Posts Tagged ‘Metaphysik’

Wilhelm Reich, Physiker: 1. Biophilosophie, d. Kant, Swedenborg, Newton und LaMettrie

16. Dezember 2025

Wilhelm Reich, Physiker: 1. Biophilosophie, d. Kant, Swedenborg, Newton und LaMettrie

Peter Töpfer (Teil 7)

26. November 2025

Wir waren bei dem Bündnis mit dem Theismus. Töpfer sieht die Annäherung insbesondere in der Frage des Gewissens gegeben – ausgerechnet:

Das Gewissen ist das Autonome schlechthin – die tiefste Stimme. Gott, so verstanden, hat nicht nur einen Sinn und Nutzen, er ist dann der oberste oder tiefste Befehlsgeber in existentiell unklaren Lagen und Fragen. Auch wenn es den Anschein haben könnte, als sei das Gewissen eine externe Instanz (Gott), so ist es doch die innerste Instanz – die innere und eigentliche Instanz par excellence. (Hervorhebung hinzugefügt)

Und noch unglaublicher:

Eine Teileinpflanzung des Gewissens muß (…) gar nicht unbedingt schlecht sein, muß der Eigenheit des Kindes nicht widersprechen, ja, das Kind braucht zu seiner Sozialisierung und Kultivierung einen Appell an sein Gewissen. (S 78, Hervorhebung hinzugefügt)

Das ist dermaßen hanebüchen, dermaßen das diametrale Gegenteil von allem wofür LaMettrie, Stirner, Reich und Laskas gesamtes LSR-Projekt stehen… Mir fehlen schlichtweg die Worte! DAS meint also Töpfer mit „Bündnis“: Verrat an LSR!

Apropos Emotionelle Pest: Eines der Hauptmankos derartiger Unternehmungen wie Töpfers Pan-Agnostik ist das Verfehlen der Emotionellen Pest. Stattdessen wird von der angeblich unausweichlichen Tragik des menschlichen Lebens mit seinen „unaufhebbaren Gegensätzen“ schwadroniert, die man „mannhaft“ zu tragen habe. In diesem Zusammenhang zitiert Töpfer Kierkegaard: „Heirate, und du wirst es bereuen. Heirate nicht, und du wirst es ebenfalls bereuen“ (S. 55). Aber erst angesichts des absoluten Nichts würde man wirklich anfangen zu beten, denn „Nichts und Gott (sind) funktional identisch“ (S. 56). Es geht hier nämlich um die letzten Fragen der ins Nichts geworfenen menschlichen Existenz. Aber genau DAS, diese Perspektive, ist „Metaphysik“, die vom Wesentlichen, nämlich der Emotionellen Pest ablenkt – und damit die offensichtliche Funktion der Töpferschen „Pan-Agnostik“ erfüllt, – die doch vorgeblich die Wertlosigkeit der Metaphysik für die Existenz erweisen will.

Wir haben es im Leben immer genau dann mit der Emotionellen Pest zu tun, wenn wir, was immer wir auch tun, wie immer wir uns auch entscheiden, das Falsche machen, etwa heiraten oder Single bleiben. Genauso ist es stets und in jedem Fall nichts weiter als Emotionelle Pest, wenn wir vor „existentielle Dilemmata“ gestellt werden, aus denen es prinzipiell kein entkommen gibt. Am Ende würdest du doch sterben, jede Sinngebung bzw. Sinnhaftigkeit sei letztendlich Illusion, es wäre besser du wärst nie geboren worden, etc. Beides, die Ausweglosigkeit des Alltags und die „metaphysische“ Ausweglosigkeit unserer Existenz, blockiert und verunmöglicht die Lösung konkreter Probleme insbesondere die sexualökonomischer Natur. Reich hat darüber ein ganzes Buch geschrieben, Die sexuelle Revolution. Ich verweise ausdrücklich auf das Motto „Aus dem Tagebuch des Schülers Kostja Rjabzew“: Leben ist die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Die Probleme des Alltags werden wir entsprechend mit einer wirklichen sexuellen Revolution lösen. Und was die unlösbare „existentielle Not“ betrifft: zur Hölle mit Kierkegaard, Heidegger und den restlichen Dunkelmännern mit ihrem unerträglichen lebensuntüchtigen Geseier über den „Urschmerz“! Wir haben es mit dem wirklichen Leben zu tun, nicht mit den „existentiellen“ Problemen lebensferner Randexistenzen.

Ja, das sind auch Probleme, mit denen man sich auseinandersetzen kann, aber es ist wie bei den öffentlichen Sexpol-Abenden Reichs in Wien und Berlin: die genitalen Probleme der Massen werden öffentlich debattiert, während die prägenitalen Perversionen im persönlichen Gespräch mit dem Arzt besprochen werden. Außerdem wird verhindert, daß die perversen Sonderlinge den öffentlichen Raum dominieren, wie es im damaligen Berlin ansatzweise tatsächlich gegeben war. Ja, die Seelenleiden, die „existentielle Not“ und der „Urschmerz“ von schizophrenen Charakteren sind ernst zu nehmen, haben aber im öffentlichen Diskurs nichts, aber auch rein gar nichts zu suchen. Leider ist es so, daß sie heutzutage alles bestimmen und das Lebendige marginalisieren. Reich und Laska haben diese Befindlichkeiten stets ihrerseits marginalisiert!

