Archive for the ‘Wissenschaft’ Category

Email [Laskas „Kindlichkeit“] 2004

18. Dezember 2025

Email [Laskas „Kindlichkeit“] 2004

Peter Töpfer (Teil 7)

26. November 2025

Wir waren bei dem Bündnis mit dem Theismus. Töpfer sieht die Annäherung insbesondere in der Frage des Gewissens gegeben – ausgerechnet:

Das Gewissen ist das Autonome schlechthin – die tiefste Stimme. Gott, so verstanden, hat nicht nur einen Sinn und Nutzen, er ist dann der oberste oder tiefste Befehlsgeber in existentiell unklaren Lagen und Fragen. Auch wenn es den Anschein haben könnte, als sei das Gewissen eine externe Instanz (Gott), so ist es doch die innerste Instanz – die innere und eigentliche Instanz par excellence. (Hervorhebung hinzugefügt)

Und noch unglaublicher:

Eine Teileinpflanzung des Gewissens muß (…) gar nicht unbedingt schlecht sein, muß der Eigenheit des Kindes nicht widersprechen, ja, das Kind braucht zu seiner Sozialisierung und Kultivierung einen Appell an sein Gewissen. (S 78, Hervorhebung hinzugefügt)

Das ist dermaßen hanebüchen, dermaßen das diametrale Gegenteil von allem wofür LaMettrie, Stirner, Reich und Laskas gesamtes LSR-Projekt stehen… Mir fehlen schlichtweg die Worte! DAS meint also Töpfer mit „Bündnis“: Verrat an LSR!

Apropos Emotionelle Pest: Eines der Hauptmankos derartiger Unternehmungen wie Töpfers Pan-Agnostik ist das Verfehlen der Emotionellen Pest. Stattdessen wird von der angeblich unausweichlichen Tragik des menschlichen Lebens mit seinen „unaufhebbaren Gegensätzen“ schwadroniert, die man „mannhaft“ zu tragen habe. In diesem Zusammenhang zitiert Töpfer Kierkegaard: „Heirate, und du wirst es bereuen. Heirate nicht, und du wirst es ebenfalls bereuen“ (S. 55). Aber erst angesichts des absoluten Nichts würde man wirklich anfangen zu beten, denn „Nichts und Gott (sind) funktional identisch“ (S. 56). Es geht hier nämlich um die letzten Fragen der ins Nichts geworfenen menschlichen Existenz. Aber genau DAS, diese Perspektive, ist „Metaphysik“, die vom Wesentlichen, nämlich der Emotionellen Pest ablenkt – und damit die offensichtliche Funktion der Töpferschen „Pan-Agnostik“ erfüllt, – die doch vorgeblich die Wertlosigkeit der Metaphysik für die Existenz erweisen will.

Wir haben es im Leben immer genau dann mit der Emotionellen Pest zu tun, wenn wir, was immer wir auch tun, wie immer wir uns auch entscheiden, das Falsche machen, etwa heiraten oder Single bleiben. Genauso ist es stets und in jedem Fall nichts weiter als Emotionelle Pest, wenn wir vor „existentielle Dilemmata“ gestellt werden, aus denen es prinzipiell kein entkommen gibt. Am Ende würdest du doch sterben, jede Sinngebung bzw. Sinnhaftigkeit sei letztendlich Illusion, es wäre besser du wärst nie geboren worden, etc. Beides, die Ausweglosigkeit des Alltags und die „metaphysische“ Ausweglosigkeit unserer Existenz, blockiert und verunmöglicht die Lösung konkreter Probleme insbesondere die sexualökonomischer Natur. Reich hat darüber ein ganzes Buch geschrieben, Die sexuelle Revolution. Ich verweise ausdrücklich auf das Motto „Aus dem Tagebuch des Schülers Kostja Rjabzew“: Leben ist die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Die Probleme des Alltags werden wir entsprechend mit einer wirklichen sexuellen Revolution lösen. Und was die unlösbare „existentielle Not“ betrifft: zur Hölle mit Kierkegaard, Heidegger und den restlichen Dunkelmännern mit ihrem unerträglichen lebensuntüchtigen Geseier über den „Urschmerz“! Wir haben es mit dem wirklichen Leben zu tun, nicht mit den „existentiellen“ Problemen lebensferner Randexistenzen.

