Paul Mathews:
Die soziopolitische Diathese
32ed und 32ee in http://www.orgonomie.net/hdobiblio.htm
36sa in http://www.orgonomie.net/hdobiblio3.htm
38fa bis 38fe ebenfalls in http://www.orgonomie.net/hdobiblio3.htm
Ein neuer Artikel auf http://www.orgonomie.net:
DER ROTE FADEN:
1. Aktion und Reaktion
a. Der Weg in den Kommunismus
b. Der Weg in den Faschismus (Wien)
c. Rassenhygiene
d. Der Weg in den Faschismus (Berlin und Kopenhagen)
e. Der Übermensch
f. Die Untermenschen
2. Der Weg in den Kalten Krieg
a. Das rote Berlin
Die Kultur ist (…) auf Triebverzicht aufgebaut, und jedes einzelne Individuum soll auf seinem Wege von der Kindheit zur Reife an seiner Person diese Entwicklung der Menschheit zur verständigen Resignation wiederholen. Die Psychoanalyse hat gezeigt, daß es vorwiegend, wenn auch nicht ausschließlich, sexuelle Triebregungen sind, welche dieser kulturellen Unterdrückung verfallen. (Freud: Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung, 1924)
Das schrieb Freud zu genau jener Zeit, als Reich seine Orgasmustheorie formulierte und seine Charakteranalyse zu entwickeln begann, bei der es um die Auflösung der Kultur („Charakter“) geht.
Marx‘ Theorie läßt sich in zwei Sätzen zusammenfassen:
Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um. In der Betrachtung solcher Umwälzungen muß man stets unterscheiden zwischen der materiellen, naturwissenschaftlich treu zu konstatierenden Umwälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen und den juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz, ideologischen Formen, worin sich die Menschen dieses Konflikts [zwischen Basis und Überbau] bewußt werden und ihn ausfechten. (Marx: Zur Kritik der Politischen Ökonomie, 1859)
Und hier wären wir wieder bei Freud, denn das obige Freudzitat hat einen Vorspann:
Wenn man von wenig bekannten inneren Antrieben absieht, so darf man sagen, der Hauptmotor der Kulturentwicklung des Menschen ist die äußere reale Not gewesen, die ihm die bequeme Befriedigung seiner natürlichen Bedürfnisse verweigerte und ihn übergroßen Gefahren preisgab. Diese äußere Versagung zwang ihn zum Kampf mit der Realität, der teils in Anpassung an dieselbe, teils in Beherrschung derselben ausging, aber auch zur Arbeitsgemeinschaft und zum Zusammenleben mit seinesgleichen, womit bereits ein Verzicht auf mancherlei sozial nicht zu befriedigende Triebregungen verbunden war. Mit den weiteren Fortschritten der Kultur wuchsen auch die Ansprüche der Verdrängung. Die Kultur ist doch überhaupt auf Triebverzicht aufgebaut…
Freud und Marx passen gut zusammen, aber was ausgerechnet Reich hier zu suchen hat, erschließt sich mir nicht ganz. Hat doch Reich selbst 1936 im linkssozialistischen Organ Kamp og Kultur konstatieren müssen:
Bisher hat der Sozialismus als kulturelle Bewegung Schiffbruch erlitten, weil er die gleiche Angst mit dem Konservatismus geteilt hat und an die inhärente Unvereinbarkeit von Sexualität und Kultur glaubte. (z.n. Max Hodann: History of Modern Morals, S. 319)
Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre war Reich ein Kommunist. Reich wurde von der KPD zur Mitgliederwerbung mißbraucht. Heute nimmt z.B. entsprechend Die Linke buchstäblich alles Wahre, Gute und Schöne mitsamt ihrer Vertreter in Beschlag. Diese Grundtendenz zum Mißbrauch des Lebendigen ist keine Stalinistische Entstellung, sondern gehört zum falschen, verlogenen Grundwesen des Marxismus („die soziale Fassade“). Deshalb sind Marxisten, gerade wenn sie sich Reich positiv zuwenden, Todfeinde der Orgonomie. Das Fatale ist, daß sie zu diesem Mißbrauch von Reich selbst geradezu eingeladen wurden. Mit der Revision seiner alten Marxistischen Texte wollte Reich in den 1940er Jahren seinen eigenen Marxismus der 1920er/1930er Jahre zurückdrängen, doch dummerweise hatte dies bei der Veröffentlichung in Europa den gegenteiligen Effekt, denn so wurde die Orgonomie in einem Marxistischen Kontext vermittelt. Reich hatte sich bereits 1951 voller Selbstzweifel notiert:
Ich muß damit aufhören, meine früheren Bücher zu vertreiben, z.B. Massenpsychologie und Sexuelle Revolution. Nicht, weil sie falsch sind, sie stehen so da, wie sie geschrieben wurden, sondern weil sie die entscheidende Frage, d.h. die Orgonenergie, verdecken und von den Leuten mißbraucht werden. (z.n. Chester M. Raphael: Wilhelm Reich – Misconstrued – Misesteemed, New York 1970, S. 86)
Das Phänomen des „Reichschen Freudo-Marxismus“ kann man am besten anhand des orgonomischen Modells von der Dreischichtung der menschlichen Charakterstruktur erfassen:
Die oberflächliche soziale Fassade ist das Reich des Marxismus, der die Vorstellung, der Mensch sei primär Objekt der Biologie, vehement von sich weist, vielmehr läßt er den Einzelnen und seine Bedürfnisse in ein kollektivistisches Ensemble sozialer Beziehungen aufgehen. Es ist die kontaktlose Theorie des Intellektuellen, der vom Leben isoliert das Leben mit Theorien bewältigen will, ohne sich vorher auf das Leben einzulassen. Entsprechend kann die Marxistische Soziologie nur ökonomisch rationales Verhalten erklären. Reich schreibt im Rückblick auf seine Marxistische Periode:
Die Kluft zwischen ökonomistischer und bio-soziologischer Anschauung wurde unüberbrückbar. Der „Theorie des (vom rationalen ökonomischen Kalkül geleiteten, PN) Klassenmenschen“ trat die irrationale Natur der Gesellschaft des Tieres „Mensch“ gegenüber. (Die Massenpsychologie des Faschismus, Fischer TB, S. 21)
Was für Marx rational war (der durch unterschiedliche ökonomische Interessen bestimmte Klassenkampf), wurde für Reich zum Inbegriff der Irrationalität, während das, was für Marx irrational war (die Postulierung gemeinsamer Interessen zwischen den Klassen), für Reich die Essenz seiner Bio-Soziologie wurde: die alle Klassen übergreifende natürliche Arbeitsdemokratie.
Freud war in den Bereich des Irrationalen vorgestoßen, ist aber in der von den sekundären Trieben entstellten mittleren Schicht der Charakterstruktur steckengeblieben. Bei ihm löste sich das Leben in einen sadomasochistischen Alptraum auf, über den sich der menschliche Geist stoisch erheben muß. Während Marx mit seinem Hegelianischen Geschichtsmystizismus die gesamte bisherige Entwicklung, das gesamte bisherige Patriarchat gerechtfertigt hatte, da es im Paradies münden würde, leugnete der resignative Schopenhauerianer Freud überhaupt jede Entwicklung zum Besseren.
Reich hat die optimistischen Illusionen der sozialen Fassade und die Resignation der sekundären Schicht transzendiert und ist zum biologischen Kern des Menschen vorgedrungen. Zunächst war Reich aber selbst noch in Illusionen befangen und wollte einen ins optimistische gewendeten Freud mit Marx verbinden: das perverse Unbewußte sei ein Produkt jener sozialen Prozesse, die Marx beschrieben und beherrschbar gemacht hätte. Hatten die Marxisten aber schon Probleme mit Freud, der doch immerhin lehrte, der Mensch müsse in die anarchische Natur ähnlich eingreifen wie ins Marktgeschehen, konnten sie rein gar nichts mit der nun vollkommen dem menschlichen Zugriff entzogenen ahistorischen Biologie Reichs anfangen.
Reich selbst erkannte zunehmend, daß dieser Widerstreit von Psychoanalyse und Marxismus wenig mit Wissenschaft zu tun hatte, sondern daß die beiden Weltanschauungen eine Funktion des jeweiligen Charakters ihrer Exponenten waren. Dieser war für das resignative konservative Beharren auf der einen und die optimistische liberale Kontaktlosigkeit auf der anderen Seite verantwortlich. Die Psychoanalyse beharrte gegen Reichs Optimismus auf der Unwandelbarkeit der Conditio humana. Reich mußte aber auch erkennen, daß Marx ihm nichts zu geben hatte:
Die ökonomischen Bewegungen, die durch den Einfluß von Karl Marx auf die Soziologie entstanden sind, haben durch das Hervortreten eines neuen menschlichen und sozialen Problems die Basis ihrer Wirksamkeit verloren. (Einbruch der sexuellen Zwangsmoral, Fischer TB, S. 10)
Die soziale Existenz des Lebewesens Mensch ist bioenergetisch betrachtet an sich nur ein kleiner Gipfel auf dem gigantischen Berg seines biologischen Daseins. (Ausgewählte Schriften, S. 24)
Die Orgonomie kann mit dem Marxismus rein gar nichts anfangen. Doch leider ist es umgekehrt anders und es entwickelt sich eine „Antiorgonomie“.
Man versucht Reichs Lebenswerk systematisch Schritt für Schritt aufzuarbeiten, so wie es sich historisch entwickelt hat: von Freud über Marx zur „sexualökonomischen Lebensforschung“ und schließlich dem „kosmischen Orgon-Ingenieurswesen“. Demnach könne man beispielsweise Reichs Konzept der „Arbeitsdemokratie“ erst richtig verstehen, wenn man sich mit dem Marxismus beschäftigt hat (der in diesem Zusammenhang viel wichtigere Leninismus wird dabei stets ausgeblendet!); die Orgonbiophysik erschließe sich erst vor dem Hintergrund der Psychoanalyse, etc.
Ich, der Verfasser einer umfangreichen Chronologie und Bibliographie der Entwicklung des Reichschen Denkens bin sicherlich der letzte, der diese Herangehensweise nicht zu würdigen weiß, doch trotzdem ist ihr ein tiefgreifender Denkfehler inhärent, denn Reichs Entwicklung verlief sozusagen „falsch herum“. Er hat sich von der Psychologie (Psychoanalyse) über die Soziologie (Marxismus) zur Biologie (Orgon-Biophysik) entwickelt. Also vom oberflächlichsten Funktionsbereich zum tiefsten Funktionsbereich. Nun kann man jedoch daß Höhere nur vom Tieferen her verstehen.
Es geht schlicht darum, daß in der Natur tiefere und umfassendere Funktionsbereiche die höheren und weniger umfassenden Funktionsbereiche bestimmen statt umgekehrt. Das Umgekehrte ist, wie ich gestern ausgeführt habe, funktionell identisch mit widernatürlicher Panzerung. Wer also, wie die erwähnten „kritischen Orgonomen“, Reich „chronologisch“ aufarbeiten will, verfehlt die Orgonomie auf eine denkbar fundamentale Weise. Mehr Entstellung geht gar nicht!
Es ist schlicht und ergreifend Unsinn die Charakteranalyse, wie sie heute von Orgontherapeuten angewendet wird, von Freud her begreifen zu wollen, „um tiefer in sie einzudringen“. Desgleichen wird man die Arbeitsdemokratie grundlegend mißverstehen, wenn man sie von Reichs Beschäftigung mit Marx her begreifen will. Das gleiche gilt auch beispielsweise für den Orgonomischen Funktionalismus und Engels.
Die entsprechenden „systematischen“ Ausführungen „kritischer Orgonomen“ mögen ja alle sehr schlau und akademisch klingen, man wird alle möglichen Reich-Zitate anführen können (teilweise auch aus Reichs späteren Jahren!), aber das ändert nichts an der Tatsache, daß hier eine Art „Orgonomie“ konstruiert wird, die tatsächlich so etwas wie Antiorgonomie ist. Eine Orgonomie, die auf den Kopf gestellt ist.
Übrigens beruhte auch ein Gutteil des mittlerweile zum Glück weitgehend erloschenen „Reichianismus“ auf dieser „Antiorgonomie“. Ich kann mich noch gut an die arroganten Ergüsse erinnern: die Amerikaner könnten Reich gar nicht verstehen, weil sie seine Frühschriften nicht kennen; von Arbeitsdemokratie hätten sie keine Ahnung, da sie nichts von Marx verstünden, etc.pp.
Da gibt es Leute, die haben die erste Hälfte der Charakteranalyse gelesen, fangen an wild herumzupsychologisieren – und glauben allen ernstes damit Orgonomie zu betreiben. Nicht weniger schlimm sind jene, die angeregt durch die zweite Hälfte der Charakteranalyse, sich als „Körpertherapeuten“ verstehen, d.h. die Orgontherapie auf eine Art mechanische „Gymnastik“ reduzieren.
Oder man nehme jenen amerikanischen Erzieher, der vor vielen Jahren im Wilhelm Reich Museum einen Vortrag hielt, in dem er Elsworth F. Bakers Ausführungen über die soziopolitischen Charaktere als „Travestie der Orgonomie“ abkanzelte, denn wie man anhand der Massenpsychologie des Faschismus unschwer erkennen könne, habe Reich seine soziologischen Theorien von Marx und Engels abgeleitet, von denen Baker keine Ahnung habe. Baker erklärt soziologische Phänomene von der Orgon-Biophysik (d.h. hier von der Charakterstruktur) her – und wird dafür von einem „buchkundigen“ „kritischen Orgonomen“ angegriffen.
Fast alle diese Leute haben eine linksliberale Charakterstruktur und entsprechend „intellektualisieren“ sie alles: eine oberflächliche Funktion (das Gehirn, der Intellekt) maßt sich an, die tiefere Funktion (den Körper, die Bioenergie) zu bestimmen. Von ihrer verkorksten Struktur her können sie die Orgonomie unmöglich verstehen. Sie bleibt ihnen imgrunde fremd.
Wenn Marx Leute wie Stirner oder Proudhon zu seinen „kleinbürgerlichen“ Hauptfeinden erklärte, erklärte er damit „funktionell gesehen“ auch Reich zu seinem Hauptfeind. Mit Stirner habe ich mich bereits befaßt.
Stirner hatte bei der Kritik der idealistischen Philosophie, insbesondere Hegel, angesetzt: Es gehe nicht abstrakt um „den Menschen“, sondern jeweils um mich. Ich sei kein Abstraktum, sondern die unmittelbare, nicht weiter reduzierbare Realität, die sich nicht von inkorporierten Hirngespinsten (Freuds „Über-Ich“) definieren und unterdrücken lassen sollte. Würden solche sozusagen „realistischen“ Individuen in Freiwilligen Vereinen zusammenfinden, würde die Welt von der Realität und nicht mehr vom Irrsinn bestimmt (Reichs „Arbeitsdemokratie“).
Marx hatte auf diese, um mit Reich zu reden, „umwälzende Kritik sämtlicher moraltheoretischer Systeme“ keine Antwort. Ähnlich wie Freud, der die Konsequenz seiner eigenen Theorie damit abwehrte, daß er das Über-Ich kurzschlußartig in der Biologie verankerte, benutzte auch Marx einen üblen Taschenspielertrick: Er behauptet, daß Stirner ein Idealist sei, da er nicht den „wirklich tätigen Menschen“ im Blick habe, der in bestimmte Produktionsverhältnisse eingebunden sei. Das Sein bestimme das Bewußtsein! Reich mußte sich mit diesem kurzschlußartigen Soziologismus in der Massenpsychologie des Faschismus abquälen.
Die Antwort sowohl auf Freud als auch auf Marx ist Reichs Konzept des „Charakters“, mit dem er zeigt, wie konkret das Über-Ich in der Biologie verankert ist und daß diese Verankerung auf ganz bestimmten soziologischen Mechanismen beruht. (Elsworth F. Baker und Charles Konia haben das dann später weiter ausgerollt.)
Proudhon trat gegen den ökonomistischen Marxismus auf. Proudhon vertrat eine Art von „Sozialpsychologie“, Selbstbestimmung, Antipolitik und die Arbeitsdemokratie. Proudhon:
Indem die Tätigkeitssphäre jedes Bürgers durch die natürliche Teilung der Arbeit und durch die Wahl des Berufes bestimmt ist, indem die sozialen Funktionen in einer solchen Verbindung zueinander stehen, daß sie eine harmonische Wirkung hervorbringen, entsteht die Ordnung aus der freien Tätigkeit aller; es gibt keine Regierung.
Dagegen ist „Zentralisation“ einer der wichtigsten Begriffe im Kommunistischen Manifest, wo von der Zentralisation der „vielen Lokalkämpfe zu einem nationalen, zu einem Klassenkampf“ die Rede ist, gefolgt von der Zentralisation der Instrumente der Produktion.
Bereits 1846 warnte Proudhon „den Bandwurm des Sozialismus“, d.h. Marx, sich nicht zum „Führer einer neuen Intoleranz“, zum „Apostel einer neuen Religion“ zu machen, der mit „Exkommunikationen“ und „Bannflüchen“ operiere.
Reich hat Marx vollständig fehlbeurteilt, z.B. in Rede an den Kleinen Mann erwähnt Reich Marx 5 mal, dabei 3 mal in Verbindung mit Jesus (der von Reich 7 mal erwähnt wird). Reich nennt Marx „einen wahrhaft großen Mann“ (S. 19), jemand der, im Gegensatz zum Kleinen Mann, „den Preis für echte Freiheit zahlt“ (S. 22). In Christusmord versteigt sich Reich gar zu dem Satz:
In die heutige Zeit übertragen ist Stalin im Verhältnis zu Marx das, was Paulus in bezug auf Christus war.
In Menschen im Staat weist er darauf hin, daß die Emotionelle Pest von den Parteipolitikern in den Marxismus getragen wurde, indem sie die ökonomischen Begriffe wie „Kapitalist“ oder „Mehrwert“ mit Haßgefühlen besetzten, um so „die Massen“ emotional aufzustacheln.
Dazu eine Erinnerung des Zeitzeugen Carl Schurz an Marx:
Ich erinnere mich noch wohl des schneidend höhnischen, ich möchte sagen, des ausspuckenden Tones, mit welcher er das Wort „Bourgeois“ aussprach; und als „Bourgeois“, das heißt, als ein unverkennbares Beispiel einer tiefen geistlichen und sittlichen Versumpfung, denunzierte er jeden, der seinen Meinungen zu wiedersprechen wagte.
Proudhon hatte bereits die Gegenwahrheit zum Freiheitsstreben des Menschen erkannt, – daß
jeder in der Menschheit zu verwirklichende Fortschritt (…) zum Hauptgegner in der Philosophie diejenigen [hat], deren Aufklärung er zum Zweck [hat]; in der Freiheit diejenigen, deren Emanzipation er zum Gegenstand hat; in der sozialen Ökonomie diejenigen, die er zu bereichern sich vornimmt.
Proudhon hat sogar dieselbe Lösung der Problems wie Reich gefunden: die Praxis verantwortlicher Freiheit, „d.h. die Schaffung von möglichst vielen und gegenseitigen Beziehungen (Mutualismus)“ (P.J. Proudhon: Bekenntnisse eines Revolutionärs, rororo 1969).
Ja, aber war nicht Proudhon ein schlimmer Antisemit? Diese Art von Fragen stellen Marxisten stets, wenn es darum geht, andere Propheten der sozialistischen Bewegung abzuwerten. Aber schauen wir uns doch einmal Marx selbst an:
Dazu ein Zitat aus Marxens Schrift Zur Judenfrage, die er im Herbst 1843 schrieb:
Die Judenemanzipation in ihrer letzten Bedeutung ist die Emanzipation der Menschheit vom Judentum. (…) Welches ist der weltliche Grund des Judentums? Das praktische Bedürfnis, der Eigennutz. Welches ist der weltliche Kultus der Juden? Der Schacher. Welches ist sein weltlicher Gott? Das Geld. Nun wohl! Die Emanzipation vom Schacher und vom Geld, also vom praktischen, realen Judentum [= Kapitalismus] wäre die Selbstemanzipation unserer Zeit.
Daß Marx dies genau so meinte, wie es hier steht, wird aus einem 13 Jahre später veröffentlichten Artikel deutlich, den er für The New York Tribune schrieb, damals die größte Zeitung der Welt. Marx:
Wir wissen, daß hinter jedem Tyrannen ein Jude steht, wie hinter jedem Papst ein Jesuit. Wie das Heer der Jesuiten jeden freien Gedanken tötet, würde der Wunsch der Unterdrückten Erfolgsaussichten haben; die Nützlichkeit von Kriegen, angestiftet von Kapitalisten, würde enden, wenn sie nicht für die Juden sein würden, welche die Reichtümer der Menschheit stehlen. Kein Wunder, daß vor 1856 Jahren Jesus die Wucherer aus dem Tempel Jerusalems gejagt hat. Sie waren die zeitgenössischen Wucherer, die hinter Tyrannen und Tyranneien stehen. Die Mehrheit von ihnen ist jüdisch. Die Tatsache, daß die Juden so stark geworden sind, das Leben der Welt in Gefahr zu bringen, veranlaßt uns, ihre Organisation und ihr Ziel zu enthüllen, damit ihr Gestank die Arbeiter der Welt zu Kampf aufrütteln möge, um solch ein Übel auszulöschen.
Man lese dazu Reichs Ausführungen über Julius Streicher und die Verbindung zwischen Antisemitismus (heute Marxistischer „Antizionismus“) und Antikapitalismus in Menschen im Staat:
Der Jude wird im allgemeinen, besonders unter dem Druck so konsequenter Propaganda wie der des Banditen Streicher, als „Schächtjude“ erlebt, also als ein Mensch mit einem langen Messer, der christliche und deutsche Kinder zum Pessachfest abschlachtet. Da er kleine Kinder am Glied beschneidet, untermauert sich die Angst vor ihm durch die uralte Kastrationsangst, die in allen sitzt. Solche Dinge tut nur ein Wesen, das selbst alle Lust, speziell Sexuallust für sich rauben will. Der Jude nimmt also dem Arier die Mädchen weg, nachdem er die Männer kastriert hat. Der Jude nimmt immer etwas weg. Da er zudem das Unglück hat, durch frühere Judenverfolgungen dem Handel zu frönen, raubt er Geld. Nur ein Schritt noch, und er ist der Inbegriff des „Kapitalisten“ geworden. So kann sich unter geschicktester Ausnützung der Sexualangst vor dem Schächtjuden der gesamte Gefühlshaß der Massenmenschen gegen den Geldwucherer, mit anderen Worten, den „Kapitalisten“, auf den Juden verlagern. Der Jude zieht somit sowohl den sozialistischen Kapitalistenhaß wie die erworbene Sexualangst auf sich.
Hier hat Reich unbewußt eine orgonomische Analyse auch des Marxismus geliefert! Er ist ein Wahnsystem, in dem das Kapital aus einem nicht weiter ableitbaren Trieb heraus („Habgier“, „Judentum“) die lebendige Arbeit zerstückelt („Entfremdung“, „Arbeitsteilung“) und wie ein unersättlicher Vampir aus der Arbeitskraft heraussaugt. Um dieser Blutschande ein Ende zu setzen, müsse der Markt zerstört, also das gesellschaftliche Leben stranguliert und das „jüdische“ Geld („Energie“, „Blut“) abgeschafft werden.
Der faschistische Mythos, der sich in der Marxistischen „Kritik der politischen Ökonomie“ verbirgt, tritt besonders klar zutage, wenn „Reichianer“ hinter dem äußeren „dialektischen Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital“ einen inneren „dialektischen Widerspruch zwischen lebendiger und erstarrter Triebenergie“ wahrzunehmen vermeinen. Es ist prinzipiell der gleiche Wahn, der in „den Juden“ den geldaussaugenden Vampir „erkennt“. Marx‘ „Denken“ ist eine Pest!