Priorität beanspruchte LaMettrie ausschließlich für seine Lehre von den Schuldgefühlen, „und da kein Philosoph zu diesem Thema etwas beigetragen hat, kann mir diesen bescheidenen Erfinderruhm auch keiner nehmen“ (Anti-Seneca, S. 11). Wie Bernd A. Laska ausgeführt hat, entspricht das exakt dem von Freud geprägten Begriff „Über-Ich“ und weiter Reichs Entdeckung der charakterlichen und biophysiologischen „Panzerung“. Das wird dadurch noch bemerkenswerter, daß im Abstand von zwei Jahrhunderten bei beiden dieses Element ihrer jeweiligen Anthropologie unlösbar mit einer „Orgasmustheorie“ verbunden war.
Die erst von Christian Fernandes ins Gespräch gebrachte „These Jacques“ in der Version LaMettries (ab 1746) ist in der Tat eine Orgasmustheorie! Die 1722 von dem Medizin-Professor Gabriele-Antonio Jacques vorgebrachte medizinische Dissertation Ob aus dem Mangel des Beischlafs Krankheiten entstehen (die im krassen Gegensatz zu heute der zu prüfende Student verteidigen mußte!) dreht sich vor allem um die „Säfte“ („Humoralpathologie“), die durch regelmäßigen Geschlechtsverkehr umgeschichtet werden müssen, um keinen körperlichen und psychischen Schaden anzurichten, wozu Eifersucht, Neid, Ungeselligkeit, Gehässigkeit, Rachsucht, Mitleidslosigkeit, Lästereien etc. zählen. Umgekehrt erhält regelmäßiger Geschlechtsverkehr körperlich gesund und fördert in jeder Hinsicht „tugendhaftes“ Verhalten, nicht nur wegen der Entspannung, sondern auch, weil der Geschlechtsakt das Urbild der Gemeinschaft ist: ich kann nur glücklich sein, wenn mein Partner glücklich ist. Fernandes:
Aufgrund des kausalen Zusammenhangs von Sexualität und Tugend sagt Jacques zu Beginn auch, der Geschlechtsverkehr sei „der Gemeinschaft verlockendes Band“. La Mettrie muß fasziniert gewesen sein von dieser neuen Sichtweise auf die Sexualität als Grundlage von Moral und Gesellschaft. (S. 20)
In wenigen Sätzen haben wir hier die Orgasmustheorie mit ihren medizinischen, psychologischen und soziologischen Aspekten sowie das fundamentale Gegensatzpaar von Emotioneller Pest (Eifersucht, Neid, Ungeselligkeit, Gehässigkeit, Rachsucht, Mitleidslosigkeit, Lästereien etc.) und Arbeitsdemokratie vor uns. Zu letzterer zitiere ich wieder Fernandes:
In La Mettries „tugendhafter Lust“ (…) ziehe ich den Nutzen direkt aus dem Glück des anderen (…). Mein Glück hängt unmittelbar von seinem ab. Diese Anthropologie der Mitfreude gründet er auf das Phänomen der sexuellen Lust als „Glück, das sich verdoppelt, indem es sich teilt“, bzw. wichtigstes Instrument der Natur, „um uns glücklich zu machen, indem sie das Objekt glücklich macht, das sich das Glück mit uns teilt“. Die sexuelle „jouissance mutuelle“ [gegenseitiger Genuß] ist aus seiner Sicht verallgemeinerungsfähig und Prinzip der für mich und [für] alle optimalen gesellschaftlichen Ordnung: „Hätte sich die Natur ein köstlicheres Band ausdenken können, um die Gesellschaft zu bilden?“
Auf die erstaunliche Parallelität, die sich bei LaMettrie zur Charakteranalyse findet, werde ich morgen im Zusammenhang mit dem Stichwort „Ironie“ eingehen!
Der Rest, nämlich eine praktisch komplette Vorwegnahme der Sexualökonomie ergibt sich fast von selbst:
Zunächst ist da die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Trieben. In den Worten Fernandes‘: „Wird“, LaMettrie zufolge, „die Lust über das gesunde Maß hinaus eingeschränkt, geht zusammen mit ihr auch die Tugendfähigkeit verloren und es entstehen lasterhafte Charakterzüge.“ Dabei wird aus „Wohl-Lust“, um ein Wort zu verwenden, das Laska in diesem Zusammenhang geprägt hat, „Wüst-Lust“ (S. 86).
Dies geht einher mit der Unterscheidung zwischen eigentlicher, natürlicher Moral und der Zwangsmoral. Fernandes erläutert LaMettries Sichtweise wie folgt: „Die ‚erfundene‘, ‚religiöse‘, ‚gebieterisch befehlende‘ Moral der Kultur erzeugt antisoziale Neigungen, die vorher gar nicht vorhanden waren, die ‚Moral der Natur‘ hegt und pflegt die natürlichen Neigungen, die bereits sozial orientiert sind.“ Fernandes hebt dabei wiederholt hervor, daß „La Mettrie zufolge [die] lustfeindliche Moral das asoziale Verhalten allererst erzeugt, das sie dann zwar unterdrücken soll, aber häufig nicht mehr unterdrücken kann“ (S. 89).
