57. Freud und Reich
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ZUKUNFTSKINDER: 3. Die Entstehung des „Nein“, c. Biopathien
10. Februar 2018Ein neuer Artikel auf http://www.orgonomie.net:
ZUKUNFTSKINDER:
Der Rote Faden: Otto Fenichel und seine „Rundbriefe“
18. Oktober 2017Ein neuer Artikel auf http://www.orgonomie.net:
DER ROTE FADEN:
1. Aktion und Reaktion
a. Der Weg in den Kommunismus
b. Der Weg in den Faschismus (Wien)
c. Rassenhygiene
d. Der Weg in den Faschismus (Berlin und Kopenhagen)
e. Der Übermensch
f. Die Untermenschen
2. Der Weg in den Kalten Krieg
a. Das rote Berlin
b. Agenten des Roten Terrors
c. Der Friedenskämpfer Nr. 1
d. Der Kalte Krieger Nr. 1
e. Der Warmduscher
3. Mentalhygiene
a. Sexpol
b. Die sexuelle Revolution in der Sowjetunion
c. Psychoanalyse und Kommunismus
d. Otto Fenichel und seine „Rundbriefe“
Der Rote Faden: Psychoanalyse und Kommunismus
8. Oktober 2017Ein neuer Artikel auf http://www.orgonomie.net:
DER ROTE FADEN:
1. Aktion und Reaktion
a. Der Weg in den Kommunismus
b. Der Weg in den Faschismus (Wien)
c. Rassenhygiene
d. Der Weg in den Faschismus (Berlin und Kopenhagen)
e. Der Übermensch
f. Die Untermenschen
2. Der Weg in den Kalten Krieg
a. Das rote Berlin
b. Agenten des Roten Terrors
c. Der Friedenskämpfer Nr. 1
d. Der Kalte Krieger Nr. 1
e. Der Warmduscher
3. Mentalhygiene
a. Sexpol
b. Die sexuelle Revolution in der Sowjetunion
c. Psychoanalyse und Kommunismus
Die Natur des Orgons
23. Februar 2017Die historisch-materialistische Interpretation und die bio-psychologische Interpretation des Todestriebes und der gesellschaftlichen Ideologie
14. Januar 2017Der sozialistische Kampf, das theoretische Organ des Austromarxismus war im faschistischen Österreich verboten. Es wurde deshalb in der Tschechoslowakei veröffentlicht. Sein Herausgeber war der berühmte Otto Bauer, Führer des „Austromarxismus“. Anläßlich von Freuds 80. Geburtstag veröffentlichte das Magazin 1936 zwei Artikel. Einen von W.M. (d.i. Karl Frank): „Sigmund Freud und der revolutionäre Sozialismus“. Wegen dem historischen, d.h. bürgerlichen Hintergrund der Psychoanalyse und der Enge des zeitgenössischen Marxismus gäbe es bis heute (1936) keine marxistische Analyse der Psychoanalyse. Es gäbe eine Freudsche Philosophie, z.B. Freuds Todestrieb, die mit Oswald Spengler gemeinsame Wurzeln habe, nämlich die Philosophie der untergehenden Bourgeoisie. Trotzdem schuf Freud eine moderne Psychologie, indem er auf die soziale Verursachung psychologischer Tatbestände hinwies und dergestalt eine biologisch-materialistische Grundlage für eine Herangehensweise entwickelte, die dem historischen Materialismus ähnlich sei. Die grundlegende Leistung der Psychoanalyse sei ihr Beitrag zum Verständnis des sozialen Überbaus (Wolfgang Huber: Psychoanalyse in Österreich seit 1933, Wien: Geyer-Edition, 1977; Ernst Glaser: Im Umfeld des Austromarxismus, Wien: Europaverlag, 1981, S. 271).
Das entspricht auch weitgehend Reichs damaliger Sichtweise (siehe dazu Otto Fenichels 119 Rundbriefe, Bd. 1, S. 379f). Reich ist nur weitergegangen, über die Psychoanalyse und den Marxismus hinaus. Zunächst einmal führte nicht die soziologische Verortung der Todestriebtheorie (Ideologie der „untergehenden Bourgeoisie“) zu deren Überwindung, sondern die Durchdringung des Masochismus als bio-psychologisches Problem, d.h. als einer Funktion der Panzerung (siehe Charakteranalyse). Und überhaupt, was den ideologischen „Überbau“ betrifft: dieser ist tatsächlich eine Funktion der dreischichtigen bio-psychologischen Struktur des gepanzerten Menschen (siehe Die Massenpsychologie des Faschismus).
