Posts Tagged ‘Amöbe’

Orgonomie und Metaphysik (Teil 47)

17. März 2022

Der Weg zum „höheren Selbst“ geht über das Einstimmen. In indischen Begriffen die Entwicklung des Gemüts über die drei „Guna“: Tamas (Trägheit), Rajas (emotionales Aufgewühltsein) und schließlich Satvas (geistige Abgeklärtheit). An sich entspricht es dem Weg zu immer höherer biophysischer Motilität. Der höheren Bewußtseinszustand ist eine Funktion der Stimmung entsprechend den Schritten „bioenergetischer Stimmung“: okular –> oral –> anal –> phallisch –> genital. Insoweit wiederspricht die Bewußtseinsentwicklung hin zu höheren „Vibrations“ also durchaus der Orgonomie. Das Problem ist halt nur, daß dieses Einstimmen sehr schnell in hysterische Flucht vor der Genitalität umschlagen kann. Die höchste „Reinheit“ und Geistigkeit ist nichts als Sehnsucht nach Genitalität bei gleichzeitiger Flucht vor ihr. Das macht die Anziehungskraft von Religion, Mystik und Esoterik aus.

Ich fühle immer mehr die „Amöbe“ in mir, die sich z.B. bei einem Krebskranken langsam kontrahiert. Siehe dazu Reichs Buch Die bio-elektrische Untersuchung von Sexualität und Angst. Wäre die Kontaktaufnahme mit diesem kontraktilen Vegetativum nicht eine spezifisch orgonomische Form der Meditation? Interessant ist, daß die älteste Religionsgemeinschaft der Welt, die indischen Jainas, die altertümlichste Philosophie überhaupt vertreten: daß die menschliche Seele in ihrer Form exakt dem menschlichen Körper entspricht. Natürlich sind es allerschlimmste Mystiker, aber sie verweisen mit ihrer atavistischen Theorie indirekt doch auf eine tragikomische Tatsache: das, was Mystiker für das höchste im Menschen halten (die unsterbliche Seele), ist in Wirklichkeit sein allerniedrigstes – die (unsterbliche) Amöbe.

Noch ernüchternder ist Freud. Psychoanalytisch ist der Geist gleich Kot. Reich führt dazu Mitte der 1920er Jahre aus:

Der Gedanke wird, wie bereits Jones und Abraham nachgewiesen haben, unbewußt ganz allgemein als Ding, speziell als Kot, aufgefaßt. Überaus häufig fällt hartnäckiges Schweigen mit Obstipation zusammen und vergeht wieder, wenn der Stuhlgang vorübergehend geregelt ist. Im Verlaufe einer solchen Analyse ergab sich zwanglos der Ausdruck „Gedankenobstipation“ für das neurasthenische Widerstandsschweigen, das bei anderen Patienten sein Gegenstück in einer nicht zu hemmenden Logorrhoe hat („Wortscheißerei“ nach dem Ausdruck eines Patienten). Ein Neurastheniker bezeichnete die Analyse als den Kübel, in den er seinen „Mist“, i.e. seine Gedanken entleert. Der Gedankenproduktion kommt die unbewußte Bedeutung und der Gefühlswert der Defäkation ganz allgemein, der „Gedankenobstipation“ die der Kotobstipation vielleicht nur in speziellen Fällen zu. (…) Eine Patientin pflegte bewußt Gedanken zu unterdrücken, sobald sie im Verlaufe der Assoziationen zu unangenehmen Themen gelangte. Regelmäßig stellten sich auch Druck im Kopf, Müdigkeit und Übelkeiten ein. Gleichzeitig traten Hitzegefühle auf, die wieder vergingen, sobald die „Gedankenobstipation“ wich. Ebensolche Hitzegefühle begleiteten aber auch die Darmobstipation. („Über die chronische hypochondrische Neurasthenie mit genitaler Asthenie“, Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse 12(1), 1926, S. 25-39).

Unwillkürlich muß man an DOR denken.

1934 glaubte Reich, „daß die Inhalte der psychischen Tätigkeit rationale Gebilde der Außenwelt sind und daß nur die Energiebesetzungen der Innenwelt entstammen.“ Und weiter: „Wir übersehen aber hier nicht das wichtige, noch ungeklärte Problem, wie es der psychische Energieapparat anstellt, Reize der Außenwelt, die ihn treffen, zu Vorstellungen von dieser Außenwelt zu gestalten, die sich dann unabhängig von äußeren Reizen reproduzieren können. Dieses Problem liegt auf der gleichen Linie wie das der Entstehung des inneren Widerspruchs. Es ist fraglos gleichzeitig ein Problem der Entstehung des Bewußtseins überhaupt. Hier gibt es nicht einmal brauchbare Ansätze zu einer befriedigenden Lösung“ (Dialektischer Materialismus, Fußnote 45). Meines Wissens ist noch niemandem aufgefallen, daß diese „dialektisch materialistischen“ Überlegungen Reichs eine fast wörtliche Vorwegnahme seiner angeblich, so Richard Blasband, am weitesten „spirituellen“ Aussagen aus dem Schlußkapitel von Die kosmische Überlagerung sind!

