Man kann zwischen vier Arten von okularer Panzerung unterscheiden:
- Die okulare Panzerung beim Neurotiker. Sie tritt zur restlichen Panzerung des Körpers hinzu, kann beliebig schwer sein, bestimmt aber nicht den Charakter der Person. Die okulare Panzerung färbt sozusagen die Persönlichkeit ein. Man denke nur an die Panzerung des Kleinen Mannes, der buchstäblich „ein Brett vor dem Kopf“ hat. Oder an die übliche Kontaktlosigkeit seiner Mitmenschen.
- Beim Schizophrenen bestimmt die okulare Panzerung den Charakter selbst. Hier ist sozusagen die restliche Panzerung „das Anhängsel“, das die Persönlichkeit färbt. Beispielsweise ist der kataton-schizophrene Charakter mit der Körperpanzerung des Zwangscharakters assoziiert, der paranoid-schizophrene Charakter mit der des phallisch-narzißtischen Charakters.
- Unabhängig davon tritt bei den soziopolitischen Charakteren die okulare Panzerung auf. Je weiter sie sich von der Mitte zu den beiden Rändern des soziopolitischen Spektrums entfernen, desto stärker ist sie ausgeprägt. Man könnte von „ideologischer Verblendung“ sprechen.
- Hinzu kommt, daß sich die gesamte gesellschaftliche Atmosphäre verändern kann. Beispielsweise kann allgemein die Unsicherheit so zunehmen, daß unabhängig von den ersten drei Faktoren, die gesamte Bevölkerung „in den Augen weggeht“, d.h. keinen klaren Gedanken mehr fassen kann. Auch spielen hier beispielsweise der fast flächendeckende Konsum legaler und illegaler Drogen und die verheerende Wirkung der Unterhaltungsindustrie und der Massenmedien hinein.
In der seit etwa 1960 sich entwickelnden antiautoritären Gesellschaft, die sich um uns herum zunehmend konsolidiert, spielen alle vier Elemente hinein. Die klassischen triebgehemmten Neurotiker verschwinden langsam aber sicher und werden von Kreaturen abgelöst, die nach Charles Konia in etwa wie folgt aufgebaut sind:
- chronische Parasympathikotonie (reaktive bioenergetische Expansion), als Reaktion auf die zugrundeliegende Sympathikotonie (bioenergetische Kontraktion), die die Menschen in der autoritären Welt bestimmt hat;
- muskuläre Erschlaffung im Gegensatz zur muskulären Verspannung, wie sie Reich zwischen den 1930er und 1950er Jahren beschrieben hat;
- statt dessen wird die überexpansive Energie vom okularen Segment gebunden, daß entsprechend stark gepanzert ist;
- dies geht wiederum mit einer extremen emotionalen Kontaktlosigkeit einher;
- weshalb die Panzerung heute ausgeprägter ist als jemals zuvor;
- das sieht man daran, daß die Orgontherapie weitaus länger dauert (aus dem „Homo novis“ der antiautoritären Welt muß zuerst ein normaler Neurotiker gemacht werden, der dann wie zu Reichs Zeiten geheilt wird);
- trotz der oberflächlichen „Entspanntheit“ und Überexpansion sind die bioenergetischen Kontraktionen weitaus stärker ausgeprägt als jemals zuvor: schwerste Depressionen, Selbstmorde, „Borderline-Symptomatik“ und vor allem eine extreme Intoleranz für wirkliche Expansion (wirkliche Lebensfreude) – nicht zufällig gehen so viele Menschen „in schwarz“;
- das alles führt zu einer ewigen Rebellion ohne Ziel und Grund. Hierher gehört nicht zuletzt die Vorstellung, daß „die da oben“ in finsterste Verschwörungen verwickelt sind.
Soziopolitisch verschiebt sich das gesamte politische Spektrum nach links („Rotverschiebung“) mit entsprechend drastischen Gegenreaktionen von einzelnen Segmenten der Gesellschaft, die immer weiter in den Rechtsradikalismus abdriften.
Die generelle Zunahme der okularen Panzerung sieht man daran, daß weite Kreise der Bevölkerung zu „denken“ anfangen, wie sonst nur paranoid-schizophrene Charaktere. Ich spreche von den überhandnehmenden Verschwörungstheorien von der Mondlandung als Fake, über „9/11“ bis hin zu den „Chemtrails“.
In ihrer Studie „Dead and Alive: Beliefs in Contradictory Conspiracy Theories“ haben Michael Wood, University of Kent, Canterbury, et al. aufgezeigt, daß Verschwörungstheoretiker offenbar kaum Probleme damit haben, gleichzeitig zwei Theorien zu vertreten, die sich wechselseitig unbedingt ausschließen. Beispielsweise neigen Menschen, die davon überzeugt sind, daß Lady Diana ihren eigenen Tod inszenierte, um unterzutauchen, und daß Osama Bin Laden schon seit Jahren tot war, gleichzeitig zu der Auffassung, daß Lady Diana im Pariser Autotunnel vom englischen Geheimdienst ermordet wurde und Osama sich noch immer in einem Geheimversteck seines Lebens freut. Oder anders ausgedrückt: sich wechselseitig ausschließende Verschwörungstheorien stehen sich nicht etwa feindlich gegenüber, sondern ganz im Gegenteil unterstützen sie einander – manchmal im gleich Kopf. Das ist möglich, weil diese konträren Theorien eines verbindet, was alle anderen Überlegungen außer Kraft setzt: die Vorstellung, daß es per se eine Verschwörung gibt.
Oder mit anderen Worten: die „Verschwörungskultur“ ist nichts anderes als Emotionelle Pest: die vermeintlichen „Schlußfolgerungen“ stehen lange vor der Denkarbeit fest. Verschwörungstheorien sind destruktiver Irrationalismus auf dem sozialen Schauplatz und nichts außerdem.
Es geht bei ihnen nicht um Logik, sondern um die Vorstellung einer Verschwörung an sich. Will sagen: „die da oben“ (die Autoritäten) haben immer Unrecht, egal wie wirr und inkonsistent die „alternativen Theorien“ auch immer sein mögen. Es ist also nicht eine Sache des rationalen Abwägens, sondern das Diktat vollkommen irrationaler Emotionen („Rebellion“).
Natürlich sind Spekulationen über Verschwörungen nicht in jedem Fall etwas Schlimmes oder „Krankhaftes“. Das Problem ist die mangelnde Distanz: ohne okularen Panzer kann man klar die Umwelt wahrnehmen und widerspruchsfrei unterschiedliche Informationen objektiv abwägen, während okular gepanzerte Verschwörungstheoretiker die Wirklichkeit verzerrt wahrnehmen und sich in einem Netz von Widersprüchen verfangen, die mit immer neuen Zusatzvermutungen gegen jede logische Herausforderung verteidigt werden, so als ginge es um ein religiöses Glaubenssystem. In der antiautoritären Welt dreht sich alles nur noch um Subjektivität, welchen Eindruck man hat und wie man sich fühlt. Klares Denken, Logik? Nein, es geht um angeblich authentische Gefühle.

















