DIE ZEITSCHRIFT FÜR ORGONOMIE
Paul Mathews: Der genitale Charakter und die genitale Welt
Ein neuer Artikel auf http://www.orgonomie.net:
ZUKUNFTSKINDER:
Ein neuer Artikel auf http://www.orgonomie.net:
ZUKUNFTSKINDER:
1. „Rousseauismus“? c. Verlorengegangene und erträumte Paradiese
Ich bin gerade mal auf S. 17, trotzdem möchte ich bereits einiges sagen. Fangen wir mit dem Vorwort von Reichs Freund und Mitarbeiter William Steig, dem berühmten Cartoonisten, aus dem Jahre 1983 an.
Ich habe weniger etwas an diesem „orgonomisch korrekten“ Vorwort auszusetzen, als vielmehr an der Orgonomie selbst! Der typische Predigerton, wie wir ihn von der Kanzel oder von irgendwelchen weltverbessernden Schriftstellern und „Liedermachern“ – und von Reich selbst kennen: „Warum nur, warum…“ Warum können wir nicht in Harmonie zusammenleben, sondern müssen nach Reichtum, Macht und Anerkennung streben?! Rotgrüne Betroffenheit! Rousseau läßt grüßen! Darauf kann ich nur frei nach Nietzsche antworten: Weil das zu unserer Biologie gehört und weil nur der Agon uns zu dem gemacht hat, was wir sind. Ohne Wettstreit wären wir immer noch Jäger und Sammler, die Furcht vor Löwen und bösen Geistern haben! Übrigens sollte man mal Malinowski lesen: wenn irgendwas die Trobriandische Gesellschaft prägt, dann der Agon!
Jedes Tier wisse, so behauptet Steig, daß es Teil der Natur sei „und mit ihr zusammenarbeiten und ihre Gesetze befolgen [müsse]“. Das ist ein derartiger Unsinn! Tiere sind „Autisten“, wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe, und das „natürliche Gleichgewicht“ ist, wie ebenfalls dargelegt, eine romantische Mär.
Auf einer Metaebene ist Steigs Vorwort, das den Prozeß der Panzerung angreift, geradezu grotesk, denn aus ihr spricht vor allem eins: Steigs eigene spezifische PANZERUNG, seine linksliberale Panzerstruktur, die es ihm unmöglich macht, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist. Als Kontrast verweise ich auf Paul Mathews Ausführungen über die „genitale Welt“ hier auf diesem Blog: Teil 1, Teil 2 und Teil 3.
Rousseau war der archetypische Vertreter der kollektivistischen Grundhaltung der Linken. Sein „Gesellschaftsvertrag“ hat im Kern „einen einzigen Paragraphen: das vollständige Aufgehen des Individuums mit allen seinen Rechten in der Gesamtheit. Jedermann muß sich gänzlich hingeben, sich selbst und alle seine Kräfte, zu denen auch das Vermögen gehört, das er etwa besitzt. Ebenso wie die Natur jedem Menschen eine absolute Gewalt über alle seine Glieder gibt, verleiht der Gesellschaftsvertrag dem Gesellschaftskörper eine absolute Gewalt über seine Angehörigen“ (Klaus Hornung: Das totalitäre Zeitalter, Berlin 1993, S. 29).
Dieses Konzept hat eindeutig seine Wurzeln in der damals aufkommenden mechanistischen Lebensauffassung. Man vergleiche das mit Reichs Ausführungen in Äther, Gott und Teufel, wo er die die totalitäre Staats- und Gesellschafsauffassung mit der mechano-mystischen Auffassung des menschlichen Körpers gleichsetzt, wo das Gehirn als Diktator seine Anweisungen an die Organe und Gliedmaßen erteilt. Er kontrastiert das mit der arbeitsdemokratischen Vorstellung des gesellschaftlichen und organismischen Funktionierens.
Marx zitiert Rousseau in seinem antisemitischen Machwerk Zur Judenfrage (1843), einem Fanal sowohl für den rechten als auch für den linken Faschismus, wie folgt: „Wer den Mut hat, einem Volke eine Rechtsordnung zu geben, muß sich fähig fühlen, sozusagen die menschlich Natur zu ändern, jedes Individuum, das in sich selbst und für sich allein ein vollkommenes Ganzes ist, in den Teil eines größeren Ganzen umzuwandeln, von dem dieses Individuum in gewisser Weise sein Leben und Sein empfängt, an die Stelle einer physischen und unabhängigen eine moralische Teilexistenz zu setzen. Er muß dem Menschen seine eigenen Kräfte nehmen, um ihm fremde dafür zu geben, die er nur mit Hilfe anderer gebrauchen kann.“ Daran schließt Marx an, der behauptet, die „menschliche Emanzipation“ sei erst vollbracht, wenn der individuelle Mensch ganz im „Gattungswesen“ aufgegangen sei (Konrad Löw: Das Rotbuch der kommunistischen Ideologie, München 1999, S. 38).