Ja, das sind auch Probleme, mit denen man sich auseinandersetzen kann, aber es ist wie bei den öffentlichen Sexpol-Abenden Reichs in Wien und Berlin: die genitalen Probleme der Massen werden öffentlich debattiert, während die prägenitalen Perversionen im persönlichen Gespräch mit dem Arzt besprochen werden. Außerdem wird verhindert, daß die perversen Sonderlinge den öffentlichen Raum dominieren, wie es im damaligen Berlin ansatzweise tatsächlich gegeben war. Ja, die Seelenleiden, die „existentielle Not“ und der „Urschmerz“ von schizophrenen Charakteren sind ernst zu nehmen, haben aber im öffentlichen Diskurs nichts, aber auch rein gar nichts zu suchen. Leider ist es so, daß sie heutzutage alles bestimmen und das Lebendige marginalisieren. Reich und Laska haben diese Befindlichkeiten stets ihrerseits marginalisiert!

Ein dritter Punkt, der mich ganz persönlich umtreibt, hat tatsächlich explizit mit „Gott“ zu tun, den der Agnostiker ehrfurchtsvoll auf Abstand hält, wie es die Juden mit ihrem Gott tun, dessen Namen sie nicht mal auszusprechen wagen. Hier tut sich die Lücke auf, in der der Agnostiker Raum für die Moral und „Metaphysik“ schafft, die doch LSR angetreten ist, radikal zu liquidieren. Entsprechend sollten wir „Gott“ im Gegenteil ganz genau und vollkommen distanzlos betrachten. Lieber Theist, ich analysiere, seziere und rekonstruiere deinen „Gott“, diese Über-Ich-Mißgeburt selbstherrlich ohne den leiseste Anflug von Ehrfurcht und „erkenntniskritischer“ Bescheidenheit!

Namen haben eine Bedeutung, da sie einen ganzen Kontext herstellen, der sich in einer Persönlichkeit verkörpert. Töpfer tut so, als wäre „Gott“ etwas, das so jenseitig ist, daß man sich nicht drum kümmern muß. Tatsächlich ist es aber etwas grundlegend anderes, ob eine Gesellschaft ständig „Allah“ evoziert bzw. „herabbeschwört“, den „Waheguru“ der Sikhs, den Wotan der Neuheiden, den Seth der Satanisten oder Jesus, der eine Person des „dreifaltigen Gottes“ ist. Religionen sind so etwas wie „Energiefelder“, die etwas mit der Gesellschaft und dem Einzelnen machen. An seinen Früchten wird man den jeweiligen Gott erkennen. Beispielsweise war der Nationalsozialismus nichts anderes als ein Wotanskult:

Wilhelm Reich, Physiker: 1. Biophilosophie, b. Orgonomischer Funktionalismus

21. November 2025
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Wilhelm Reich, Physiker: 1. Biophilosophie, b. Orgonomischer Funktionalismus

Peter Töpfer (Teil 2)

15. November 2025

Hier repräsentative Zitate aus dem Buch, die mich beeindruckt haben. Zunächst Töpfer ist at his best, wenn er dem Orgon nahekommt – was, trotz all der Wahrheitssuche, ansonsten praktisch nie der Fall ist:

Eine meiner tiefsten Sehnsüchte (…) bezieht sich darauf, daß ich mich mit der Welt verbinden will. Daß ich die Welt – die Luft, die Bäume, die Farben, alles – spüren und sehen will, ihre Lebendigkeit fühlen will. Ich habe einige wenige Male die Luft vibrieren gesehen; ich weiß genau, was ich meine. Dann hatte ich dieses wunderbare Gefühl, Teil der Welt zu sein, mitten in ihr zu sein. Sonst war die Welt stumpf, leer, und ich fühlte nur mich. Aber ich war nur eine Hülle. (Die Wahrheit, 2006, S. 283)

Die Lebewesen bestehen zu sehr großen Teilen, d.h. sie bestehen im Grunde ausschließlich aus Beweglichem, aus Instinkten, Bedürfnissen, aus Seele (sie „arbeiten“ andauernd), so daß es geradezu aberwitzig anmutet, zu denken, man könne mit Lebewesen und ihren Problemen umgehen wie mit leb- und seelenlosem Material. Genau das aber tut der heutige Mensch mit sich. Und genau so geht er auch vor, wenn er seine Sehnsucht nach Zufriedenheit befriedigen, wenn er die Wahrheit finden will: Dann glaubt er, in einigen Formeln, Gebeten, religiösen oder philosophischen Systemen sein Heil zu finden. Er bleibt fast ausschließlich auf der Ebene des Begrifflichen. Die Zufriedenheit kann sich aber nur einstellen, wenn wir ganz beteiligt sind. Da nützen auch keine „ganzheitlichen“, dialektischen und systemischen Philosophien etwas, sondern nur das ganze Leben, die ganze Person. Der heutige, der zivilisierte Mensch versteht gar nicht, was ich hier sage. Er versteht nicht, daß es hier um Realitäten geht, um „Materialitäten“, jedenfalls um sinnliche Dinge. Er sagt, er versteht es, zieht es aber sofort hoch ins Gedankliche, macht eine Theorie daraus. Aus lauter Angst vor dem wirklichen Leben schützt er sich vor ihm, indem er das wirkliche Leben mit einer Theorie zu erfassen versucht, die der ganzen Wirklichkeit gerecht wird („Das Ganze ist das Wahre“ u. drgl.). So umfassend und vollkommen seine Theorie auch ist – er bleibt immer nur Theoretiker. Die Theorie wird vielleicht der Wirklichkeit gerecht, der Theoretiker aber nicht sich selber. (S. 280)

Oder etwa:

Das Kino kann nie so bunt und aufregend sein wie das eigene Leben, wenn man es denn nur wahrnimmt. Das eigene Drama wahrzunehmen, darin liegen unendlich tiefere Gefühle als fremde Dramen wahrzunehmen. Die meisten haben kein bißchen Ahnung davon, welche Dramen sich in ihnen abspielen. Sie halten ihr Leben für eher trist und bedeutungslos. Aber in dem Moment, wo sie beginnen, sich der Tristesse bewußt zu werden, sie wirklich zu fühlen und anzunehmen, verwandelt sich ihr Leben in ein Drama, das so ergreifend ist, daß es eben schon wieder zu viel ist. Deshalb greifen sie lieber zu Drogen oder Filmen. (S. 68)

In unseren Breiten und Zeiten versteht man unter „Liebe“ nichts anderes als den Kampf um die Befriedigung der Bedürfnisse, die in unserer Kindheit nie befriedigt worden sind. Wir kämpfen darum, aus unseren „Liebes“partnern die Person zu machen, die unsere kindlichen Bedürfnisse nicht befriedigt hat. Wir wollen, daß diese Person es jetzt endlich tut. Es hat mit Liebe nichts zu tun. Ganz im Gegenteil verleugnen und verraten wir unsere erwachsenen Bedürfnisse: Wir tun alles dafür, daß das Kind in uns befriedigt wird. Es mag bei den sog. Liebesbeziehungen auch erwachsene Anteile geben, aber in den allermeisten Fällen ist das Verliebtsein nichts anderes als die große, uns berauschende Hoffnung und Vorfreude darauf, daß all die noch in uns schlummernden unbefriedigten Bedürfnisse nun endlich Befriedigung finden, daß unsere Sehnsucht gestillt, beruhigt und beendigt wird. Wir bilden uns dann möglicherweise ein, es sei unser erwachsenes und wahres Bedürfnis, eine Familie zu gründen. Wir haben nicht die geringste Ahnung davon, daß wir versuchen, ein früheres Bedürfnis zu befriedigen: in heilen und liebevollen Verhältnissen zu leben. (S. 77)