Ein dritter Punkt, der mich ganz persönlich umtreibt, hat tatsächlich explizit mit „Gott“ zu tun, den der Agnostiker ehrfurchtsvoll auf Abstand hält, wie es die Juden mit ihrem Gott tun, dessen Namen sie nicht mal auszusprechen wagen. Hier tut sich die Lücke auf, in der der Agnostiker Raum für die Moral und „Metaphysik“ schafft, die doch LSR angetreten ist, radikal zu liquidieren. Entsprechend sollten wir „Gott“ im Gegenteil ganz genau und vollkommen distanzlos betrachten. Lieber Theist, ich analysiere, seziere und rekonstruiere deinen „Gott“, diese Über-Ich-Mißgeburt selbstherrlich ohne den leiseste Anflug von Ehrfurcht und „erkenntniskritischer“ Bescheidenheit!

Namen haben eine Bedeutung, da sie einen ganzen Kontext herstellen, der sich in einer Persönlichkeit verkörpert. Töpfer tut so, als wäre „Gott“ etwas, das so jenseitig ist, daß man sich nicht drum kümmern muß. Tatsächlich ist es aber etwas grundlegend anderes, ob eine Gesellschaft ständig „Allah“ evoziert bzw. „herabbeschwört“, den „Waheguru“ der Sikhs, den Wotan der Neuheiden, den Seth der Satanisten oder Jesus, der eine Person des „dreifaltigen Gottes“ ist. Religionen sind so etwas wie „Energiefelder“, die etwas mit der Gesellschaft und dem Einzelnen machen. An seinen Früchten wird man den jeweiligen Gott erkennen. Beispielsweise war der Nationalsozialismus nichts anderes als ein Wotanskult:

Peter Töpfer (Teil 6)

25. November 2025

Wenden wir uns Töpfers Buch Pan-Agnostik von 2023 zu (Für ein theistisch-agnostisches Bündnis im Kampf gegen den Great Reset und Transhumanismus. Erscheinungsformen der Metaphysik und deren Wertlosigkeit für die Existenz).

Auf ein und derselben Seite zu schreiben, daß die Evolution „ein lächerliches Märchen ist“ und gleichzeitig zu behaupten, „die Existenz Gottes in Frage zu stellen (…) wäre ja dermaßen eine Dummheit zum Quadrat, wie man es sich gar nicht vorstellen kann“ (S. 24) – dazu gehört schon Chuzpe! Ich frage mich ernsthaft, welche merkwürdige Verstrickung einen Menschen mit derartigen Ansichten ausgerechnet zu LaMettrie, Stirner, Reich und Laska geführt hat. Zumal er auch noch explizit den Ironisten und Autor der Naturgeschichte der Seele, LaMettrie, als Zeugen Gottes heranzieht und wie folgt zitiert: „Damit will ich nicht sagen, daß ich die Existenz eines höchstens Wesen in Zweifel ziehe; mir scheint im Gegenteil, daß der höchste Grad der Wahrscheinlichkeit für sie spricht“ (S. 25).

Mit jeder Seite wird es schlimmer, denn mit einer verqueren Dialektik bringt es Töpfer nicht nur fertig, LaMettrie als Theisten dastehen zu lassen, sondern darüber hinaus die Theisten gegenüber den Atheisten mit Hilfe Stirners zu verteidigen: während die Atheisten ein Nichts verträten, verträten die Theisten ein Etwas, wenn auch nur einen Gedanken. „Man mag ihn wie Max Stirner als ‚Sparren‘ oder als ‚Spuk‘ bezeichnen, aber dennoch ist dieser Gedanke in der Welt: in den Köpfen der Theisten“ (S. 26). – Man kann dem Wesentlichen nicht radikaler ausweichen, dem LSR-Projekt nicht hinterhältiger die Beine wegziehen!

Um dem ganzen die Krone an Absurdität aufzusetzen schreibt Töpfer über sich selbst:

Die Frage nach der Existenz Gottes und Gott selbst ist für den Agnostiker [womit Töpfer stets sich selbst meint!] nicht interessant, denn er sieht in einem solchen Gedanken keinen Sinn und keinen Nutzen. Er sieht keinen Grund dafür sich mit diesem Gedanken überhaupt zu beschäftigen. (S. 25)

Für LaMettrie, Stirner, Reich und Laska war das die einzige Frage, die überhaupt von Interesse war! Es geht schließlich um das Über-Ich und die mystische Fehldeutung der „vegetativen Strömung“ aufgrund des Über-Ich! Aber Töpfer wirkt wie taub gegenüber dem eigentlichen Thema seines Buches. Es geht immer nur um die Verarbeitung von „Information“ und um den kleinkrämerischen „Nutzen“, so als handele es sich um ein Softwareproblem bei einem Roboter. („…durch Theismus an mehr Informationen rankommen. Aber den ‚Glauben an Gott‘ als ‚Kraft‘ brauche ich nicht“ [S. 58].) Entsprechend wird der Theismus rein rationalistisch betrachtet, statt nach den Gefühlen zu fragen. Selbst da, wo es um Autonomie (Selbstregulierung) und Heteronomie (Über-Ich) beim Theismus geht, verfehlt Töpfer den Knackpunkt. Er erläutert, daß die theistische Herangehensweise an Gott auf eine „Abwesenheit des Subjekts“ hindeute:

Das ist keine Psychologisierung, sondern logisch: Das Subjekt wendet sich ganz offenbar an etwas außer sich Liegendes, das heißt an ein Objekt, im vorliegenden Falle möglicherweise ein Personalobjekt. Das Objekt befindet sich offenbar nicht im Subjekt. (S. 44)

Ich kann aber prinzipiell nur auf ein Objekt hören! Unser Innenleben ist verinnerlichtes Sozialleben. Ohne dieses hätten wir gar kein Ich, „auf das wir hören können“, wären kein Subjekt, sondern nur reiner unreflektierter Affekt.

Einerseits ist, wie wir gesehen haben, für Töpfer die Existenz Gottes absolut evident, andererseits meint er mit „Gott“ „immer alles metaphysisch und spirituell Fremdregulierende“ (S. 55). Dieser Widerspruch ist nur möglich, weil er von seiner ganzen Denkungsart gar nicht erfassen kann, was Gott ist: einerseits die mystifizierte vegetative Strömung, die uns antreibt, und andererseits das hypostasierte Über-Ich. Je nachdem ist das entweder „Gott“ oder der „Teufel“. Stattdessen verfängt sich Töpfer in nicht enden wollenden Spitzfindigkeiten.

Dabei wäre es so einfach! Man schaue sich Reichs Buch Äther, Gott und Teufel an und vergegenwärtige sich, daß der Erzatheist Reich den Theisten durchaus ein „Bündnis“ angeboten hat und zwar zum Entsetzen seiner treuen Schüler. Immerhin konnte er nachvollziehen, daß es etwas „jenseits“ der Alltagserscheinungen gibt, wenn auch nicht mystisch und ungreifbar „wie in einem Spiegel“, aber Reich hatte doch einen gemeinsamen Boden mit den Theisten gefunden – im Gegensatz zum Verhältnis zu den mechanistischen Materialisten. Daß sich Töpfer als letzterer erweist und sich dann auch noch auf die mechano-mystischen „Gottesbekenntnisse“ von Einstein und Planck beruft (S. 23f), für die Gott ein bloßer Lückenbüßer ist wie einst für die „gefühllosen“ Deisten des 18. Jahrhunderts, für die die Welt ein perfektes Uhrwerk war, daß zwar einen Schöpfer erforderte, der sich danach aber zur Ruhe setzen konnte…

Wilhelm Reich, Physiker: 1. Biophilosophie, a. Platon und Aristoteles (Teil 2)

9. November 2025
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Wilhelm Reich, Physiker: 1. Biophilosophie, a. Platon und Aristoteles

Max Stirner und das Orgon

9. August 2025

Wenn Reich sein Forschungsprogramm beschreibt, gemahnt das „irgendwie“ an Max Stirner. Reich schreibt:

Die Orgonphysik geht von vollkommen neuen Beobachtungen und neuen theoretischen Annahmen aus. Von einem prinzipiellen orgonomischen Standpunkt her muß das Denken selbst als eine Funktion der Natur im allgemeinen begriffen werden. Dementsprechend müssen die Ergebnisse bloßen Denkens als sekundär gegenüber den beobachtbaren Naturfunktionen angesehen werden. Als Funktionalisten sind wir in erster Linie an beobachtbaren Naturfunktionen interessiert; von da aus gelangen wir zu den Funktionen des menschlichen Denkens mittels der emotionalen (bioenergetischen) Funktionen im beobachtenden Menschen. Solange die beobachtbare Natur nicht den Ausgangspunkt für menschliches Denken bildet, und mehr noch, solange die Funktion des Denkens selbst nicht logisch und konsistent aus den beobachtbaren Naturfunktionen im Beobachter selbst abgeleitet wird, solange stellen sich gegenüber allen Resultaten bloßen Denkens, das nicht durch Beobachtung gestützt ist, grundlegende methodologische und faktische Fragen. (Äther, Gott und Teufel, S. 150f)

Mit „bloßem“, von den tatsächlichen Naturvorgängen abweichendem Denken meint Reich offensichtlich zweierlei: erstens ein Denken, das indirekt und eines das direkt fremdbestimmt ist. Bei ersterem handelt es sich um „gepanzertes Denken“, d.h. ein Denken, das auf das durch die Erziehung entstellte Funktionieren des Organismus zurückgeht, wobei die Eltern als Einflußagenten der Gesellschaft fungieren. Beim direkt fremdbestimmten Denken geht es um die unhinterfragte Übernahme der Meinungen von Autoritäten unabhängig von der Wirklichkeit, d.h. statt selbst zu beobachten und selbst zu forschen. Man folgt dem „Über-Ich“, weil man die gesellschaftlichen Vorgaben verinnerlicht hat und durch diese charakterstrukturell umgeformt wurde. Tierarten existieren, weil sie ihre Umwelt richtig wahrnehmen und sich entsprechend anpassen, sonst wären sie schon längst ausgestorben. Homo sapiens hingegen taumelt dem Untergang entgegen, da er weitgehend blind und verkrüppelt ist und irgendwelchen wirklichkeitswidrigen Wahngebilden hinterher tappt, statt auf den Weg zu achten. Er ist mit dem Kopf in den Wolken des „bloßen Denkens“.

Ansonsten haben der Stirnersche Eigner/Einziger und Reichs Orgon formal zweierlei gemeinsam:

1. Das Orgon funktioniert weder mechanisch (Aktion und Reaktion) noch mystisch (überweltliche „Wirkstrukturen“), also nicht sozusagen „nach Befehl und Gehorsam“, sondern es bewegt sich spontan aus sich selbst heraus, ist sozusagen „eigen“. Es ist sozusagen das Substrat der Selbstregulation.

2. Das, was wir als „Orgon“ bezeichnen, sind, so Reich, „die physikalischen Funktionen, die in der Orgonphysik als ‘Orgonenergie’ abstrahiert werden“ (ebd., S. 146). Es handelt sich nicht um ein geheimnisvolles „Sein“, sondern es sind konkrete Funktionen. Physik statt „Metaphysik“! Über sein Ich schreibt Stirner entsprechend bezugnehmend auf Feuerbachs pseudomaterialistische Philosophie: „‚[D]as Sein‘ ist Abstraktion, wie selbst ‚das Ich‘. Nur Ich bin nicht Abstraktion allein, Ich bin alles in allem, folglich selbst Abstraktion oder Nichts, Ich bin alles und Nichts; Ich bin kein bloßer Gedanke, aber Ich bin zugleich voller Gedanken, eine Gedankenwelt“ (Der Einzige und sein Eigentum, reclam, S. 381)

Das Orgon ist nur konkret greifbar, genauso wie der Eigner/Einzige. Das Orgon ist damit nicht schlichtweg identisch mit irgendwelchen „anderen“ Lebensenergie-Konzepten (Qi, Prana) oder dem „Äther“, also kein fixes metaphysisches oder mechanisches (bzw. „hydrodynamisches“ Modell), sondern nur unmittelbar, unvermittelt in der Beobachtung und im Experiment greifbar. Beispielsweise war der „Äther“ im 19. Jahrhundert bloß der Lückenbüßer für eine Leerstelle im mechanistischen Weltbild (die elektromagnetischen Wellen brauchten ein mechanisches Medium, so wie Wasserwellen Waser brauchen).

Das letzte, was Reich wollte, war ein weiteres „Weltmodell“ zu präsentieren, genausowenig wie Stirner eine weitere „Philosophie“ neben all die anderen zur Diskussion stellen wollte. Beiden ging es nicht um ein neues „Paradigma“, d.h. um eine neue Sicht auf die Welt oder eine neue „Brille“, sondern eben um die Beseitigung aller „Brillen“ (vgl. Clark, Frauchiger: Paradigm-Maker or Paradigm-Breaker: A Comparison between the Paradigm and Orgonomic Functionalism as Scientific Tools. The Journal of Orgonomy, 1986). Es ging um – Liquidar Super-Ego Radicalmente, um das Ausschalten „bloßen Denkens“, d.h. des Über-Ichs = der Panzerung.

Eine Parallele in der Philosophiegeschichte wäre die Phänomenologie (Stichwort Husserl, Heidegger, Hermann Schmitz), die den Anspruch erhob, die gesamte Philosophie neu anzufangen, indem sie beim unmittelbar Gegebenen frisch ansetzt und die – „Seinsvergessenheit“ angeht. Dazu ist zu sagen, daß die Phänomenologie zur Dezeptionsgeschichte Stirners gehört, daß das ihre einzige Bedeutung ist, (Bernd A. Laska: Ein dauerhafter Dissident, 1996) und Reichs Bonmot über Husserl („Zwangsgrübelei“, Äther, Gott und Teufel, S. 43) auf den eigentlichen Kern des Problems verweist: die Panzerung, insbesondere die Augenpanzerung – wieder: „bloßes Denken“!

Nietzsche: MEINE SCHWESTER UND ICH (Besprechung)

1. Juli 2025

An Nietzsche scheiden sich die Geister. Die einen phantasieren in ihn einen Metaphysiker hinein, der von dem Willen zur Macht als einer Art „Grundprinzip des Seins“ ausging,während die anderen den „dekonstruierenden“ Aphoristiker sehen, der illusionslos immer wieder auf einen jeweiligen Willen zur Macht gestoßen ist. Es ist aber gleichgültig, ob man ihn als Konstrukteur einer Art „arischen“ Lebensanschauung sieht oder, um in diesem Jargon zu bleiben, als eine Art quasi „jüdischen“ Dekonstrukteur der westlichen Geisteswelt, – „Belege“ wird man in seinem Werk für alles und das Gegenteil finden –, wichtig ist einzig die von Bernd A. Laska entdeckte „initiale Krise“, die am Anfang von Nietzsches Denken steht und an der auch die beiden genannten Interpretationstraditionen dieses Denkens straucheln. Die besagte „initiale Krise“ dreht sich natürlich um die Lektüre von Max Stirners Der Einzige und sein Eigentum.

Ob die einen hinter der Wirklichkeit irgendetwas Tieferes, etwa den „Willen zur Macht“, wirken sehen oder die anderen vermeinen, die Wirklichkeit selbst spräche zu ihnen: es ist und bleibt eine Illusion, da „sie“, die Subjekte, gar nicht sie selbst sind. Sie sind nicht, um mit Stirner zu sprechen, „Eigner ihrer selbst“, sondern Besessene (nicht Eigner, sondern Besitztümer anderer), die nur Wahngebilde wahrnehmen und Unsinn sprechen. Sie sind, wie man heute so schön sagt, in einer „Bubble“.

Wir alle stecken in einer, wie Reich sich ausdrückte, „Falle“, zu der vor allem das Verleugnen dieses Tatbestandes gehört, – was genau Nietzsches „initiale Krise“ ausmacht. Das führt jedwede „Philosophie“ ad absurdum, denn für den „gepanzerten“, d.h. in der Falle befindlichen Menschen ist das Leben nicht das Leben, sondern Lüge, Krampf und Scheitern. Manche sehen zumindest die Lüge, den Krampf und das Scheitern bei den „Metaphysikern“, verheddern sich bei ihrer Dekonstruktion der Metaphysik aber selbst. Egal, was da „synthetisch“ geraunt oder analytisch zersetzt wird, es bleibt doch alles – man verzeihe mir die unverzeihliche Platitüde – im Jargon des Eigentlichen gefangen, das nichts mit dem authentischen Eigent-lichen im Sinne Stirners zu tun hat, sondern doch nur inkorporierte Kultur ist.

Bei Stirner konnte Nietzsche Dinge lesen wie: „Macht – das bin Ich selbst, Ich bin der Mächtige und Eigner der Macht“ (Der Einzige, reclam, S. 230), und: „Ich bin nur dadurch Ich, daß Ich Mich mache, d.h. daß nicht ein Anderer Mich macht, sondern Ich mein eigen Werk sein muß“ (Der Einzige, S. 256). Das übernahm er, – um den eigentlichen Sinngehalt von Stirners Werk um so besser verschwinden zu lassen. Deshalb wird er über alle Maßen verehrt!

Man kann alles Mögliche über Meine Schwester und ich sagen, – beispielsweise war ich bei meiner Erstlektüre des englischen Originals vor vielen Jahren von der wachsenden Gewißheit getriggert, hier einen „widerlichen Betrug“ vor mir zu haben; eine hinterhältige Zurücknahme von Nietzsches Machtphilosophie – im Namen Nietzsches. Jetzt bei der „Zweitlektüre“, also dem Lesen der deutschen Übersetzung, widerte mich die Fixierung der jüdischen Literaturfälscher auf ihre Jüdischheit an. Ohne das alles entscheidende Nachwort des Übersetzers und Herausgebers Christian Fernandes, das man als „Vorwort“ lesen sollte, wäre mir dabei beinahe das eigentlich Wichtige entgangen: die Bloßlegung der „Willensphilosophie“ und des, wenn man so will, „dekonstruktivistischen Zynismus“ Nietzsches als Funktion einer vollkommen vermurksten persönlichen und gesellschaftlichen Sexualökonomie, die nicht zuletzt im Holocaust mündete.

Der Übersetzer und Herausgeber Christian Fernandes präpariert das aus dem Wust an Aphorismen und pseudo-autobiographischen Versatzstücken heraus, was Bernd A. Laska als „Jahrtausendentdeckung“ bezeichnet hat: indem wir den Wahnsinn unterdrücken, erzeugen wir ihn. Nietzsche selbst ist vor dieser Einsicht unter einem ungeheuren Aufwand geflohen und hat dabei, wie angeschnitten, ein ganzes philosophisches Gebäude aufgebaut bzw. abgerissen. In Meine Schwester und ich gibt er, die literarische Figur „Nietzsche“, dieses (bzw. diese) Unterfangen auf, weil er dessen Grundlage zumindest erahnt – seine abschließende Endkrise. Das ist auch der Grund, warum Reich auf (zugegeben arg naive Weise) von der Authentizität des Buches überzeugt war und selbst der stets vorsichtig-skeptische Bernd Laska dem Buch in dieser Hinsicht über Gebühr Kredit einräumte.

Für den NACHRICHTENBRIEF hat dieses Buch zwei Gesichter: Erstens war Reich zeitlebens ein Nietzsche-Verehrer. Beispielsweise hang die Totenmaske in Reichs Studierstube in Wien. Entsprechend mußte es 1951 auf Reich dramatisch wirken, daß Nietzsche am Ende seines Lebens (vermeintlicherweise) seine Willensphilosophie zugunsten von „Liebe, Arbeit und Wissen“ aufgegeben hatte. In der Folgezeit gehörte Meine Schwester und ich zu Reichs „10 Büchern“, das jeder Student der Orgonomie gelesen haben muß. Zweitens fügt sich Fernandes‘ Veröffentlichung dieses Buches in das weiterlaufende paraphilosophische „LSR-Forschungsprojekt“ ein.

