Posts Tagged ‘Massenpsychologie’

Peter liest die kommentierte Neuauflage der Originalausgabe von Reichs MASSENPSYCHOLOGIE DES FASCHISMUS (Teil 1)

4. Dezember 2022

Ich nehme das von dem Psychoanalytiker und Historiker Andreas Peglau herausgegebene Buch Massenpsychologie des Faschismus (Der Originaltext von 1933, Gießen: Psychosozial-Verlag, 2020) in die Hand und als erstes fällt mein Blick auf zwei bezeichnende Passagen.

Als erstes auf der Rückseite des Einbandes die Aussage von Helmut Dahmer, daß acht Jahrzehnte nach der Veröffentlichung von Reichs Buch – „taucht nun der lang verdrängte ‚nationalsozialistische Untergrund‘ vor unseren Augen gespenstisch wieder auf. Da wird Reichs legendärer Originaltext von 1933 wieder gebraucht.“ Offenbar, um dem Dunkeldeutschland von NSU und AfD Paroli zu bieten! Siehe dazu meine Besprechung von Peglaus entsprechender Lehre aus Reichs Buch.

Mein zweiter Blick fällt auf das Impressum: „Umschlagabbildung: Wilhelm Reich, aufgenommen von Ludwig Gutman, geboren am 23.6.1869 in Horn, ermordet am 18.4.1943 im Ghetto Theresienstadt.“ Das Buch hebt also mit einem „Stolperstein“ an. Über Gutman gibt es einen eigenen Wikipedia-Beitrag. Moment mal! War das Reichs Intention 1933 und 1946 (als die grundlegend revidierte und stark erweiterte Ausgabe herauskam)? Dieser wohlfeile Holocaust- und Antisemitismus-Kult? Diese Heimholung Reichs zu den Freuds und Einsteins, die rein gar nichts mit Judentum zu schaffen hatten, aber ihr „Judentum“ plakativ vor sich hertrugen? (D.h. nicht, ich persönlich hätte irgendwas gegen Stolpersteine – ganz im Gegenteil…)

Nehmen wir nur den dezidierten „Juden“ Freud, während Reich ein dezidierter Nicht-Jude war. Warum war ausgerechnet Freud so kompromißlerisch, geradezu unterwürfig gegenüber den Nationalsozialisten, während ausgerechnet Reich derartig militant auftrat? Nun, wer überall nur Antisemitismus sieht, sich nur von Feinden eingekreist sieht, kann seine eigentlichen Feinde nicht mehr sehen und sich nicht mehr rational gegenüber ihnen verhalten. Er hat keine Prioritäten mehr. Leute wie Freud (und die heutigen Antifaschisten a la Dahmer und Peglau) leben in einer paranoiden mystischen pseudo-religiösen Wahnwelt, in der alle Unterschiede verschwimmen. Wer aber mit einer Brille, die mit Milchglasscheiben versehen ist, durchs Leben stolpert, kann nicht überleben. Hanna Arendt hat das anläßlich ihrer Analyse des Holocaust-Prozesses in Jerusalem zum Ausdruck gebracht:

Die Überzeugung von der Allgegenwärtigkeit und Ewigkeit des Antisemitismus ist nicht nur seit der Dreyfus-Affäre der wirksamste ideologische Bestandteil der zionistischen Bewegung gewesen, diese Überzeugung war auch der eigentliche Grund für die sonst schwerverständliche Bereitschaft des deutschen Judentums in allen seinen Teilen, sich sofort nach der Machtergreifung „auf den Boden der Tatsachen zu stellen“ und mit den Nazibehörden zu verhandeln. (…) Gerade aus dieser Überzeugung stammte die politisch so gefährliche Unfähigkeit, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden; (…) weil sie dachten, daß alle Nichtjuden in der Judenfrage gleich denken und empfinden. Falls Ben Gurion [durch den Prozeß gegen Eichmann in Jerusalem] diese Art „jüdischen Bewußtseins“ zu intensivieren wünschte, war er schlecht beraten; denn daß diese Mentalität sich ändert, gehört zu den wirklich unerläßlichen Vorbedingungen für ein israelisches Staatsbewußtsein. Die Gründung des israelischen Staates hat aus den Juden ein Volk unter Völkern gemacht, eine Nation unter Nationen, einen Staat unter Staaten, der per definitionem auf eine Pluralität angewiesen ist, welche die jahrtausendealte und leider religiös so tief verankerte jüdische Zweiteilung der Welt in Juden und Nichtjuden nicht mehr zuläßt. (Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. Piper Verlag, München, 2011, S. 46)