Mit erstaunlicher Offenheit reden die Linken von der „Vergesellschaftung des Menschen“. Erstaunlich auch, wie 1977 die angesehene Chronistin der SPD, Susanne Miller, in einer einschlägigen Untersuchung darlegte, worauf das letztendlich hinausläuft: „Der Ansatzpunkt der Freiheitsvorstellungen der Sozialisten war stets die Freiheit ‘des Proletariats’, ‘der Klasse’, ‘des Volkes’, ‘der Menschheit’, niemals die Freiheit des einzelnen. Das Problem der Freiheit des Individuums lösten sie durch einen Identifikationsprozeß von Individuum und Gemeinschaft auf, der sich in einer klassenlosen Gesellschaft vermeintlich von selber vollziehen werde. (…) Der einzelne wurde der Gesellschaft gegenüber als ‘nichtig’ betrachtet (Karl Kautsky), und es wurde ihm das Recht abgesprochen, seine Freiheitsansprüche gegenüber einer sozialistischen Gesellschaft geltend zu machen, sobald diese dem etablierten Kodex dieser Gesellschaft nicht entsprachen“ (z.n. Löw: …bis zum Verrat der Freiheit, München 1993, S. 66f). Freiheit oder Sozialismus!
Der Führer der national-sozialistischen Deutschen Arbeitsfront, Robert Ley, verglich das Volk mit einem Kind, das genauso störrisch, trotzig und unartig sei, wie gläubig treu und liebebedürftig. Ley: „Das Volk hat einen Anspruch darauf, von seiner Führung gehegt und gepflegt zu werden. Es war die größte Torheit des demokratischen Systems zu glauben, daß sich ein Volk selber führen kann“ (z.n. Hornung: Das totalitäre Zeitalter, S. 233f).
Nur ein Traumtänzer kann glauben, daß die linken, die roten Faschisten mit ihrer Version des Sozialismus eine andere Haltung zur Selbststeuerung haben, sei es bei der Erziehung der Kinder oder bei der Organisierung der Gesellschaft. Es ist ein und der gleiche lebensfeindliche mechano-mystische Geist, den Reich in Äther, Gott und Teufel bloßgelegt hat.
Im National-Sozialismus „wurde die Anrede ‘Genosse’ benutzt, die Ferien sollten kollektiv organisiert werden, es galt das Prinzip ‘Das Volk ist alles, Du bist nichts’. Volk ist lediglich durch ‘Arbeiterklasse’ zu ersetzen, und von da ab gelten die gleichen Vokabeln“ (Erwin K. Scheuch,: „Vom Weiterwirken des Sozialismus“. In: Heiner Kappel/Alexander von Stahl: Für die Freiheit, Berlin 1996, S. 79f).
Der genitale Charakter (etwa Reich oder William Blake) und der liberale Charakter (etwa Rousseau) haben eines gemeinsam: beide glauben, daß der Mensch im Wesentlichen gut ist. Der genitale Charakter übersieht die sekundäre Schicht und sieht nur den Kern (Reichs berühmte „Naivität“). Der kontaktlose Liberale sieht nur die Fassade (die liberale „Naivität“). Konservative wie Edmund Burke oder Montesquieu betrachten den Menschen im Wesentlichen als böse. Deshalb treten sie für die traditionellen restriktiven Institutionen (Religion, Monarchie, Klassenstruktur) ein und plädieren für Gewaltenteilung (wie sie in der Verfassung der USA klassisch verwirklicht ist); eine Art „Panzerung“ (check and balances), die die sekundären Triebe in Schach hält.
Wenn ich die orgonomische Wirtschaftstheorie, wie sie von Charles Konia und Robert A. Harman auf der Grundlage von Reichs Erkenntnissen dargelegt wurde, richtig verstanden habe, ist das gegenwärtige Wirtschaftssystem bruchlos aus dem Austausch zwischen den ersten Menschengruppen hervorgegangen. Ursprünglich setzte sich die Menschheit aus kleinen Clans zusammen, die sich mehr oder weniger feindlich gesonnen waren. Ganz ähnlich den Zuständen, die wir bei Schimpansenhorden beobachten. Die einzelnen Clans fanden erst durch komplizierte Heiratsregeln und durch quasi „Kreditgeschäfte“ dauerhaft zueinander und konnten einigermaßen friedliche Gesellschaften bilden. Bei den besagten „Kreditgeschäften“ ging es um Geschenke, die den Beschenkten implizit verpflichteten ein wertvolleres Gegengeschenk zu geben. Das war sozusagen der erste „Zinsstreß“, ging es doch um die Gefahr des Gesichtsverlusts und des sozialen Todes (der zwangsläufig den physischen Tod nach sich zog, denn auf sich allein gestellt, konnte niemand überleben).