Es ist ernüchternd, daß man sich noch heute mit der Denkungsweise, die im ersten Absatz dargestellt wurde, auseinandersetzen muß – selbst bei „Reichianern“.
Ist die Orgonomie eine “heilige Wissenschaft”?
27. Oktober 2016Robert Jay Lifton hat eine „heilige Wissenschaft“ wie folgt umrissen:
Das totalitäre Milieu hält um sein Grunddogma eine Aura der Heiligkeit aufrecht, um es als ultimative moralische Vision für die Ordnung der menschlichen Existenz hochzuhalten. Diese Heiligkeit wird im Verbot evident (…), die Grundannahmen in Frage zu stellen, und in der Verehrung, die für die Urheber der Botschaft, dem gegenwärtigen Träger der Botschaft und die Botschaft selbst gefordert wird. Während die übliche Logik verletzt wird, stellt das Milieu übertriebene Behauptungen über seine luftdichte Logik und absolute „wissenschaftliche“ Präzision auf. Demnach wird aus der ultimativen moralischen Vision eine ultimative Wissenschaft und derjenige, der es wagt sie zu kritisieren oder auch nur unausgesprochene alternative Ideen hegt, wird nicht nur als unmoralisch und respektlos betrachtet, sondern auch als „unwissenschaftlich“. Auf diese Weise stärken die Meisterdenker des modernen ideologischen Totalitarismus ihre Autorität, indem sie behaupten Anteil am reichen und angesehenen Erbe der Naturwissenschaft zu haben.
Wenn man Reich mit den anderen Psychoanalytikern seiner Zeit und auch mit Freud selbst vergleicht, wird deutlich, daß er noch am wenigsten „spekulierender Philosoph“ war. Man denke nur an die von ihm bekämpfte Todestriebtheorie oder die ebenso absurde Theorie Anna Freuds, das Ich sei von Natur aus zu schwach für die Triebe, die im Menschen wüten. Wenn irgendwer eine „moralische Vision“ hatte, um pseudowissenschaftliche Behauptungen aufzublasen, dann seine Gegner. Was die Entwicklung von den Bionen bis hin zum Cloudbuster betrifft, bestand die Problematik, daß kaum einer seiner Mitarbeiter und Anhänger die Expertise hatte, um Reich wirklich zu folgen. Und Wissenschaftler, die eine Ausbildung in dem von Reich jeweils beackerten Feld hatten, etwa Physiker, die über Reichs laienhafte Herangehensweise stolperten, konnten den spezifischen Zusammenhang der Reichschen „Orgasmus-Forschung“ nicht erfassen. Das begann schon bei den bio-elektrischen Experimenten, als sich Reich mit Fachleuten der Kaiser Wilhelm Gesellschaft herumplagen mußte (siehe Jenseits der Psychologie). Zu allem Überfluß sah sich Reich als „Orgasmusforscher“ nach entsprechend desillusionierenden Erfahrungen in Skandinavien gezwungen, auf seiner „moralischen“ Würde als Wissenschaftler, „Meisterdenker“ und „Herr Dr. Reich“ zu beharren.
Von daher gibt es in der Orgonomie durchaus kultische Elemente, Elemente einer „heiligen Wissenschaft“, aber das müssen sowohl Anhänger als auch Kritiker im Kontext sehen. Die einen sollten sich fragen, warum sie Reich glauben, nicht aber der Schulwissenschaft, die sie zwar auch nicht verstehen, die aber immerhin von unzähligen Wissenschaftlern vertreten wird, die sich gegenseitig kontrollieren. Und den Kritikern sei gesagt, daß letztendlich die Zeit über wissenschaftliche Theorien entscheidet und nicht die Mehrheit vermeintlicher Experten. Die Bione haben Bestand, der Orgonenergie-Akkumulator, der Cloudbuster und vieles mehr. Was es nicht wirklich gibt oder was keinen Sinn macht, verflüchtigt sich über kurz oder lang im Rahmen einer „natürlichen Auslese“, egal wie „heilig“ es auch immer aufgemacht ist, um dieser natürlichen Auslese zu entgehen.