Reich hat diesen gefährlichen Schwachsinn, diese Zweiteilung, nie mitgemacht, deshalb war er militanter Antifaschist, als man noch etwas ausrichten konnte, und deshalb hat er später, als die Katastrophe geschehen war, diese nicht mißbraucht, um die nächste Katastrophe vorzubereiten, indem er mit kultischem „antifaschistischen“ Kokolores Juden und Nichtjuden in eine immer höhere Hysterie treibt, a la „taucht nun der lang verdrängte ‚nationalsozialistische Untergrund‘ vor unseren Augen gespenstisch wieder auf“. Das Böse ist immer und überall…

Ich beginne das Buch zu lesen und stocke bereits bei Reichs allererstem Absatz:

Die deutsche Arbeiterklasse hat eine schwere Niederlage erlitten und mit ihr alles, was es an Fortschrittlichem, Revolutionärem, Kulturgründendem, den alten Freiheitszielen der arbeitenden Menschheit Zustrebendem gibt. Der Faschismus hat gesiegt und baut seine Positionen mit allen verfügbaren Mitteln, in erster Reihe durch kriegerische Umbildung der Jugend, stündlich aus. Aber der Kampf gegen das neuerstandene Mittelalter, gegen imperialistische Raubpolitik, Brutalität, Mystik und geistige Unterjochung, für die natürlichen Rechte der arbeitenden und schaffenden, von der wirtschaftlichen Ausbeutung durch eine Handvoll Geldfürsten schwer betroffenen Menschen, für die Beseitigung dieser mörderischen gesellschaftlichen Ordnung wird weitergehen. Doch kommt es nicht nur darauf an, daß er weitergeht, sondern in erster Linie ob, wie und in welcher Zeit er zum Siege des internationalen Sozialismus führen wird.

Gehen wir das Satz für Satz durch (bis auf den zeitgebundenen letzten) und übertragen das von 1933 auf das Jahr 2023:

„Die deutsche Arbeiterklasse hat eine schwere Niederlage erlitten und mit ihr alles, was es an Fortschrittlichem, Revolutionärem, Kulturgründendem, den alten Freiheitszielen der arbeitenden Menschheit Zustrebendem gibt.“ Die deutsche Arbeiterklasse steht 2023 vor dem Nichts. Dazu braucht der Hamburger Arbeiter nur abends durch Altona, Billstedt, Harburg, etc. spazierengehen! Spätestens, allerspätestens seit 2015, sind die Sozialkassen unrettbar ruiniert, Krankenkasse und Rentenversicherung kannst du dir in wenigen Jahren abschminken. Frage jeden beliebigen mittleren Finanzbeamten! Spätestens, allerspätestens 2030 wird Schluß sein. Deshalb das Gerede vom Great Reset, dem digitalen Zentralbankgeld, der alle Lebensbereiche bestimmende Ökoterror, etc. Deshalb auch die forcierte Umvolkung. Ein Volk kann man nicht kontrollieren, sehr wohl aber eine in sich gespaltene Be-Völkerung. Die einzige Partei, die gegen diesen Faschismus (Zentralstaat in engster Verschränkung mit dem Monopolkapital) eintritt und die Interessen der deutschen Werktätigen vertritt, ist die AfD.

„Der Faschismus hat gesiegt und baut seine Positionen mit allen verfügbaren Mitteln, in erster Reihe durch kriegerische Umbildung der Jugend, stündlich aus.“ Die heutige Jugend ist 2023 zweigeteilt: in eine vollkommen in Life Style, Karriere und Konsum aufgehende Majorität, die geradezu gespenstisch gleichgeschaltet ist, politisch korrekt bis zur Haarspitze, und zweitens eine vermeintlich rebellische Minorität, die auf „Punk“ macht, aber ideologisch 150% hinter den Plänen des Monopolkapitals steht. „Antifa ist durchgeimpft! Wir impfen euch alle!“

„Aber der Kampf gegen das neuerstandene Mittelalter, gegen imperialistische Raubpolitik, Brutalität, Mystik und geistige Unterjochung, für die natürlichen Rechte der arbeitenden und schaffenden, von der wirtschaftlichen Ausbeutung durch eine Handvoll Geldfürsten schwer betroffenen Menschen, für die Beseitigung dieser mörderischen gesellschaftlichen Ordnung wird weitergehen.“ Wer heute von „Geldfürsten“ a la George Soros spricht, wird sofort als „Antisemit“ gebrandmarkt, und WER steht denn heute für „das neuerstandene Mittelalter, (…) imperialistische Raubpolitik, Brutalität, Mystik und geistige Unterjochung“, wenn nicht die kriegsgeile Politsekte Die Grünen? Die ruinöse Sozial- und Wirtschaftspolitik der Nazis zielte auf einen Eroberungskrieg zu. Hitler brauchte den Krieg oder alles wäre (ohnehin) kollabiert. Genauso braucht der Grüne arbeiterfeindliche ABSCHAUM, der uns heute regiert, den Krieg mit Rußland, die Ökoapokalypse, den Great Reset, Armageddon.