All das hat, wie beim Arzt Wilhelm Reich Ende der 1920er Jahre, auch bei seinem Kollegen LaMettrie politische Konsequenzen, denn dieser „definiert Gesundheit im klinischen Sinne und [sie] ist [für ihn] zugleich Prinzip einer qualitativ besseren Gesellschaft“ (S. 144). Fernandes führt näher aus:
Wenn der medizinische Ansatz so universell ist, daß er auch Sittlichkeit und Vernunftfähigkeit umfaßt, liegt es nahe, sich als Arzt in die Politik einzumischen. Basiert die soziale Ordnung auf der Tugendhaftigkeit der Einzelnen und hängt diese von der Fähigkeit zur „Empfindung der Wollust“ ab, welche durch die soziale Umwelt stark beeinträchtigt wird, so ergibt sich daraus eine konsequente politische Forderung. (…) Einen gewaltsamen Umsturz der Verhältnisse kann La Mettrie aufgrund seiner tiefenpsychologischen Einsichten nicht gemeint haben. Denn eine nach Maßgabe der „tugendhaften Lust“ qualitativ andere Gesellschaft ist nur möglich, wenn die massenhaft manipulierte psychophysische Struktur der Individuen sich ändert. Daher hatte er zuallererst eine Revolution der Pädagogik im Auge, einen Verzicht auf die traditionelle Form der Enkulturation, die in einem „irrationalen Über-Ich“ (Laska) resultiert. (S. 68)
Wir sind beim krönenden Abschluß von Reichs sozialem Engagement, dem Konzept „Kinder der Zukunft“ angelangt. Bei La Mettrie 1746… Fernandes referiert:
Junge und Mädchen werden hier gedanklich in den Naturzustand versetzt. „Allein“, „ohne Erziehung“ würden sie nur der „zärtlichen Neigung der Natur“ folgen, der Lust, „die eine Tugend ist“. Außerhalb des Naturzustandes, unter sozialem Einfluß hätten sie „Vorurteile“ und „Schuldgefühle“, könnten darum dieser tugendhaften Lust nicht uneingeschränkt folgen, was zum Bösewerden ihrer Neigungen führte. Warum? Weil die „Seele“ der „jungen Herzen“ nur deswegen „rein“ ist, weil sie noch nicht von „Reue vergiftet“ wurde. Reue, die auf gesellschaftlich bedingte Vorurteile und Schuldgefühle zurückgeht, macht die Herzen „unrein und verdorben“, also böse, indem sie ihnen die „Freude“ nimmt. Im Naturzustand hingegen würden sie ein glückliches Liebesverhältnis miteinander eingehen. (…)* Sie lebten „glücklich“ unter den „Gesetzen der Natur“. Diese „glücklichen Kinder“ rief La Mettrie zu Beginn der École de la volupté [1746] an. Von ihnen als Inbegriff der „tugendhaften Lust“ wollte er sich bei der Abfassung des Werks inspirieren lassen. (S. 26f)
Das ist der Kern von LaMettries „Wollustschriften“. Im dazu komplementären Anti-Seneca (1748) hingegen „geht es um die Bekämpfung der repressiven Moral der Kultur, die in der frühkindlichen Erziehung verinnerlicht wird und sich auch später beim Erwachsenen auswirkt, nämlich in unnötigen Schuldgefühlen, die ihm das Leben vergällen“ (S. 88). Ich verweise zurück auf den Anfang dieses Blogeintrags.
* Nachbemerkung: Die mit einem Stern gekennzeichnete Streichung betrifft folgenden Satz, der LaMettries Lehre getreu widergibt: „Sind sie blutsverwandt, so käme das ihrer Liebe sogar zugute. Das soziale Tabu der Geschwisterliebe spielte für sie keine Rolle.“ Siehe dazu den gestrigen Blogeintrag unter den Stichworten „Inzest“ und „Inzucht“!
Das große Verdienst von Christian Fernandes ist es, mit seiner bahnbrechenden philosophiegeschichtlichen Studie über die „tugendhafte Lust“ die Orgasmustheorie, Charakteranalyse („Lehre von der Schuldgefühlen“) = Sexualökonomie = Orgonomie neu begründet zu haben, ohne auf Wilhelm Reich rekurrieren zu müssen, der zum Glück (sic!) nur am Rande erwähnt wird, LaMettrie reicht dazu nämlich vollkommen aus. Hier ein beliebiges Zitat aus Fernandes‘ Doktorarbeit:
In einer atheistischen Gesellschaft wären die Sterblichen „ruhig“. „Tranquilles“ bedeutet im Kontext friedlich, frei von der durch Religion kriegerisch gewordenen Natur. Die Religion nimmt im Homme machine genau die Stelle ein, die ein Jahr später im Discours sur le bonheur den Schuldgefühlen zukommt. Die „ruhige und tugendhafte Lust“ der idealen Gesellschaft dort entspricht der Ruhe der Sterblichen in der atheistischen Gesellschaft hier. Sie verhalten sich nicht bösartig, sondern ruhig, friedlich, tugendhaft, weil sie ohne den negativen Einfluß der Religion nur den „spontanen Ratschlägen ihres eigenen Ichs“, ihrer unverfälschten, reinen Natur, den angeborenen Triebfedern, ihrer per se tugendhaften Lust folgen. Für „jede andere Stimme“ sind sie „taub“. Da die Verunreinigung, die Infizierung der Natur durch Einflüsterung „anderer Stimmen“ der Ursprung des Bösen ist, sind sie immun dagegen, eine Neigung zum Bösen zu entwickeln. Anderen zu schaden, kommt für sie nicht infrage. Die von La Mettrie gemeinte Strafe, die auf die Mißachtung jener Ratschläge der Natur folgt, sind persönliches Leid, aber auch ein gesteigertes Aggressionspotential und das schreckliche gesamtgesellschaftliche Unglück, das daraus entsteht.
Daß die Tugend der Weg zum Glück sei, könnte als Gemeinplatz mißverstanden werden. Das Spezifikum La Mettries, die Parallele zur „Moral der Natur“ des Discours préliminaire verbirgt sich in der Aussage, daß diese „Pfade der Tugend“ selbst bereits „angenehm“ sind. Der Weg zum Glück führt also über das Glück selbst, über das dem natürlichen Luststreben Angenehme, nicht über Entsagung, Opfer, Unterdrückung des Eigenwillens. Das Angenehme, das Glück ist mit der Tugend verknüpft. Die Lust selbst ist tugendhaft und begründet das Wohlergehen des Einzelnen sowie der Gesellschaft, weil die Natur des Menschen so beschaffen ist, daß die eigene Lust von der des anderen abhängt und sie daher aus eigenem Antrieb befördert. Darin besteht „das natürliche Gesetz“ der Moral. Wird ihm gemäß erzogen, entsteht der „rechtschaffene Mensch“, auf den man sich verlassen, dem man vertrauen kann. (S. 23f)
Dieses Buch sollte Pflichtlektüre jedes „Reichianers“ sein, denn allzuleicht wird die Beschäftigung mit Reich zur Routine, nur bloßen intellektuelle Geste und zur Gebetsmühle, die ständig „orgonomisch korrektes“ Zeugs absondert. Mit Fernandes‘ nach 300 Jahren erstmaliger Freilegung des Kerns der LaMettrie’schen Philosophie, wurde uns die Chance eines Innewerdens unseres Eigensten möglich gemacht und damit die Chance eines Neuanfangs geboten, sozusagen „Orgonomie ohne Wilhelm Reich“.