Orgonomie und Metaphysik (Teil 16)

12. Dezember 2021

Reich hatte ein Muster in seinem Leben, die „Offensichtlichkeit“: „Libido“ führt folgerichtig zur Orgasmustheorie, obwohl jeder klug genug war, sie niemals anzurühren; Psychoanalyse führt logischerweise zur Erfassung des individuellen Charakters und zur Infragestellung des gesamten sozialen Systems („politische Psychologie“, Massenpsychologie). Auch das Orgon ist unvermeidlich, weil Atome keinen Sinn machen (Moleküle können durch ihr Zusammenspiel kein Bewußtsein „produzieren“) und „Geist“ erklärt gar nichts (Donner wird auf den „Donnergott“ zurückgeführt). Ein unverzichtbares Element von Wissenschaftlichkeit ist die evolutionistische Komponente. Man muß jeweils einen konkreten Entwicklungsverlauf angeben können: der Geist des Menschen muß sich wie alles andere in der Natur (Mineralien und Lebewesen) entwickelt haben. Das letztere kann der Materialismus zwar, aber die Materie ist ihm etwas Gegebenes. Daran ändert das mystische Ereignis „Urknall“ auch nichts.

Reich führt über den Unterschied zwischen toter Materie und dem Lebendigen aus:

Nach den Anschauungen, die sich aus den Bionversuchen ergeben, besteht der Unterschied gar nicht in irgend etwas, das im Lebendigen neu hinzukommt und es zum Lebendigen macht; der Unterschied ist eine besondere Kombination von Funktionen, die man isoliert für sich auch im Leblosen findet. (Die Bionexperimente, Frankfurt 1995, S. 161)

Und weiter: Um das Lebendige erfassen zu können, müsse man die „Ganzheitsfunktion“ auffinden,

die man zwar in Einzelfunktionen physikalischer und chemischer Art zerlegen kann, die man auch im Anorganischen vorfindet, die aber im Anorganischen nicht als einheitliches Ganzes funktionieren. Man übersah bisher, daß die einheitliche Ganzheitsfunktion in keinem Gegensatz zur Summe der Einzelfunktionen steht; das gab den Vitalisten die Grundlage ab, das Unerklärliche metaphysisch zu begründen wie etwa bei Driesch. (…) Notwendig ist die restlose Erfassung des Sprunges von der Summe der Einzelfunktionen zum einheitlichen Funktionieren aller dieser Einzelfunktionen. Es wäre somit ein Kolloidgemisch nicht dann als Leben zu definieren, wenn es die das Lebendige charakterisierenden physikalischen und chemischen Funktionen zeigt, sondern erst dann, wenn diese Funktionen zu einer Einheit des Organismus zusammengefaßt sind, wobei in der Ganzheitsfunktion sich sämtliche Elemente jeder Einzelfunktion finden müssen. (ebd., S. 162f)

Reich fährt fort: „Die Ganzheitsbetrachtung der organischen Systeme stand bisher als metaphysischer Idealismus dem der Teilfunktionsanalyse der gleichen Systeme als mechanischem Materialismus gegenüber; sie waren absolute Gegensätze, unvereinbar. Mit der dialektischen Auflösung dieses Widerspruchs von Ganzheit und Details löst sich das Problem des Lebens in befriedigender Weise durch Ausschaltung des metaphysischen Jenseitsprinzips für die Erklärung des Ganzen“ (ebd., S. 163).

Entsprechend findet man auch in nichtbewußten Vorgängen Elemente des Bewußtseins, doch die müssen erst zusammenfinden, um Bewußtsein im eigentlichen Sinne zu erzeugen: Lust und Angst sind die beiden Grundemotionen die allem Lebendigen gemeinsam sind, sie sind deshalb etwas Außerpsychisches! Lust und Angst hat z.B. auch eine Amöbe, ohne daß wir ihr eine „Psyche“ zuschreiben würden! Bei höheren Lebewesen, insbesondere aber beim Menschen sind die „Herausbewegung“ (Lust) und die „Hereinbewegung“ (Angst) funktionell identisch mit der bewußten Lustempfindung bzw. bewußten Angstempfindung. Wobei das sympathisches Nervensystem mit der Angst und das parasympathische Nervensystem mit der Lust verbunden sind. Bewußte Empfindungen („ich weiß, daß ich weiß“) sind vom Retikularen Aktivierungssystem im Stammhirn abhängig, das alle Nervenimpulse fokussiert und auf die Hirnrinde projiziert: „ich bin gut drauf“ (Lust), „mir ist beklommen zumute“ (Angst).

Im Plasma selbst finden sich die Funktionen Erregung und Wahrnehmung. Aus der letzteren leiten sich dann wie erläutert im Laufe der Phylo- und Ontogenese Emotion, Empfindung und Bewußtsein ab, die jeweils mit bestimmten Erregungsvorgängen verbunden sind: bei der Emotion ist es die radiale Pulsation der organismischen Orgonenergie, bei den Empfindungen ist es das energetische Orgonom und beim Bewußtsein das Zusammenfließen aller höheren Wahrnehmungsfunktionen im Gehirn.