Von der Sexualökonomie und Politischen Psychologie der 1920er/30er Jahre zur heutigen sozialen Orgonomie

20. Februar 2022

Wie vor fast 100 Jahren Wilhelm Reichs Kritik an der damaligen psychoanalytischen Kultur- und Todestriebtheorie zeigte, wird die menschliche Tätigkeit in allen ihren Formen von sexueller Energie gespeist. Zentral ist hier die Entdeckung der Rolle des Orgasmus und seines ungestörten Verlaufs für den Triebhaushalt. Dessen Störungen werden von der Sexualökonomie untersucht, der Lehre von den individuellen und gesellschaftlichen Gesetzen des menschlichen Lebensenergie-Metabolismus. Die pathologische Sexualstruktur des Menschen steht einer gesunden, selbstregulierten individuellen und gesellschaftlichen Sexualökonomie, d.h. der Genitalität und der Arbeitsdemokratie entgegen, was einen grundlegenden Umbau nicht nur der individuellen, sondern vor allem auch der gesellschaftlichen Ordnung notwendig macht. Reichs Massenpsychologie zeigt, daß sich das herrschende sexual- und generell lebensfeindliche Gesellschaftssystem reproduziert, indem durch die Erziehung in der Familie bestimmte psychische Strukturen geschaffen werden, so daß die dergestalt zur Selbstregulation unfähig gemachten Menschen im Laufe ihres Lebens das Sozialleben auf eine Weise gestalten, die nicht den objektiven Erfordernissen der Entfaltung des Lebens gemäß sind, sondern zu ihrer rigiden, bzw. heute chaotischen neurotischen Charakterstruktur passen. Dieser „subjektive Faktor“ erweist sich als widerstandsfähiger als die objektiven Notwendigkeiten des Lebens. In diesem Zusammenhang sprach Reich anfangs von „Politischer Psychologie“, womit er ausdrücken wollte, daß sich die individuelle und gesellschaftliche Sexualökonomie nicht nur im engeren Sinne in den Forderungen der Sexualpolitik niederschlägt, sondern die bioenergetischen Notwendigkeiten den Kern der gesamten fortschrittlichen Politik ausmachen. Später gab er angesichts der unüberwindlichen, wie gesagt „widerstandsfähigen“ Irrationalität der Massen diesen politischen Ansatz auf, um sich auf die eine Stellschraube zu konzentrieren, die eine ungestörte Sexualökonomie möglich macht: die Erziehung in der Familie. An die Stelle der Politischen Psychologie tritt nun die Bekämpfung der Emotionellen Pest, d.h. die Bekämpfung des vernunftwidrigen Ressentiments gegen das Lebendige, das das Projekt „Kinder der Zukunft“ unmöglich zu machen droht. Die heutige soziale Orgonomie wird von Reichs Nachfolger Charles Konia in dessen Blog vertreten.

Paul Mathews: Besprechung SEX-POL-ESSAYS, 1929-1934 von Wilhelm Reich

5. Januar 2022

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Besprechung SEX-POL-ESSAYS, 1929-1934 von Wilhelm Reich

Orgonomie und Metaphysik (Teil 16)

12. Dezember 2021

Reich hatte ein Muster in seinem Leben, die „Offensichtlichkeit“: „Libido“ führt folgerichtig zur Orgasmustheorie, obwohl jeder klug genug war, sie niemals anzurühren; Psychoanalyse führt logischerweise zur Erfassung des individuellen Charakters und zur Infragestellung des gesamten sozialen Systems („politische Psychologie“, Massenpsychologie). Auch das Orgon ist unvermeidlich, weil Atome keinen Sinn machen (Moleküle können durch ihr Zusammenspiel kein Bewußtsein „produzieren“) und „Geist“ erklärt gar nichts (Donner wird auf den „Donnergott“ zurückgeführt). Ein unverzichtbares Element von Wissenschaftlichkeit ist die evolutionistische Komponente. Man muß jeweils einen konkreten Entwicklungsverlauf angeben können: der Geist des Menschen muß sich wie alles andere in der Natur (Mineralien und Lebewesen) entwickelt haben. Das letztere kann der Materialismus zwar, aber die Materie ist ihm etwas Gegebenes. Daran ändert das mystische Ereignis „Urknall“ auch nichts.