Sehr gut! Aufgestoßen ist mir in diesem Zusammenhang jedoch folgender etwas unglücklich formulierte Satz, dessen Bedeutung uns in späteren Folgen dieser Blogserie aufgehen wird: „Dann mag der Kunde [des Wahrheitsweges] irgendwann nachts aus dem Schlaf gerissen werden, und es kommt die Wahrheit seines Lebens plötzlich in Form der Einsicht zu ihm, wie sehr kalt und lieblos die Welt war, in der er aufgewachsen ist und daß er in einer wärmeren Welt leben und Liebe besonders mit Kindern austauschen möchte“ (S. 239).

Aber zum Grundthema des Buches:

Die meisten antworten, wenn sie gefragt werden, was wahr ist: „Die Erde ist rund.“ Wahrheit, das ist für sie etwas Äußeres. Sie können es gar nicht aufs Innere beziehen, denn. das wäre zu grausam, weil dort nichts wahr ist. Es ist doch klar, es ist doch selbstverständlich, daß wir nicht vom Inneren reden; nur das Äußere zählt und kann so etwas wie Wahrheit sein. So ist das Leben nun einmal. Eine Lebenslüge zeichnet sich gerade  dadurch aus, daß sie der Betreffende überhaupt nicht wahrnimmt, und daß sie wie das Selbstverständlichste der Welt daherkommt. (S. 171)

Für Töpfer gibt es ganz im Gegenteil keine objektive, äußere Wahrheit, sondern nur die subjektive, innere Wahrheit. Wahrheit sei den Subjekten vorbehalten; „nur in deren Gehirnen fließen die Informationen zusammen und bilden Wahrheit“ (S. 190). Wahrheit ist für Töpfer also nicht etwas Organisches, wie das Neugeborene, das „unreflektiert“ direkt nach der Geburt automatisch die Brustwarze der Mutter sucht, sondern etwas Zerebrales.

Das, was wir als „objektive Wahrheit“ bezeichnen, müsse erst auf Grund zahlloser subjektiver Wahrheiten ausgehandelt werden: eine weitere Stufe des intellektualisierenden Brainfucks! Man erinnere sich an Cohn-Bendits „das Miteinander aushandeln“! Töpfer macht sich damit zum Feind des Logos und reiht sich in die pluralistische „Unsere Demokratie“ (Unsokratie) ein, also dem diametralen Gegenteil von Liebe, Arbeit und Wissen. Die Unsokratie will alles „ausdiskutieren“, so als ginge es um den Talmud und als sei DIE Wahrheit in Gestalt Christi nie auf Erden erschienen. Töpfer redet ganz im Sinne der Unsokratie:

Wenn die Existenz einer objektiven Wahrheit behauptet wird – daß es so etwas überhaupt gibt und gar eine solche proklamiert wird, dann schwächt das die Gemeinschaft, weil die Entstehung und Ermittlung der wirklich existierenden Wahrheit – die des Einzelnen – dadurch behindert wird und sich die Einzelnen nicht effektiv und erfolgreich verabreden und zu einer Gemeinschaft werden können. Abgesehen davon ist es eine Entwürdigung und Verletzung des Einzelnen und damit wiederum eine Schwächung der Gemeinschaft. (S. 190f)

Für Töpfer ist Wahrheit vom individuellen Bewußtsein abhängig (vgl. S. 241). „Die Wahrheit ist ein Zustand der Stimmigkeit, das Empfinden von einer bestimmten Richtigkeit“ (S. 280). „Wahrheit“ wird damit zu einer Sache des Gefühls, etwa das eines Transfraus! Es ist halt seine „Wahrheit“!

Wilhelm Reich, Physiker: 1. Biophilosophie, a. Platon und Aristoteles (Teil 2)

9. November 2025
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Wilhelm Reich, Physiker: 1. Biophilosophie, a. Platon und Aristoteles

Wilhelm Reich, Physiker: 1. Biophilosophie, a. Platon und Aristoteles (Teil 1)

22. Oktober 2025
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Wilhelm Reich, Physiker: 1. Biophilosophie, a. Platon und Aristoteles

Du bist nicht Wilhelm Reich! (Teil 1)

19. Oktober 2025

Am Anfang steht das Wort. Man nehme eine Orgontherapie, auf die schließlich auch erst hingewiesen werden muß, bevor der Patient überhaupt darauf kommt, zum orgonomischen Arzt zu gehen. Es mag sein, daß es mit Reich anders gewesen ist, aber heute beginnt jedes orgonomische Experiment mit dem Nachvollzug eines überlieferten Versuchsaufbaus. Orgonomie ist wie alle Wissenschaft zunächst immer eine mündliche oder schriftliche Mitteilung. Vor der Praxis stehen Vorlesungen und Durcharbeiten von Lehrbüchern. Entsprechend ist die Qualität der wissenschaftlichen Unternehmungen von der Klarheit und Logik der Darstellung abhängig. Reich selbst hat immer wieder darauf hingewiesen, wie verheerend schludrige und unpräzise Formulierungen für die Entwicklung der Wissenschaft sind, beispielsweise in der Biologie die beiden Worte „um zu“.

Das bedeutet natürlich nicht, daß bloße Worte wichtiger wären als das Experiment und die konkrete Erfahrung. Es ist ähnlich wie eine Wegbeschreibung, die das „unsubstantiellste“ am ganzen Weg ist, an dessen Ende beispielsweise ein „Date“ stehen könnte, – aber ohne die dröge und formelhafte Wegbeschreibung wird man von vornherein hoffnungslos in die Irre gehen.

Aus funktioneller Sicht ist es eine Todsünde sich unlogisch, verworren oder so „verschwurbelt“ auszudrücken, daß einem niemand folgen kann. Nicht nur, daß eine solche Ausdruckweise die Arbeitsdemokratie unterminiert und sabotiert. Sie ist auch in einer anderen Hinsicht Emotionelle Pest (= destruktiver Irrationalismus auf dem sozialen Schauplatz), denn sie induziert bei anderen die eigene okulare Panzerung, die dadurch geradezu „ansteckend“ wird.

Bioenergetisch entspricht das ganze einer Orgontherapie, die (wenn man mal von der Mobilisierung der Atmung absieht) stets beim okularen Segment beginnt und erst am Ende zum Beckensegment und damit zum Kern der Neurose (dem Ödipuskomplex und der orgastischen Impotenz) vordringt.

Leute, die kaum einen geraden Satz formulieren können, aber gleich immer zu den „handgreiflichen“ Essentials durchdringen wollen, ähneln in ihrem Vorgehen der „Bioenergetik“ nach Alexander Lowen, bei der gleich am Anfang das Becken „mobilisiert“ wird und dadurch ein hoffnungsloses Durcheinander im Patienten hervorgerufen wird. Derartige Leute, die alle möglichen „praktische Erfahrungen“ vorweisen können, sind dann typischerweise jene, die schließlich die Orgonomie, bzw. das, was sie für „Orgonomie“ halten, mit den absurdesten mystischen Theorien anreichern.

Ein des Öfteren zu hörender Einwand lautet, die Formulierungen, mit denen die Orgonomie verbreitet wird, seien zu holzschnittartig, gar „phrasenhaft“. Dem kann man nur entgegenhalten, daß fast jede Neuformulierung der Orgonomie erfahrungsgemäß kaum mehr erzeugt als ein heilloses Durcheinander, also genau das, was ich anfangs kritisiert habe.

Die folgende Abbildung (die ausschließlich im Zusammenhang mit diesem Blogeintrag Sinn macht!!) illustriert das gesagte:

In der korrekten Vermittlung der Orgonomie, die dem eingezeichneten Pfeil folgt, steht eine möglichst klare Erklärung am Anfang (Orgonometrie). Darauf folgt die Bobachtung der Erscheinungen, auf die man aufmerksam gemacht wurde, woran sich der Nachvollzug der Experimente anschließt (quantitative Orgonometrie), was schließlich im qualitativen Nachvollzug mündet. Am Anfang wird man auf die Orgonenergie hingewiesen, an Ende weiß man, daß sie existiert. Steht am Anfang chaotische Fehlinformation, kann es diese Erfahrung nie und nimmer geben.

Da die Menschen heute nun mal so sind, wie sie sind, nämlich gepanzert, kann die umgekehrte Entwicklung, die Reich selbst genommen hat, von vagen Ahnungen einer „psychischen Energie“ hin zu wildem „Herumprobieren“ nur zu entstellten mystischen Formulierungen führen. Der übliche Unsinn, der über die Lebensenergie verbreitet wird.

Reich selbst hat den umgekehrten Weg beschritten. Er ist aus seinem eigenen inneren Erleben in den 1920er Jahren vom Postulat einer „psychische Energie“ ausgegangen, hat in den 1930er Jahren entsprechende, anfangs „wilde“ und unsystematische, Experimente durchgeführt, die in den 1940er Jahren zu entsprechenden Beobachtungen der atmosphärischen und kosmischen Orgonenergie führten, was schließlich in den 1950er Jahren in seinen orgonometrischen Formulierungen mündete. Aber Reich war halt Reich!

Wilhelm Reich, Physiker: Einleitung

16. Oktober 2025
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Wilhelm Reich, Physiker: Einleitung

Die Entwicklung des Seins

13. Oktober 2025

Die Vorstellung von einer Entwicklung der Lebewesen zu immer größerer Integration und Bewußtheit bis hin zum Menschen ist tief im menschlichen Denken verankert. Die Inder glaubten, daß nur der Mensch selbst-bewußt, sich selbst bewußt sei und nach Selbstvervollkommnung oder geistiger Freiheit streben könne, während die anderen Lebewesen lediglich zur Welt kämen, um die Früchte ihres vergangenen Karmas zu ernten. Nur der Mensch wäre zu einer Position in der kosmischen Entwicklung gelangt, die es ihm in seiner Reife ermögliche, dieses Naturgesetz der Kausalität von sich abzuschütteln. In dieser Hinsicht steht der Mensch selbst über den Göttern, die, jedenfalls für den „aufgeklärten“ Inder, auch nur Naturwesenheiten sind.

Eine ähnliche Vorstellung der Entwicklung ist in alle europäischen Utopievorstellungen eingegangen, z.B. der Marxistischen, wo der Mensch zum Herrn über die Geschichte wird und sich dergestalt von der Natur befreit. Diese Vorstellung ist tief in unserem philosophischen Erbe verankert, nicht nur in Hegels Geschichtsphilosophie, sondern auch bei Herbert Spencer und bei Nietzsche („Tier – Übertier Mensch – Übermensch“).

Es gibt die volkstümliche Weisheit: „Gott schläft im Stein, atmet in der Pflanze, träumt im Tier, wacht auf im Menschen.“ Entsprechend verkörpert sich bei Schopenhauer der „Wille“ in unterschiedlichen Stufen und bestimmt deren Bewußtseinsgrade. Der Wille zum Leben artikuliert sich vom Stein, über Pflanze und Tier und schließlich im Menschen immer deutlicher, um schließlich vom Menschen überwunden zu werden. Dies ist identisch mit der oben erwähnten indischen Lehre. In Fröhliche Wissenschaft (A 301) spricht Nietzsche von der Rangordnung vom niederen zum höheren Tier und weiter vom niederen zum höheren Menschen, wobei die jeweils höhere Stufe mehr wahrnimmt, gleichzeitig aber auch das Potential an Lust und Unlust anwächst.

Als seine Schrift Die Geburt der Tragödie herauskam, wurde Nietzsche in einem „Evangelischen Anzeiger“ vorgehalten, es handle sich bei dem Buch um „den ins Musikalische übersetzten Darwinismus und Materialismus“, Nietzsches Theorie sei der „Developpismus des Urschleims“, Nietzsches „Ureine“ aus der Geburt der Tragödie wurde mit „Darwin’s Urzelle“ verglichen (Brief an von Gersdorff, 5.4.1873). Hier fließen neoplatonistische Entwicklungsvorstellungen „aus dem Ureinen“ in eins mit der biogenetischen Entwicklung „aus der Urzelle“.

Der zu dieser Zeit noch etwas schopenhauernde Nietzsche schreibt:

(…) und wenn die gesamte Natur sich zum Menschen hindrängt, so gibt sie dadurch zu verstehen, daß er zu ihrer Erlösung vom Fluche des Tierlebens nötig ist und daß endlich in ihm das Dasein sich einen Spiegel vorhält, auf dessen Grunde das Leben nicht mehr sinnlos, sondern in seiner metaphysischen Bedeutsamkeit erscheint. (Schopenhauer als Erzieher, A 5)

Die „gesamte Natur“ dränge zum Genius hin (zu dem, was Nietzsche später „Übermensch“ nannte), um in ihm ihre Erlösung zu finden; „jenes Wunder der Verwandlung“, „jene endliche und höchste Menschwerdung, nach welcher alle Natur hindrängt und -treibt, zu ihrer Erlösung von sich selbst“. Ein paar Jahre zuvor kam Nietzsche der „schwindelnde“ Gedanke, „ob vielleicht der Wille, um zur (weltverklärenden, PN) Kunst zu kommen, sich in diese Welten, Sterne, Körper und Atome ausgegossen hat“. Der Genius sei ein Werkzeug des schöpferischen Weltgrundes, um sich durch ihn seiner selbst bewußt zu werden.

Der sich zur Aufklärung durchgerungene Nietzsche schreibt, daß, wenn Schopenhauer Recht hat und Genialität

in der zusammenhängenden und lebendigen Erinnerung an das Selbst-Erlebte besteht, so möchte im Streben nach Erkenntnis des gesamten historischen Gewordenseins – welches immer mächtiger die neuere Zeit gegen alle früheren abhebt und zum ersten Male zwischen Natur und Geist, Mensch und Tier, Moral und Physik die alten Mauern zerbrochen hat – ein Streben nach Genialität der Menschheit im Ganzen zu erkennen sein. Die vollendet gedachte Historie wäre kosmisches Selbstbewußtsein. (Vermischte Meinungen und Sprüche, A 185)

Und weiter:

So wird Selbst-Erkenntnis zur All-Erkenntnis in Hinsicht auf alles Vergangene: wie (…) Selbstbestimmung und Selbsterziehung in den freiesten und weitest blickenden Geistern einmal zur All-Bestimmung, in Hinsicht auf alles zukünftige Menschentum werden könnte. (ebd., II A 1,223)

1883 schrieb Nietzsche: „Sobald der Mensch vollkommen die Menschheit ist, bewegt er die ganze Natur“ (Umwertung aller Werte, dtv, S. 819).

Leider sind diese philosophischen Entwicklungsvorstellungen, die bezeichnenderweise immer in infantilen Allmachtsphantasien enden, durchweg dezidiert antisexuell. Sozusagen wird Genitalität durch „Genialität“, das Gehirn, ersetzt. 1876 notiert sich Nietzsche: „Hemmungen nötig, um Genius hervorzubringen“ (Studienausgabe, Bd. 8, S. 307). Das genaue Gegenteil des Genitalen Charakters.

Die neoplatonistische Kabbala scheint geistesgeschichtlich die einzige Ausnahme dieser antisexuellen Regel zu sein. In ihr ist ein Mensch erst Mensch, wenn er verheiratet ist. Ja, wirklich ganz wird er erst in der kompletten Genitalen Vereinigung. Und im (gemeinsamen gleichzeitigen) Orgasmus wird er/sie eins mit Gott – er/sie erlangt das kosmische Bewußtsein. Im genitalen Menschen sind „Geist“ und Sexualität keine Gegensätze mehr, sondern sie bedingen einander. (Keine einzelne Person hat einen Orgasmus. Auch haben Frau und Mann keinen je eigenen ihrem Geschlecht gemäßen Orgasmus. Vielmehr fließen Frau und Mann in der Genitalen Umarmung zu einem Organismus zusammen und dieses „neutrale“ Orgonom „hat“ einen Orgasmus.)

Schimpansen und Menschen (und einige wenige andere Tiere) erkennen sich im Spiegel selbst wieder, während alle anderen vergleichbaren Tierarten im Spiegelbild, wenn überhaupt, nur den Artgenossen erkennen. Die Schimpansen scheinen also schon Ansätze für ein Ich-Bewußtsein zu haben. Sprache und Werkzeuggebrauch sind ebenfalls rudimentär bei Schimpansen zu finden. Es ist nun interessant, daß Bewußtsein und die genitalorgastische Körperzuckung auf der gleichen Entwicklungsstufe auftreten. Die vom Aussterben bedrohte Schimpansen-Unterart der Bonobos, die die allernächsten Verwandten des Menschen sind, zeigen denn auch vielleicht tatsächlich zumindest erste Ansätze von Genitalität. Unter den Säugetieren kopulieren neben dem Menschen nur diese Zwergschimpansen (und die Wale, diese aber aus rein praktisch-anatomischen Gründen) in ventroventraler Stellung.

Reich glaubte, der Mensch wäre das erste Tier gewesen, das sich seiner orgastischen Plasmazuckung bewußt geworden sei und sich deshalb als erstes Tier gepanzert hätte (Die kosmische Überlagerung, letztes Kapitel). Betrachten wir die Entwicklung des Bewußtseins vom Blickwinkel des Biogenetischen Gesetzes her, können wir fragen, ob vielleicht der Mensch das erste gepanzerte, also orgastisch impotente Tier ist – weil er das erste Tier ist, das in der Anlage orgastisch potent ist. Oder anders ausgedrückt: Der Mensch ist das einzige gepanzerte Tier, weil beim Mensch zum ersten Mal die Orgasmusfunktion voll durchbricht, also etwas da ist, wogegen er sich panzern „muß“.

Am Ende seines Artikels „The Evasiveness of Homo Normalis“ von 1947 befaßt sich Reich mit dem Wahrheitskern der irrationalen Aussage, daß der Mensch über dem Tierreich stehe: der besagte Kern ist natürlich die Panzerung, die den Menschen von den übrigen Tieren trennt. Der Mensch sei das einzige Tier, das nicht dem Gemeinsamen Funktionsprinzip allen tierischen Lebens folge: die Entladung aufgestauter Energie durch aufeinanderfolgende Kontraktionen des gesamten Organismus. Nur der Mensch verhindere die Abfuhr der in allen Lebewesen ständig generierten Energie durch seine Panzerung. Nur beim Menschen werde der einheitliche Impuls, der nach außen will, in zwei Bestandteile gespalten: in den ursprünglichen Impuls und dem aus ihm abgeleiteten aufstauenden Gegenimpuls – der Impuls kämpft gegen sich selbst. So etwas fände sich nirgends sonst in der gesamten Natur. Die Bifurkation von Funktionen sei normal und überall in der Natur zu beobachten, doch daß sich eine Funktion aufspaltet, um sich gegen sich selbst zu wenden, fände sich nur in der Pathologie des Homo normalis (Orgonomic Functionalism, Summer 1991, S. 86-91).

David Holbrook, M.D.: Die Grenzen und potentiellen Gefahren des Entweder-oder-Denkens und seine Beziehung zu „Funktionalismus“ und „Orgonometrie“

25. September 2025

DAVID HOLBROOK, M.D.:

Die Grenzen und potentiellen Gefahren des Entweder-oder-Denkens und seine Beziehung zu „Funktionalismus“ und „Orgonometrie“