Hier liegt gerade Volker Gerhardts Nietzsche-Monographie aus den 1990er Jahren auf meinem Schreibtisch. Hinten auf dem Einband findet sich folgendes Zitat von Nietzsche – das also den gesamten Nietzsche charakterisieren soll:

Wozu die Menschen da sind, wozu „der Mensch“ da ist, soll uns gar nicht kümmern: aber wozu Du da bist, das frage dich, und wenn Du es nicht erfahren kannst, nun so steck Dir selber Ziele, hohe und edle Ziele und gehe an ihnen zu Grunde! Ich weiß keinen besseren Lebenszweck als am Großen und Unmöglichen zu Grunde zu gehen…

Das findet sich auch auf S. 11f von Gerhardts Buch mit dem abschließenden lateinischen Spruch „… animae magnae prodigus“.

„Wozu die Menschen da sind, wozu ‚der Mensch‘ da ist, soll uns gar nicht kümmern“, ist natürlich Stirner pur. Nur wird es im Folgenden instantan ins Über-Ich zurückgeholt: man soll sich DOCH opfern! Nietzsche als „Überwinder Stirners“! In Meine Schwester und ich wird genau das ad absurdum geführt: Nietzsche geht sinnlos zugrunde und hat ein verpfuschtes Leben hinter sich – von wegen „Verschwender einer großen Seele“!

Der Universitätsprofessor Gerhardt ist vollkommen taub für derartige Zusammenhänge. Er spricht von Nietzsches „großer Seele“ und deren „edlen Zielen“… Meine Schwester und ich zeigt zu recht den obszönen Mittelfinger!

Rechtfertigt das alles den Aufwand einer deutsch/englischen Ausgabe? Am Anfang war ich skeptisch („So dick?!“), bis mir auffiel, wie wenig ich doch vom englischen Original bei meiner Erstlektüre wirklich mitbekommen hatte. Die Fälscher haben sich eines derartig verschwurbelten, prätentiösen englischen Schreibstils befleißigt, daß selbst ein „native speaker“ Probleme hätte, dem Text zu folgen. Von daher kann Fernandes‘ Leistung als Übersetzer gar nicht überbewertet werden – zumal er sich der unmittelbaren Überprüfung stellt.

Leserbrief in PSYCHOLOGIE HEUTE, 1980

26. März 2025

Leserbrief in PSYCHOLOGIE HEUTE, 1980

Kant, Swedenborg, Newton und LaMettrie, oder: Der biophilosophische Hintergrund des „Reichianismus“ (Blauer Faschismus)

17. August 2024

Wilhelm Reich, Physiker: 1. Biophilosophie, d. Kant, Swedenborg, Newton und LaMettrie

Peter liest die Laska/Schmitz-Korrespondenz (Teil 19)

29. April 2024

Was Reich über das Leben in der Falle geschrieben hat, trifft eins zu eins auf Schmitz‘ Neue Phänomenologie zu:

Um ihre Nachkommen an das Leben in der Falle zu gewöhnen, haben die Falleninsassen ausgefeilte Techniken entwickelt, das Leben straff auf einem niedrigen Niveau in Gang zu halten. Für große Gedankenflüge oder außergewöhnliche Taten ist kein Raum in der Falle. Jede Bewegung ist nach allen Seiten hin gehemmt. (Christusmord, Freiburg 1978, S. 37)

Schmitz an Laska:

Mit meinem Vorschlag, die Starrheit des Charakterpanzers als starre Fassung zu verstehen, will ich also darauf hinaus, daß die Festigkeit der Persönlichkeitsform, die mit beiden Ausdrücken gemeint ist, spontanem eigenem Bedürfnis entspringt, nicht einer durch Erziehung oder andere Fremdeinflüsse angetanen Verkünstelung; zweitens will ich damit sagen, daß es sich bei der Fassung als Charakterpanzer um eine ungünstige Extremform in einem breiten Spektrum möglicher Fassungsarten handelt, wo in der Mitte die straffe, aber schwingungsfähige und am anderen Ende die gar zu lockere und haltlose steht (…). (…) Da gebe ich gern zu, daß es sich in großem Umfang um Einflüsse aus der Erziehung usw. handelt, wobei ich aber zu bedenken gebe, daß auch die nicht einer primär reinen, „unbeleckten“ kindlichen Persönlichkeit angetan wird, da die volkstümlich „Persönlichkeit“ genannte zuständliche persönliche Situation des Kindes sich überhaupt nur aus gemeinsamen Situationen hervor (…) bildet. (S. 401f)