Durch die Zusammenarbeit der Clans kam es zu wachsender Arbeitsteilung und die „Kreditgeschäfte“ betrafen schließlich auch Güter: Wildbret, Fisch, Töpferwaren, Früchte, etc. Beispielsweise läßt sich der „Handel“ mit Sperrspitzen über ganze Kontinente hinweg nachweisen. Das, was ursprünglich die Clans zusammengeführt und zusammengehalten hatte, organisierte nun die Arbeitsdemokratie: ein unüberschaubares Netz gegenseitiger Verpflichtungen. Schließlich kam durch das Marktgeschehen das Geld auf, um den Austausch zu vereinfachen und zu vereinheitlichen. Gestört wurde das System durch immer neue Einbrüche der Emotionellen Pest. Die Emotionelle Pest bewirkte, daß das freiwillige Geben eine immer geringere Rolle spielte und stattdessen das Nehmen ausuferte.
Der Ausgangspunkt von Harmans Argumentation sind die beiden folgenden Stellen aus Reichs Massenpsychologie des Faschismus:
Die Summe aller natürlichen Arbeitsbeziehungen nennen wir Arbeitsdemokratie, als die Form der natürlichen Organisation der Arbeit. Diese Arbeitsbeziehungen sind ihrem Wesen nach funktionell und nicht mechanisch. Sie können nicht willkürlich organisiert werden, sie ergeben sich spontan aus dem Arbeitsprozeß selbst. Die wechselseitige Abhängigkeit eines Tischlers von einem Schmied, eines Naturforschers vom Glasschleifer, eines Malers von der Produktion des Farbstoffes, eines Elektrikers von der Metallarbeit ist an sich durch die Verwobenheit der Arbeitsfunktionen gegeben. (Fischer TB, S. 312)
Dieses Gewebe wechselseitiger Abhängigkeiten und Verpflichtungen formiert sich spontan und kann nicht künstlich geschaffen bzw. durch Vorgaben, gar Befehle hergestellt werden. Wenn es doch versucht wird, geschieht allenfalls das gleiche wie bei den Primitiven, wenn man diese willkürlich organisieren will: sie gehen, wenn sie denn gezwungen werden, in den inneren Streik. An einem ähnlichen Zwang ist beispielsweise die „DDR“ zugrundgegangen: ihr tut so, als wenn ihr uns bezahlt und wir tun so, als wenn wir für euch arbeiten.
[W]enn weiter die Arbeitsfunktionen an sich und unabhängig vom Menschen rational sind, dann stehen vor uns zwei riesenhafte Betätigungsgebiete des menschlichen Lebens, einander todfeindlich, gegenüber: die lebensnotwendige Arbeit als rationale Lebensfunktion hier; die emotionelle Pest als irrationale Lebensfunktion dort. (ebd., S. 330)
Entsprechend ist heute Wirtschaftswissenschaft das Studium der Wechselwirkung zwischen der Arbeitsdemokratie und der Emotionellen Pest:
Die orgonomische Wirtschaftstheorie steht heute jedoch vor einer ähnlichen Situation wie Reich Mitte der 1920er Jahre. Damals war Reich angesichts von Freuds Totem und Tabu mit dem Problem konfrontiert, daß seine Orgasmustheorie anthropologisch unhaltbar zu sein schien, waren doch die Primitiven (also jene, die dem „orgastisch potenten Naturzustand“ vermeintlich am nächsten standen) „patriarchal, neurotisch und pervers“. Ihre Leben schien von Männerwillkür, neurotischem Aberglauben und beispielsweise von grausamen Genitalverstümmelungen beherrscht zu sein. Damals wurde der „edle Wilde“ Rousseaus vollständig dekonstruiert. Das Bild des Wilden verdüsterte sich derartig, daß selbst Freuds Todestriebtheorie glaubhaft wirkte.
Es muß für Reich wie eine Erlösung gewesen sein, als er auf die Arbeit von Bronislaw Malinowski über die Trobriander stieß, die seine Orgasmustheorie vollauf bestätigte. In den 1980er Jahren konnte James DeMeo dann die Stichhaltigkeit des Reichschen Ansatzes durch eine kulturvergleichende Studie nachweisen, die sämtliche ethnographisch untersuchten Völkerschaften umfaßte.
