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Orgonomie und Metaphysik (Teil 16)

12. Dezember 2021

Reich hatte ein Muster in seinem Leben, die „Offensichtlichkeit“: „Libido“ führt folgerichtig zur Orgasmustheorie, obwohl jeder klug genug war, sie niemals anzurühren; Psychoanalyse führt logischerweise zur Erfassung des individuellen Charakters und zur Infragestellung des gesamten sozialen Systems („politische Psychologie“, Massenpsychologie). Auch das Orgon ist unvermeidlich, weil Atome keinen Sinn machen (Moleküle können durch ihr Zusammenspiel kein Bewußtsein „produzieren“) und „Geist“ erklärt gar nichts (Donner wird auf den „Donnergott“ zurückgeführt). Ein unverzichtbares Element von Wissenschaftlichkeit ist die evolutionistische Komponente. Man muß jeweils einen konkreten Entwicklungsverlauf angeben können: der Geist des Menschen muß sich wie alles andere in der Natur (Mineralien und Lebewesen) entwickelt haben. Das letztere kann der Materialismus zwar, aber die Materie ist ihm etwas Gegebenes. Daran ändert das mystische Ereignis „Urknall“ auch nichts.

Reich führt über den Unterschied zwischen toter Materie und dem Lebendigen aus:

Nach den Anschauungen, die sich aus den Bionversuchen ergeben, besteht der Unterschied gar nicht in irgend etwas, das im Lebendigen neu hinzukommt und es zum Lebendigen macht; der Unterschied ist eine besondere Kombination von Funktionen, die man isoliert für sich auch im Leblosen findet. (Die Bionexperimente, Frankfurt 1995, S. 161)

Und weiter: Um das Lebendige erfassen zu können, müsse man die „Ganzheitsfunktion“ auffinden,

die man zwar in Einzelfunktionen physikalischer und chemischer Art zerlegen kann, die man auch im Anorganischen vorfindet, die aber im Anorganischen nicht als einheitliches Ganzes funktionieren. Man übersah bisher, daß die einheitliche Ganzheitsfunktion in keinem Gegensatz zur Summe der Einzelfunktionen steht; das gab den Vitalisten die Grundlage ab, das Unerklärliche metaphysisch zu begründen wie etwa bei Driesch. (…) Notwendig ist die restlose Erfassung des Sprunges von der Summe der Einzelfunktionen zum einheitlichen Funktionieren aller dieser Einzelfunktionen. Es wäre somit ein Kolloidgemisch nicht dann als Leben zu definieren, wenn es die das Lebendige charakterisierenden physikalischen und chemischen Funktionen zeigt, sondern erst dann, wenn diese Funktionen zu einer Einheit des Organismus zusammengefaßt sind, wobei in der Ganzheitsfunktion sich sämtliche Elemente jeder Einzelfunktion finden müssen. (ebd., S. 162f)

Reich fährt fort: „Die Ganzheitsbetrachtung der organischen Systeme stand bisher als metaphysischer Idealismus dem der Teilfunktionsanalyse der gleichen Systeme als mechanischem Materialismus gegenüber; sie waren absolute Gegensätze, unvereinbar. Mit der dialektischen Auflösung dieses Widerspruchs von Ganzheit und Details löst sich das Problem des Lebens in befriedigender Weise durch Ausschaltung des metaphysischen Jenseitsprinzips für die Erklärung des Ganzen“ (ebd., S. 163).

Entsprechend findet man auch in nichtbewußten Vorgängen Elemente des Bewußtseins, doch die müssen erst zusammenfinden, um Bewußtsein im eigentlichen Sinne zu erzeugen: Lust und Angst sind die beiden Grundemotionen die allem Lebendigen gemeinsam sind, sie sind deshalb etwas Außerpsychisches! Lust und Angst hat z.B. auch eine Amöbe, ohne daß wir ihr eine „Psyche“ zuschreiben würden! Bei höheren Lebewesen, insbesondere aber beim Menschen sind die „Herausbewegung“ (Lust) und die „Hereinbewegung“ (Angst) funktionell identisch mit der bewußten Lustempfindung bzw. bewußten Angstempfindung. Wobei das sympathisches Nervensystem mit der Angst und das parasympathische Nervensystem mit der Lust verbunden sind. Bewußte Empfindungen („ich weiß, daß ich weiß“) sind vom Retikularen Aktivierungssystem im Stammhirn abhängig, das alle Nervenimpulse fokussiert und auf die Hirnrinde projiziert: „ich bin gut drauf“ (Lust), „mir ist beklommen zumute“ (Angst).

Im Plasma selbst finden sich die Funktionen Erregung und Wahrnehmung. Aus der letzteren leiten sich dann wie erläutert im Laufe der Phylo- und Ontogenese Emotion, Empfindung und Bewußtsein ab, die jeweils mit bestimmten Erregungsvorgängen verbunden sind: bei der Emotion ist es die radiale Pulsation der organismischen Orgonenergie, bei den Empfindungen ist es das energetische Orgonom und beim Bewußtsein das Zusammenfließen aller höheren Wahrnehmungsfunktionen im Gehirn.

nachrichtenbrief157

14. Juni 2020

Orgonometrie (Teil 3): Kapitel 5

12. Februar 2019

orgonometrieteil12

5. Reichs Selbstverständnis als Naturwissenschaftler

nachrichtenbrief124

1. Dezember 2018

Der Grundfehler der Orgonomie im Umgang mit der Öffentlichkeit

1. März 2018

Seit Reichs Zeiten wird immer wieder der gleiche Fehler gemacht: gegen die Lüge der anderen wird die Wahrheit (nicht „die eigene Wahrheit“, sondern DIE Wahrheit) gesetzt. Etwa gegen die Lüge, daß Reich nicht ganz richtig im Oberstübchen war, die Wahrheit, daß das Orgon existiert und praktisch eingesetzt werden kann. Theoretisch mag dieser Ansatz die beste Lösung sein, doch praktisch… Praktisch sieht es aus der Perspektive des Publikums so aus, daß hier jede Seite ihre „eigene Wahrheit“ vertritt und die Jury folgt dann fast immer dem gesellschaftlichen Mainstream. So kann die Orgonomie niemals auf einen grünen Zweig kommen. Was tun?

In der realen Welt, weit weg von wissenschaftlichen Prinzipien, Kliniken, Forschungslabors und erkenntnistheoretischen Erwägungen, geht es immer nur um Erzählungen, d.h. letztendlich um EMOTIONEN. Eine solche Erzählung ist „Reich der verrückte Pseudowissenschaftler“ und weniger populär „Reich der Orgasmuskönig“. Zwei Erzählungen, die den eigentlichen Inhalt von Christopher Turners Adventures in the Orgasmatron ausmachen. Ein sehr modernes Buch, denn nur oberflächlich geht es um eine Biographie mit akademischem Anspruch, im Kern aber um das Ausspinnen der zwei besagten populären Erzählungen. Worum es heutzutage generell geht, sieht man etwa anhand von Obama und Trump: in den letzten Jahren ging es nie auch nur ansatzweise um objektive politische Berichterstattung, sondern einzig um das Fortspinnen der Erzählung vom humanistischen und intellektuellen Superneger Obama bzw. vom rassistischen und tumben Kinderfresser Trump. Man kann tun und lassen, was man will, gegen derartige Erzählungen ist nicht anzukommen! Nochmal: Was tun?

Das einzige, was man tun kann, ist auf subversive Weise eine Gegenerzählung in Gang zu setzen. Untergründig hat es diese Gegenerzählung in der Orgonomie stets gegeben, sie hat beispielsweise den heutigen Präsidenten des American College of Orgonomy als Jugendlichen zur Orgonomie gebracht: Reich als heroisches Opfer finsterer Machinationen „der Mächtigen“.

Baut man dadurch nicht selbst die eigene Unternehmung auf der Lüge auf? Nur aus mechano-mystischer Sicht stoßen wir hier auf ein Dilemma. In der funktionellen Herangehensweise unterscheiden wir nicht zwischen „irrationalen“ Gefühlen (Erzählungen) und rationalem Verstand (die Wahrheit), sondern zunächst einmal zwischen primären (ungepanzerten) und sekundären (gepanzerten) Gefühlen. Es geht schlichtweg darum, daß irrationale Argumente sich, so Reich, nicht mit Verstandesargumenten allein schlagen lassen. Die gegen sie vorzubringenden Verstandesargumente müßten vielmehr „auf festem Fundament kräftiger, natürlicher Gefühle ruhen“ (Die sexuelle Revolution, Fischer TB, S. 203).