Reich führt über den Unterschied zwischen toter Materie und dem Lebendigen aus:

Nach den Anschauungen, die sich aus den Bionversuchen ergeben, besteht der Unterschied gar nicht in irgend etwas, das im Lebendigen neu hinzukommt und es zum Lebendigen macht; der Unterschied ist eine besondere Kombination von Funktionen, die man isoliert für sich auch im Leblosen findet. (Die Bionexperimente, Frankfurt 1995, S. 161)

Und weiter: Um das Lebendige erfassen zu können, müsse man die „Ganzheitsfunktion“ auffinden,

die man zwar in Einzelfunktionen physikalischer und chemischer Art zerlegen kann, die man auch im Anorganischen vorfindet, die aber im Anorganischen nicht als einheitliches Ganzes funktionieren. Man übersah bisher, daß die einheitliche Ganzheitsfunktion in keinem Gegensatz zur Summe der Einzelfunktionen steht; das gab den Vitalisten die Grundlage ab, das Unerklärliche metaphysisch zu begründen wie etwa bei Driesch. (…) Notwendig ist die restlose Erfassung des Sprunges von der Summe der Einzelfunktionen zum einheitlichen Funktionieren aller dieser Einzelfunktionen. Es wäre somit ein Kolloidgemisch nicht dann als Leben zu definieren, wenn es die das Lebendige charakterisierenden physikalischen und chemischen Funktionen zeigt, sondern erst dann, wenn diese Funktionen zu einer Einheit des Organismus zusammengefaßt sind, wobei in der Ganzheitsfunktion sich sämtliche Elemente jeder Einzelfunktion finden müssen. (ebd., S. 162f)

Reich fährt fort: „Die Ganzheitsbetrachtung der organischen Systeme stand bisher als metaphysischer Idealismus dem der Teilfunktionsanalyse der gleichen Systeme als mechanischem Materialismus gegenüber; sie waren absolute Gegensätze, unvereinbar. Mit der dialektischen Auflösung dieses Widerspruchs von Ganzheit und Details löst sich das Problem des Lebens in befriedigender Weise durch Ausschaltung des metaphysischen Jenseitsprinzips für die Erklärung des Ganzen“ (ebd., S. 163).

Entsprechend findet man auch in nichtbewußten Vorgängen Elemente des Bewußtseins, doch die müssen erst zusammenfinden, um Bewußtsein im eigentlichen Sinne zu erzeugen: Lust und Angst sind die beiden Grundemotionen die allem Lebendigen gemeinsam sind, sie sind deshalb etwas Außerpsychisches! Lust und Angst hat z.B. auch eine Amöbe, ohne daß wir ihr eine „Psyche“ zuschreiben würden! Bei höheren Lebewesen, insbesondere aber beim Menschen sind die „Herausbewegung“ (Lust) und die „Hereinbewegung“ (Angst) funktionell identisch mit der bewußten Lustempfindung bzw. bewußten Angstempfindung. Wobei das sympathisches Nervensystem mit der Angst und das parasympathische Nervensystem mit der Lust verbunden sind. Bewußte Empfindungen („ich weiß, daß ich weiß“) sind vom Retikularen Aktivierungssystem im Stammhirn abhängig, das alle Nervenimpulse fokussiert und auf die Hirnrinde projiziert: „ich bin gut drauf“ (Lust), „mir ist beklommen zumute“ (Angst).

Im Plasma selbst finden sich die Funktionen Erregung und Wahrnehmung. Aus der letzteren leiten sich dann wie erläutert im Laufe der Phylo- und Ontogenese Emotion, Empfindung und Bewußtsein ab, die jeweils mit bestimmten Erregungsvorgängen verbunden sind: bei der Emotion ist es die radiale Pulsation der organismischen Orgonenergie, bei den Empfindungen ist es das energetische Orgonom und beim Bewußtsein das Zusammenfließen aller höheren Wahrnehmungsfunktionen im Gehirn.

Paul Mathews: Besprechung THE MASS PSYCHOLOGY OF FASCISM von Wilhelm Reich

7. November 2021

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Besprechung THE MASS PSYCHOLOGY OF FASCISM von Wilhelm Reich

Reichs Gründe der Abkehr von der Tagespolitik (Teil 6)

13. Juli 2021

von Robert Hase

Reich beschreibt dann seinen Weg zur Arbeitsdemokratie.