Die Ehre LaMettrie (zusammen mit Max Stirner) für die Orgonomie entdeckt zu haben, kommt natürlich Bernd A. Laska zu, doch das beschränkte sich auf die Lehre von den schädlichen Schuldgefühlen = Charakteranalyse = Panzerung = Über-Ich. Daß dies bei LaMettrie (genauso wie bei Wilhelm Reich) mit der Lehre von der tugendhaften Lust = Orgasmustheorie = Sexualökonomie untrennbar verbunden ist, hat (nach ersten Andeutungen bei Laska) erst Fernandes im vollen Umfang gezeigt.
LaMettrie war der „Wilhelm Reich des 18. Jahrhunderts“ und wurde deshalb mit aller Wahrscheinlichkeit auch ermordet. Beide sahen sich jeweils als „neuer Prometheus“, der die Flamme der Wollust bringt und damit gleichzeitig die Zivilisation begründet. Bisher herrscht die bloße Barbarei!
DANKE Bernd A. Laska! DANKE Christian Fernandes! Wenn jetzt noch jemand eine Brücke von LaMettrie nach, keine Ahnung, Luigi Galvanis „animalischer Elektrizität“ oder Franz Anton Mesmers „animalischem Magnetismus“ = Orgonenergie schlägt…
Man erlaube mir dazu einen Anhang, denn mir fällt dazu folgendes ein:
Victor Frankenstein war in Mary Shelleys Roman „der neue Prometheus“ – der so, praktisch in der gleichen Funktion, in La Mettries Der Mensch als Maschine (Laskas Ausgabe, S. 83) auftritt. Seine Maschine bzw. sein „Monster“ wurde durch eine „atmosphärische Lebenskraft“ ins Leben gerufen, zu der Shelley von Galvanis Experimenten und der Praxis des Mesmerismus inspiriert worden war – kurioserweise auch durch die Arbeit von Mesmers Nemesis, Benjamin Franklin, mit Gewitterblitzen. Und drittens: ihr Roman dreht sich, vor dem Hintergrund der Geschichte der Aufklärung seit LaMettrie und der durch Rousseau initiierten Romantik um die tugendhafte Lust bzw. deren Negation.
Der Entstehungszeitraum von Mary Shelleys Frankenstein fällt in eine (…) Phase hoher technischer, medizinischer und allgemein naturwissenschaftlicher Fortschrittsdynamik. L’Homme machine des französischen Arztes und Philosophen Julien Offray de La Mettrie scheint ebenso die Zeit zu prägen und die Idee eines Maschinen-Menschen zu beflügeln wie die Erfindung der Elektrizität und die Versuche mit der solchen von Luigi Galvani (Galvanismus).
Beeinflußt von Philosophen der Aufklärung wie Rousseau und Smith, feiern romantische Schriftsteller wie Coleridge und Percy Shelley die erhabene Kraft der sympathischen Liebe, die das Selbst und den anderen (sei er menschlich oder unmenschlich) zu einem wundersamen Ganzen verschmelzen läßt und damit die Gefahren der Einsamkeit und des Solipsismus ausschließt. Nicht alle romantischen Schriftsteller teilen jedoch die gleiche sanguinische Sicht der Liebe. In Frankenstein zum Beispiel bietet Mary Shelley eine Alternative zur optimistischen Sichtweise auf die Fähigkeit zur (gegenseitigen) Sympathie. Sie formt den Roman zu einer Geschichte bitterer Einsamkeit, die durch den Mangel an sympathischem Verständnis zwischen Victor und der Natur, zwischen dem Monster und den De Laceys und zwischen dem Monster und seinem Vater Victor verursacht wird. In diesen wechselseitigen Beziehungen, so meine These, beschwört Shelley Elemente der aufklärerisch-romantischen Liebe herauf, nur um deren erhabene Kraft zu widerrufen und sie darüber hinaus in Verzweiflung zu verwandeln. Anstelle der romantischen Freude der transzendenten Fülle ist der Roman von gothic Verzweiflung, der völligen Negation der Erlösung, umhüllt.
Da das Monster nicht liebenswert ist, sich aber nach Liebe sehnt, rastet es aus und wird zum – Monster. „Das Wesen, das [Frankenstein] erschafft, trägt die ganze menschliche Natur in sich. Es verlangt nach Liebe, ist aber physisch nicht liebenswert, und Dr. Frankenstein verweigert ihm jede Möglichkeit der Liebe. Im Gegenzug und aus freiem Willen entscheidet es sich, die Liebesbeziehungen anderer zu zerstören“ (hier). Es ist bezeichnend, wie sehr Mary Shelleys abgründiger Horrorroman über einen „LaMettrie“ (gleichzeitig auch „Anti-LaMettrie“) und die tugendhafte Lust (bzw. die dramatischen Folgenden unterdrückter Lust) seit 200 Jahren die Menschen absolut unwiderstehlich in seinen Bann zieht…
Der Roman ist eine Erzählung über den Maschinenmenschen mit einer „romantischen“ Wendung („Lebenskraft“), über das Schuldgefühl (das Victor zerfrißt und von dem sein namenloses „Monster“ vollkommen frei ist – mit verheerenden Folgen) und nicht zuletzt eine über die „aufklärerisch-romantische Liebe“, die auf LaMettries „tugendhafte Lust“ zurückgeht und die verheerenden Folgen, wenn das Liebesbedürfnis zerstört wird. Victor liebt seinen künstlichen „Sohn“ nicht und tötet dessen künstliche Gefährtin sofort nach deren Erschaffung. Vielleicht lese ich zuviel hinein, aber zu diesem Thema paßt auch etwas, das für einen LaMettrie-Kenner kein Zufall sein kann: daß Victor Frankensteins Romanze mit Elizabeth Lavenza (die aus Rache vom „Monster“ getötet wird), jedenfalls in der ursprünglichen, unveränderten Originalversion des Romans von 1818, inzestuöse Geschwisterliebe war.