Du bist in der Falle geboren, du bist die Falle und du sollst dich in der Falle „geschmeidig“ einrichten. Entsprechend zeige sich, so Schmitz, „daß der gewöhnliche, hinlänglich gesunde Mensch unserer Zeit in der Tat über eine schwingungsfähige, von keinem starren Charakterpanzer fixierte Fassung zu verfügen pflegt. Was ich (…) als Ziel einer wünschenswerten langen und schwierigen Erziehung bezeichnet habe, ist die Einübung einer zwischen zu schmaler und zu breiter Amplitude gut austarierten Schwingungsfähigkeit der Fassung durch Zusammenführung von personaler Emanzipation und personaler Regression. Heute ist die Fassung meist zu locker, um auch nur elastisch zu sein. (Straff ist nicht starr.)“ (S. 399). Schmitz konstatiert gegenüber Laska, „daß ich mit Ihrer Rede von Wahngemeinschaften so wenig anfangen kann wie früher mit dem rationalen Überich. Jener Begriff ist mir gar zu polemisch und summarisch. Was nennen Sie ‚Wahn‘? Sicherlich gibt es echte Wahngemeinschaften, in die Kinder hineingezogen werden, ohne daß im Allgemeinen die Erzieher ihnen absichtlich den als solchen durchschauten Wahn verkaufen werden. Aber was hat das mit Neoliberalismus zu tun? Die Legierung von Religion mit Metaphysik gilt auch mir als abbauwürdig“ (S. 416f). Und so weiter und so fort! – Generell geht es Schmitz um die „Verdichtung und Intensivierung des Lebens in der Gegenwart“ (S. 423), d.h. explizit, wenn man das im Zusammenhang der Korrespondenz liest, um das sich Einrichten in der Falle!

Ohnehin ist das ganze System der Neuen Phänomenologie, wenn man mir diesen Einschub erlaubt,… – ihr Gegenteil ist wahr: Die erste, die „biblische“ Zensur, sich zwischen Gut und Böse im Sinne objektiver Gegebenheiten entscheiden zu müssen, die gesamte Ethik, ist kein Fortschritt, wie Schmitz behauptet, sondern Regression ins Infantile. Das gleiche gilt für die zweite Zensur um 1800, als zu Zeiten der Frühromantik erkannt wurde, daß die „Objektivität“ der besagten objektiven Gegebenheiten fragwürdig ist, nachdem die „strikte Subjektivität“ entdeckt wurde. Auch das ist kein Fortschritt, sondern ein Rückfall ins infantile magische („romantische“) Denken.

Kein wirklich Erwachsener, wie ihn La Mettrie, Max Stirner und Wilhelm Reich beschreiben, orientiert sich wie ein Kind an „Gut und Böse“ und kein wirklicher Erwachsener glaubt an „Subjektivität“, die genauso wie die Ethik nur bei Panzerung (bzw. beim Vorhandensein eines „Über-Ichs“) Sinn macht. Also, äh, jetzt ist langsam gut Leute: man lese und verstehe Reichs Äther, Gott und Teufel und der ganze Schmitzsche Unsinn löst sich in nichts auf!

Laska legt Schmitz‘ strukturelle Infantilität in einem Satz bloß: „Immer wieder machten Sie, wie auch im letzten Brief, deutlich, daß Sie sich ein gelungenes Leben nur unter einer äußeren bzw. verinnerlichten Autorität vorstellen können, nicht aber unter einer ‚eigenen‘ inneren, eben einem ‚rationalen Über-Ich‘“ (S. 432). Schmitz umgeht das in seiner Antwort, – tatsächlich ist seine gesamte Philosophie eben diese Umgehung, indem er Außen und Innen und damit das gesamte Problem der „Introjektion“ in der „Situation“ auflöst. Er tut dies explizit! Diese „Situation“ ist dabei nichts anderes als unsere Lage in der Falle, wie Reich sie in Christusmord beschrieben hat!

Peter liest die Laska/Schmitz-Korrespondenz (Teil 17)

22. April 2024

Reichs grundlegender Dissens mit der Naturwissenschaft des 20. Jahrhunderts läßt sich in dem simplen Satz aus Christusmord zusammenfassen: „Der Raum ist nicht leer; und niemand hat je Atome oder die Luftkeime von Amöben gesehen“ (Freiburg 1978, S. 32).

Richard Feynman („Quantenelektrodynamik“), sicherlich der wichtigste Physiker nach dem Zweiten Weltkrieg, hat auf die Frage, welche wissenschaftliche Erkenntnis er einer Menschheit übermitteln würde, die nach einer globalen Katastrophe wieder von vorn mit einer Steinzeit beginnen müßte, und er nur eine kurze Message senden könne, geantwortet: daß alle Materie aus Atomen bestünde, daraus ließe sich die gesamte Physik rekonstruieren. Entsprechend würde ein Biologe vielleicht mit „unsichtbaren Keimen“ kommen, da das unmittelbare praktische (Hygiene) und theoretische Folgen (Erbinformation) hat.

