Posts Tagged ‘Vitalismus’

Reflektionen über Max Stirner von konservativer Warte (Teil 4)

26. Juni 2022

[Diese Reihe soll zur Auseinandersetzung mit Bernd A. Laskas LSR-Projekt animieren.]

Bernd Laska bestreitet das, aber trotzdem: die Orgontheorie ist untrennbar mit LSR verknüpft. Es ist nur die Frage, wie man das Orgon auffaßt: ob man es mißbraucht, um Reichs Kampf gegen das Über-Ich zuzukleistern – oder ob man mit Hilfe des Orgons die „mechano-mystische Über-Ich-Kultur“ zerschlägt. Laska hat selbst hervorgehoben, daß LaMettrie in seinem Der Mensch als Maschine weniger eine mechanistische als vielmehr eine vitalistische Theorie vertritt. Und was Stirner betrifft: gerade ihm wurde ja immer vorgeworfen, er wolle das egomane triebhafte, sozusagen „vitalistische“ Tier freisetzen. Stirner vertreibt die Flausen aus dem Kopf, zerstört alle Ideen und Ideale – genauso wie der Naturwissenschaftler durch seine Experimente erbarmungslos ganze Weltgebäude aus Ideen und Idealen zum Einsturz bringt. Stirner war der einzige aufklärerische Aufklärer – und Laska sagte irgendwo, daß Reich der einzige wirklich „natur-wissenschaftliche“ Naturwissenschaftler war. Reich war Lebens-Forscher, während die anderen, Knechte des gegen das Lebendige gerichteten Über-Ichs, keine Biologie, sondern „Nekrologie“ betrieben – ganz im Sinne des Freudschen „Todestriebes“. Worum es geht, kristallisiert sich heute in der transhumanistischen Agenda des Great Reset heraus: du wirst nichts besitzen, nicht mal mehr der Eigner deines eigenen Ich sein, das mit „der Maschine“ eins wird…

Orgastische Potenz gibt es schon bei der Amöbe. Wie äußert sich das? Durch die Fähigkeit den inneren orgonotischen Überdruck durch eine Zellteilung abzubauen. Das ist funktionell identisch mit ihrer Vermehrung – also mit ihrer Durchsetzung als Individuum. Sie bevölkert die Welt mit ihren Klonen. Diese innige Verbindung zwischen Orgasmus und Weitergabe der eigenen unverwechselbaren Individualität zeigt wieder, daß (aus, nun gut, recht abstrakter Sicht) Reich und Stirner bestens harmonieren.

Was ist Liebe? Nach „orgonomischer Lehre“ gibt es ausschließlich die genitale Liebe, d.h. die sich hauptsächlich in den Genitalien äußernde Expansion („ich fühl mich zu Dir hingezogen“) des Biosystems. Bei verschiedengeschlechtlichen Partnern kommt es dabei zur körperlichen Durchdringung. Wahre Liebe beruht auf einem ständigen energetischen Austausch, bei dem der eine soviel nimmt, wie der andere gibt, wobei im Endeffekt mehr dabei herauskommt, als wären die Partner isoliert geblieben. Diese energetische Steigerung (Erstrahlung) geht periodisch so weit, daß es zu einer Verschmelzung kommt (Anziehung). Neurotisch wird es da, wo „selbstlos“ gegeben wird oder man sich sozusagen „selbst-los“ ausbeuten läßt – und genau in solchen „unegostischen“ Fällen kommt es eben nicht zur Überlagerung und vollkommenen Verschmelzung. Das, was als „selbstlose Liebe“ bezeichnet wird, ist gar keine Liebe, sondern das genaue Gegenteil: Angst, Haß und Kontaktlosigkeit. Auch hier gibt es keinen Gegensatz zwischen Reich und Stirner, sondern vollkommene Harmonie.

Siehe auch den grundlegenden Unterschied zwischen LSR und ihren sadomasochistischen Gegenspielern: LaMettrie und deSade, Stirner und Nietzsche, Reich und Freud!

Gehen wir zurück zu den ersten Menschen: Die Kernfrage des LSR-Projektes stellt sich nicht beim Steinzeitmenschen – aber nicht, weil der kein „Ich“ hat, sondern weil er kein Über-Ich hat. Trotzdem gibt es natürlich einen Gegensatz zwischen einem steinzeitlichen Schamanen und der wahren Aufklärung. Es ist der gleiche Unterschied der zwischen einem durchgeknallten Animisten und dem Funktionalisten Reich besteht. Aber das ist kein grundsätzlicher („charakter-struktureller“) Unterschied, beide sind orgastisch potent, sondern einfach einer des Wissens.

„Implications of Orgone for Consciousness Research“ von Leon Southgate

27. September 2021

Das Problem mit Southgates Arbeit (hier und hier) fängt bereits mit seiner Definition von Bewußtsein als jede subjektive Erfahrung an. Emotionen, Empfindungen, Kognitionen, Wollen und Ideation, Seele und Geist – wird alles zusammengeworfen. Daraus zaubert er eine Art „orgonomischen“ Panpsychismus frei nach Rupert Sheldrake, bei dem Bewußtsein und Orgonenergie schlichtweg gleichgesetzt werden. Es ist ähnlich wie bei Maglione, der die Lebensformel auch auf die unbelebte Natur angewendet hat. Auf diese Weise wird Reichs gesamte Lebensleistung ad absurdum geführt, denn dann hätte Reich gleich beim Vitalismus eines Driesch und dem Panpsychismus, der die Psychoanalyse der 1920er Jahre umwaberte (Groddeck), bleiben können. Es ist auch bezeichnend, daß Maglione mit keinem Wort das wirkliche Geheimnis des Orgonenergie-Motors erwähnt, nämlich die Kreiselwelle, und Southgate mit keinem Wort das wirkliche Geheimnis des Bewußtseins (die Funktionen Wahrnehmung und Erinnerung), nämlich die koexistierende Wirkung.

Was mich an dieser Arbeit geradezu abgestoßen hat, ist die sie prägende schizoide Weltsicht. Ein einzelner Mensch, mag jede Menge „Subjektivität“ haben und wie ein Autist in einer „psychischen Welt“ leben („Panpsychismus“), aber das ist das Gegenteil von Bewußtsein im eigentlichen Sinne. Bewußtsein im eigentlichen Sinne ist vor allem eine soziale Funktion. Herdentiere brauchen angesichts der hochkomplexen Vorgänge innerhalb einer Herde ein Konzept von „Ich“ und „Du“ und eine innere Bühne („Bewußtsein“), in dem sie ihre „Schachzüge“ im Voraus planen. Allein schon die Frage der Sprache! Bewußtsein ohne Sprache? Schwierig. Sprache ohne andere Menschen? Sinnlos. Die Psyche ist vom Sozialen nicht zu trennen. Das hat Freud gewußt („Ödipuskomplex“) und der Soziologe Reich gewußt, während Southgate, eine Art Wiedergänger C.G. Jungs, alles wieder in den autistischen Urschlamm des Okkultismus hinab zieht. Man vermeint bei der Lektüre geradezu die Ouvertüre von Wagners „Rheingold“ zu vernehmen…

Aber lassen wir Southgates Beitrag Revue passieren: Nach einer umfassenden Darstellung des wissenschaftlichen Problems „Bewußtsein“ und einer her oberflächlichen Darstellung des Reichschen Beitrags zu diesem Bereich kommt Southgate zu seiner eigenen Theorie, dem „orgonotischen [gemeint ist natürlich „orgonomischen“] Panpsychismus“, dem zufolge das Bewußtsein schlichtweg eine nicht weiter reduzierbare Eigenschaft der Orgonenergie ist. Was Southgate nicht aufzugehen scheint, ist, daß in diesem Zusammenhang „Bewußtsein“ genauso nichtssagend ist, wie „Sein“. Will sagen: das ganze bringt uns ungefähr so weit, als würde man sagen, daß „das Sein“ eine Eigenschaft der Orgonenergie ist. Es erklärt rein gar nichts!

Wenn es sich darauf beschränken würde, aber für Southgate „unterstützen Bione und die Abiogenese den panpsychischen Ansatz, daß Materie lebendig und bewußt ist“. Ich kann mir kaum einen schlimmeren Mißbrauch der Reichschen Theorie vorstellen. Die Bionforschung war nicht zuletzt ein antifaschistisches Projekt, das gegen den Mystizismus (Panpsychismus) gerichtet war, d.h. sowohl gegen das Neuheidentum der Nazis und die damalige „Erbforschung“, als auch gegen den kirchlichen Mystizismus. Reich wollte das Leben und damit auch „Geist und Seele“ (dialektisch-) materialistisch erklären. Southgate hingegen meint, daß die Beweise insgesamt darauf hindeuten, „daß sich der Geist gar nicht im Körper befindet, sondern lediglich mit ihm verbunden ist“. Dagegen hielt Reich, daß die funktionelle Einheit des Seelischen und Körperlichen „Jenseitigkeit oder auch nur Autonomie des Seelischen völlig und endgültig ausschließt“ (Äther, Gott und Teufel, S. 95).

Southgate kritisiert, daß Reich nicht den Ort des Bewußtseins angeben kann. Für Southgate ist dieser „Ort“ das Orgon selbst: das Bewußtsein sei die grundlegende Realität und Geist und Orgon seien „auf der tiefsten Ebene“ identisch. Entsprechend könnten die Gesetze der Psyche auf das Orgon übertragen werden. Das heißt nichts anderes, als daß wir wieder bei Georg Groddeck angelangt sind!

Southgates ganze Argumentation krankt daran, daß er „Soma“ und „Psyche“ nicht definiert. Das Soma, das ist die Gesamtheit der Teile des Organismus („die Niere auf Zimmer 7“), während die Psyche aus dem ganzheitlichen Funktionieren des Organismus bzw. dessen Störungen hervorgeht („Charakteranalyse“). Daß die Lebensenergie strömt, erregt wird und wahrnimmt, ist davon unabhängig und bedeutet nicht, daß das Orgon so etwas wie eine „Psyche“ hat. Es ist alles eine Frage der Orgonometrie, d.h. der Klassifizierung und richtigen Einordnung:

 

Southgate hintertreibt genau das, indem er alles mit allem gleichsetzt:

Orgon wird von Reich als eine unbewußte, nicht lebende, aber schöpferische Energie dargestellt, während seine Schöpfungen – Lebenswesen – immer bis zu einem gewissen Grad Bewußtsein zu haben scheinen. (…) Es ist unlogisch zu sagen, daß eine Energie, die Leben erschafft, kein Bewußtsein hat, wenn überall Leben mit Bewußtsein gepaart ist und nirgendwo Leben mit Nicht-Bewußtsein gepaart ist. (…) Man kann sagen, daß die Amöbe nur wahrnimmt und kein echtes Selbstbewußtsein hat, aber solche Klassifizierungen sind in diesem Zusammenhang bedeutungslos – jede Wahrnehmung ist eine Form von Bewußtsein. Es ist bei der Amöbe dasselbe wie bei unserem Selbst – es ist nur eine Frage des Grades.

Er fährt fort – und man merkt richtig, wie alles zerfällt – die Psyche geradezu dekompensiert:

Orgon und Bewußtsein werden auf der tiefsten Ebene identisch, so wie Energie oder Materie in Sheldrakes Panpsychismus mit dem Bewußtsein identisch ist. Orgon gewinnt erst auf oberflächlicheren Ebenen an Differenzierung, die als Orgonenergie und schließlich als Materie erfahren wird, die eine Form von gefrorener Orgonenergie ist. Es gibt also ein monistisches Kontinuum in einem Dreiklang: von orgonotischem Bewußtsein zu Orgonenergie und schließlich zu Orgon-Materie. Dieses monistische Kontinuum hat drei verschiedene Aspekte: Orgon-Bewußtsein, Orgon-Energie und Orgon-Materie. Alle drei sind physisch und alle drei sind real, aber man könnte sagen, daß die Bewußtseinsebene die „realste“ oder die primäre Realität ist. Orgonenergie und -materie sind in dieser Sichtweise spezialisierte Formen eines physischen orgonotischen Bewußtseins. Energie und Materie existieren noch immer für sich, sind aber nicht vom Bewußtsein getrennt.

Alles gerät heillos durcheinander und wird auf den Kopf gestellt, Worte verlieren ihre Bedeutung. Aus der Orgonenergie wird ein bloßes Wort. Wie bei allen „Reichianern“, etwa in der „energetischen Medizin“, ist das, was sie als „Energie“ oder „Orgon“ bezeichnet, nichts anderes als Psyche:

Dieser Mystizismus, und um nichts andere handelt es sich hier, mündet schließlich in Ausführungen über, man glaubt es kaum, künstliche Intelligenz, die von Magliones Arbeit inspiriert sind.

Southgate führt aus:

Ursprünglich war es das Ziel des Autors zu untersuchen, ob das Orgon selbst ein Bewußtsein besitzt. Im Laufe einiger Jahre dämmerte die Erkenntnis, daß die einzige Möglichkeit, dies zu erreichen, darin bestand, das Orgon selbst zum „Sprechen“ zu bringen – unabhängig von jeder anderen Entität. Alles andere wäre nur eine Demonstration des Bewußtseins eines Organismus, der bereits existiert. Eine solche Einrichtung, in der das Bewußtsein von Orgon demonstriert werden könnte, müßte also jegliche Organismen oder andere Eingaben ausschließen. Sie müßte völlig künstlich sein und sich nur auf das Orgon selbst stützen, um zu kommunizieren. Dann dämmerte dem Autor, daß dieses Ziel nicht ohne die Erforschung einer starken künstlichen Intelligenz verfolgt werden könnte.

Ich erinnere an Reichs oben zitierte Aussage in Äther, Gott und Teufel über die funktionelle Einheit von Psyche und Soma. Bei Southgate kommt das kurzschlüssige mystische Denken zum tragen, das untrennbar mit dem Mechanismus verbunden ist.

Er schließt an Magliones Konzept einer Art „Orgonenergie-Motor-Einrichtung“ an: einem Orgonenergie-Akkumulator, dessen orgonotisches Potential durch eine radioaktive Quelle derartig hochgepusht wird, daß „dadurch das Orgon von seinem ‚nebligen‘ Zustand in seinen aktiven ‚spitzen‘ Zustand übergehen würde. Wenn dies geschieht, findet ein spontaner Wechsel von orgonotischen zu teilweise elektrischen Energien statt. Organismen scheinen auf einer trilateralen Basis zu funktionieren – ein nicht-energetisches Bewußtseinsfeld, das sich in Orgonenergie umwandelt, die sich wiederum in elektromechanische Bewegung umwandelt. Es gibt Parallelen zum Orgonmotor, der auf der Übersetzung von Orgonenergie in elektrische und dann in mechanische Energie beruht.“ Das ist nichts anderes als „orgonomisch“ verbrämter Mechomystizismus! Die magische-okkulte Weltsicht die letztendlich hier zum Ausdruck kommt, offenbart sich im letzten Satz des Autors: „Dieser Autor glaubt nicht, daß Bewußtsein oder bewußte Wesen erschaffen werden können, sondern daß ihnen eine Gelegenheit geboten werden kann, sich aus einem nichtmateriellen Bereich zu manifestieren.“

Ergänzung zu „Reichs Gründe der Abkehr von der Tagespolitik (Teil 8)“ (Teil 1)

19. Juli 2021

In Teil 8, Fußnote 7 schreibt Robert Hase, Reich beziehe sich bei seiner Äußerung über seine funktionelle Methode, die in Studien zur Wahrnehmung ihre Wurzeln habe, u.a. auf den Naturphilosophen Hans Driesch. Der Zusammenhang mit Driesch war mir nicht recht einleuchtend. Soweit ich das überblicke, erwähnt Reich in dem Text Driesch nirgends. Auch erwähnt er Driesch nicht in Äther, Gott und Teufel, sondern u.a.: Albert Lange, Henri Bergson, Richard Semon und Friedrich Engels.