Max Stirner zu lesen, ist manchmal nicht einfach, das gilt nicht nur für seine kleineren Schriften, die er vor Der Einzige und sein Eigentum für Periodika unter den Bedingungen der Zensur verfaßte und weil er mehr oder weniger in die Tagespolitik eingreifen wollte, sondern auch für sein besagtes Hauptwerk selbst. Man kann das Buch leicht so lesen, als wolle Stirner hier beispielsweise die Philosophiegeschichte wie ein zweiter Hegel darstellen. Tatsächlich wählt er aber nur aus, was seiner Argumentation zu paß kommt und destruiert alle „Dialektik“, die in der Weltgeschichte einen rationalen Ablauf erkennen will. Tatsächlich geht es ihm um einen radikalen Bruch. Nach der (im Hegelschen Sprachgebrauch) kindlichen Negerhaftigkeit der Fetischsierung der Materie und der (wieder im Hegelschen Sprachgebrauch) jugendlichen Mongolenhaftigkeit der Vergeistigung, die die Christen dazu brachte alle heidnischen Idole als null und nichtig zu zerschlagen, geht es Stirner darum, dem gesamten Spuk, d.h. nicht nur der „Materie“, sondern vor allem auch dem „Geist“, ein Ende zu setzen. Nach den Griechen und den Christen kommt ein Bruch und der Eigner tritt auf den Plan. Nach den Dingen und ihrer Abstraktion – Bruch: die unmittelbare Leibhaftigkeit tritt hervor. Das ist keine dialektische Entwicklung, sondern, ganz im Gegenteil, die beiden gegebenen Elemente („Materie“ und „Geist“) sind bloße Verzerrungen, Fehlwahrnehmungen, einer grundlegenden Realität, nämlich der Funktion.
Die Einheit des Eigners mit sich und der Welt wurde dadurch aufgelöst, daß der Eigner einen Teil seiner Eigenheit preisgab, wodurch ssich eine verselbständige Objektwelt herausbildete. (Bernd Kast: Die Thematik des „Eigners“ in der Philosophie Max Stirners, Bonn 1979, S. 237)
Der Eigner markiert den Bruch mit dieser dialektischen Entwicklung und den radikalen Neubeginn: Stirner hat die Entzweiung als Verdunkelung der Ursprünglichkeit aufgedeckt und nimmt sie im Eigner zurück. Er, der Eigner, ist der konkrete, existentielle Gegensatz zum dialektischen Fortschreiten von Bewußtseinsstufe zu Bewußtseinsstufe: „Ich bin Eigner der Welt der Dinge, und ich bin Eigner der Welt des Geistes“ (EE 72; ebenso EE 102). (ebd., S. 230)
Alles spielt eine Rolle nur in Bezug auf mich, dem Leibhaftigen. Die negerhaften Heiden waren Besessene, die auf einen bloßen Spuk hereinfielen, aber die mongolenhaften Christen, die das vermeintlich überwunden haben, waren noch größere Deppen. Die ersteren waren Kinder, die sich naiv an der Materie erfreuten, die letzteren bilderstürmerische Jugendliche, die der „Gedankenfreiheit“ frönten. Nunmehr aber tritt der erwachsene Germane an ihre Stelle und ist Eigner nicht nur der Dinge, sondern auch des Geistes. Stirner:
Wenn das Kind nicht einen Gegenstand hat, mit welchem es sich beschäftigen kann, so fühlt es Langeweile: denn mit sich weiß es sich noch nicht zu beschäftigen. Umgekehrt wirft der Jüngling den Gegenstand auf die Seite, weil ihm Gedanken aus dem Gegenstande aufgingen: er beschäftigt sich mit seinen Gedanken, seinen Träumen, beschäftigt sich geistig oder „sein Geist ist beschäftigt“.
Alles nicht Geistige befaßt der junge Mensch unter dem verächtlichen Namen der „Äußerlichkeiten“. Wenn er gleichwohl an den kleinlichsten Äußerlichkeiten haftet (z.B. burschikosen und andern Formalitäten), so geschieht es, weil und wenn er in ihnen Geist entdeckt, d.h. wenn sie ihm Symbole sind.
Wie Ich Mich hinter den Dingen finde, und zwar als Geist, so muß Ich Mich später auch hinter den Gedanken finden, nämlich als ihr Schöpfer und Eigner. In der Geisterzeit wuchsen Mir die Gedanken über den Kopf, dessen Geburten sie doch waren; wie Fieberphantasien umschwebten und erschütterten sie Mich, eine schauervolle Macht. Die Gedanken waren für sich selbst leibhaftig geworden, waren Gespenster, wie Gott, Kaiser, Papst, Vaterland usw. Zerstöre Ich ihre Leibhaftigkeit, so nehme Ich sie in die Meinige zurück und sage: Ich allein bin leibhaftig. Und nun nehme Ich die Welt als das, was sie Mir ist, als die Meinige, als Mein Eigentum: Ich beziehe alles auf Mich. (Der Einzige und sein Eigentum, S. 14)
Was gemeint ist, wird durch die Fehl- bzw. Trivialinterpretation von Stirners (Anti-) Philosophie wohl am deutlichsten: Du und gar deine Ideen sind mir egal! Was springt vielmehr für mich dabei raus? Tatsächlich hat die Sprache (Gedanken) hier ihre Grenzen. Um sich verständlich zu machen, mußte Stirner, wie oben dargelegt, beispielsweise auf Hegels Darstellung zurückgreifen und von der Phylo- und Ontogenese des Menschen schwadronieren. Alles nur, um etwas schwer Formulierbares doch irgendwie zu vermitteln.
Der Einzelne ist nicht mehr Ziel-, sondern Ausgangspunkt, d.h. nicht ich habe einen Beruf, sondern umgekehrt: ich „berufe“. Wenn ich die Dinge und Gedanke zu meinem Eigentum mache und sie „verwerte“, d.h. sie so benutze, wie ich sie gewertet habe, funktionalisiere ich sie.
1847 schrieb Marx in Bezug auf Hegels dialektische Methode:
[Die These spaltet sich] indem sie sich selbst entgegenstellt, in zwei widersprechende Gedanken, in Positiv und Negativ, in Ja und Nein. Der Kampf dieser beiden gegensätzlichen, in der Antithese enthaltenen Elemente bildet die dialektische Bewegung. Das Ja wird Nein, das Nein wird Ja, das Ja wird gleichzeitig Ja und Nein, das Nein wird gleichzeitig Nein und Ja; auf diese Weise halten sich die Gegensätze die Waage, neutralisieren sie sich, heben sie sich auf. Die Verschmelzung dieser beiden widersprechenden Gedanken bildet einen neuen Gedanken, die Synthese derselben. Dieser neue Gedanke spaltet sich wiederum in zwei widersprechende Gedanken, die ihrerseits wiederum eine neue Synthese bilden. Aus dieser Zeugungsarbeit erwächst eine Gruppe von Gedanken. Diese Gedankengruppe verfolgt dieselbe dialektische Bewegung wie eine einfache Kategorie und hat zur Antithese eine gegensätzliche Gruppe. Aus diesen zwei Gedankengruppen entsteht eine neue Gedankengruppe, die Synthese beider. Wie aus der dialektischen Bewegung der einfachen Kategorien die Gruppe entsteht, so entsteht aus der dialektischen Bewegung der Gruppen die Reihe (série) und aus der dialektischen Bewegung der Reihen das ganze System. (…) So ist für Hegel alles, was geschehen ist und noch geschieht, genau das, was in seinem eigenen Denken vor sich geht. So ist die Philosophie der Geschichte nur mehr die Geschichte der Philosophie, seiner eigenen Philosophie. Es gibt keine „Geschichte nach der Ordnung der Zeit“ mehr, sondern nur noch die „Aufeinanderfolge der Ideen in der Vernunft“. Er glaubt, die Welt mittelst der Bewegung des Gedankens konstruieren zu können, während er nur die Gedanken, die in jedermanns Kopf sind, systematisch rekonstruiert und nach der absoluten Methode klassifiziert. (Das Elend der Philosophie)
Bei aller Polemik gegen den „Hegelianer“ Proudhon, gegen den Das Elend der Philosophie geschrieben ist, wird doch zweierlei klar: Die Bifurkation („die These spaltet sich“) hin zu einer „Reihe“, also eine Ahnung von den orgonometrischen Gleichungen und, zweitens, in der Polemik gegen Hegel selbst, wird von Marx zwischen „Geschichte nach der Ordnung der Zeit“ und „Aufeinanderfolge der Ideen in der Vernunft“ unterschieden. Das letzere deutet auf eine spontan funktionierende „absolute Selbstbewegung“, die der Wirklichkeit und damit auch der Zeit selbst zugrundeliegt.
Lenin in seiner Anfang des Ersten Weltkriegs verfaßten Notiz „Zur Frage der Dialektik“ drückt sich, nicht zuletzt durch die Vorarbeiten von Engels, noch „orgonometrischer“ aus:
Spaltung des Einheitlichen und Erkenntnis seiner widersprechenden Bestandteile (…) ist das Wesen (…) der Dialektik. (…) Dieser Seite der Dialektik wird gewöhnlich (…) nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet: die Identität der Gegensätze wird als Summe von Beispielen genommen (…) nicht aber als Gesetz der Erkenntnis (und Gesetz der objektiven Welt). In der Mathematik + und –, Differential und Integral, in der Mechanik Wirkung und Gegenwirkung, in der Physik positive und negative Elektrizität, in der Chemie Verbindung und Dissoziation der Atome, in der Gesellschaftswissenschaft Klassenkampf. Identität der Gegensätze (…) bedeutet Anerkennung (Aufdeckung) widersprechender, einander ausschließender, gegensätzlicher Tendenzen in allen Erscheinungen und Vorgängen der Natur (darunter auch des Geistes und der Gesellschaft). Bedingung der Erkenntnis aller Vorgänge in der Welt in ihrer „Selbstbewegung“, in ihrer spontanen Entwicklung, in ihrem lebendigen Leben, ist die Erkenntnis derselben als Einheit von Gegensätzen. Entwicklung ist „Kampf“ der Gegensätze. Die beiden grundlegenden (…) Konzeptionen der Entwicklung (Evolution) sind: Entwicklung als Abnahme und Zunahme, als Wiederholung, und Entwicklung als Einheit der Gegensätze (Spaltung des Einheitlichen in einander ausschließende Gegensätze und das Wechselverhältnis zwischen ihnen). Bei der ersten Konzeption der Bewegung bleibt die Selbstbewegung, ihre treibende Kraft, ihre Quelle, ihr Motiv im Dunkel (oder diese Quelle wird nach außen verlegt – Gott, Subjekt etc.). Bei der zweiten Konzeption richtet sich die Hauptaufmerksamkeit gerade auf die Erkenntnis der Quelle der Selbstbewegung. Die erste Konzeption ist tot, farblos, trocken. Die zweite lebendig. Nur die zweite liefert den Schlüssel zu der „Selbstbewegung“ alles Seienden; nur sie liefert den Schlüssel zu den „Sprüngen“, zum „Abbrechen der Allmählichkeit“, zum „Umschlagen in das Gegenteil“, zum Vergehen des Alten und Entstehen des Neuen. Die Einheit (Kongruenz, Identität, Wirkungsgleichheit) der Gegensätze ist bedingt, zeitweilig, vergänglich, relativ. Der Kampf der einander ausschließenden Gegensätze ist absolut, wie die Entwicklung, die Bewegung absolut ist. (Lenin: Werke, Bd. 38, S. 338f)
Die folgenden 10 Punkte meines Programms für dieses Land sind keine weltfremde Utopie (zur Hölle mit allen Utopien!), sondern schlichtweg gesunder Menschenverstand. „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen!“ Der heutige Zustand entstammt weltfremdem Schwachmatentum – das eh sehr bald kollabieren wird… Man vertue sich nicht: Ich habe rein gar nichts gegen das Grundgesetz (in seiner ursprünglichen, unverrotgrünten Fassung!) oder gegen den föderativen Aufbau des Staatsapparats. Ich bin weder Anarchist, noch Sozialist oder überhaupt irgendein „…ist“. Ich will nur Effizienz, Einfachheit, gesunden Menschenverstand, deutsche Tugenden!
1. Die heutigen Grenzen der BRD entsprechen weitgehend den Kernländern des angestammten Reiches der vereinigten deutschen Stämme (Sachsen, Thüringer, Franken, Alemannen etc.) und sollten so, wie sie jetzt sind, feierlich auf alle Zeiten festgeschrieben werden. SCHLUSSSTRICH! Deutschland muß frei und absolut unabhängig sein. Ein Freund und Partner grundsätzlich aller Völker dieses Planeten ohne jedweden Unterschied.
2. Das bedeutet aber auch, daß dies das Land der DEUTSCHEN ist! Gerne kann jeder, egal welcher Herkunft, sich uns anschließen, wie es seit Urzeiten bei jedem Menschenstamm üblich war – solange er sich 100%ig und unwiederbringlich zu Deutschland und seiner über Tausendjährigen Geschichte bekennt und unser Genpool nicht vollkommen uncharakteristisch wird. Es gilt: dies ist ein Land, Deutsch-Land, EINE SCHICKSALSGEMEINSCHAFT, kein austauschbarer Siedlungsraum! Das sind wir der Buntheit und Diversität der Völkergemeinschaft schuldig!
3. Der Staat schrumpft auf seine eigentlichen Funktionen zusammen und muß dezidiert unideologisch sein. Jedwede „weltanschauliche“ Einflußnahme des Staates auf die Bevölkerung sollte durch die Verfassung strengstens untersagt sein. EINE UNAUSSPRECHLICHE UNGEHEUERLICHKEIT! Das Volk ist der Souverän!!!! (Ich werde am Ende auf diesen entscheidenden Punkt zurückkommen.)
4. Sämtliche Gesetze, die seit 1973, d.h. seit der kompletten Ideologisierung des Staates, erlassen wurden, werden gestrichen, bis auf wenige unausweichliche Ausnahmen, und das Parlament tut alles, um im Laufe der Zeit die restlichen Gesetze bis auf ein Mindestmaß zusammenzustreichen. Das gleiche gilt für das Grundgesetz, wobei die Grundrechte nicht nur erhalten, sondern in ihrer Gültigkeit nochmals unterstrichen werden. SIE SIND ANDERS ALS HEUTE WIRKLICH UNVERÄUSSERLICH UND OHNE JEDES WENN UND ABER ABSOLUT! Beispiel: Eine Zensur findet nicht statt. Punkt.
5. Parteien spielen keine Rolle mehr. Pseudoreligiöse Spinner! Das Parlament wird allein durch Direktmandate beschickt und der einzelne Abgeordnete ist TATSÄCHLICH einzig und allein seinem eigenen Gewissen gegenüber verantwortlich. Aufgabe des Parlaments ist nicht das Erlassen immer neuer Gesetze – bis auf unausweichliche Ausnahmefälle, sondern das Kontrollieren des Staatshaushaltes. Leute, die Politik zu ihren Beruf machen wollen, gehören als die gemeingefährlichen Parasiten, die sie sind, nicht in die Parlamente, sondern ins Zuchthaus oder in die Irrenanstalt!
6. Sämtliche Steuern werden gestrichen, dafür muß wirklich jede natürliche und juristische Person (vom Bettler bis zum Multimilliardär) ausnahmslos genau 10% ihrer monatlichen Einnahmen an den Staat abführen, was auch unbedingt kontrolliert und bei Nichterfüllung hart bestraft wird.
7. Da es keinerlei Steuerschlupflöcher mehr gibt, wirklich JEDER diese Abgabe leisten kann und der Staatsapparat bis auf ein absolutes Mindestmaß (Feierabendparlament, fünf Minister mit angeschlossener Miniverwaltung) zusammengestutzt wird, reicht dies allemal für sämtliche Staatsausgaben inkl. Landesverteidigung – VERTEIDIGUNG! Ohnehin wird eine von Bürokratie und Abgabenlast befreite Wirtschaft aufblühen und entsprechend mehr an den Staat abführen.
8. Die Zentralbank wird abgeschafft und an ihre Stelle tritt ein freier Währungsmarkt unter der Bedingung, daß die jeweilige Währung goldgedeckt sein muß und deshalb alle Währungen untereinander problemlos kompatibel sind. Der besagte Markt dreht sich letztendlich darum, welche Golddeckung am glaubwürdigsten ist. (Eine 100%ige Golddeckung wird ewig eine Illusion bleiben, aber nichtsdestotrotz ein anzustrebendes Ziel.)
9. Politik verschwindet aus dem öffentlichen Raum, da sie dem Wesen des deutschen Menschen in keinster Weise entspricht. Unser Metier sind Kunst, Musik und Literatur, Philosophie, Technik und Wissenschaft! In diesen Bereichen, insbesondere aber im Bereich von Wissenschaft und Medizin, herrscht ABSOLUTE Freiheit im Rahmen und im Geiste der unveräußerlichen Grundrechte.
10. Der Staat ruht auf Grundpfeilern, die er nicht nur nicht geschaffen hat, sondern die er ständig gefährdet: Liebe, Arbeit und Wissen. Wenn es irgendeine „Staatsaufgabe“ gibt, dann die: zum Ausgleich dieser pestilenten Grundtendenz des Staates die Grundfunktionen des Lebendigen nicht nur zu „tolerieren“, sondern aktiv zu unterstützen. Hinzu kommt, daß der Staat der Unterdrückung sekundärer Triebe dient, dabei es aber fast zwangsläufig immer wieder zu Übergriffen auf die primären Triebe kommt. Dem muß der Staat aktiv entgegenarbeiten. Von „Wertfreiheit“ kann also keine Rede sein. Der Maßstab ist immer das unverstellte gesunde Lebensempfinden, das gesunde Empfinden des deutschen Volkstums. Aufgabe des Staates ist es, dieses Deutschtum zu wahren, die Überfremdung rückgängig zu machen und die Quellen unserer Existenz rein zu halten.
Manchmal muß ich auch beim Dipl.-Ing. Laska den Kopf schütteln, weil er merkwürdig starr wie ein Ingenieur denkt. Beispielsweise, wenn Schmitz erläutert, daß auch, wenn man dem inneren Daimon folgend am Ziel angelangt ist, man immer noch „teleologisch“ weiterwirkt. Ob der Mensch dann, so frägt Laska, neue Ziele anstrebt, so als ob Schmitz nicht eindeutig Goethes Maxime zitiert hatte: „Erwirb es, um es zu besitzen.“ Wenn mich etwa mein Daimon dazu treibt, einen Schrebergarten herzurichten und ich schließlich das Ziel erreiche: bis zu meinem Lebensende werde ich trotzdem am Schrebergarten „teleologisch“ rumwerkeln der Zielvorgabe „Schrebergarten“ folgend. Und so in allem. Was ist daran so schwer zu begreifen? Außer man ist in der mechanischen Logik eines Statikers gefangen! (S. 198).
Schmitz führt aus, daß Menschen je nach Veranlagung von ihrem Daimon oder vom Zu-Fall, letztendlich dem „Göttlichen“, geführt werden bzw. von beidem. Du hast einen unbedingten inneren Drang oder etwas Zwingendes überkommt dich oder beides in unterschiedlichem Mischverhältnis. Reich ist dafür das beste Beispiel. Einerseits seine Lebensmission seit dem tragischen Selbstmord seiner Mutter, andererseits seine Hypersensibilität für, um mit Schmitz zu sprechen, „Atmosphären“.
Aus dem, was ich in den bisherigen Teilen dieser, wenn man so will, „Buchbesprechung“ geschrieben habe, könnte man schließen, daß ich gerne auf Schmitz verzichten würde und nur die Laska-Briefe für wertvoll erachte. Nein! Auch wenn ich durch Schmitz manchmal bis zum Anschlag schlichtweg genervt bin: er ist das perfekte Gegengift gegen Laskas „Wahnsinn“. Und genau das macht die objektive Großartigkeit dieses Buches aus.
Das ganze ist erwähnenswert und geradezu tragikomisch, weil Laskas einerseits versucht Schmitz‘ Begriff „starker Daimon“ und Stirners „Eigner“ gleichzuschalten, dabei aber andererseits die Grundlage seiner eigenen (Para-) Philosophie ganz aus den Augen verliert, den glücklichen, „serenen“ Zufall. Auch in dieser Korrespondenz taucht Laskas Lieblingswort mit penetranter Regelmäßigkeit auf: „serendipity“ – der glücklich Zufall oder, mit anderen Worten, der „göttliche Zu-Fall“. (BTW: Wenn jemand Fremdwörter benutzt, soll fast immer etwas verborgen bzw. verdrängt werden! Das gilt im übrigen auch für Schmitz, beispielsweise seine „implantierende Situation“ = „einpflanzende Gegebenheit“.)
Laskas Gott ist die Welt: „Von Anfang an waren es nicht die Dinge, die meine Ataraxie störten, sondern die Meinungen über sie. Zu den Dingen hatte und habe ich ein unerschütterliches Urvertrauen. Es geht, davon bin ich überzeugt, in der Welt mit rechten Dingen zu“ (S. 213). Sowas, das wohlige Einlassen auf das, was objektiv gegeben ist, kann ein Ingenieur schreiben, nie und nimmer aber ein Physiker! Das sorgte auch stets für Irritationen zwischen uns: „…, aber Nasselstein glaubt jeden Unsinn“. Ja, ich kann zum Befremden meiner Mitmenschen sagen: „Irgendetwas stimmt nicht mit der Realität!“
Übrigens: Soweit ich das einschätzen kann, will auch der „Phänomenologe“ Schmitz mit derartigen Phänomenen nichts zu tun haben.
Nachbemerkung apropos Fremdwörter: „Ataraxie“ meint bei den alten Griechen die affektlose Seelenruhe. Schmitz versucht Laska zu erklären, daß es diese nicht geben kann, d.h. daß es im Leben immer ein Auf und Ab gibt, d.h. eine Distanzierung von den Dingen, die als mir fremd erkannt werden, und eine Resubjektivierung der Dinge, bei der die Grenzen zwischen Eigenem und Fremden wieder verschwimmen. (In orgonometrischen Begriffen Dissoziation vs. Assoziation.) Darüber hinaus hat man, ebenfalls gegen die „Ataraxie“, sozusagen „horizontal“, immer ein Ziel anzusteuern, wie oben beschrieben (die Orgonometrie dazu findet sich in Die kosmische Überlagerung), will man nicht in einem anorgonotischen Sumpf ertrinken. Man muß sich an den Kopf fassen, daß Schmitz das LSR-Projekt einfach nicht begreifen will, aber es ist kaum weniger verstörend, wie begriffsstutzig Laska gegenüber Schmitz ist!
Stark vereinfacht geht Hermann Schmitz von zwei Sündenfällen aus. Der erste ist der, den auch Reich in Christusmord beschreibt. Schmitz typisch verquast:
Der erste Sündenfall, der nach dem biblischen Mythos, besteht darin, daß die Menschen lernen, was gut und böse ist, also Vorzugsrichtungen des Verhaltens zu ihnen zustoßenden Herausforderungen nicht mehr nur blind, sondern mit Wissen und Wollen folgen können. Dabei lernen sie aber erst, was gut und böse ist, als handle es sich bei allem, was sie zu wissen nötig haben, um objektive oder neutrale Tatsachen. (…) Der erste Sündenfall schafft Halt nach außen, durch die Möglichkeit selbständiger, einsichtiger Orientierung am Gegebenen. (S. 175)
Schmitz beschreibt hier die Genese der Panzerung. Die Menschen verlieren die Unmittelbarkeit. Es ist, als wenn sich eine Wand, die Panzerung, zwischen sie und ihre Umwelt und zwischen sie und ihre Innenwelt schiebt. Bei letzterem denke man etwa an Freuds Entdeckung des unbekannten Kontinents des Unbewußten. Aber sie haben immer noch eine Orientierung sozusagen „am Sternenhimmel“ dort draußen und dem „sittlichen Gesetz“ hier innen: der Rahmen der autoritären Gesellschaft.
Der zweite Sündenfall ereignete sich, Schmitz zufolge, um das Jahr 1800 herum mit der „Entdeckung der strikten Subjektivität“ durch Johann Gottlieb Fichte (1762-1814):
Der zweite Sündenfall, der Fichte’sche, belehrt sie, daß es nicht so ist, daß sie also nicht einfach nachsehen können, was (an sich und für alle) ist und sein soll, sondern sich jeder in seinem Namen darum kümmern muß, was meine (seine) Tatsache, sein Programm, sein Problem ist. (ebd.)
Der zweite Sündenfall schafft dem Menschen Unsicherheit im Verhältnis zu sich, weil sich herausstellt, daß der Halt, der nach dem ersten Sündenfall noch gegeben war, langsam aber sicher wegbricht: alles ist subjektiv, willkürlich und unsicher.
Was Schmitz hier beschreibt, sind zwei menschheitsgeschichtliche Einschnitte, die sich vor etwa 6000 Jahren und ziemlich präzise um das Jahr 1960 ereignet haben: der Einbruch der sexuellen Zwangsmoral und damit der Körperpanzerung und der Beginn der vermeintlichen „sexuellen Revolution“ und damit die weitgehende Ersetzung der Körperpanzerung durch die okulare Panzerung. Der Einbruch des kompletten Wahnsinns von Timothy Leary bis heute, der Freigabe des Cannabis-Konsums:
Man hört geradezu wie die Körperpanzerung Anfang der 1960er Jahre zusammenbricht! An ihre Stelle tritt die komplette Orientierungslosigkeit, der radikale „Werteverfall“ und – der Tod. Seit nun über 60 Jahren macht die Menschheit diese zweite Zensur durch, deren Bedeutung man nicht überschätzen kann, – sie könnte final sein.
Einerseits muß man Schmitz zugutehalten, daß er ein Gespür dafür hat (wer sonst hat diese beiden Sündenfälle so treffend beschrieben?), andererseits ist es fundamental verfehlt, wenn er schreibt, daß der erste Sündenfall „der Ausgang aus der Selbstsicherheit des skrupellosen instinktiven Lebens in die Verantwortung rationalen Prüfens und Wägens von Gut und Böse“ war (S. 179). Der Zusammenbruch der Selbststeuerung und Einbruch des Irrationalismus und der Perversion war für ihn „rational“, das Leben davor „skrupellos“. Schmitz ist ein in der Wolle gefärbter Reaktionär: die Kultur geht vor!
Den zweiten Sündenfall, den er, wie gesagt mit Fichte (und Stirner) und dem Beginn der „ironistischen“ Romantik verbindet, will Schmitz auffangen, indem er sie sozusagen vollendet, – indem er von dem „dem Vorurteil herunterkommt, alle Tatsache müßten objektiv sein, so daß das Subjektive in eine rätselhafte Rand- und Schwebestellung gerät, für die man bald die Metapher des (selbst paradoxen) Nichts erfindet; so kommt es zum Nihilismus. Dieses Mißverständnis, und damit der Nihilismus, kann geheilt werden“ (S. 176). Die Heilung vom Nihilismus verspricht die Neue Phänomenologie, indem sie sozusagen die Welt wiederverzaubert: Subjekt und Objekt verzahnen sich wieder. Die Welt ist dann nicht mehr etwas, wo man seine Stellung in der objektiven Welt findet, „sondern (die Menschen) müssen jeweils ihre Stellung durch eigene Stellungnahme finden und ständig neu gegen Erschütterungen, emotionale Hinfälligkeit, Labilität, personale Regression, sich aufrichtend, behaupten“ (S. 183).
Mal abgesehen davon, daß ich hier „Nietzsche pur“ höre, ist das ganze nichts anderes als ein ständiges Ausweichen vor dem Wesentlichen. Platt ausgedrückt: es geht weder darum, wie du dich in der Falle verortest (wie nach dem ersten Sündenfall), noch darum, wie du zur Falle Stellung beziehst (wie Schmitz es nach dem zweiten Sündenfall uns nahelegen will), sondern erstens mußt du sehen, DASS du in der Falle sitzt, um dann zweitens diese Falle zu verlassen. Laska versucht ständig Schmitz diesen einfachsten aller Gedanken nahezubringen, aber Schmitz ist blind, verrannt. Wie ALLE Philosophie dient auch die Neue Phänomenologie dazu, die Existenz der Falle zu sichern.
Letztendlich dokumentiert das Laska/Schmitz-Buch die Diskussion zwischen einem realitätstüchtigen Erwachsenen (Laska) und einem komplett verpeilten Kind (Schmitz) – mit manchmal ganz interessanten Einsichten.
Nachbemerkung: Wie „1800“ und „1960“ vereinbaren? Der Riß von 1960, der durchaus die Vernichtung der Menschheit besiegeln könnte, hat eine lange Vorgeschichte. Man denke nur an die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, den Ersten Weltkrieg, der, nicht zuletzt in sexualökonomischer Hinsicht, den gesamten Planeten auf den Kopf gestellt hat. Man denke an Nietzsche als Seismographen einer ungeheuren Umwälzung: den Einzug des alles zerfressenden Nihilismus. Kierkegaard. „Schmitz‘ Fichte“. Die Französische Revolution. Rousseau – der auf LaMettrie zurückgeht. Das ganze ist untrennbar verbunden mit der industriellen Revolution, die bereits Goethe am Ende von Faust II thematisiert. Unter diesem ständig wachsenden Druck, die letzten Faktoren waren vielleicht die Pille und die Drogenkultur (schon zu Reichs Zeiten mit der „Beat-Generation“ vorbereitet), hat dann in den 1960er Jahren die Körperpanzerung begonnen wegzubrechen und die Augenpanzerung trat an ihre Stelle: Its a Mad Mad Mad Mad World (1963)