Reich hat beide Vorstellungen als „Metaphysik“ von sich gewiesen und sich der Natur, wenn man so will, streng „phänomenologisch“ genähert. Beispielsweise wollte er zu Beginn seiner Bionversuche explizit nichts über den damaligen Stand der Mikrobiologie wissen, die seine „Bione“ sofort als diesen oder jenen Mikroorganismus abqualifiziert hätte. Ähnlich, als er die Strahlung der SAPA-Bione mit Hilfe des Elektroskops untersuchte, wollte er nichts von der Ladungstrennungstheorie hören, die alle „orgonotischen“ Phänomene mit (den Elektronen von) Atomen wegerklärt hätte.

Das führe ich hier an, weil Hermann Schmitz in den Human- bzw. Geisteswissenschaften ähnlich vorgeht. Die Phänomenologie, erst recht die Schmitzsche Neue Phänomenologie, beginnt voraussetzungslos mit der Beobachtung. Halb ironisch könnte man sagen: „Ich hab‘ mein Sach‘ auf nichts gestellt!“ – Beide, Reich und Schmitz, sind dezidiert nichtnihilistisch, denn Reich stellt sich mit seinem „kosmischen Lebensäther“ explizit gegen Einsteins „kosmische Leere aus bloßen mathematischen Abstraktionen“ (kein Zitat), während Schmitz den Raum affektiv besetzt („Gefühlsraum“).

Laska, ursprünglich ein „Reichianer“, und Schmitz sollten sich allein von daher „gesucht und gefunden“ haben; nicht von ungefähr kommt der intensive Austausch zwischen beiden. Woher dann der auffällige grundsätzliche Dissens? Der alles entscheidende Unterschied zwischen beiden ist die Parteilichkeit: das Kind oder die Kultur, d.h. die in die Kultur hereinbrechende Natur oder die Kultur?!

Dazu schreibt Schmitz, er sei beispielsweise dagegen,

den Kindern die grausamen und unheimlichen Geschichten aus der Märchenliteratur, denen sie sich fasziniert zuwenden, vorzuenthalten, weil die Phantasie dadurch auf Abwege geraten könnte. Wie die Kinderkrankheiten zur Ausbildung eines strapazierfähigen Immunsystems, so gehören vielfältige Eindrücke, die im Dunkel undeutlichen Verlangens nach Anziehendem und Abstoßendem Leuchtpunkte setzen, zur Vorbereitung einer selbständigen, in personaler Emanzipation durch personale Regression hindurch reifenden Persönlichkeit, die in einem steril rationalen Schutzklima verkümmern würde. Ich bin durchaus der Meinung, daß die Aufklärung und Abstoßung des Ungemäßen in der Enkulturation nur nachträglich erfolgen kann (…) (S. 360)

Parteilich ist man, wenn man sich gegen das Über-Ich stellt, d.h. auf die Seite des Lebendigen. Da hilft es dann auch nichts, wenn sich Schmitz gegen den „Konstellationismus“, d.h. gegen die atomistische Zerstückelung der Natur stellt, wobei dann die isolierten Faktoren wieder mechanisch vernetzt werden (S. 359). Dieser quasi „Funktionalismus“ bei Schmitz hilft nicht, weil es für ihn, genau wie für Stirner und im krassen Gegensatz zu Reich, kein „allgemeinverbindliches Kriterium für Rationalität“ gibt. Von daher auch seine Probleme mit dem irrationalen vs. rationalen Über-Ich (S. 353, 357).

Beispielsweise schwebt ihm als „Religion der Zukunft“ der japanische Shintoismus vor:

eine Religion ohne Dogmen und Mythen. Wo dem Japaner etwas Heiliges begegnet, etwa eine frische Quelle, ein imponierender Baum oder ein sonderbarer Stein, errichtet er einen kultischen Schrein, umwickelt den Baum, beschriftet den Stein. Ganz spontan sammelt sich das Volk, etwa auf dem Weg zur Arbeit, und spricht ein kurzes Gebet zum kami, was nicht präzis ein als persönlich vorgestelltes Wesen ist, sondern eine schwach personifizierte göttliche Macht. (S. 357)

Das auch sadistische Massenmörder und Kinderschänder ein Gebet zum „kami“ sprachen und lebenslang vollkommen in „einpflanzenden Situationen“ eingebettet waren… Dazu Schmitz zu Laska:

Sie sprechen die Problematik der Enkulturation an. Was Sie in diesem Zusammenhang als das – rationale oder irrationale – Über-Ich bezeichnen, das auf diese Weise an das Kind weitergegeben werde, ist in meiner Terminologie die gemeinsame implantierende Situation (aus Situationen), in die das Kind hineinwächst. (…) Die Bedeutsamkeit der implantierenden Situation ist aber binnendiffus, d.h., sie besteht nicht aus lauter einzelnen Bedeutungen (Sachverhalten, Programmen, Problemen), die man der Reihe nach auf den Prüfstand stellen könnte, ob sie rational oder irrational sind. Daher muß jede Zensur scheitern, die die implantierende Situation vor Zulassung zum Kind darauf prüft, was als irrational verworfen und als rational durchgelassen werden soll. (S. 356f)

Dazu fällt mir langsam nichts mehr ein… Außer vielleicht der Verweis auf das eine Buch, das die gesamte Human- und Geisteswissenschaft, vor allem aber die Neue Phänomenologie ad absurdum führt: