Diese Serie von Blogeinträgen klingt so wie ein systematisches Heruntermachen von Töpfers Bemühungen. Ich bin durchaus mit gegenteiligen Absichten an dieses Projekt herangetreten. Denn tatsächlich ist er umfassend gebildet, belesen, originell, ein unabhängiger Denker und schreibt ein hervorragendes Deutsch – jedenfalls ein besseres als ich. Außerdem sind wir in etwa die gleiche Generation. Er ist sehr offen, was seine eigene Befindlichkeit und Lebensgeschichte betrifft. Man muß ihm zu Gute halten, daß er bei mir als Leser den Impuls weckte auch selbst in die, wenn man will, Tiefenwahrheit zu gehen. JEDER HAT IRGENDWO RECHT!
Zentral für ihn scheint der Schmerz, gar der „Urschmerz“ zu sein. Ich hingegen muß sagen, daß Traumata m.W. keinerlei Rolle in meiner Abpanzerung gespielt haben, sondern vielmehr die Kontaktlosigkeit meiner Eltern, die man an kaum etwas Konkretem festmachen kann, die mich aber vielleicht gerade deshalb nachhaltig verunsichert hat. So kann selbst ein Wunschkind, daß mit Liebe und Zuneigung überschüttet wurde, emotional krank werden.
Meine Mutter ist an der Reeperbahn als Tochter eines Kellners und einer Kellnerin aufgewachsen, damals hochangesehene Berufe. Das Problem war, daß die alleinerziehende Kellnerin tagsüber schlafen mußte und die Kinder deshalb aus der Wohnung verbannt wurden. Tag ein Tag aus mußte meine Mutter bei jedem Wind und Wetter ihren Puppenwagen runter zum Bismarckdenkmal schieben und dort ihre Zeit damit verbringen, ihren Puppen die Liebe und Wärme zu schenken, die ihre Mutter, die sie kaum sah und ihre Oma, die sich fast ausschließlich um die Kinder kümmerte, meiner Mutter vorenthielten. Diese früh verwitwete Oma war ein schreckliches, kaltherziges, verbittertes, verbiestertes, sadistisches Weib. Meine Mutter empfand nie etwas anderes als abgrundtiefen Haß für dieses niederträchtige Scheusal. Eine ihrer gegen meine Mutter gerichteten Sprüche war beispielsweise: „Ich wollte, Deine Mutter hätte dich wegmachen lassen, wie all die anderen verfluchten Bälge auch!“ Meine Mutter schwor sich ihre eigenen Kinder nie zu schlagen, nie zu erniedrigen und ihnen alle Liebe der Welt zu schenken.
Mein Vater war geprägt durch frühen Kriegsdienst, Kriegsgefangenschaft und daran anschließendes 10 jähriges Exil in England als Knecht auf einem Bauernhof, einfach weil er nach einem kurzen Besuch glaubte, das vollkommen zerbombte Hamburg sei auf ewig zerstört. Ihm wurde schließlich eine Farm oder Ranch in Alberta angeboten, denn es galt immer noch das englische Weltreich zu bevölkern, aber er zog es vor in den Schoß seiner katholischen Familie nach Hamburg zurückzukehren, die er zutiefst verachtete, nachdem er miterlebt hatte, wie man eine uneheliche Cousine zeitlebens als „Frucht der Sünde“ behandelt hatte. Er kehrte zurück, weil sein Vater, mein Opa, den ich leider nie kennenlernen durfte, im Suff tödlich verunglückt war. Ein Suff, in den ihn meine Oma, ebenfalls ein schreckliches Weib, getrieben hatte. Einst sollte mein Vater seinen Vater aus der Kneipe abholen. Was er da zu Gesicht bekam, ließ ihn schwören, niemals selbst zu trinken. Also kurzentschlossen entschied er sich, seiner nun zur Witwe gewordenen Mutter beizustehen: statt das vielversprechende Abenteuer Alberta, wählte er aus reiner Gutmütigkeit das Dasein als Hafenarbeiter im Hamburger Hafen.
Diese Familiengeschichte trug mir die untergründige Kontaktlosigkeit zweier vom Leben Betrogener ein und den Neid und abgrundtiefen Haß meiner frühen Spielkameraden und das damit zusammenhängende sozusagen „außerfamiliäre“ Trauma für mich, das einen lebenslangen Hang zur Sozialphobie erzeugte. Sie kannten keine liebevollen Mütter, keine gewaltfreien und dem Alkohol abholden Väter, kein intaktes Familienleben, sondern nur Streit, Familiendramen und Gewaltexzesse im Suff. Als einziger Spielkamerad blieb mir der Sohn eines, wie ich im nachhinein glaube, Anthroposophen, der in unserer Behelfsheimsiedlung für Ausgebombte einen Schrebergarten besaß.
Die fremdelnde Distanz zu und tiefsitzende Verachtung für „unsere Gesellschaft“ steckte tief in mir drin, als ich ähnlich wie Töpfer absurd früh zu geistigen Höhenflügen ansetzte. Ich werde häufig gefragt, warum ich all das, etwa diesen Blog, mache: weil ich spätestens seit meinem 13. Lebensjahr nichts anderes tue, als – das, was ich tue… Hier eine Schöpfung aus der Zeit meines Erwachens in Richtung Orgonomie:
Die Frage nach dem Sinn und Funktion meiner Tätigkeit stellen mir immer Leute, deren Leben vollständig leer ist; die ihre Abende und ganze Nächte mit Computerspielen verbringen, allein schon um ihrer öden Beziehung zu entfliehen, und sich auch sonst nur mit irgendeinem verblödenden Scheißdreck beschäftigen, den sie nur mit Alkohol und Psychopharmaka ertragen können! Jede Tiefe ruft in ihnen Panik hervor. An sich tun sie nichts anderes als sich die Zeit bis zum Tod zu verkürzen.
Was mich von Töpfer unterscheidet, ist, daß mir sein radikaler Subjektivismus vollkommen fremd ist. Wie ich bereits ausführte, hat sein gesamter Ansatz etwas Kindlich-Magisches an sich: wenn ich selbst die Augen zumache, sehen mich die anderen nicht. Für ihn lebt jeder in seiner eigenen Wahrheit. – Dabei muß ich spontan an Bronislaw Malinowskis Analyse von „Wissenschaft und Magie“ bei den Trobriandern denken. Die Trobriander denken nur in jenen Bereichen wie Kinder, nämlich magisch, wo sie die Umwelt nicht gezielt beeinflussen können. Ändert sich das, löst sich die magische Lebenshaltung in Luft auf. Beispielsweise werden die Schiffe für die weiten Expeditionen in die Inselwelt Mikronesiens nach allen Regeln rationaler Handwerkskunst („Wissenschaft“) gebaut, ohne auch nur einen Hauch von Magie. Wenn es aber um so etwas Unberechenbares wie die Unbilden des Wetters und des Weltmeeres geht, greift man zu kindischen Zaubersprüchen und irgendwelchen magischen Amuletten. Diese Magie weicht bei den Primitiven (jedenfalls bei den genital gesunden Primitiven) instantan der wissenschaftlichen Aufklärung, so wie die Sonne die Wolken vertreibt, wenn sie die Situation praktisch bewältigen können. – Es hat etwas zutiefst Beunruhigendes, daß dieses subjektivistische Weltbild bei Töpfer immer mehr alles zuwuchert und daß dann noch unter dem Vorwand, die LSR-Aufklärung praktisch zu machen und dergestalt zu vollenden. „Wissenschaft“ ist sein großes Feindbild.



















