx“ ist im Wesentlichen der Anfang von Das Kapital. Hier beschreibt Marx in klassischer Weise die Funktion der lebendigen Arbeit. Kein Wunder, daß Reich davon fasziniert war. Jeder ist fasziniert, der das liest. Aber der Pestcharakter Marx konnte seine wesentliche Einsicht nicht entwickeln, und der Rest von Das Kapital ist unlesbarer pseudodialektischer Müll. Noch schlimmer sind Band 2 und 3, die erst von Engels auf der Grundlage von Notizen geschrieben wurden, die Marx hinterlassen hatte. Die einzige Funktion der riesigen Buchstabenwüste besteht darin, daß Marxisten auf dicke Bände angeblicher „Wirtschaftswissenschaft“ verweisen können.
4. Wie ich bereits angedeutet habe, produziert nicht nur der Arbeiter einen „Mehrwert“, sondern auch der Kapitalist. Die letztere Funktion wurde vor Marx von allen gesehen (siehe Punkt 1), aber seit Marx vernachlässigt man sie. Heute sagt man zum Beispiel, daß die Neger Amerika aufgebaut haben, was natürlich eine Absurdität ist. Warum hatten die Schwarzen dann in ihrer afrikanischen Heimat nichts aufgebaut? Der weiße Meistergeist hinter ihrer Arbeit war natürlich wesentlich. Wenn man Reichs Massenpsychologie des Faschismus aufmerksam liest, sieht man, daß er versucht hat, beide Standpunkte, beide „Mehrwerte“, in einem gemeinsamen Funktionsprinzip zu harmonisieren. Auf unheimliche Weise taten die Stalinisten dasselbe, als sie in einer fast schon psychotischen Weise Stalin als den führenden Kopf hinter den „Errungenschaften der Sowjetunion“ darstellten.
5. Was ist Kommunismus? Im Gegensatz zur öffentlichen Meinung, die Dutzende von „Marx-Bänden“ (fast alles Polemiken und endlose Notizen zu ökonomischen Fragen) sieht, hatte Marx nur drei Werke geschrieben: Das Kommunistische Manifest (zusammen mit Engels), den ersten Band Das Kapital und Fußnoten zum Gothaer Parteiprogramm der SPD. Und all das läuft auf das hinaus, was die vormarxistischen ursprünglichen Kommunisten der Arbeiterklasse lange vor dem Plagiator Marx gelehrt hatten:
Das Kommunistische Manifest: die rationale Organisation der Gesellschaft nach den Erfordernissen der Arbeit und nach denen, die tatsächlich die Arbeit verrichten (eine Art Arbeitsdemokratie = Sozialdemokratie).
Das Kapital: Arbeit wird in Zeiteinheiten gemessen.
Fußnoten zu Gotha: jeder Arbeiter sollte Bezugsscheine je nach der Zeit erhalten, in der er gearbeitet hat (Sozialismus) – später, in einer perfekten kommunistischen Gesellschaft, würde jeder diese Coupons nach seinen Bedürfnissen erhalten.
Offensichtlich gibt es hier eine gewisse Rationalität, denn auch beispielsweise medizinische Orgonomen werden streng nach der Zeit bezahlt, die Sie mit Ihren Patienten verbringen. Und in einem Wohlfahrtssystem erhalten die Bedürftigen „Bezugscoupons“ entsprechend ihren Bedürfnissen. Und es ist offensichtlich, wie all dies wegen der Emotionellen Pest allzuschnell in roten Faschismus („Stalinismus“) ausarten kann.
Reich argumentierte, daß der rote Faschismus begann, als die Kommunisten die Bedeutung der Arbeit und ihre Funktion als produktivem Urquell von allem (entsprechend Marx‘ Arbeits- und Mehrwerttheorie) nicht mehr sahen und stattdessen entsprechende Versatzstücke nahmen und zu einer Morallehre verkürzten, mit deren Hilfe man Stimmung machen und „politisieren“ kann. Marx wissenschaftliche Erkenntnisse wurden durch bloße Polemik ersetzt.
Dazu muß aber auch gesagt werden, daß die Mehrwerttheorie impliziert, das kapitalistische System sei an und für sich ungerecht, sodaß alle Mittel zu seiner Beseitigung erlaubt sind. Alle Arbeiter in den USA könnten Millionäre sein, und dennoch ist das System ungerecht, weil es, gemäß der Mehrwerttheorie, ohne Änderung der Besitzverhältnisse an den Produktionsmitteln immer noch Ausbeutung gäbe. Wenn aber der Kapitalismus per definitionem ungerecht ist, führt das logischerweise zum roten Faschismus, der dergestalt direkt auf Marx zurückgeführt werden kann.
Das kapitalistische System ist aber aus zwei Gründen nicht ungerecht – wenn wir denn überhaupt derartige moralische Kategorien verwenden wollen: 1. sind wir „ungerechte“ biologische Geschöpfe, d.h. wir werden von Ehrgeiz, dem Willen zur Macht und der Weitergabe unserer Gene angetrieben; und 2. produziert der Kapitalist auch „Mehrwert“, indem er einfach ein Unternehmer, Erfinder, Manager und „Politiker“ (im besten Sinne) ist.
Für mich sind die Implikationen von Reichs „Marxismus“ zunächst einmal andere: es geht gar nicht um eine „Theorie“ (Werttheorien usw.), sondern um eine gewisse „Leidenschaft“, die gegen Ausbeutung und Machtmißbrauch gerichtet ist, und vor allem um die Einsicht, daß wirtschaftliche Faktoren eine Rolle spielen und man nicht alles, wie die Psychoanalytiker, auf Psychologie zurückführen kann, sondern Soziologie mit berücksichtigt werden muß.
Leider hängt das alles mit Marx zusammen, der ein Pestkranker und Hochstapler war. Reich hatte eine völlig falsche Auffassung von Marx. In den Archiven finden sich „CORE-Pilot“-Materialien, wo der sehr späte Reich zu seinen frühen, noch stark „rätekommunistisch“ geprägten Werken über die Arbeitsdemokratie von Ende der 1930er Jahre und zu Marx zurückkehrte und große Abschnitte aus Franz Mehrings Marx-Biographie zitierte, um Marx‘ Größe aufzuzeigen. Dabei ist alles, was uns Mehring über Marx weißmachen will, eine Lüge, Propaganda, wenn man so will „Stalinistische“ Propaganda, die mit Friedrich Engels und Karl Kautsky begann, die versuchten, Marx als sich aufopfernden und der Armut anheimfallenden Märtyrer und wissenschaftliches Genie hinzustellen.
Dank des Kapitalisten Engels lebte Marx aber tatsächlich ein sorgenfreies Leben im Luxus, oder besser gesagt, er hätte es leben können, wenn er nicht so viel Geld vor allem für fehlgeschlagene Börsengeschäfte verschwendet hätte. Von der tatsächlichen Wirtschaft hatte er nämlich nicht viel Ahnung. Ironischerweise hatte Marx, der soviel über die Arbeit zu sagen hatte, eine schlimme Arbeitsstörung und brauchte 20 Jahre, um sein Kapital zu schreiben. Ein Buch, dessen Theorie sich auf, sagen wir, 50 Seiten formulieren läßt. Der Rest ist nur unlesbares pseudointellektuelles Beiwerk, um den Leser zu beeindrucken und so zu tun, als ob in diesem ganzen unlesbaren Mist Substanz steckt, weil es ja alles so voluminös rüberkommt.
Marx ist nicht wichtig, aber das Symbol „Marx“ steht für etwas: die Arbeiterbewegung, kritische Wirtschaftstheorie (sogar Adam Smith war den Kapitalisten gegenüber kritisch eingestellt) und „Arbeitsenergie“. Mit Wohlwollen betrachtet sind die, vielleicht, ersten 200 Seiten von Kapital recht gut, denn hier wird definiert, was „Arbeit“ eigentlich ist.
Man sieht, ich habe eine dialektische Sicht auf Marx, wie sich im 4., 5. und 6. Teil erweisen wird…
Blankertz zufolge ist Politik nicht die Lösung, sondern das Problem. Klingt nach Konia. Blankertz:
Das fundamentale Recht besteht in der Privatheit. Politik ist Kolonialismus. Der herrschende Trend zur Aufhebung aller Privatheit markiert das Ende des Subjekts. (S. 53)
Was Blankertz nicht sieht, ist, daß Hitler (Reich zufolge „der Generalpsychopath“ schlechthin) alles tat, um den Staat (den er als eine „jüdische“ Institution betrachtete) zu zerschlagen. Um das in Teil 1 gesagte zu widerholen: Das schier unglaubliche Chaos und Kompetenzwirrwarr im nationalsozialistischen Staat war gewollt. Das Starke sollte sich sozialdarwinistisch durchsetzen, ohne daß sich das Schwache hinter „Recht und Gesetz“ verstecken konnte. „David“ sollte gegen „Goliath“ keine Chance mehr haben! In gewisser Weise war Hitler „antiautoritär“, d.h. die (sekundären) Triebe sollten frei walten.
Die von Blankertz geforderte Befreiung der Gesellschaft vom Staat (S. 76) ist schlichtweg genausowenig machbar wie die von der Panzerung. Deshalb war Reich kein Anarchist, sondern ein Konservativer. Das sieht man auch daran, daß Blankertz sich explizit als jemand sieht, der gegen den Vater rebelliert (S. 67). Oder wenn er den Zerfall des Staates in Clanstrukturen geradezu positiv sieht (S. 96). Charakterstrukturell weist dies zusammen mit der in Teil 13 erläuterten Oberflächlichkeit trotz aller libertären Lobpreisungen des Kapitalismus auf eine linksliberale Charakterstruktur hin. Kein Orgonom hat etwas gegen Friedrich von Hayek, ganz im Gegenteil, es kommt aber immer darauf an, welche FUNKTION Begriffe wie „Kapitalismus“ im jeweiligen individuellen Weltbild haben. Bei Blankertz ist es die Rebellion gegen den „Vater Staat“, d.h. es handelt sich um den Versuch eine ödipale Verstrickung auf letztendlich pestilente Weise zu lösen: die ganze Gesellschaft soll sich wandeln….
„Erst die Vernunft als außer-natürliche Instanz erschließt uns, daß wir nicht berechtigt sind, andere Menschen oder ganz allgemein andere Lebewesen zu quälen“ (S. 100). Ein Beispiel dieser Vernunft ist etwa der Dieb: ihm dürfe sein Diebesgut abgenommen werden, das er jetzt als sein Eigentum betrachtet, weil er ja selbst den Eigentumsbegriff negiert habe (S. 103). – Genau solche Beispiele zeigen, warum Reich nichts mit derartigen Anarchisten zu tun haben wollte. Sie leben nur im Kopf, in der charakterlichen Fassade und haben keinerlei Blick für die sekundären Triebe.
Blankertz‘ Kritik an der Planwirtschaft (S. 65-73) sind stichhaltig. Reich benutzte diesen Begriff noch immer, als er das Konzept der Arbeitsdemokratie ausformulierte. Aus dem Zusammenhang wird aber deutlich, daß er dabei in keinster Weise etwa an die (später gegründete) DDR dachte, wo wirklich alles ausprobiert wurde von teilweise „sozialistischer Selbstverwaltung“ bis hin zur Kybernetik und „materiellen Anreizen“, sondern vielmehr an den Organismus, der ohne Zweifel ja „planvoll“ funktioniert. (Letztendlich geht diese Wortwahl auf die Marxsche Definition von Arbeit in Das Kapital zurück.)
„Weshalb bloß mußte er die Idee (!, PN) der freiwilligen wirtschaftlichen Interaktion Arbeitsdemokratie nennen, nur um den bösen Begriff Kapitalismus zu vermeiden?“ (S. 66). Er zitiert Reich, daß die Menschen noch so irrational und von sekundären trieben bestimmt sein mögen, „in ihrer Arbeitsfunktion sind sie natürlicherweise dazu verhalten, rational zu sein.“ Dazu meint Blankertz triumphierend, daß das doch eben (frei nach Adam Smith) der Kapitalismus sei, „daß aufgrund der Freiheit des Marktes jeder, ob großherzig oder kleingeistig, gezwungen werde, dem Nächsten zu Diensten zu sein“ (S. 73). Schön, trotzdem gibt es einen gravierenden Unterschied zwischen Arbeitsdemokratie und Kapitalismus: die Arbeitsdemokratie gehört per definitionem zu den bioenergtischen Kernfunktionen, während der Kapitalismus ein ökonomisches System ist. Er umfaßt auch die sekundäre Schicht (beispielsweise brutale Übervorteilung) und die charakterliche Fassade („der Kunde ist König“ – auch wenn man ihn verachtet) und kann entsprechend, „den Charakter verformen“, wie man so schön sagt (siehe das entsprechende Reich-Zitat bei Blankertz S. 88f). Ich verweise auch auf Teil 11.
Reichs „Arbeitsdemokratie“ sei „im Grunde genommen nichts weiter als das Wirtschaften nach dem Prinzip der Freiwilligkeit, ist Kapitalismus“ (S. 88). Dazu ist zu sagen, daß auch Anarchisten nicht „frei-willig“ handeln. Sie sind nämlich in der Abbildung in Teil 13 gezeichneten „Ursünde“ gefangen, der Panzerung. Arbeitsdemokratie bedeutet schlichtweg ungepanzert zu sein, bzw. sie zwingt gepanzerten Menschen ein ungepanzertes Verhalten auf. Im Gegensatz dazu funktioniert der Kapitalismus auch im sekundären, im gepanzerten Bereich.
Was soll man schließlich über Blankertz‘ Ausführungen über Homosexualität und Feminismus (S. 109-117) sagen? Für Reich war Homosexualität unnatürlich, was schlichtweg bedeutet, daß nur der Kontakt zwischen Vagina und Penis und das Fehlen jedweder emotionaler Ambivalenz einen Orgasmus ermöglicht. Ja, man kann auf den Händen gehen oder einen Rollstuhl benutzen, auf einem Bein hüfen oder Skilaufen, aber das ist niemals dasselbe wie „natürliches“ Gehen! Mit „Moral“ hat das alles nichts zu tun, außer daß die gesellschaftliche Unterdrückung der Homosexualität stets die Genitalität mit umfaßt. Und was die Frauenemanzipation betrifft: es geht einzig und allein um den orgonotischen Kontakt zwischen Kind und Mutter, Frau und Mann. Alles andere ist Beiwerk. Blankerts beschäftigt sich nur mit diesem Beiwerk.
Wie kam es überhaupt zum Marxismus? Marx (der damals nichts über Ökonomie wußte) und Engels gehörten zur Berliner Gruppe der Links-Hegelianer. Unter ihnen war auch Max Stirner, der seine Theorie der Selbstregulierung formulierte und veröffentlichte. Man siehe die Bibliographie von Christusmord. Reich nannte Stirner „unseren Gott“, siehe Leidenschaft der Jugend. Siehe auch American Odyssey, S. 382. Gegen Stirners proto-orgononomisches Konzept der Selbstregulierung schrieben Marx und Engels ihr (bis 1903) unveröffentlichtes Manuskript Deutsche Ideologie. Aus den in diesem Manuskript formulierten Konzepten entwickelte sich später unmittelbar Marx‘ Kapital, das somit im Grunde genommen ein gegen „unseren Gott“ Stirner geschriebenes Buch ist.
Aus ideengeschichtlicher Sicht ist Marx‘ Hauptwerk ein Anti-Reich-Buch. Willy Brandt übersetzte (zusammen mit einem Norweger) Das Kapital im Exil erstmals ins Norwegische, ausdrücklich, um dem dortigen Einfluß von Reichs Sexualökonomie entgegenzuwirken! Später, Ende der 1960er Jahre, wurde erneut Marx‘ Werk genutzt, um Reichs Einfluß etwas entgegenzusetzen. Es wurde ursprünglich verfaßt, um der „Orgonomie“ (Stirner) entgegenzuwirken, ebenso wie Freuds spätere Bücher dazu dienten, der „Orgonomie“ (der frühe Freud, Otto Gross und Reichs frühe Sexualökonomie) Einhalt zu gebieten. Bis heute sind alle Marxisten (auch „Reichisten-Marxisten“) Erzfeinde der Orgonomie.
Als Das Kapital erschien, interessierte sich niemand für Marx‘ völlig unlesbaren Erguß. Es wurde nur ein verspäteter Erfolg aufgrund der politischen und sogar rein wirtschaftlichen Machenschaften von Engels innerhalb der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, SPD. Und selbst hier war sein tatsächlicher Einfluß jenseits von Lippenbekenntnissen fast gleich Null. Wirklich, niemand brauchte dieses Buch! Offensichtlich brauchte die „Arbeiterklasse“ Marx überhaupt nicht! Der Marxismus wurde erst einflußreich, als die provinzlerischen Russen, die die deutsche Sozialdemokratie als unhinterfragbaren „westlichen Fortschritt“ angenommen hatten, ihre Revolution machten. Danach war Marx ein fester Bestandteil der kommunistischen Pest, kam wegen der Sowjetunion (und nur wegen ihr) in Mode und verschwand 1989 wieder. Heute interessiert sich niemand mehr für diesen Murx.
Der Marxismus ist kein wirtschaftswissenschaftliches Kapitel, sondern ein Problem, das bei der Emotionellen Pest einzuordnen ist!
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