Das Aufkommen des Psychopathen (Teil 2)

17. April 2021

von Dr. med. Dr. phil. Barbara G. Koopman

Die Rolle der blockierten Energie bei der Entstehung von Neurosen ist von Reich ausführlich behandelt worden. Ich möchte hier nur einige Grundbegriffe streifen, um zu verdeutlichen, was ich als neuzeitliche Entwicklung betrachte.

Der Leser wird sich daran erinnern, dass die sexuelle Zwangsmoral zu sexueller Unterdrückung im Rahmen der patriarchalischen Familie führt. Freuds Libidotheorie wirft ein beträchtliches Licht auf diesen Prozess. Nach Freud kommt jedes Individuum mit einem bestimmten Quantum an psychischer Energie auf die Welt. Zunächst ist es eine rein „narzisstische“ Energie, die sich ganz auf das Selbst konzentriert. Nach und nach greift diese Energie wie die Pseudopodien einer Amöbe aus und bindet sich an die Welt der Objekte (oder, strenggenommen, an ihre „mentalen Repräsentationen“). Wenn der Prozess einigermaßen erfolgreich ist, entwickelt die Person die Fähigkeit zu zufriedenstellenden Objektbeziehungen. Dies geht Hand in Hand mit einer gewissen Reifung und Integration des Ichs. Manche Menschen kommen nie weit über dieses Stadium des Narzissmus hinaus und ihre Objektbeziehungen verharren zusammen mit ihrer Ich-Struktur auf einer primitiven, prägenitalen Stufe.

Im Verlauf der Ich-Entwicklung muss sich die psychische Energie durch verschiedene erogene Zonen bewegen – oral, anal, phallisch und genital – von denen jede ihre eigenen charakterologischen Merkmale aufweist. Jede Fixierung oder Regression von Energie in den ersten drei Zonen wird die Persönlichkeit ihren Stempel aufdrücken und ein bestimmtes Quantum psychischer Energie binden – das dem Ich nun mehr nicht mehr zur Verfügung steht und zu einer Einschränkung führt. Wenn sich die Person normal entwickelt, bewegt sich die Energie auf natürliche Weise von einem Stadium zum nächsten, ohne gebunden zu werden, und das genitale Primat wird erreicht. Das Genital wird zum Hauptkanal für die Entladung der sexuellen Energie. Jegliche prägenitalen Restmengen werden im Vorspiel abgebaut und bleiben nicht dem Charakter eingeprägt. Das genitale Primat signalisiert die vollständige Reifung des Ich.

Dieser Prozess der Ich-Entfaltung wird von der Charakterstruktur der Eltern bzw. Elternsurrogate zutiefst beeinflusst und ist durch Krisen von Realitätsprüfungen, drohenden oder realen Verlusten und Trennungen, Bewältigungs- und Identifikationskonflikten usw. geprägt, die schließlich in der ödipalen Krise (im Alter von vier Jahren) gipfeln. Wie mit diesen Wechselfällen umgegangen wird, bestimmt die letztendliche Persönlichkeit. Freud und Reich divergieren darin, wie sie gehandhabt werden sollen. Selbstregulierung, nicht sexuelle Unterdrückung, war Reichs Antwort auf das Problem, gesunde Kinder aufzuziehen.

Um den Unterschied zu würdigen, betrachten wir das klassische Konzept der Verdrängung als einen Abwehrmechanismus, bei dem das Ich den verbotenen Trieb oder eine seiner Abkömmlinge bzw. Fantasien vom Bewusstsein ausschließt. Sobald dies geschieht, wird der Originaltrieb aus dem Bewusstsein verbannt, als hätte es ihn nie gegeben. Er hat jedoch weiterhin eine eigene energetische Existenz und drängt weiter auf Entladung. Um dies zu verhindern, verbraucht das Ich viel Energie bei dem als Gegenbesetzung bekannten Prozess. Es gibt einen dynamischen Widerstand, den Trieb außen vor zu halten und das Ich zahlt den Preis für die „gebundene“ Energie und einen eingeschränkten Reaktionsspielraum. Zunächst kommt es zur Symptombildung, aber, wie Reich betonte, führt die Schichtung von blockierten Trieben und den Gegenbesetzungen schließlich zu einem sehr aufwändigen Überbau, den er als Charakterpanzerung bezeichnete. Der somatische Ort der Panzerung spiegelte das Entwicklungsstadium wider, in dem die Verdrängung erfolgt ist.

[Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Charles Konia.
Journal of Orgonomy, Jahrgang 7 (1973), Nr. 1, S. 40-58.
Übersetzt von Robert Hase]

Medizinische Orgontherapie (Teil 1)

11. Januar 2015

DIE ZEITSCHRIFT FÜR ORGONOMIE

Howard J. Chavis: Medizinische Orgontherapie (Teil 1)

acologo