„In Deutschland brachen nach der Lockerung der zwanghaften moralistischen Fesseln die sekundären, sadistischen und perversen Impulse durch die Panzerung.“ In der Sowjetunion kam es zu einem schnellen Rückfall in ein autoritäres Regime in Wirtschaft und Sexualpolitik. Im Gegensatz zu den Russen wusste die sexualökonomische Gruppe, „warum diese Regression ‚notwendig‘“, also unvermeidlich war. (Der Leser wird fragen, warum denn genau diese Regression unausweichlich war. Ich interpretiere hier Reich wie folgt: Weil die Sowjets, kenntnislos wie sie waren, mit der charakterstrukturellen Hilflosigkeit der Massen nicht anders umgehen konnten, sie das Scheitern der Revolution aber nicht eingestehen konnten. [PN]) Reich schreibt weiter: „Wir halten an dem ursprünglichen Ziel der gesellschaftlichen und individuellen Selbstregulierung fest, während sie es nicht tun; wir suchen weiterhin den Weg zur gesellschaftlichen Selbstregulierung,“ während man sich in der Sowjetunion Illusionen hingab. Die Gruppe verfolgte gewissenhaft den sexualökonomischen Prozess im Individuum und in der Gesellschaft, während man dort das ganze Problem der Massenpsychologie als „unproletarisch“ verwarf.

Reich gelangte zu dem Schluss, dass, wenn man also Katastrophen vermeiden und gleichzeitig am ursprünglichen Ziel festhalten wollte, eine Sexualpolitik im Rahmen der parteipolitischen Organisation nicht in Frage kam. Jedoch gab es absolut nichts, was an die Stelle der alten, parteiorientierten Sexualpolitik hätte treten können. Man kann, so Reich, nicht Millionen von Menschen vegetotherapeutisch behandeln, um die sekundären, perversen Triebe durch natürliche Genitalität zu ersetzen. Es wäre zwar möglich, durch eindringliche Erklärungen (Reich meint hier wahrscheinlich eine Massenpropaganda) Panzerungen en masse zu zertrümmern; aber was dann an die Oberfläche dränge, wäre brutaler Irrationalismus und nicht das, was die Sexualökonomen anstrebten: rationale Selbstbestimmung des Lebens.

Die Veränderung der menschlichen Struktur, ihre Entpanzerung und die Ausschaltung der sekundären, pornographischen und sadistischen Impulse, erfordere nicht nur die Kenntnis der tiefen biologischen Prozesse schon beim Neugeborenen, sondern auch ein soziales Umfeld, in dem diese Prozesse auf natürliche Weise funktionieren könnten. Jede Art von autoritärer oder mystischer Lebensform mache dies jedoch unmöglich. Die formal-demokratischen Organisationen waren, wie auch zur Zeit der Niederschrift (1944), in einem solchen Maße von autoritären Konzepten und Praktiken durchdrungen, dass auch sie keinen Rahmen bieten könnten. Da politische Parteien eine autoritäre Struktur hätten und von der menschlichen Hilflosigkeit lebten, wäre von ihnen nichts zu erwarten. So stände man vor einer großen Leere, wenn man sich frug, welche gesellschaftliche Organisation den Erkenntnissen der Sexualökonomie und ihren klaren gesellschaftlichen Konsequenzen zum Durchbruch verhelfen hätte können. Diese Leere lähmte einige Jahre lang jeden praktischen Schritt.

„Doch in diesen Jahren formulierte sich allmählich und spontan eine Antwort: natürliche Arbeitsdemokratie.“

Reich erklärt sie an einigen Beispielen. Seine Organisation hatte keine politische Gruppe gebildet oder ein Aktionsprogramm ausgearbeitet. Es waren die Anforderungen der vielseitigen Arbeit und die Notwendigkeit, gesellschaftliche, berufliche und persönliche Probleme zu lösen, die sie dann im Januar 1936 dazu brachten, das Institut für sexualökonomische Lebensforschung zu gründen. Sie hatten ausschließlich fachbezogene Zusammenkünfte professioneller Art. Jeder leistete seinen Beitrag entsprechend seinem Interesse an der Arbeit. Ein Arzt sammelte Geld, weil er Reichs Labor wachsen sehen wollte und selbst darin arbeiten wollte. Andere übersetzten sexualökonomische Schriften und veröffentlichten eine Zeitschrift in ihrer Sprache, ohne dass Reich es vorgeschlagen hätte, einfach, weil die Arbeit es erforderte. Roger du Teil organisierte die Bionforschung in Frankreich, weil er es als seine Pflicht als Naturwissenschaftler empfand, nicht, weil Reich ihn dazu überredet hatte. Neill kam, weil er die Vegetotherapie in der Arbeit mit seinen Schülern brauchte. Reich hingegen brauchte dessen Schule, weil sie durch ihr großartiges Funktionieren seine Vorstellungen von Selbstregulierung bestätigte.

„Meine Abhängigkeit vom Mikroskop und vom Thermometer oder die Abhängigkeit der Orgonforschung von der Erforschung der Elektrizität und des Lichtes durch andere wissenschaftliche Arbeiter ist eine historische Arbeitsabhängigkeit“. In diesen Abhängigkeitszusammenhängen gäbe es keinen Platz für politische Ideologien. Es seien die Arbeiter aller Berufe und nicht die Machiavellis, die in den vergangenen Jahrhunderten den historischen Boden für seine Arbeit geschaffen haben. So wie die politische Ideologie keine Arbeit leisten könne, könne sie auch nicht das arbeitsdemokratische Funktionieren im gesellschaftlichen Leben erfassen. Arbeiter hinterfragen Ergebnisse und Methoden, um zu lernen und zu helfen und „die Dinge besser zu machen“. Sie würden sich nicht gegenseitig „Verräter“, „Spion“, „Abtrünniger“ usw. nennen oder sie erschießen sich nicht gegenseitig, wie es die politischen Gangster tun. Sie zwingen niemanden, ihre Arbeit zu tun, so wie die Politiker andere mit vorgehaltenem Messer oder dem Maschinengewehr zwingen, für ihre Ideen zu sterben.

Reichs Gründe der Abkehr von der Tagespolitik (Teil 5)

9. Juli 2021

von Robert Hase

Reich stand nunmehr vor der Aufgabe, die sozialen Lehren aus dem Weltgeschehen zu ziehen, hatte doch der Faschismus, Reich zufolge „der extreme Despotismus“, Millionen von Menschen für sich gewonnen. Dieses Ereignis warf zum ersten Mal in der Geschichte der Soziologie und Massenpsychologie die Frage auf, „wie es möglich ist, dass unterdrückte Massen der politischen Reaktion folgen und sie zur Macht tragen“. An dieser Stelle hebt Reich ausdrücklich hervor, dass er als Erster diese Frage im Jahr 1930 formuliert hatte. Nunmehr, zur Zeit der Niederschrift (1944), werde sie breit diskutiert, doch zumeist ohne Verweis auf die Quelle. Er betone seine Priorität, weil er allein die Verantwortung für den sexualökonomischen Aspekt des Problems zu tragen hatte, während andere Massenpsychologen versuchten, das Verhalten der Massen in einer sozial harmlosen und gefahrlosen Weise begreiflich zu machen.

Damit dürfte Reich besonders das Buch Die Furcht vor der Freiheit von Erich Fromm, aber auch andere ehemalige Kollegen gemeint haben, z.B. Otto Fenichel. Wahrscheinlich ist damit auch die Neo-Psychoanalyse um Horney, Sullivan etc. gemeint, die analytisch-soziologische Schriften verfassten, aber ohne biologisches Fundament und die Libidotheorie negierten.

Mit dieser Frage, d.h. wie eine reaktionäre Bewegung mit Massenbasis, der Faschismus, möglich gewesen sei, wurden die gesellschaftlichen Akzente verschoben: „Wichtig war nicht mehr der reaktionäre Führer oder der Kapitalist, sondern ausschließlich die „menschliche Natur“, also die menschliche Charakterstruktur, die die Unterdrückung nicht nur akzeptierte, sondern sogar bejahte und förderte“. (3)

Es ging also nicht mehr um Unterdrückung auf der Rechten und um Unterdrückt-Werden auf der Linken. Vielmehr „war die gesellschaftliche Unterdrückung in den Menschen selbst am Werk“. Jedoch nicht als Manifestation eines angeblich biologischen „Todestriebes“ oder „Leidensbedürfnisses“, wie es eine degenerierte psychoanalytische Theorie formulierte, sondern, wie die Sexualökonomie als erste feststellte, „als Ergebnis gesellschaftlich bedingter Rigidität der menschlichen Plasmafunktionen, die wiederum die Gesellschaft mechanistisch rigide macht“.

Hier teilt Reich gegen Freud selbst und gegen seinen psychoanalytischen Kontrahenten Theodor Reik aus, der das Buch Aus Leiden Freuden (sic!), deutsche Originalausgabe 1940 bei Imago (London), schrieb. Reik setzte sich in dem Buch auch explizit mit Reich auseinander. (Später auch als Fischer Taschenbuch mit dem Titel Aus Leiden Freuden. Masochismus und Gesellschaft, neu herausgegeben.)

Reich meint, wenn man diese Rigidität des Massenmenschen nicht versteht, kann man keinem einzigen Schritt seiner Arbeit folgen. Es war im Wesentlichen dieses soziale Problem, das seine klinische Arbeit in eine Richtung zwang, die einige Jahre später eine wissenschaftliche Einsicht ersten Ranges hervorbrächte: den „muskulären Panzer“ bzw. die „charakterologische Hilflosigkeit“. Dergestalt habe, so Reich weiter, die Beschäftigung mit einem sozialen Problem die medizinische Forschung vorangebracht.

Mit der Verlagerung des gesellschaftlichen Akzents weg von kleinen Gruppen, politischen Parteien, einzelnen großen Männern usw. auf die Charakterstruktur der Menschenmassen brach die Sexpol zusammen, denn sie hatte auf einem Schwarzweißdenken beruht: der irrigen Vorstellung „Rechts ist schwarz“ und „Links ist weiß“. Die Verbreitung der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse der Sexualökonomie unter den Massen stieß auf so große Schwierigkeiten und scheiterte schließlich, weil die Sexualökonomie die Panzerung des Massenindividuums nur theoretisch verstehen, aber nicht praktisch auflösen konnte.

Die Erfahrung zeigte immer wieder, dass Menschen, „die sich von der Sexualökonomie angezogen fühlten, nicht nur ein ernsthaftes Interesse hatten, sondern auf der anderen Seite auch sekundäre Triebe und eine pornografische Sexualstruktur, die eine verantwortungsvolle Lebensweise im sexualökonomischen Sinne unmöglich machte“. Die pornografische Sicht auf das Sexualleben war zu tief verwurzelt und zu sehr gesellschaftlich gestützt. Die natürliche Genitalität war zu sehr gestört und gesellschaftlich geächtet, um – wie Reich früher geglaubt hatte – sexuelle Selbstregulierung und natürliches Funktionieren zu ermöglichen. Die Sehnsucht nach Glück hatte keine Grundlage in der Fähigkeit zum Glück. Mehr noch, die politische Reaktion eines Mussolini oder Hitler ging von den Massen aus; die Massen selbst erwiesen sich in erster Linie als reaktionär. So erstaunlich und schmerzlich diese Tatsache zunächst gewesen war, so selbstverständlich war sie, wenn man sich an diese Einsicht gewöhnt hatte: Wenn die Masse der Menschen jahrhundertelang in Unwissenheit gehalten und mit falschen, oberflächlichen Parolen überschüttet worden sei und davon abgehalten wurde, ihr Leben selbst zu regeln, erntete die Gesellschaft nur die Früchte ihres Verbrechens an diesen Massen. Die Erkenntnis dieser Tatsachen machte die ökonomistische Sichtweise der „linken“ Parteien unhaltbar, denn diese Sichtweise rechnete mit eindeutig progressiven menschlichen Strukturen. Die klinische Erfahrung zeigte, dass die Masse sowohl reaktionär als auch progressiv ist. Das mache die Notwendigkeit von noch radikaleren sozialen Maßnahmen deutlich, entferne den Sexualökonomen aber auch immer mehr von den praktischen Möglichkeiten des Alltags. Die biologische Steifheit der Massen machte eine Massenorganisation, die gegen die Parteien gerichtet ist, unmöglich. So trat damals die Alltagspolitik mehr und mehr in den Hintergrund, ob die sexualökonomische Gruppe das wollte oder nicht.

Fußnoten

(3) Führer im engl. Original

Reichs Gründe der Abkehr von der Tagespolitik (Teil 4)