Wenn man sich nun daran macht, im Anschluß an die klassischen Wirtschaftstheorien seit Adam Smith eine orgonomische Wirtschaftstheorie zu formulieren, wonach der rationale Austausch zwischen den Menschen (die Arbeitsdemokratie) durch die Emotionelle Pest gestört wird, steht man vor einem ganz ähnlichen Problem, denn die Ethnologie zieht ebenfalls seit Anfang des letzten Jahrhunderts die Vorstellung eines rational handelnden (tauschenden) Wilden in Zweifel. Tauschhandlungen habe es nur im Rahmen der Sitte und Ritualen gegeben und es sei dabei um Dinge wie Ehre, Ehrgeiz, Angst vor Gesichtsverlust, etc. gegangen. Tausch galt also weniger dem materiellen Erhalt der Gemeinschaft, als vielmehr dem sozialen Ausgleich.
Erst mit der Zivilisation sei das Element der rationalen Wirtschaftsführung hinzugetreten, Kosten-Nutzen-Analyse, Bereicherung, Kapitalakkumulation, etc. Die klassische Ökonomie hätte dann mit viel Phantasie einen rationalen „Homo oeconomicus“ an den Anfang der Entwicklung gestellt. Diesem war es zwar ebenfalls um den sozialen Ausgleich zu tun („Geben und Nehmen zum gemeinsamen Vorteil“), doch ging dies vom rational kalkulierenden Subjekt aus. Quasi wurde der zeitgenössische Kaufmann zurück in den Urwald versetzt losgelöst von allen Stammesstrukturen.
Ende der 1920er Jahre postulierte Reich, sich auf Malinowski berufend, einen „Urkommunismus“ bei den Trobriandern, d.h. eine solidarische Gemeinschaft, in der, wenn man so sagen kann, die „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ verwirklicht war. Malinowski selbst sollte in seinem 1935 erschienenen Buch Korallengärten und ihre Magie (Bodenbestellung und bäuerliche Riten auf den Trobriand-Inseln), das m.W. Reich nie gelesen hat, dieser Interpretation entschieden entgegentreten. Auch lehnte Malinowski die gegenteilige Interpretation ab, daß es sich bei den Wilden um eine Art rücksichtslosen „Urkapitalisten“ handele. Beispielsweise ist ein aufwendiges hochseetüchtiges Kanu nicht einfach „Allgemeingut“, sondern es gehört einer Person, die jedoch in einem schier unentwirrbaren Gestrüpp von Verpflichtungen gegenüber jenen eingebunden ist, die ihr beim Bau des Kanus geholfen haben. In seiner orgonomischen Wirtschaftstheorie geht Robert Harman im Detail darauf ein. Die Trobriandrische Gesellschaft wird von einem Netz gegenseitiger Verpflichtungen organisiert, durch ein universelles Geben und Nehmen.
Am Ende seines Buches über die Ökonomie der Trobriander schrieb Malinowski etwas, was später noch in einem ganz anderen Zusammenhang Bedeutung gewinnen wird:
Abschließend möchte ich noch hervorheben, daß sich im Licht dieser Analyse zeigt, wie vergeblich die Unterscheidung zwischen kommunistischem und Privateigentum ist. Ich hätte durchweg zeigen können, wie jeder Anspruch, jede Beziehung zwischen Mensch und Boden betontermaßen sowohl individuell wie kollektiv ist. Die Konzeption der ursprünglichen Heraufkunft (der Clans aus dem Inneren der Erde, PN) impliziert eine große Verwandtschaftsgruppe, den Subclan, der uranfänglich von einem Individuum, der Urahne – vielleicht auch ihrem Bruder –, repräsentiert wird, und den heute gleichermaßen ein Individuum repräsentiert, das Oberhaupt. Diese Gruppe ist nach Geschlecht und Alter differenziert und in kleinere Lineages unterteilt. Und innerhalb des Subclans gibt es sogar individuelle Besitztitel auf Land, und das Land selbst ist gleichsam aus Rücksicht auf den Wunsch nach individuellen Unterscheidungen aufgeteilt. Obwohl nämlich der persönliche Parzellenbesitz in gewisser Weise unserer eigenen Vorstellung von letztgültigen Verhältnissen im Bodenrecht am nächsten kommt, ist er doch auf den Trobriand-Inseln nur von allergeringster ökonomischer Relevanz. Dennoch ist dieser Umstand hier äußerst wichtig, da er belegt, wie wenig der sog. Urkommunismus in der Wirtschaftseinstellung der Eingeborenen vorkommt. Geradezu zum Ärger der anthropologischen Theoretiker insistiert der Trobriander darauf, eine eigene Parzelle zu haben, die mit seinem Personennamen assoziiert ist. Bei der alten Entgegensetzung handelt es sich um einen schlechten und unklugen Kurzschluß; durchgehend haben wir gesehen, daß das eigentliche Problem nicht im Entweder-Oder von Individualismus und Kommunismus liegt, sondern in der Wechselbeziehung kollektiver und persönlicher Ansprüche. (Korallengärten und ihre Magie, Frankfurt 1981, S. 413)