Freud, Reich und der Wiederholungszwang (Teil 2)
21. Juni 2015Für den mechanistischen Materialisten Freud ist die tote, also „mechanische“ Materie der Ursprung und die gegenwärtige Grundlage von allem Leben. Daraus, d.h. aus dem „konservativen Drang zur Rückkehr zum Urzustand“ leitet Freud logisch den Todestrieb her, der so genuiner Ausdruck der mechanistischen Wissenschaft ist. Demgegenüber sympathisiert Reich zunächst mit vitalistischen Konzepten, um dann zu seinem orgonomischen Funktionalismus vorzudringen, wo in Gestalt der Lebensenergie und im zentralen Begriff der „Funktion“ das Leben das Ursprüngliche ist, aus dem erst sekundär alles Mechanische sich ableitet. Dies zeigt einmal mehr, daß die Orgontheorie untrennbar mit der Orgasmustheorie verbunden ist.
Bei Freud bedeutet „Sexualsieg“ (des Lust-Ichs) Perversion, während Gesundheit gleichbedeutend sei mit einem geglückten „Ichsieg“ (des Real-Ichs). Allein schon dies (Freud: Sexualsieg = Perversion und Gesundheit = gepanzerte Eingepaßtheit) zeigt, daß Freud und Reich unvereinbare Gegenpole sind.
Wird das normale Sexualleben behindert, kommen Perversionen zum Vorschein. Die Psychoanalyse ist an diesen Perversionen interessiert (ihr Ursprung, ihre Verknüpfungen, ihr Aufbau, etc.), während für Reich all dies uninteressant war. Ihm ging es nicht um diesen Sumpf, sondern um seine Austrocknung durch Wiederherstellung (bzw. die Verbesserung) des normalen Sexuallebens.
Reich hat nie bestritten, daß es so etwas wie Freudsche perverse Triebe, Geburtstraumata und einen Adlerschen Willen zur Macht gibt. Es ist nur so, daß durch die Orgasmusfunktion diesen seelischen Gegebenheiten die Energie entzogen wird. So hat die Orgasmustheorie einen grundsätzlich anderen Charakter als andere monokausale Theorien. Der Reichsche Gesundheitsbegriff beinhaltet nicht, daß einer keine perversen Triebe hat, sondern daß diesen Trieben die Energie entzogen wird. Etwas, das zu wenig unterstrichen wird: beispielsweise ist der Rassismus möglicherweise biologisch vorgegeben, was aber für die Orgonomie relativ uninteressant ist, denn er wird erst durch den neurotischen Energiestau aufgrund orgastischer Impotenz aktualisiert. Wenn man einen harmlos tropfenden Wasserhahn mit dem Daumen zudrückt, spritzt es nach einiger Zeit gefährlich nach allen Seiten. Bei orgastischer Potenz ist die Frage der „natürlichen Anlagen“ im Endeffekt gleichgültig. (Dies wirft ein Licht auf den orgonomischen Begriff der „Natürlichkeit“, der nicht so naiv ist, wie man Reich vorwirft. Es geht nicht um Natur versus Unnatur, sondern letztendlich um ORgon versus DOR.)
Was Reich auf einer metatheoretischen Ebene von Freud trennte, war, daß Freud immer von einer grundlegenden unaufhebbaren Dichotomie ausging, die von vornherein jede Aussöhnung und damit jedes Gesundheitskonzept unmöglich machte. Von Anfang an spürt man, daß Reich Schwierigkeiten mit Freuds dualistischer Triebauffassung hatte, die streng zwischen Sexualenergie und einer Energie der Ich-Triebe (Selbsterhaltungstriebe) unterschied. Offensichtlich neigte Reich eher der monistischen Triebauffassung Jungs zu, doch stößt ihn hier die philosophische Spekulation und die Entsexualisierung ab. Dinge, die Freud überwunden hatte. Reichs eigene Lösung war die über Freud hinausweisende Unterscheidung von die Spannung erhöhender Prägenitalität und Befriedigung und Entspannung verschaffender Genitalität: die Funktion des Orgasmus beherrscht, oder besser regelt, die Gesamtheit der Triebe, z.B. auch die Aggression.
Wenn Freud auf den Orgasmus zu sprechen kommt, dann bezeichnenderweise in Jenseits des Lustprinzips bei der Begründung seiner Todestriebtheorie, d.h. der angeblich triebhaften Rückkehr des Organischen in das ursprünglich Anorganische. Der Orgasmus, bzw. der „kleine Tod“, fungiert dabei als Beispiel:
Als sein stärkstes Motiv an die Existenz des Todestriebes zu glauben, gibt Freud „das Streben nach Herabsetzung, Konstanterhaltung, Aufhebung der inneren Reizspannung“ an, das „Nirvanaprinzip“ (Studienausgabe Bd. III, Frankfurt 1975, S. 264). Freud spricht von
dem allgemeinsten Streben alles Lebenden, zur Ruhe der anorganischen Welt zurückzukehren. Wir haben alle erfahren, daß die größte uns erreichbare Lust, die des Sexualaktes, mit dem momentanen Erlöschen einer hochgesteigerten Erregung verbunden ist. (ebd., S. 270)
Drei Jahre später in Das Ich und das Es spricht Freud von der „Ähnlichkeit des Zustandes nach der vollen Sexualbefriedigung mit dem Sterben“ und erwähnt
bei niederen Tieren das Zusammenfallen des Todes mit dem Zeugungsakt. Diese Wesen sterben an der Fortpflanzung, insoferne nach der Ausschaltung des Eros durch die Befriedigung der Todestrieb freie Hand bekommt, seine Absichten durchzusetzen. (ebd., S. 113f)
Demgegenüber war für Reich der Orgasmus Ausdruck des produktiven, ausgreifenden Lebensprozesses an sich. Reich betrachtete das Triebhafte als Ausdruck der Lustsensation, nach Wiederholung zu verlangen. Der „Wiederholungszwang“ setze sich im Bereiche des Lustprinzips besonders machtvoll durch („Zur Triebenergetik“, Frühe Schriften I , siehe auch den betreffenden Hinweis in seinem Aufsatz „Über die Quellen der neurotischen Angst“ Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, XII(3), 1926, S. 423). Der „Wiederholungszwang“ bedeutete für Reich also das genaue Gegenteil als für Freud.
Reich steht hier nicht allein. In einem Fernsehbeitrag über Albert Camus sagte der Bonner Hirnforscher Detlev Linke 2005, man könne die Sisyphos-Geschichte auch psychoanalytisch lesen. Es werde versucht, den Höhepunkt zu erklimmen, bei dessen Erreichen man Entspannung findet. Linke:
Kein Wunder, daß Camus den Sisyphos als einen glücklichen Menschen beschreibt.
Linke kann nur an Reichs Die Funktion des Orgasmus gedacht haben.
Hier zeigt sich kraß der Unterschied zwischen orgastischer Impotenz (für die der Orgasmus nur Leere und Todesmüdigkeit bedeutet) und orgastischer Potenz.
Reich, der Unzeitgemäße
26. Dezember 2014Reich konzentrierte sich auf das „ökonomische“ Element der Psychoanalyse und entwickelte die Orgasmustheorie, als Freud deren „topisches“ Element zunehmend in den Mittelpunkt stellte, die ganze „psychische Dynamik“ sich auf das Wechselspiel zwischen den psychischen Distanzen reduzierte und Freud „jenseits des Lustprinzips“ dachte. Reich war schlichtweg deplaziert und das haben ihn auch Freud und seine Kollegen spüren lassen.
Reich wandte sich 1928 einer mittlerweile einem hoffnungslosen Linksradikalismus verfallenden, „Stalinisierten“ Komintern zu, als sich die meisten verständigen Linken in Horror abwandten. Bezeichnenderweise wandte er sich zu einer Zeit wieder ab, als nach Hitlers Machtübernahme der Volksfrontgedanke unter Linksintellektuellen populär wurde.
Was er allgemein von Linksintellektuellen hielt, wird an seiner Haltung gegenüber Leuten wie Otto Fenichel zu Zeiten von Reichs Komintern-Enthusiasmus deutlich Trotz ihrer vielleicht theoretischen Brillanz betrachtete er sie nicht als authentische Marxisten. Für ihn war nur der ein Marxist, der sich wie er wirklich politisch engagierte, „Gesicht zeigte“ bei Demonstrationen den Klassenkampf wirklich lebte und in ständigem Kontakt mit dem Proletariat stand. Für seine angeblichen „Genossen“ war der Kommunismus eine reine Kopfangelegenheit, d.h., wie Reich später erkannte, eine charakterologische Störung; für Reich war er die zwangsläufige Reaktion auf unerträgliche soziale und vor allem sexualökonomische Umstände (die Bedürfnisse der Massen) und den Verrat durch die Sozialdemokratie. Man lese dazu Menschen im Staat!
Später wird Reichs Haltung zu dieser „chrakterologischen Linken“ etwa in seinem Aufsatz über die, wie er sie nannte, „geistigen Irrlichter der sozialistischen Bewegung“ deutlich. „Die allergrößte Schwierigkeit“ in der sexuellen Revolution stellen, wie Reich 1936 schrieb, „die Pastoren im revolutionären Lager dar. Es sind meist sexuell verkrampfte Intellektuelle, Revolutionäre aus neurotischen Motiven, die, statt mit Wissen zu helfen, nur Verwirrung stiften“ (Die sexuelle Revolution, Fischer TB, S. 250, siehe auch S. 262). Ein Jahr später beklagt Reich in seiner Zeitschrift, wie diese „Irrlichter“ nicht nur die sexuelle Frage übergangen hätten, sondern jeden, der die Bedürfnisse der Massen anspreche, zum Reaktionär erklären. Diese „prinzipiellen Marxisten“ mit ihrem trockenen Intellektualismus seien „schwere Sexualneurotiker“ und „ihr sozialistischer Radikalismus ist ein Ausfluß einer krankhaften Rebellion gegen tiefe Bindungen an die bürgerliche Familiensituation und an bürgerliche Ideologie“ („Dialektisch-materialistische Facharbeiter contra geistige Irrlichter der sozialistischen Bewegung“, Zeitschrift für politische Psychologie und Sexualökonomie, 1937).
In seiner Schrift Die natürliche Organisation der Arbeit zeichnet sich dann 1939 Reichs Bruch mit der sozialistischen Bewegung ab, um sich in Weitere Probleme der Arbeitsdemokratie 1941 ganz zu vollenden. Am 7. November 1940 schrieb er an Neill, er fühle sich, was seine bisherigen sozialistischen Ansichten beträfe, „völlig verunsichert“ und er tendiere dazu,
das meiste zu revidieren, was ich je in Europa darüber gelernt habe, was Sozialismus sein könnte und sollte. Ich kann nur hoffen, daß die Grundlagen meiner fachlichen Arbeit mich davor schützen, reaktionär zu werden. Wenn man Sozialisten und Kommunisten, die hier herübergekommen sind, sagen hört, daß Roosevelt ein Diktator oder Faschist sei, dann dreht sich einem einfach der Magen um. Ich fange an, sie zu hassen. Sie erscheinen mir ausgesprochen schädlich mit ihrer völligen Unfähigkeit, einen Gedanken zu Ende zu denken oder irgendeine Arbeit zu tun. Aber es kann sein, daß dies Gefühl nichts als Enttäuschung ist. (Zeugnisse einer Freundschaft)
Ende der 1940er und in den 1950er Jahre, als jeder von Reich erwarten konnte, daß er sich angesichts des McCarthyismus der „kritischen Linken“ solidarisch wieder annähert, spitzte sich seine nicht nur antikommunistische, sondern nun auch antisozialistische und antiliberale Haltung zunehmend zu. Um dieses „außerhalb der Zeit Stehens“ noch zu toppen, veröffentlichte er ausgerechnet zu dieser Zeit ein offenes Bekenntnis zu Marx als Ökonom (siehe wieder Menschen im Staat). Ein ähnliches Bekenntnis findet sich später in seinen letzten Eingaben an die obersten Gerichte der USA!
Ähnlich unzeitgemäß war seine Haltung zu Hitler: Anfang der 1940er Jahre und auch später findet sich bei diesem seit 1928 wohl radikalsten Antifaschisten kaum ein Wort über die „Kriegsanstrengung“ der Alliierten und nicht der kleinste Hauch eines Anflugs von Sympathie für das um sein Überleben kämpfende Sowjetrußland. Man vergleiche das mit seinem Engagement im anschließenden Kalten Krieg, insbesondere was den Koreakrieg betrifft. Das ORANUR-Experiment war offen eine antikommunistische Unternehmung angesichts eines möglichen Atomkrieges. Man darf nicht vergessen, daß damals in der Sowjetunion ein ähnlich theokratisches (sic!) System herrschte wie heute in Nordkorea.
Man braucht nicht lange spekulieren, wie Reich auf den kulturellen Umbruch in den 1960er Jahren reagiert hätte, wenn er statt verfrüht mit 60 mit, sagen wir mal, 75 gestorben wäre. Wirklich alles, was später kam, wurde im weitaus kleineren Rahmen, aber in New York deutlich sichtbar, in den späten 1940er und den 1950er Jahren von den Beatniks vorexerziert: Avantgarde-„Kunst“, Jazz, Rock’n Roll, Drogen, „sexuelle Befreiung“. Reichs Reaktion war extrem negativ, zumal er das ganze bereits aus dem Berlin Anfang der 1930er Jahre kannte: abgrundtief verachtenswerte bourgeoise Dekadenz.
Es ist wirklich an Absonderlichkeit nicht zu überbieten, wenn von linker Seite immer wieder suggeriert wird, daß ausgerechnet Reich auch nur einen Funken Sympathie für die Hippies, Woodstock, das Swinging London oder ähnlichen Dreck gehegt hätte. Genauso absurd ist es natürlich, wenn Reich von konservativer Seite für den kulturellen Verfall des Westens verantwortlich gemacht, d.h. der Frankfurter Schule zugeordnet, neuerdings sogar zu einem der Urväter des Gendermainstreamings ernannt wird. Zumal Reich eben nie den Schritt vom ökonomischen zum Kulturmarxismus mitgemacht hat. Ich verweise erneut auf das Marx-Kapitel in Menschen im Staat! Das wurde genau von jenen intellektuellen, „neurotischen“ Marxisten geleistet, die er so abgrundtief verachtet hat.
Reich war derjenige gewesen, der unter „Unbehagen in der Kultur“ litt, und sich schließlich in ein Flugzeug verortete, das weit entfernt über den Menschen schwebt, auf der Wiese, von wo aus er das menschliche Schauspiel auf der Bühne beobachtet, oder gleich fernab im Weltall, fernab von der Erde. Reich hat nie am Spiel seiner jeweiligen Gruppe teilgenommen: sei dies die Psychoanalyse, die Linke oder ein beschränktes Amerikanertum, das Marx, Lenin und Luxemburg zu hassen hat.
Reich dachte stets vom bioenergetischen Kern her, lebte aus dem bioenergetischen Kern heraus. Von daher erkannte er, wie kontraproduktiv die Politik der Sozialdemokraten und der bürgerlichen liberalen Parteien war, die mit ihrer Aggressionshemmung und dem Verharren in der sozialen Fassade (demokratischer Formalismus) die Weimarer Republik und die österreichische Republik verspielt hatten. Später sollte der gesamte Westen die gleichen Fehler wiederholen und als Folge sich unvermittelt auf der Seite des roten Faschismus im Kampf gegen Hitler wiederfinden. Reich hat sich geweigert bei diesem Affentheater mitzumachen.
Die von der Libidotheorie abgehobene, for lack of a better term, „Kulturpsychoanalyse“ haßte er genauso wie den Kulturmarxismus, der sich von der Arbeitswertlehre gelöst hatte. Daß nach dem Zweiten Weltkrieg die gleichen Leute (beispielsweise die meisten amerikanischen Psychoanalytiker) auf der Seite der Sowjetunion standen, zumindest den Kalten Krieg ablehnten, die sich einst über Reichs Bolschewismus lustig gemacht hatten, muß ihn in seiner Haltung bestärkt haben. Diese Leute bestimmen heute die Kulturdebatte und sie sind bis heute durchweg Todfeinde Reichs – selbst wenn sie sich als „Reichianer“ gerieren.
Zwei Arten von Debitismus (Teil 1)
19. März 2013Wenn ich die orgonomische Wirtschaftstheorie, wie sie von Charles Konia und Robert A. Harman auf der Grundlage von Reichs Erkenntnissen dargelegt wurde, richtig verstanden habe, ist das gegenwärtige Wirtschaftssystem bruchlos aus dem Austausch zwischen den ersten Menschengruppen hervorgegangen. Ursprünglich setzte sich die Menschheit aus kleinen Clans zusammen, die sich mehr oder weniger feindlich gesonnen waren. Ganz ähnlich den Zuständen, die wir bei Schimpansenhorden beobachten. Die einzelnen Clans fanden erst durch komplizierte Heiratsregeln und durch quasi „Kreditgeschäfte“ dauerhaft zueinander und konnten einigermaßen friedliche Gesellschaften bilden. Bei den besagten „Kreditgeschäften“ ging es um Geschenke, die den Beschenkten implizit verpflichteten ein wertvolleres Gegengeschenk zu geben. Das war sozusagen der erste „Zinsstreß“, ging es doch um die Gefahr des Gesichtsverlusts und des sozialen Todes (der zwangsläufig den physischen Tod nach sich zog, denn auf sich allein gestellt, konnte niemand überleben).
Durch die Zusammenarbeit der Clans kam es zu wachsender Arbeitsteilung und die „Kreditgeschäfte“ betrafen schließlich auch Güter: Wildbret, Fisch, Töpferwaren, Früchte, etc. Beispielsweise läßt sich der „Handel“ mit Sperrspitzen über ganze Kontinente hinweg nachweisen. Das, was ursprünglich die Clans zusammengeführt und zusammengehalten hatte, organisierte nun die Arbeitsdemokratie: ein unüberschaubares Netz gegenseitiger Verpflichtungen. Schließlich kam durch das Marktgeschehen das Geld auf, um den Austausch zu vereinfachen und zu vereinheitlichen. Gestört wurde das System durch immer neue Einbrüche der Emotionellen Pest. Die Emotionelle Pest bewirkte, daß das freiwillige Geben eine immer geringere Rolle spielte und stattdessen das Nehmen ausuferte.
Der Ausgangspunkt von Harmans Argumentation sind die beiden folgenden Stellen aus Reichs Massenpsychologie des Faschismus:
Die Summe aller natürlichen Arbeitsbeziehungen nennen wir Arbeitsdemokratie, als die Form der natürlichen Organisation der Arbeit. Diese Arbeitsbeziehungen sind ihrem Wesen nach funktionell und nicht mechanisch. Sie können nicht willkürlich organisiert werden, sie ergeben sich spontan aus dem Arbeitsprozeß selbst. Die wechselseitige Abhängigkeit eines Tischlers von einem Schmied, eines Naturforschers vom Glasschleifer, eines Malers von der Produktion des Farbstoffes, eines Elektrikers von der Metallarbeit ist an sich durch die Verwobenheit der Arbeitsfunktionen gegeben. (Fischer TB, S. 312)
Dieses Gewebe wechselseitiger Abhängigkeiten und Verpflichtungen formiert sich spontan und kann nicht künstlich geschaffen bzw. durch Vorgaben, gar Befehle hergestellt werden. Wenn es doch versucht wird, geschieht allenfalls das gleiche wie bei den Primitiven, wenn man diese willkürlich organisieren will: sie gehen, wenn sie denn gezwungen werden, in den inneren Streik. An einem ähnlichen Zwang ist beispielsweise die „DDR“ zugrundgegangen: ihr tut so, als wenn ihr uns bezahlt und wir tun so, als wenn wir für euch arbeiten.
[W]enn weiter die Arbeitsfunktionen an sich und unabhängig vom Menschen rational sind, dann stehen vor uns zwei riesenhafte Betätigungsgebiete des menschlichen Lebens, einander todfeindlich, gegenüber: die lebensnotwendige Arbeit als rationale Lebensfunktion hier; die emotionelle Pest als irrationale Lebensfunktion dort. (ebd., S. 330)
Entsprechend ist heute Wirtschaftswissenschaft das Studium der Wechselwirkung zwischen der Arbeitsdemokratie und der Emotionellen Pest:
Die orgonomische Wirtschaftstheorie steht heute jedoch vor einer ähnlichen Situation wie Reich Mitte der 1920er Jahre. Damals war Reich angesichts von Freuds Totem und Tabu mit dem Problem konfrontiert, daß seine Orgasmustheorie anthropologisch unhaltbar zu sein schien, waren doch die Primitiven (also jene, die dem „orgastisch potenten Naturzustand“ vermeintlich am nächsten standen) „patriarchal, neurotisch und pervers“. Ihre Leben schien von Männerwillkür, neurotischem Aberglauben und beispielsweise von grausamen Genitalverstümmelungen beherrscht zu sein. Damals wurde der „edle Wilde“ Rousseaus vollständig dekonstruiert. Das Bild des Wilden verdüsterte sich derartig, daß selbst Freuds Todestriebtheorie glaubhaft wirkte.
Es muß für Reich wie eine Erlösung gewesen sein, als er auf die Arbeit von Bronislaw Malinowski über die Trobriander stieß, die seine Orgasmustheorie vollauf bestätigte. In den 1980er Jahren konnte James DeMeo dann die Stichhaltigkeit des Reichschen Ansatzes durch eine kulturvergleichende Studie nachweisen, die sämtliche ethnographisch untersuchten Völkerschaften umfaßte.
Wenn man sich nun daran macht, im Anschluß an die klassischen Wirtschaftstheorien seit Adam Smith eine orgonomische Wirtschaftstheorie zu formulieren, wonach der rationale Austausch zwischen den Menschen (die Arbeitsdemokratie) durch die Emotionelle Pest gestört wird, steht man vor einem ganz ähnlichen Problem, denn die Ethnologie zieht ebenfalls seit Anfang des letzten Jahrhunderts die Vorstellung eines rational handelnden (tauschenden) Wilden in Zweifel. Tauschhandlungen habe es nur im Rahmen der Sitte und Ritualen gegeben und es sei dabei um Dinge wie Ehre, Ehrgeiz, Angst vor Gesichtsverlust, etc. gegangen. Tausch galt also weniger dem materiellen Erhalt der Gemeinschaft, als vielmehr dem sozialen Ausgleich.
Erst mit der Zivilisation sei das Element der rationalen Wirtschaftsführung hinzugetreten, Kosten-Nutzen-Analyse, Bereicherung, Kapitalakkumulation, etc. Die klassische Ökonomie hätte dann mit viel Phantasie einen rationalen „Homo oeconomicus“ an den Anfang der Entwicklung gestellt. Diesem war es zwar ebenfalls um den sozialen Ausgleich zu tun („Geben und Nehmen zum gemeinsamen Vorteil“), doch ging dies vom rational kalkulierenden Subjekt aus. Quasi wurde der zeitgenössische Kaufmann zurück in den Urwald versetzt losgelöst von allen Stammesstrukturen.
Ende der 1920er Jahre postulierte Reich, sich auf Malinowski berufend, einen „Urkommunismus“ bei den Trobriandern, d.h. eine solidarische Gemeinschaft, in der, wenn man so sagen kann, die „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ verwirklicht war. Malinowski selbst sollte in seinem 1935 erschienenen Buch Korallengärten und ihre Magie (Bodenbestellung und bäuerliche Riten auf den Trobriand-Inseln), das m.W. Reich nie gelesen hat, dieser Interpretation entschieden entgegentreten. Auch lehnte Malinowski die gegenteilige Interpretation ab, daß es sich bei den Wilden um eine Art rücksichtslosen „Urkapitalisten“ handele. Beispielsweise ist ein aufwendiges hochseetüchtiges Kanu nicht einfach „Allgemeingut“, sondern es gehört einer Person, die jedoch in einem schier unentwirrbaren Gestrüpp von Verpflichtungen gegenüber jenen eingebunden ist, die ihr beim Bau des Kanus geholfen haben. In seiner orgonomischen Wirtschaftstheorie geht Robert Harman im Detail darauf ein. Die Trobriandrische Gesellschaft wird von einem Netz gegenseitiger Verpflichtungen organisiert, durch ein universelles Geben und Nehmen.
Am Ende seines Buches über die Ökonomie der Trobriander schrieb Malinowski etwas, was später noch in einem ganz anderen Zusammenhang Bedeutung gewinnen wird:
Abschließend möchte ich noch hervorheben, daß sich im Licht dieser Analyse zeigt, wie vergeblich die Unterscheidung zwischen kommunistischem und Privateigentum ist. Ich hätte durchweg zeigen können, wie jeder Anspruch, jede Beziehung zwischen Mensch und Boden betontermaßen sowohl individuell wie kollektiv ist. Die Konzeption der ursprünglichen Heraufkunft (der Clans aus dem Inneren der Erde, PN) impliziert eine große Verwandtschaftsgruppe, den Subclan, der uranfänglich von einem Individuum, der Urahne – vielleicht auch ihrem Bruder –, repräsentiert wird, und den heute gleichermaßen ein Individuum repräsentiert, das Oberhaupt. Diese Gruppe ist nach Geschlecht und Alter differenziert und in kleinere Lineages unterteilt. Und innerhalb des Subclans gibt es sogar individuelle Besitztitel auf Land, und das Land selbst ist gleichsam aus Rücksicht auf den Wunsch nach individuellen Unterscheidungen aufgeteilt. Obwohl nämlich der persönliche Parzellenbesitz in gewisser Weise unserer eigenen Vorstellung von letztgültigen Verhältnissen im Bodenrecht am nächsten kommt, ist er doch auf den Trobriand-Inseln nur von allergeringster ökonomischer Relevanz. Dennoch ist dieser Umstand hier äußerst wichtig, da er belegt, wie wenig der sog. Urkommunismus in der Wirtschaftseinstellung der Eingeborenen vorkommt. Geradezu zum Ärger der anthropologischen Theoretiker insistiert der Trobriander darauf, eine eigene Parzelle zu haben, die mit seinem Personennamen assoziiert ist. Bei der alten Entgegensetzung handelt es sich um einen schlechten und unklugen Kurzschluß; durchgehend haben wir gesehen, daß das eigentliche Problem nicht im Entweder-Oder von Individualismus und Kommunismus liegt, sondern in der Wechselbeziehung kollektiver und persönlicher Ansprüche. (Korallengärten und ihre Magie, Frankfurt 1981, S. 413)






