7. Juli 2021

von Robert Hase

In dem Artikel befasst sich Reich auch ausführlich mit seinem politischen Werdegang. So sei er bis zum Ende des Ersten Weltkriegs ein naives Mitglied der großen menschlichen Herde, also „unpolitisch“ gewesen. Voller Ansichten, von denen keine fünf Jahre überlebte, niedergedrückt vom Ringen um den Lebensunterhalt usw. Deswegen kenne er den kleinen, unpolitischen Menschen sehr gut aus seiner eigenen Erfahrung. Ihm stand damals auch die Wissenschaft fern, denn im Unterricht der Oberschule des alten Deutschlands und Österreichs hatte es keinen wissenschaftlichen Ansporn gegeben. Dann, zwischen 1917 und 1927, wurde ihm das Wesen der Wissenschaft bewusst. Als 1927 in Österreich politische Unruhen begannen, trat zum wissenschaftlichen das gesellschaftliche Interesse hinzu. Plötzlich sah er den gigantischen Widerspruch von wissenschaftlichem Leben und politischem Alltag. Es schien keine Verbindung zwischen den beiden Bereichen zu geben, mehr noch, sie schienen sich zu widersprechen. Marx‘ Angebot bestand darin, gleichzeitig soziologische Wissenschaft und soziale Orientierung zu bieten. Der Marxismus sei die einzige soziologische Herangehensweise in Europa gewesen, die nach vorne wies (5). Darauf folgte die soziologische Kritik an der Ausrichtung und Schwerpunktlegung seiner wissenschaftlichen psychiatrischen Arbeit. Eine Kritik, die nach Reichs Meinung zum Zeitpunkt der Niederschrift (1944) noch immer richtig sei. Tatsächlich erwies sich diese Kritik im Jahrzehnt nach 1927 sowohl für die Forschung als auch für die gesellschaftliche Aktivität als sehr fruchtbar. Dabei blieb jedoch der Konflikt „Wissenschaft oder Politik“ unlösbar. Man konnte nicht gleichzeitig Forscher und Parteipolitiker sein. So blieb er zwar medizinischer Forscher, jedoch wurde jeder wissenschaftliche Sachverhalt nunmehr auf zwei Grundfragen hin untersucht:

„1. Wie ist die Haltung der herrschenden öffentlichen Meinung zu dieser Tatsache?

2. Was sind die praktischen sozialen Konsequenzen dieser Tatsache?“

Die soziale Sexualökonomie sei demgemäß aus der klinischen Sexualökonomie hervorgegangen. Die praktischen Konsequenzen wären meist unmittelbar einleuchtend, wie die gesellschaftliche Bejahung der natürlichen kindlichen und jugendlichen Sexualität oder die Verantwortung des Arbeiters für den gesellschaftlichen Produktionsprozess. Themen, die nunmehr, 18 Jahre später, im Mittelpunkt des aktiven Kampfes stünden. Im Jahr 1930 stellte sich aber die Frage, wer diese praktischen Konsequenzen ziehen sollte? Die naheliegende Antwort lautete: die politischen Parteien, die unter anderem rationale sexualpolitische Ziele in ihre Programme aufgenommen hatten. Das waren damals die kommunistischen, sozialistischen und liberalen Organisationen. So begann Reich, im Rahmen dieser drei Organisationen zu arbeiten.

„Später fand ich heraus, dass ich mich gewaltig verrechnet hatte. Dass ich so lange brauchte, um es zu korrigieren, lag an der falschen Orientierung der Freiheitsorganisationen in Fragen der Massenpsychologie.“

Die Fehlkalkulation sei folgende gewesen: „Hier ist die politische Reaktion, die die Massen unterdrückt und ausbeutet. Dort sind die Massen, die unterdrückt sind und sich nach Freiheit sehnen.“ Alles, was man demzufolge hätte tun müssen, wäre diese Massen zu organisieren und zu führen, damit sie die sozialen Fesseln der politischen Reaktion abwürfen und die Freiheit in der Welt brächten. Dementsprechend habe er die österreichische und später die deutsche Sexpol organisiert. Die Aufgabe der Sexualpolitik war es damals gewesen, die Massen mit rationalem biosexuellem Wissen zu versorgen, so wie die wirtschaftlich orientierten Parteien sie mit ökonomischem Wissen versorgten bzw. zu versorgen versuchten.

Reich gibt zu bedenken, dass damals der Faschismus noch nicht an der Macht war. Es gab noch keine biophysikalische Theorie der menschlichen Tiefenstruktur jenseits der Unterscheidung zwischen „primären“ und „sekundären“ Trieben. Man ahnte noch nichts von der charakterologischen Verankerung der gesellschaftlichen Unterdrückung im Volk selbst. Es wurde geglaubt, dass die gesellschaftliche Bejahung des Geschlechtslebens genüge, um die sexuellen Neurosen zu meistern. Man war überzeugt, dass die Masse der Menschen einen brennenden Wunsch nach einem freien Leben hatte. Ihre strukturelle Angst vor der Freiheit und ihre Unfähigkeit zur Freiheit waren noch unbekannt.

Fußnoten

(5) Hier folgt eine Fußnote: „Bis 1939 kannte ich das Wesen der amerikanischen Revolution nur aus der Ferne. Ich kann hier nicht auf den großen Unterschied zwischen dem amerikanischen und dem europäischen Freiheitsbegriff eingehen.“

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25. April 2021

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