Inzwischen hat mich der Autor darauf hingewiesen, daß Reich sich in Die Funktion des Orgasmus (Fischer TB, S. 28) auf Driesch bezieht, außerdem verweist Hase auf Driesch‘ Buch Alltagsrätsel des Seelenlebens. Beim Googeln stößt man auf folgendes zu diesem Buch: „Hans Driesch, Schüler Ernst Haeckels, gilt als Neubegründer der vitalistischen Lehre. Ausgehend von Problemen der Psychophysik, behandelt er hier alltägliche Erscheinungen wie Wahrnehmung und Erinnerung, wobei sich immer wieder Beziehungen zu parapsychologischen Phänomenen ergeben.“

Friedrich Albert Lange hatte in seiner Geschichte des Materialismus dargelegt, daß der Materialismus erstens die einzig vertretbare, ernstzunehmende, wissenschaftliche Annäherungsweise an das Verstehen der Wirklichkeit sei, andererseits aber Wahrnehmung, Bewußtsein und Gefühlsleben, also das „Innenleben“ und was daraus als Kultur und Wissenschaft hervorgeht (das „Geistesleben“), nicht mal annäherungsweise erklären kann, da es von den Atomen im leeren Raum (Materialismus) zum Bewußtsein keinen denkbaren Schritt gibt. Bei Lange lernte Reich, daß es eine (buchstäbliche!) Lücke in der Wissenschaft gibt, die zu füllen er zu seiner Lebensaufgabe machte. (Siehe auch Reichs Ausführungen über Kant und „das Ding an sich“ in Äther, Gott und Teufel.)

Hierher, zu der von Lange aufgezeigten Problematik, gehört auch Driesch, der mit seinem „Vitalismus“ zeigte, daß das Lebendige nicht als Maschine (wieder die Atome!) erklärt werden kann. Anders als der Kantschüler Lange flüchtete Driesch jedoch kurzschlußartig in den Mystizismus, der so gut wie nichts erklärt; ein billiger Schritt, den Reich vermeiden wollte. Dazu wurde er durch die Denkweise von Lange und etwa Friedrich Engels befähigt.

Driesch‘ Vitalismus gemahnt natürlich an Henri Bergsons „Lebensschwung“ (Élan vital). Bergson hat zwar die Welt der Atome nicht geleugnet, aber darauf bestanden, daß das Innenleben und das Lebendige eine eigene Sphäre bilden, die nach eigenen unmechanischen Gesetzmäßigkeiten abläuft. Beispielsweise kann man das Phänomen Erinnerung, und daß man imgrunde nichts wirklich unwiederrufbar vergißt, auf keinen Fall materialistisch erklären. Das ist mit dem Gefühl der „Dauer“ verbunden, d.h. der Kontinuität des Zeitablaufs. Google sagt: „‘Dauer ist das Unteilbare und Substantielle.‘ Die Dauer, die wirkliche Zeit, ist als eine unteilbare Kontinuität von Veränderung zu denken: Die Dauer ist somit die unteilbar wahrgenommene Zeit.“ Imgrunde wollte Bergson die Integrität des „Inneren“ und Organischen, das organisch Zusammenhängende, gegen die Zumutungen der teilenden, punktuellen („leeren“, „atomistischen“) mechanischen Welt wahren. Reichs Funktionalismus ist letztendlich der Versuch diese beiden unvereinbaren Welten zu vereinigen, ohne mystisch oder mechanistisch zu werden. Siehe dazu seine entsprechenden Ausführungen in Äther, Gott und Teufel.

Folgendes Interview mit dem Physiker Thomas Campbell beschreibt sehr schön, wie Driesch und Bergson, mit Vorbehalten vielleicht Lange heute ungefähr argumentieren würden. Es geht dabei vor allem um Quantenmechanik. (Die weltweit mit Abstand beste Einführung in dieselbe findet sich hier.) Besonders gut hat mir Campbells Gedankenfolge gefallen: Bewußtsein = Wahrnehmung plus Entscheidung fällen, Entscheidungen könne man aber nur treffen, wenn die Zeit real und fundamental ist. Auch wie das Campbell mit Entropieabnahme in Zusammenhang bringt…

Der Rest des Videos mit „Urknall“, Parapsychologie, daß wir in einer sich entwickelnden Simulation leben, bzw. (dreidimensionale) World of Warcraft-Figuren auf einem Bildschirm sind und mit unserem Bewußtsein auf die zentrale „Datenbank“ zurückgreifen können, zeigt mal wieder zu welchen extremst mechanistischen und gleichzeitig mystischen Konsequenzen jede Wissenschaft führen muß, die den Kontakt zum Leben, letztendlich der Lebensenergie verloren hat. Allein schon der absurde Gedanke, daß World of Warcraft-Figuren Quantenmechanik betreiben und so auf die Natur der Realität stoßen… Campbell stößt in der Quantenmechanik auf das, was Geist ist, erklärt diese Anomalie aber als Ausdruck einer Simulation. Mechanistischer kann man kaum denken. Reich ist von einer ganz ähnlichen, den damaligen Verhältnissen und Erkenntnissen entsprechenden, mechano-mystischen Weltsicht ausgegangen, wie sie das obige Video für heute repräsentiert. Sozusagen die „Welt als Wille und Vorstellung“ (Schopenhauer hat Reich damals auch gelesen).

EIN QUERSCHNITT DURCH DAS SCHAFFEN JEROME EDENs: Jerome Eden lebt!

3. Dezember 2020

 

EIN QUERSCHNITT DURCH DAS SCHAFFEN JEROME EDENs: Jerome Eden lebt!

Orgonometrie (Teil 3): Kapitel 6

24. Februar 2019

orgonometrieteil12

6. Das orgonomische Weltbild

DER ROTE FADEN: Der Weg in den Kommunismus

3. April 2017

Ein neuer Artikel auf http://www.orgonomie.net:

DER ROTE FADEN:

1. Aktion und Reaktion:

a. Der Weg in den Kommunismus

Diedrich: Naturnah Forschen (2000)

13. März 2017

Bücherlogo

Ein neuer Artikel auf http://www.orgonomie.net:

Diedrich: Naturnah Forschen (2000)

Corrington: Wilhelm Reich. Psychoanalyst and Radical Naturalist (2003)

31. Januar 2017

Bücherlogo

Ein neuer Artikel auf http://www.orgonomie.net:

Corrington: Wilhelm Reich. Psychoanalyst and Radical Naturalist (2003)

Die Orgonomie und die Energetik (Teil 4)

5. Mai 2015

Was bei Wilhelm Ostwald der „Energietransformator“ war, ist bei Hans Hass das „Energon“. Jedes Energon stellt, so Hass, ein „Energiepotential“ dar. Trotz seiner positiven Aussagen über Kurt Wieser kann sich Hass aber leider nicht entschließen, dies konsequent mit dem Orgonomischen Potential gleichzusetzen. Vielmehr wird in Hass‘ Welt die Entropieabnahme im Organismus durch eine um so größere Entropiezunahme in der Umgebung erkauft. Geht doch der lokale Energiegewinn letztlich auf Kosten der Sonne, die sich ins Weltall hinein „verstrahlt“.

Hass zufolge besteht die gesamte Welt aus „Energaten“. Dies ist alle Materie, die noch nicht Teil von Energonen geworden ist, welche die von der Sonne geschenkte arbeitsfähige Energie „in ihren Dienst zwingen.“ (Nichts geschieht hier spontan.) Wie ein Feuer greift im Laufe der Evolution dieser Prozeß auf alle Energate über. Hass nennt ihn „Lebenstrom“, der dadurch ausgezeichnet sei,

daß sich im Gegensatz zu allen anderen bekannten energetischen Phänomenen sein Volumen und seine Potenz, Arbeit zu leisten – wie eine ständig anwachsende Lawine –, steigert. (Hass/Lange-Prollius: Die Schöpfung geht weiter, Stuttgart 1978)

Dieser Strom pflanze sich nur über energieerwerbende Systeme, eben die Energone fort. Hass zufolge nannte Ostwald die von den Energonen verarbeitete Energie deren „Rohenergie“.

Die dann netto eingenommene Menge nannte er „Nutzenergie“. Das Verhältnis zwischen Roh- und Nutzenergie nannte er „Güteverhältnis“. (…) Es bestimmt den Wirkungsgrad des betreffenden Energons. (Hass: Naturphilosophische Schriften, Bd. 2, München 1987)

Energone haben also, im Gegensatz zu Energaten, einen Wirkungsgrad – sie erzielen einen „Profit“.

Der Wirkungsgrad, der den Konkurrenzwert bestimmt, wird durch bestimmte Kategorien festgelegt. Diese entsprechen wiederum bestimmten Leistungen. So bestehen, obwohl natürlich materielle Strukturen unbedingte Voraussetzung sind, die Energone „letztlich nicht eigentlich aus materiellen Einheiten, sondern aus Leistungen. Sie sind Leistungsgefüge“ (ebd.).

Dies macht das Bild, das die Hass‘ Theorie von den Energonen zeichnet, für unser Denken unanschaulich. Hass vergleicht es mit den „Ideen“ Platons, die als verborgene Prinzipien gedeutet werden könnten, „die den äußerlich so verschiedenen Erscheinungen zugrunde liegen und ihr eigentliches Wesen ausmachen.“ Weiter beruft sich Hass, ganz wie Reich, auf Denker wie Kant, Hegel, Engels, Schopenhauer und Nietzsche.

Hans Hass geht „weniger von einer strukturellen als von einer funktionellen Beurteilung des Evolutionsvorganges (aus)“ (Naturphilosophische Schriften, Bd. 2, München 1987). Das Revolutionäre des neuen Denkens sei,

daß stets die Funktion das Primäre und der Funktionsträger das Sekundäre ist, weil die gleiche Funktion auch über sehr verschiedene Strukturen oder Techniken von statten gehen kann. (Hass/Lange-Prollius: Die Schöpfung geht weiter, Stuttgart 1978)

Nach Hass legen stets „die Funktionen, die zu erfüllenden Aufgaben“ fest. Sie bestimmen, wie die Strukturen beschaffen zu sein haben, nicht umgekehrt. Dies sei eine „Revolution des Denkens“ (ebd.).

Leider ist es mit dem in Hans Hass und der energetische Funktionalismus im Detail beschriebenen Funktionalismus von Hass doch nicht so weit her, denn für ihn handelt es sich bei der besagten Revolution nur um die Umkehrung „der Jahrtausende alten Verknüpfung zwischen Ursache und Wirkung in ihr Gegenteil.“

Dabei beruft sich Hass auf Empedokles (490-430 v.Chr.). Der erklärte die Zweckmäßigkeit bzw. Funktionalität in der Natur einfach daraus,

daß nur das Zweckmäßige bestehen und sich fortpflanzen konnte. Was unzweckmäßig war, mußte zugrunde gehen. Deshalb blieb – notwendigerweise – am Ende eben nur das Zweckmäßige übrig. (Naturphilosophische Schriften, Bd. 2)

F.A. Lange spricht bei Empedokles vom „rein mechanischen Zustandekommen des Zweckmäßigen“ (Geschichte des Materialismus). Oder wie Hass es ausdrückt:

Das „Zweckmäßige“ ist (…) nicht Ergebnis eines mühevollen Schöpfungsaktes – sondern setzt sich ganz automatisch durch (…). (Naturphilosophische Schriften, Bd. 2)

Das Schloß determiniert die Form des Schlüsselbartes, der Wind die Form des Flugsamens, etc. Wie das geschieht? Ein Schlüssel nach dem anderen wird in das Schloß eingeführt, bis endlich einer paßt. Dieser Schlüssel „überlebt“ und wird reproduziert, während der Rest ausgesondert wird. Wie gesagt: ein rein mechanisches Zustandekommen des Zweckmäßigen.

Auf diese Weise wird der energetisch-funktioneller Ansatz durch Teleologie verunreinigt. Ein Denken, das von „Zielen“ ausgeht, die für den mystischen Vitalisten metaphysisch gegeben sind. Der Materialist Hass hat nichts weiter getan, als diese metaphysische Hinterwelt durch die Umwelt im weitesten Sinne (den „inneren und äußeren ‚Fronten’“) zu ersetzen.

Das schützt ihn immerhin davor, „Zweckmäßigkeit“ als metaphysische Gegebenheit zu betrachten, vielmehr ist für Hass

das „Zweckmäßige“ an den Lebewesen (…) immer nur in Hinblick auf eine vom Organismus benötigte Funktion „zweckmäßig“. Zweckmäßigkeit ohne bezug auf eine zu erbringende Leistung gibt es nicht. (Naturphilosophische Schriften, Bd. 4)

Trotzdem, was sagt Hass‘ modifizierte Teleologie eigentlich anderes aus, als daß etwas zweckmäßig sei – weil es zweckmäßig ist?!

1942 beklagte Reich in Die Funktion des Orgasmus, daß die Naturforschung wohl stets versuche, metaphysische Annahmen auszuschalten. Wenn sie in Erklärungsengpässe gerate, dann aber doch nach einem „Zweck“ oder „Sinn“ suche, „die man ins Funktionieren legt“. Zur Widerlegung des finalen „Zweck“-Denkens in der Biologie gibt Reich u.a. folgendes an:

Die Harnblase kontrahiert sich nicht, „um die Funktion der Harnentleerung zu erfüllen“ (…). Sie kontrahiert sich aus einem Ursachenprinzip heraus, weil ihre mechanische Füllung eine Zuckung bewirkt. Das kann auf jede andere Funktion beliebig übertragen werden. Man verkehrt nicht geschlechtlich, „um Kinder zu zeugen“, sondern weil Flüssigkeitsüberfüllung die Genitalorgane bioelektrisch auflädt und zur Entladung drängt. In der Entspannung werden die Sexualstoffe entleert. Es steht also nicht die „Sexualität im Dienst der Fortpflanzung“, sondern die Fortpflanzung ist ein fast zufälliges Ergebnis des Spannungs-Ladungs-Vorgangs im Gebiete der Genitalien.

Und dieser orgonotische Vorgang macht hier das eigentliche funktionell Schöpferische aus! Das Lebendige funktioniert von innen nach außen und gestaltet so seine Umwelt. In der Teleologie ist es genau umgekehrt, egal ob sie sich auf „überweltliche Wirkstrukturen“ oder schlicht auf das Diktat der Umwelt bezieht.

Da Hass nicht konsequent dem energetischen Ansatz folgt, verfängt er sich in jene inhaltsleere Oberflächlichkeit, die das Lebendige aus dem Leben nimmt. Gerechterweise muß aber erwähnt werden, daß Hass ausdrücklich darauf hinweist, daß, sei sein Erklärungsversuch der Evolution mittels „Steuerkausalität“ durch die „Außen- und Innenfronten“ (Umwelteinflüsse, Konkurrenz, etc. und innere Abstimmung der Organe, etc.) falsch, die von ihm aufgestellte energetische Theorie (die „Energontherie“) davon nicht betroffen wäre (Naturphilosophische Schriften, Bd. 3).

Hans Hass hat ein ganzes Buch darüber geschrieben, daß die Funktionen nicht im luftleeren Raum hängen, sondern sich stets über „Funktionserweiterungen“ oder „Funktionswandel“ entwickeln (Naturphilosophische Schriften, Bd. 1).

Warum hat Hass nicht die Konsequenzen aus seiner eigenen Theorie gezogen? Mag sein, daß er einem Vorgang zum Opfer gefallen ist, dessen Hintergrund er selbst beschrieben hat. Im Bereich der „natürlichen“ Entwicklung konnten sich z.B. die Flügel der Vögel nur aus den vorderen Extremitäten im Verlauf einer langwierigen Funktionserweiterung und -wandlung herausformen. In der künstlichen Welt des Menschen fehlt jedoch dieser Funktionszusammenhang. Wohl nicht ganz, aber er ist nicht so offensichtlich. So wurde beispielsweise das Flugzeug „ex nihilo“ gebaut, weil man das Ziel des Fliegens vor Augen hatte. Vielleicht wurzeln Hass‘ Irrtümer darin, daß er vom Mechanischen und „Geistigen“ auf das Lebendige geschlossen hat.

Nehmen wir die Zirkusdressur als Beispiel. Es ist möglich z.B. einem Pferd fast alles beizubringen, solange man an schon vorhandene Funktionen anknüpft. Beim Gehen auf den Hinterbeinen wird z.B. an Drohgebärden oder an die Begattung angeknüpft. Die Funktion war so schon Millionen von Jahren da, bevor sich irgendein Zirkusdirektor an irgendwelche Aufgabenstellungen für Pferde gemacht hat. (Man kann sogar noch weiter gehen und dieses Verhalten auf die „kosmische Überlagerung“ zurückverfolgen.)

In Hass‘ mechano-mystischem teleologischen Denken bestimmt jedoch die Aufgabe z.B. Chicago zu erreichen das Verkehrsmittel Eisenbahn, mit dem diese „Funktion“ erfüllt werden kann. In seinem Artikel zur Orgonometrie im Orgone Energy Bulletin 1950 sieht Reich dies genau umgekehrt:

Es ist offensichtlich, daß bevor die Absicht existieren konnte, Chicago durch einen Zug zu erreichen, die Funktion der Dampfmaschine schon entwickelt gewesen sein mußte.

In seinem Artikel Orgonotic Pulsation sagt Reich 1944, erst mit der Funktion des Gehens, die sich (in Hass’schen Termini ausgedrückt) durch „Funktionsbündelung“ aus Teilfunktionen zusammengesetzt hatte, entwickelte sich das Ziel der Fortbewegung, z.B. einen Tisch zu erreichen.

Die Funktion bestimmt das Ziel, nicht – wie der [teleologische] Vitalist glaubt – das Ziel die Funktion.

Der Hass’schen Begriff „Funktionsteilung“ läßt sich durch folgendes Zitat aus Reichs Orgonometrie-Artikel abdecken:

Eine unbefangene Beobachtung des organismischen Funktionierens konnte nicht darin fehlgehen, die Tatsache freizulegen, daß die Organe weder die Wirkung noch das Resultat irgendwelcher Ursachen sind, sondern Variationen im Prozeß des Wachsens und expandierender, anschwellender Membranen plus Teilung funktioneller Einheiten.

Man sieht wieder: der schöpferische Impuls geht von innen nach außen!

Trotz guter Ansätze hat sich Hass doch in der mechano-mystischen Denkart verfangen, Ursache und Wirkung, bzw. Wirkung und Ursache, „Schloß und Schlüssel“ würden unverbunden „im luftleeren Raum“ aufeinander wirken. Als Energetiker hätte er sehen müssen, daß etwas Drittes, nämlich die Energie zwischen sie geschaltet ist. Es ist nicht so, daß nur die Umwelt auf die Lebewesen bzw. „Energone“ einwirkt, wie Hass es einseitig darstellt, sondern sie vor allem auch aktiv ihre Umwelt gestalten. So gesehen verwischen sich die Grenzen zwischen Ursache und Wirkung und ein wirklich neues, wirklich funktionelles Denken scheint auf, in der das Lebendige im Mittelpunkt steht:

Entsprechend kann man auch zwischen dem Beobachter der Natur und dem beobachteten Bereich der Natur keinen eindeutigen Trennungsstrich ziehen. Genauso wie das „Energon“ auf die Umwelt zurückwirkt, beeinflußt auch der Beobachter das Beobachtete. Beide Bereiche werden von der einen Lebensenergie bestimmt:

Eine andere Art zu denken, führt uns schnurstracks in den Mystizismus.

Die Unbestimmtheit, in der Hass, geprägt durch Thermodynamik und Philosophie, „die Energie“ beläßt, führt zu frappanten Unterschieden zur Orgonomie. Zum Beispiel spricht Hass davon, die Energie würde nicht die Form der Energone bestimmen. Ist doch für ihn die Gestalt der „Leistungsgefüge“ absolut nebensächlich, solange sie nur einen hohen Wirkungsgrad haben. So ist sogar der Energie-Metabolismus für die Energone letztlich „bloß Hilfsmittel, das unter Umständen auch überflüssig werden kann.“ Ein abgestorbener Rosendorn erfüllt z.B. seine Funktion weit besser als ein noch lebender.

Hier kann aus orgonomischer Sicht die folgende orgonometrische Gleichung (nach Konia: Journal of Orgonomy, May 1982) vieles klarer machen:

So leitet Reich die Funktion und die Morphologie orgonotischer Systeme von der Bewegung der Orgonenergie ab. Sie gefriert zu einer Struktur und äußert sich dann innerhalb dieser Struktur in bestimmten Funktionen. Das klarste Beispiel hierfür ist die idealisierte Gestalt des Tieres und sein Orgasmusreflex („geschlossenes Orgonom“).

Dieses Funktionieren findet sich auch in den Prozessen. Hass behauptet, „der Kreisprozeß“ sei „der gemeinsame Gesichtspunkt“ (CFP), mit dessen Hilfe es möglich ist, „das verzweigte Gewirr von Ursache und Wirkung im Organismus zu entflechten“:

Im Querschnitt bieten die Energone ein unüberschaubares Netz von Verflechtungen – einen „Kausalfilz“. Aus der Sicht ihrer evolutionären Entwicklung veränderten und entfalteten sie sich dagegen in immer wiederkehrenden Kreisprozessen. Wie in ständigen Strudelbildungen fließt – tastet sich – der Entwicklungsstrom weiter. (Naturphilosophische Schriften, Bd. 2, München 1987)

Hass nennt dies „die Theorie der funktionellen Kreisprozesse“. (Sie sei jedoch ein Zusatz, der die Energontheorie nicht direkt berühre.) Diese Theorie zeige einen gesetzmäßigen Weg, „wie es durch Aufeinanderfolge von Funktionsveränderungen zu Fortschritten und Höherentwicklungen kommen konnte.“

Zur Einführung seiner Theorie erwähnt Hass, der Gedanke des Kreisprozesses sei öfters aufgetaucht, so z.B. im buddhistischen „Rad der Wiederkehr“. Hass erwähnt auch Nietzsches „Ewige Wiederkehr“. Seine eigene Theorie stellt er wie folgt graphisch dar:

Dazu schreibt Hass:

Der Funktionsträger G leistet zunächst nur die Funktion a. Im Zeitintervall 1 nimmt er, in Funktionserweiterung, die Funktion b hinzu; in der Spanne 2 auch noch die Funktionen c und d. Es kommt so zu einer Überbürdung, und in der Zeitspanne 3 findet eine Funktionsteilung statt: H übernimmt die Funktion c, I die Funktion a, b und d. In der Zeitspanne 4 kommt es zu einer weiteren Funktionsteilung. Der Funktionsträger I hat schließlich wieder bloß eine Funktion. Bei ihm wie auch bei H kann es zu weiteren Kreisprozessen (analog G) kommen.

So finden wir auch bei Hass die Kreiselwelle:

Selbst auf die Überlagerung kommt Hass zu sprechen, wenn er das Verhältnis der Zellen zu ihren Organellen (Bionen), z.B. Mitochondrien oder Ribosomen, erwähnt. Danach kam es in der Phylogenese der Zellen

durch Verbindung bereits fertig entwickelter, sozusagen vorfabrizierter Einheiten, zur Höherentwicklung. der Spruch: créer cést unir – schöpfen heißt vereinen – erfaßt diese Vorgänge treffend. (Hass/Lange-Prollius: Die Schöpfung geht weiter, Stuttgart 1978)

Hass geht auch davon aus, daß die Evolution erst durch die sexuelle Vermischung der Erbinformationen, also durch die Überlagerung verschiedener Erbrezepte, ihre Ergebnisse in der verhältnismäßig kurzen Zeit, die ihr zur Verfügung stand, hat zeitigen können.

Reich und die moderne Biologie (Teil 1)

7. Dezember 2014

Mancher wird sich an die Aufregung um das „Human Genom Projekt“ erinnern, die Entschlüsselung des „genetischen Codes“ des Menschen, und was für ungeheure Folgen es haben würde: wir würden beginnen so gut wie alles zu verstehen. Die Euphorie hat sich schnell verflüchtigt.

Es wurde berichtet, daß die Entschlüsselung des menschlichen „Epigenoms“ gelungen sei. Thema der Epigenetik ist die Steuerung der Genexpression. Schließlich sind die Gene in jeder Körperzelle, etwa in einer Nierenzelle oder einer Netzhautzelle, identisch und außerdem werden nicht alle Gene von der Zelle gleichzeitig benötigt. Was steuert also die Gene – die doch angeblich den menschlichen Organismen steuern?

Die Wissenschaft erklärt dies heute insbesondere durch Verweis auf die „Methylierung“, mit der wir uns bereits in Die Kinder der Zukunft und die Genetik (Teil 3) und Der zweite Code und die Kinder der Zukunft beschäftigt haben:

An einige DNA-Bausteine hängt der Körper kleine chemische Schalter, Methylgruppen genannt, an und schaltet damit dahinterliegende Gene aus.

Man sieht, die mechanistische Wissenschaft verlagert das Problem lediglich, denn was steuert nun wiederum die „Methylgruppen“?

Wir sind gerade Zeugen einer Revolution in den Biowissenschaften, durch die Reich von neuem im Wesentlichen Recht gegeben wird. Das Ende der erdrückenden Dominanz der Genetik ist nah.

Reich zufolge werden durch das Energiesystem neugeborenes Kind „einige elementare kosmische Funktionsgesetze in den Bereich menschlichen Handelns gebracht.“ Es bilden „sich die Spermatozoen und Eier in den Metazoen (…) durch Kondensation von Orgonenergie im Keimgewebe“ (Die kosmische Überlagerung). Reich fragt „worin konkret sich die Vererbung kundgibt, an welchen biologischen Funktionen sie abläuft.“ und glaubte die, damals noch hypothetischen Gene wären „eigens dazu erdacht die Frage des lebendigen Funktionierens“ zu verhüllen und den Zugang zur formbildenden lebendige Kraft zu verrammeln (Der Krebs).

Und tatsächlich war es zu Reichs Lebzeiten „alles andere als klar, daß diese Einheiten [die Gene] Moleküle in Begriffen der strukturellen Chemie waren.“ (Max Delbrück z.n. J. Herbig: Die Geningenieure, München 1978) Heute sind wir immerhin weiter und kennen die Struktur der Gene genau. Zwar kann man heute noch immer nicht erklären, wie sich neue Arten entwickeln, aber die Konstanz der Arten ist mit Hilfe der Gene erstmals verständlich geworden!

Wissenschaft findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern ist wie jedes menschliche Handeln durch die Charakterstrukturen bestimmt und es will so scheinen, daß die wissenschaftlichen Erfolge bezüglich dieses „konstanten Faktors“ mit der Panzerung der Wissenschaftler zusammenhängen. Man dringt wohl ins Innere der Körperzellen und sogar in die Atomkerne vor, aber die Orgonenergie wird übersehen. Der gepanzerte Mensch nimmt nur das für wahr, was seiner Panzerung entspricht – er nimmt nur das Unbewegliche, das „Unbedingte“ wahr. So ist ihm das Wesentliche bei der Vererbungsfrage durch die Hände geglitten.

Henri Bergson hat in seiner Einführung in die Metaphysik diesen Grundirrtum wie folgt in der Geschichte der Philosophie festgemacht, die unsere Naturwissenschaft geprägt hat: Der Irrtum der antiken Philosophien lag darin,

daß sie immer aus dem menschlichen Geiste so natürlichen Glauben schöpfen, eine Veränderung könne nur Unveränderlichkeiten ausdrücken und entwickeln. Hieraus ergab sich, daß die Aktivität eine abgeschwächte Kontemplation, die Dauer ein trügerisches und bewegliches Bild der unbeweglichen Ewigkeit, die Seele ein Sturz der Idee war. Diese ganze Philosophie, die mit Plato beginnt, um bei Plotin anzulangen, ist die Entwicklung eines Prinzips, das wir folgendermaßen formulieren würden: „Im Unbeweglichen ist mehr enthalten als im Beweglichen, und man gelangt vom Stabilen zum Unstabilen durch eine einfache Verminderung.“ Das Gegenteil aber ist die Wahrheit.

Diese Tradition führte in der Biologie schließlich zur Genetik, die eben keine „reine“ Wissenschaft ist. Eine solche kann es (in einer gepanzerten Gesellschaft) gar nicht geben, da Wissenschaft immer mehr ist als die Ansammlung von Fakten. Die Charakterstruktur filtert diese zwiefach: erstens wird die Faktenauswahl beschränkt, man sucht das Statische, und zweitens wird ohnehin alles im Sinne des Statischen interpretiert, – weil man selber „statisch“ ist, gepanzert.

In seinem Buch Die Selbstorganisation des Universums (München 1982) führt Erich Jantsch aus, daß Bergson sich seinerzeit u.a. gegen die Meinung wandte, menschliches Gedächtnis habe seinen Sitz ausschließlich im Gehirn:

Gedächtnis ist ihm zufolge eine Funktion des Gesamtorganismus. Die Unterscheidung zwischen metabolischem und neuralem Gedächtnis, je nach Art der beteiligten Kommunikationsprozesse, bringt hier Klärung. Die Existenz eines metabolischen Gedächtnisses im Menschen bestätigte sich, als Wilhelm Reich in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts nachwies, daß sich traumatische Erlebnisse nicht nur in der Psyche, sondern auch in Muskelkontraktionen niederschlagen.

Es wäre interessant hier auch den Einfluß des deutschen Zoologen Richard Wolfgang Semon (1859-1918) auf Reich näher zu analysieren, denn wie in der Chronik der Orgonomie erwähnt, gehörte, neben Bergson, auch Semon zu Reichs frühsten wissenschaftlichen Prägungen. Semon hatte angenommen, daß Sinneseindrücke zu permanenten Veränderungen in den Nerven führen. Diese Engramme (Spuren) ermöglichen Semon zufolge die Assoziation und Erinnerung und sie gehen ins Erbgut ein. Alle Engramme zusammen bilden die Mneme, d.h. das biologische Gedächtnis.

Die Lehre von der Vererbung erworbener Eigenschaften hat sich bis zum heutigen Tage, obwohl sie richtig ist, praktisch nicht durchsetzen können. (Der Krebs)

Bei dieser Verteidigung des Lamarckismus dachte Reich wohl an das Schicksal eines seiner wichtigsten frühen Anreger. 1919 hatte Reich den österreichischen Zoologen Paul Kammerer (1880-1926) persönlich kennengelernt, dem es gelungen war, die Vererbung erworbener Eigenschaften an Niederen Tieren und Amphibien experimentell nachzuweisen.

Der Biologe Alexander Vargas von der Universität von Chile ist nach Untersuchung der Laborbücher Kammerers zu dem Schluß gekommen, daß Kammerer ein früher Vertreter der erwähnten Epigenetik war.

An Kammerers Biologievorlesungen erinnerte sich Reich „mit besonderer Vorliebe“. Ilse Ollendorff zufolge führte Reich sein bleibendes Interesse an der Biologie auf Kammerers Wirken zurück. In Der Krebs zitiert er Kammerer ausführlich.

Näheres über Kammerer kann der Leser in Arthur Koestlers Der Krötenküsser (München 1972) finden. Hier sei Kammerer nur kurz zitiert, um einen Eindruck von seiner Grundeinstellung zu vermitteln, die nachhaltig auf Reich gewirkt hat:

Entwicklung ist (…) nicht erbarmungslose Auslese, die alles Lebendige formt und vervollkommnet, nicht verzweifelter Kampf ums Dasein, der allein die Welt beherrscht. Alles Geschaffene strebt vielmehr aus eigener Kraft nach oben dem Lichte und der Lebensfreude zu und begräbt nur Unbrauchbares im Gräberfeld der Selektion.

Anfang der 1920er Jahre war Kammerer einer der berühmtesten aber auch umstrittensten Biologen der Welt. Zu einer Zeit als sich die Eugenik, d.h. die Züchtung wertvollen und die „Ausmerzung“ wertlosen Lebens zunehmend durchsetzte, vertrat Kammerer offensiv einen Lamarckismus, demzufolge beispielsweise die guten Eigenschaften, die eine gute Kindererziehung mit sich bringt, an zukünftige Generationen vererbt wird. Es war nur naheliegend, daß er 1926 an die Kommunistische Akademie der Wissenschaften in Moskau, die Institution für fortschrittliches Gedankengut, berufen wurde.

Leider konnte er diesen Posten nicht mehr ausfüllen, da er infolge des Skandals um einen angeblichen wissenschaftlichen Betrug Selbstmord verübte. Stattdessen wurde Iwan Wladimirowitsch Mitschurin zum führenden sowjetischen Lamarckisten. Unter Mitschurins Einfluß war die Parteilinie seit 1929 offiziell Lamarckistisch. Er stand so hoch in Kurs, daß seine Heimatstadt Koslow nach seinem Tod 1935 in Mitschurinsk umbenannt wurde. So heißt sie heute noch.

Diese Entwicklung war nicht verwunderlich, denn schon Engels hatte davon gesprochen, daß die Bedürfnisse des Vormenschen sich ihre Organe geschaffen hätten. Bereits 1906 hatte Stalin darauf hingewiesen, daß die Theorie des Neo-Lamarckismus an die Stelle des Neo-Darwinismus rücke, denn sie zeige, „wie quantitative Veränderungen qualitative hervorbringen“ (C.D. Darlington: Das Gesetz des Lebens, Wiesbaden 1959).

Als „humanistische Materialisten“ wollten die Sowjetmarxisten die Welt langfristig zum Guten wenden, und dazu bot damals nur der Lamarckismus einen realistischen Ansatzpunkt, wollte man nicht wie die Nazis Menschen züchten. Der Lamarckismus war das Ideal für die über Generationen hinweg in die Zukunft blickenden Erziehungsdiktatoren der Sowjetunion. Aktuelle Verhaltensveränderungen würden sich verewigen und so das Sowjetsystem langfristig absichern.

Es ist nicht verwunderlich, daß der „bürgerliche“ Begründer des Behaviorismus, J.B. Watson, enthusiastisch Kammerers Ergebnisse über die Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften begrüßte. Watson:

Wie viel würde es für die Pädagogen, für die Gesellschaft im allgemeinen bedeuten, wenn [Kammerers Resultate] richtig wären!

Reich reiht sich hier lückenlos ein. Noch 1949 hat Reich den berühmt-berüchtigten Hohenpriester des „Mitschurin-ismus“, Trofim Denissowitsch Lyssenko, in einem Brief an Neill gegen die amerikanischen Genetiker verteidigt. Reich beklagt nur, die Russen hätten rein politische Motive geleitet, die sie zufällig auf die richtige wissenschaftliche Seite geführt hätten.

Neben dem Einfluß des Vitalismus (wie ihn Kammerer vertrat) und des „Dialektischen Materialismus“ auf Reich ist natürlich in vorderster Linie Freud zu nennen. In der Psychoanalyse diente der Lamarckimus hauptsächlich dem Zweck, eine Art Ursünde auf den Grund des Unbewußten zu setzen. So führt Freud (noch ziemlich vage) in Totem und Tabu den Ödipuskomplex auf den „Vatermord in der Urhorde“ zurück, der so quasi angeboren ist. Explizit sollte sich Freud zwei Jahrzehnte später in Der Mann Mosese zum Lamarckimus bekennen, trotz der „gegenwärtigen Einstellung der biolgischen Wissenschaft (…), die von der Vererbung erworbener Eigenschaften auf die Nachkommen nichts wissen will.“

Freud brauchte den Fortbestand von Erinnerungsspuren aus der archaischen Erbschaft, um die Kluft zwischen Individual- und Massenpsychologie überbrücken zu können, d.h. um die Völker wie einzelne Neurotiker behandeln zu können. Freud:

Wir tun damit auch noch etwas anderes. Wir verringern die Kluft, die frühere Zeiten menschlicher Überhebung allzuweit zwischen Mensch und Tier aufgerissen haben. Wenn die sogenannten Instinkte der Tiere, die ihnen gestatten, sich von Anfang an in der neuen Lebenssituation so zu benehmen, als wäre sie eine alte, längst vertraute, wenn dies Instinktleben der Tiere überhaupt eine Erklärung zuläßt, so kann es nur die sein, daß sie die Erfahrung ihrer Art in die neue eigene Existenz mitbringen, also Erinnerungen an das von ihren Voreltern erlebte in sich bewahrt haben. Beim Menschentier wäre es im Grunde auch nicht anders. Den Instinkten der Tiere entspricht seine eigene archaische Erbschaft, sei sie auch von anderem Umfang und Inhalt.

Reich hat sich nie mit dem Mißbrauch des Lamarckismus durch die Stalinisten und Freudianer auseinandergesetzt. Dazu war er zu sehr in der jeweiligen Tradition verankert. Seine Kritik galt ausschließlich dem Mißbrauch des Darwinismus durch rechte reaktionäre Kreise im Sinne der Klassengesellschaft und des Rassenwahns. So unterscheidet Reich 1933 in seiner Massenpsychologie des Faschismus zwischen der Darwinschen Hypothese der natürlichen Zuchtwahl, die von Hitler rassistisch mißbraucht werden konnte, Reich nennt sie „reaktionär“, und dem Darwinschen Nachweis der Abstammung der Arten, der Reich zufolge „revolutionär“ gewesen sei.

lamarck

Lamarcks Vorstellungen wurden bis vor kurzem als wissenschaftliche Kuriosa betrachtet, die keiner ernsten Untersuchung wert seien. Mit Beginn des neuen Jahrtausends scheint sich eine Renaissance des Lamarckismus anzubahnen.

Man kann beispielsweise auf Joachim Klose von der Berliner Charite verweisen. Seiner Meinung nach, können epigenetische Informationen beim Menschen durchaus in die Keimbahn eingehen. Renato Paro vom ETH Zürich untersuchte entsprechendes bei der Fruchtfliege Drosophila. Würden sich diese Forschungsansätze bestätigen, wären die Konsequenzen global. Sogar die Evolution könnte sich schneller und gezielter abgespielt haben, als Darwin es sich vorgestellt hat. Sein verspotteter Gegenspieler Lamarck, der schon vor 190 Jahren von einer Vererbung erworbener Eigenschaften sprach, könnte zu neuen Ehren kommen.

Im letzten Jahrhundert wurde geflissentlich verdrängt, daß Darwin selber mit zunehmendem Alter immer mehr zu einem ausgesprochenen Lamarckisten wurde. Außerdem ging es bei Darwin weniger um die mechanistische Lehre zufälliger Mutation, sondern die natürliche Auslese als schöpferische Instanz stand zentral. Beide, Darwin und, wie wir gesehen haben, Lamarck, wurden schlimm entstellt und vulgarisiert – „mißbrauchsfähig“ gemacht.

Pierre P. Grassé (Evolution, Stuttgart 1973) meint, eine der Hauptmethoden Lamarck kaltzustellen, habe darin bestanden, ihm Behauptungen zuzuschreiben, die er so nie gemacht hatte.

Lamarck wird viel zu wenig gelesen und seine Gedanken wurden in einer so vereinfachten und schematisierten Form dargestellt, daß sie manchmal geradezu lächerlich wirken.

Für Lamarck war weniger die mechanistische Beeinflussung durch die Umwelt, die dann vererbt wird, entscheidend, als vielmehr innerplasmatische Vorgänge. Diese wurden jedoch, so Grassé,

bisher nicht in die Experimente mit einbezogen, die darauf abzielten die Erblichkeit erworbener Merkmale zu beweisen. Sie berücksichtigen vor allem die Umwelt und nicht den Organismus, ihre negativen Ergebnissen sind nur zu gut zu erklären.

Es wird kaum erwähnt, daß Lamarck einen Vervollkommnungstrieb annahm, der bestimmte „Fluida“, vergleichbar mit Bergsons „élan vital“, zu bestimmten Organen leiten bzw. sie von dort ableiten würde. Lamarcks Konzept von den „Fluida“ und einem inneren Drang der die Form bestimmt, erinnert an Reich:

Wachstum in der Längsachse (…) erscheinen (…) als energetische Funktionen des Körperorgons, als Resultate seines inneren Bestrebens, aus dem einengenden Membransack hinauszugelangen. Dabei dehnt sich die Membran und bildet so die vorquellenden Säcke der sich entwickelnden Organe in ihrem Ursprungsstadium. (Die kosmische Überlagerung, S. 64)

Etwa zeitgleich mit Reich entwickelte der Franzose Paul Wintrebert den „chemischen Lamarckismus“. Eine der theoretischen Hauptfragen des Lamarckismus ist, wie erworbene Merkmale der Körperzellen sich den Keimzellen mitteilen und sich dort verankern. Nach Wintrebert vollzieht sich dieser Vorgang in drei Etappen:

  1. In einem Organ bildet sich infolge einer durch das Milieu bewirkten Störung eine Substanz, die mit seinem Verhalten nichts zu tun hat und auf eine chemische Veränderung seiner Mechanismen hindeutet. Diese Substanz zeigt in ihrer Struktur Spuren ihrer Herkunft und wirkt wie ein Antigen.
  2. Es erfolgt eine Reaktion des Haut- und endokrinen Drüsen-Systems. Dieses neutralisiert die pathogene Wirkung des Antigens durch Erzeugung eines spezifischen Gegenstoffes, eines adaptiven Enzyms, das die mangelhafte Funktion anregt und das humorale [durch Blut- und Lymphewege übertragenes] Gleichgewicht wieder herstellt. Dieser Gegenstoff hat den Charakter eines zweckmäßigen und vergänglichen Begleithormons.
  3. Dieses adaptive Hormon verbindet sich gegebenenfalls chemisch mit den Nukleoproteinen des Erbplasmas. (z.n. Jean Rostand: Biologie – Wissenschaft der Zukunft, Darmstadt 1954)

Dabei ist hervorzuheben, daß Wintrebert die beiden ersten Stufen als Werk der lebendigen Substanz betrachtete und nur der dritten Etappe einen rein chemischen Charakter gab. Für Wintrebert bestand die Differenz zwischen Genetikern und Lamarckisten

im wesentlichen darin, daß für die Genetiker das Gen das Protoplasma steuert, während ganz im Gegenteil für die Lamarckisten das Protoplasma über das Gen, das es gebildet hat, verfügt, es verwendet oder nicht, je nachdem, ob in seiner Funktionsweise seine Struktur es dazu veranlaßt oder nicht, sich aufgrund chemischer Affinität mit ihm zu kombinieren. (Grassé)

Für den mechanistischen Genetiker ist die Evolution ein vom Lebensprozeß losgelöster Vorgang – nicht das Leben bildet und benutzt die Gene, sondern die „egoistischen“ Gene benutzen das Protoplasma, um ihre Information in die Ewigkeit weiterzugeben. Es ist das mechanistische Äquivalent einer extrem mystischen Weltsicht, in der eine unsterbliche Seele in der Reihe der „Wiedergeburten“ Körper benutzt.

Für den „aufgeklärten Lamarckisten“ Wintrebert hingegen ist die Evolution

eine Verkettung von Mechanismen, die adaptive Substanzen erzeugen, sie ist die ständige Schöpfung adaptiver Mutationen, die die Umwelt überwinden und die miteinander verkettet sind. Sie sind auf einen einzigen Erbvortrag zu reduzieren, hieße ihren Dynamismus mit der erblichen Kinematik zu verwechseln, aus dem Leben die schöpferische Funktion auszuschalten. (…) Die Evolution ist eine Verkettung von Neubildungen und die Vererbung begnügt sich damit, diese zu investieren. (z.n. Grassé)

Zum Abschluß ein Dokumentarfilm über die Evolution: